Matthias Walden (1927-1984) gehörte zu den prägenden Journalisten, die sich nach 1945 vehement für einen politischen Neuanfang in Deutschland einsetzten. Im Kern seines politischen Denkens stand die Verteidigung der liberalen Demokratie gegen Diktaturen und totalitäre Gesellschaftsentwürfe.Nils Lange legt mit dieser intellektuellen Biographie die erste umfassende Arbeit über Leben und Werk Matthias Waldens vor. Dabei arbeitet er sowohl die politischen als auch die ideengeschichtlichen Einflüsse heraus, die den profilierten Leitartikler des Verlags Axel Springer prägten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.12.2021Ein staatsloyaler Konservativer
Er scheute Kontroversen nicht - eine Biographie über den Journalisten Matthias Walden
Gerade wenn eine Epoche "auserzählt" zu sein scheint, ist es an der Zeit, neue Aspekte zu beleuchten, die Ereignisse unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten - oder andere Personen als die bekannten auszudeuten. Die alte Bundesrepublik ist umfassend erforscht - sozialkritisch, mit dem Fokus auf die alten Nazis in der jungen Demokratie, auf Kontinuität und Brüche, Wirtschaftswunder und Westintegration, Blockkonfrontation und Wandel durch Annäherung. Wer Neues sucht, muss das Alte kennen - der Historiker Nils Lange schultert lässig das Erbe der deutschen Zeitgeschichtsforschung. Er hat eine detailreiche Biographie über den Journalisten Matthias Walden als Doktorarbeit vorgelegt - und zugleich weit mehr als das geleistet: Lange bringt eine Facette altbundesrepublikanischen Denkens ans Licht, das von Vorurteilen verdunkelt war. Den Leitartikler Matthias Walden - ein staatsloyaler Konservativer, der Distanz zur Parteipolitik wahrte - beseelte ein gesamtdeutscher Patriotismus. Und er bekämpfte mit spitzer Feder jede Art des Totalitarismus - ob braun oder rot.
Zwei Diktaturen haben Matthias Walden geprägt. Volontiert hat er - 1927 als Otto Eugen Baron von Saß in Dresden geboren und 1984 früh verstorben - auf der Ostseite der geteilten Welt. Aus tiefer Abscheu vor der SED-Herrschaft ging er 1950 in den Westen, um fortan energisch für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit einzutreten.
Nils Lange beschreibt, wie sein Protagonist "vergangenheitspolitische Versäumnisse" der Adenauer-Zeit aufdeckte. Laut Walden wärmten sich unter "der Daunendecke unserer Wohlstandsgesellschaft" zwar keine "große Zahl unzerreißbarer Nazis", aber eine "viel zu geringe Zahl entschiedener Anti-Nazis". Was heute gern übersehen wird: Streng forderten auch konservative Angehörige der Flakhelfergeneration lange vor "68" Rücktritte und Prozesse gegen NS-belastete Protagonisten der jungen Republik. Walden stritt zudem dafür, die Widerstandskämpfer des 20. Juli in den Traditionskanon der Bundeswehr aufzunehmen.
Nicht minder streng ging er mit dem sogenannten Realsozialismus um. Zum Schutz seiner in der DDR verbliebenen Eltern hatte der Sohn ein Pseudonym gewählt, was die Staatssicherheit natürlich durchschaute. Lange zeichnet nach, dass Walden in West-Berlin zunächst dem Regierenden Bürgermeister Willy Brandt nahestand, der sich dessen Kommentar nach der Abriegelung der westlichen Sektoren persönlich abgeheftet habe. Die Entspannungspolitik aber entzweite Walden und einst Gleichgesinnte. Während Sebastian Haffner nach dem Machtwechsel den Bundeskanzler lobte, weil dieser den Kalten Krieg beendet habe, hielt Walden dagegen. Der Westen spreche den Menschen jenseits des Eisernen Vorhangs ihren Anspruch auf Freiheit ab.
Wer den Mauerbau mit den Worten kommentiert hatte, die DDR habe "den Notausgang aus dem großen Gefängnis geschlossen", und beharrlich darauf verwies, dass dem Passierscheinabkommen ein Denkfehler zugrunde liege, weil sich die Mauer einseitig nur für West-Berliner öffnete, passte nicht in das Klima der Entspannungspolitik. Anders als viele andere Meinungsmacher gewöhnte sich Walden nie an die Idee der friedlichen Koexistenz. Er warnte vor der Preisgabe freiheitlicher Werte und wurde zum publizistischen Wortführer gegen die neue Ostpolitik.
Die Kolumnisten der Bundesrepublik lieferten sich harte Gefechte. Auch Walden hatte eine journalistische Mission. Seit den 1950er-Jahren veröffentlichte er vor allem im SFB, in Christ & Welt, in der viel gelesenen Illustrierten Quick und in Springers Welt seine messerscharfen Zeitanalysen. Er hielt die westliche Gesellschaft der "Funkelnagelneuzeit" für schlaff. In ihrer Konsumfixierung erkannte er früh ein Hemmnis für eine Wiedervereinigung, die er dann selbst nicht mehr erlebte. Fast zwangsläufig wurde Walden in den Jahren der Studentenproteste und des RAF-Terrorismus zur Hassfigur der Linken - er hatte sich Jürgen Habermas' Wort von den "Linksfaschisten" zu eigen gemacht, und anders als der Schöpfer des Ausdrucks löste Walden sich davon nicht.
In den Monaten vor seinem Tod war der Vertraute Axel Springers als aussichtsreichster Nachfolgekandidat für den Verleger im Gespräch. Als "Springers Libero" betitelte ihn in den 1980er-Jahren ein Kollege von der "Zeit", der damit laut Nils Lange ausdrücklich das liberale Denken herausstellte, das den Konservativen Walden auszeichnete. Der Mann von "schöner Noblesse", wie einst Klaus Bölling bemerkte, steht nicht für den Typus publizistisches Urgestein, sondern bleibt in der Medienlandschaft der Bundesrepublik ein Solitär - und gerade das macht seine Lebensgeschichte interessant.
Doch wie gelingt es, wissenschaftliche Tiefe zu erreichen und die Früchte der Forschung nutzbringend und gut verdaulich darzureichen? Die Auslese kostbarer Fundstücke ist eine Kunst: Die Einladung an Walden zum "Katerfrühstück" bei Helmut Schmidt beflügelt selbstverständlich den Enthusiasmus eines jeden Forschers, aber dann sollte eine solche Kuriosität auch ausgedeutet werden.
Gerade die Beschäftigung mit einem begabten Journalisten, der sich auf die Zuspitzung versteht, selbst dabei aber elegant und präzise formuliert, erfordert besondere Sorgfalt. Daran mangelt es dem Autor Nils Lange nicht - wohl aber an der Konzentration auf das Wesentliche. In der Fülle von angeführten Zitaten stecken Wiederholungen und Redundanzen - bei mehr als 500 reinen Textseiten ist das kein Wunder, aber doch ein Manko.
Wenn eines in diesem umfangreichen Band fehlt, ist es ein Schlüssel zum Menschen Matthias Walden. Leider bleiben dessen Charakter und Individualität hinter dem Profil des scharfzüngigen, aufrechten und letztlich isolierten Überzeugungstäters versteckt. Hätte das Gedächtnis von Zeitzeugen nicht den Zugang zur Persönlichkeit Waldens öffnen können? Er war Reiter, ist zu lesen. Das war Günter Gaus - nicht nur aus Liebe zum Pferd - auch. Aber: was sagt es über Walden? Im Gegensatz zu mancher Edelfeder von heute hatte er Persönliches in seinen Texten vermieden und so das Holzschnitthafte der Deutung selbst angelegt. In Ost und West, notierte Matthias Walden 1963, gelte er vielen als kältester der kalten Krieger: "Ich habe es ihnen allen nicht übel genommen, denn solange es einen kalten (sic) Krieg gibt, möchte ich - obwohl von pazifistischem Gemüt - lieber einer seiner Krieger, als eines seiner Opfer sein."
JACQUELINE BOYSEN
Nils Lange: Matthias Walden - Ein Leben für die Freiheit.
Bebra Wissenschaft Verlag, Berlin 2021. 620 S., 56,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Er scheute Kontroversen nicht - eine Biographie über den Journalisten Matthias Walden
Gerade wenn eine Epoche "auserzählt" zu sein scheint, ist es an der Zeit, neue Aspekte zu beleuchten, die Ereignisse unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten - oder andere Personen als die bekannten auszudeuten. Die alte Bundesrepublik ist umfassend erforscht - sozialkritisch, mit dem Fokus auf die alten Nazis in der jungen Demokratie, auf Kontinuität und Brüche, Wirtschaftswunder und Westintegration, Blockkonfrontation und Wandel durch Annäherung. Wer Neues sucht, muss das Alte kennen - der Historiker Nils Lange schultert lässig das Erbe der deutschen Zeitgeschichtsforschung. Er hat eine detailreiche Biographie über den Journalisten Matthias Walden als Doktorarbeit vorgelegt - und zugleich weit mehr als das geleistet: Lange bringt eine Facette altbundesrepublikanischen Denkens ans Licht, das von Vorurteilen verdunkelt war. Den Leitartikler Matthias Walden - ein staatsloyaler Konservativer, der Distanz zur Parteipolitik wahrte - beseelte ein gesamtdeutscher Patriotismus. Und er bekämpfte mit spitzer Feder jede Art des Totalitarismus - ob braun oder rot.
Zwei Diktaturen haben Matthias Walden geprägt. Volontiert hat er - 1927 als Otto Eugen Baron von Saß in Dresden geboren und 1984 früh verstorben - auf der Ostseite der geteilten Welt. Aus tiefer Abscheu vor der SED-Herrschaft ging er 1950 in den Westen, um fortan energisch für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit einzutreten.
Nils Lange beschreibt, wie sein Protagonist "vergangenheitspolitische Versäumnisse" der Adenauer-Zeit aufdeckte. Laut Walden wärmten sich unter "der Daunendecke unserer Wohlstandsgesellschaft" zwar keine "große Zahl unzerreißbarer Nazis", aber eine "viel zu geringe Zahl entschiedener Anti-Nazis". Was heute gern übersehen wird: Streng forderten auch konservative Angehörige der Flakhelfergeneration lange vor "68" Rücktritte und Prozesse gegen NS-belastete Protagonisten der jungen Republik. Walden stritt zudem dafür, die Widerstandskämpfer des 20. Juli in den Traditionskanon der Bundeswehr aufzunehmen.
Nicht minder streng ging er mit dem sogenannten Realsozialismus um. Zum Schutz seiner in der DDR verbliebenen Eltern hatte der Sohn ein Pseudonym gewählt, was die Staatssicherheit natürlich durchschaute. Lange zeichnet nach, dass Walden in West-Berlin zunächst dem Regierenden Bürgermeister Willy Brandt nahestand, der sich dessen Kommentar nach der Abriegelung der westlichen Sektoren persönlich abgeheftet habe. Die Entspannungspolitik aber entzweite Walden und einst Gleichgesinnte. Während Sebastian Haffner nach dem Machtwechsel den Bundeskanzler lobte, weil dieser den Kalten Krieg beendet habe, hielt Walden dagegen. Der Westen spreche den Menschen jenseits des Eisernen Vorhangs ihren Anspruch auf Freiheit ab.
Wer den Mauerbau mit den Worten kommentiert hatte, die DDR habe "den Notausgang aus dem großen Gefängnis geschlossen", und beharrlich darauf verwies, dass dem Passierscheinabkommen ein Denkfehler zugrunde liege, weil sich die Mauer einseitig nur für West-Berliner öffnete, passte nicht in das Klima der Entspannungspolitik. Anders als viele andere Meinungsmacher gewöhnte sich Walden nie an die Idee der friedlichen Koexistenz. Er warnte vor der Preisgabe freiheitlicher Werte und wurde zum publizistischen Wortführer gegen die neue Ostpolitik.
Die Kolumnisten der Bundesrepublik lieferten sich harte Gefechte. Auch Walden hatte eine journalistische Mission. Seit den 1950er-Jahren veröffentlichte er vor allem im SFB, in Christ & Welt, in der viel gelesenen Illustrierten Quick und in Springers Welt seine messerscharfen Zeitanalysen. Er hielt die westliche Gesellschaft der "Funkelnagelneuzeit" für schlaff. In ihrer Konsumfixierung erkannte er früh ein Hemmnis für eine Wiedervereinigung, die er dann selbst nicht mehr erlebte. Fast zwangsläufig wurde Walden in den Jahren der Studentenproteste und des RAF-Terrorismus zur Hassfigur der Linken - er hatte sich Jürgen Habermas' Wort von den "Linksfaschisten" zu eigen gemacht, und anders als der Schöpfer des Ausdrucks löste Walden sich davon nicht.
In den Monaten vor seinem Tod war der Vertraute Axel Springers als aussichtsreichster Nachfolgekandidat für den Verleger im Gespräch. Als "Springers Libero" betitelte ihn in den 1980er-Jahren ein Kollege von der "Zeit", der damit laut Nils Lange ausdrücklich das liberale Denken herausstellte, das den Konservativen Walden auszeichnete. Der Mann von "schöner Noblesse", wie einst Klaus Bölling bemerkte, steht nicht für den Typus publizistisches Urgestein, sondern bleibt in der Medienlandschaft der Bundesrepublik ein Solitär - und gerade das macht seine Lebensgeschichte interessant.
Doch wie gelingt es, wissenschaftliche Tiefe zu erreichen und die Früchte der Forschung nutzbringend und gut verdaulich darzureichen? Die Auslese kostbarer Fundstücke ist eine Kunst: Die Einladung an Walden zum "Katerfrühstück" bei Helmut Schmidt beflügelt selbstverständlich den Enthusiasmus eines jeden Forschers, aber dann sollte eine solche Kuriosität auch ausgedeutet werden.
Gerade die Beschäftigung mit einem begabten Journalisten, der sich auf die Zuspitzung versteht, selbst dabei aber elegant und präzise formuliert, erfordert besondere Sorgfalt. Daran mangelt es dem Autor Nils Lange nicht - wohl aber an der Konzentration auf das Wesentliche. In der Fülle von angeführten Zitaten stecken Wiederholungen und Redundanzen - bei mehr als 500 reinen Textseiten ist das kein Wunder, aber doch ein Manko.
Wenn eines in diesem umfangreichen Band fehlt, ist es ein Schlüssel zum Menschen Matthias Walden. Leider bleiben dessen Charakter und Individualität hinter dem Profil des scharfzüngigen, aufrechten und letztlich isolierten Überzeugungstäters versteckt. Hätte das Gedächtnis von Zeitzeugen nicht den Zugang zur Persönlichkeit Waldens öffnen können? Er war Reiter, ist zu lesen. Das war Günter Gaus - nicht nur aus Liebe zum Pferd - auch. Aber: was sagt es über Walden? Im Gegensatz zu mancher Edelfeder von heute hatte er Persönliches in seinen Texten vermieden und so das Holzschnitthafte der Deutung selbst angelegt. In Ost und West, notierte Matthias Walden 1963, gelte er vielen als kältester der kalten Krieger: "Ich habe es ihnen allen nicht übel genommen, denn solange es einen kalten (sic) Krieg gibt, möchte ich - obwohl von pazifistischem Gemüt - lieber einer seiner Krieger, als eines seiner Opfer sein."
JACQUELINE BOYSEN
Nils Lange: Matthias Walden - Ein Leben für die Freiheit.
Bebra Wissenschaft Verlag, Berlin 2021. 620 S., 56,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Jacqueline Boysen freut sich über die Erinnerung an einen einflussreichen Jounalisten der alten Bundesrepublik, die Nils Lange mit seiner Dissertation über Matthias Walden vorlegt. Den "staatsloyalen Konservativen" Walden, seine unnachgiebige Investigationsarbeit in Sachen Adenauer-Zeit und seine spitzen Zeitanalysen vermittelt der Autor laut Boysen zwar anhand einer Vielzahl von Zitaten, deren einleuchtende Deutung aber gelingt der Rezensentin im Buch zu selten. Mehr Konzentration aufs Wesentliche hätte dem Buch gut getan, meint Boysen, und dazu gehört für sie auch der Fokus auf den Menschen Walden und dessen Charakter, etwa vermittels Zeitzeugenberichten.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH