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Es el relato de la vida de Vladek y Anja, los padres de Art Spiegelman en la época del exterminio judío por los nazis.

Produktbeschreibung
Es el relato de la vida de Vladek y Anja, los padres de Art Spiegelman en la época del exterminio judío por los nazis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.04.2014

Wie kann man nach "Maus" noch Comics zeichnen?

Meisterwerke schaffen auch Tabus. Muss das so sein? Michel Kichka wagt eine neue Graphic Novel aus der Sicht des Kindes eines Überlebenden der Schoa.

Ein größeres literarisches Wagnis gibt es nicht, als das Thema eines weltweit anerkannten Meisterwerks aufzunehmen. Einen Tag in Dublin beschreiben? Die Anklageerhebung gegen jemanden, der sich keiner Schuld bewusst ist? Den russischen Abwehrkampf gegen Napoleon? Den jahrelangen Aufenthalt in einem Lungensanatorium? Solche Romane würden am "Ulysses" gemessen, am "Prozeß", an "Krieg und Frieden", am "Zauberberg". Und so wird Michel Kichkas jetzt auf Deutsch bei Egmont erschienene Graphic Novel "Zweite Generation" an "Maus" von Art Spiegelman gemessen werden. Denn beide Comics erzählen vom Leben als Kinder von Überlebenden der Schoa.

Spiegelmans 1991 abgeschlossene und im Folgejahr mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Geschichte gilt längst als Klassiker auf seinem Feld, und das umfasst nicht nur die Comics, sondern auch die jüdische Erinnerungsliteratur. "Maus" erzählt nicht nur ausgiebig von den familiären Belastungen, die ein Verbrechen wie der deutsche Massenmord an den Juden noch den Überlebenden und deren Nachkommen auferlegt, nein, der Comic setzt auch die von Spiegelman über Jahre hinweg aufgezeichneten Berichte seines Vaters Vladek an dessen Zeit im besetzten Polen und dann als Häftling in Auschwitz ins Bild. Im subjektiven Federstrich des Zeichners ist dabei alle Unsicherheit über die Zuverlässigkeit von Erinnerung und Deutung aufgehoben. Bisweilen wird sie gar durch konkurrierende Bilder explizit gemacht.

Aber darf ein solches anerkanntes Meisterwerk das Thema für alle anderen Autoren, zumal wenn sie selbst den Familien von Überlebenden entstammen, unmöglich machen? Das wäre grausam, denn wie wichtig ist es doch, sich den eigenen Traumata zu stellen. Und das hat eben vor zwei Jahren auch Michel Kichka mit "Zweite Generation" getan, und der Untertitel seines zunächst auf Französisch erschienenen Comics benennt den Antrieb dazu überdeutlich: "Was ich meinem Vater nie gesagt habe".

Wobei ein gravierender Unterschied zwischen dem Amerikaner Spiegelman (Jahrgang 1948) und dem in Israel lebenden Belgier Kichka (Jahrgang 1954) besteht: Als Spiegelman mit der Publikation von "Maus" begann, war sein Vater, der die öffentliche Erinnerung an die Lager gescheut hatte, gerade gestorben, und die Mutter, gleichfalls eine Überlebende der Vernichtungslager, hatte sich schon 1968 das Leben genommen. Kichkas Vater aber lebt noch, er ist mittlerweile achtundachtzig Jahre alt und immer noch als ein Zeitzeuge aktiv, der über seine Erlebnisse in drei Jahren KZ-Haft berichtet, auch selbst ein Buch darüber geschrieben hat. Die Voraussetzungen waren also ganz andere: Spiegelman musste seinem Vater den Stoff abringen, Kichka sich dagegen darin mit dem Vater messen. Das ist zentral für das Verständnis beider Comics.

"Zweite Generation" ist zudem das Werk eines Karikaturisten, keines Comiczeichners. Der Graphic-Novel-Boom der letzten Jahre hat etliche Bücher hervorgebracht, die von späten Comicdebütanten stammen, und in den besten Fällen bringt die mangelnde Vertrautheit mit der Erzählform ungewöhnliche Lösungen hervor. Das ist bei Kichka nicht so. Seinem hundertseitigen Werk merkt man den Karikaturisten noch überdeutlich an - nicht am Stil (da hat Kichka sich von französischen Vorbildern wie Gotlib, Tabary und ganz besonders von David B. anregen lassen), sondern an der Bedeutung des Einzelbildes, das nur selten in einer seitenübergreifende Architektur mit anderen Panels eingebunden wird.

Die wenigen Ausnahmen wie die gespenstische imaginäre Sicht ins Kleideratelier des elterlichen Schneiderbetriebs, der voller KZ-Uniformen hängt, oder die unweigerlich an die Vernichtungslager erinnernde, von Hochöfen, Schloten, Fördertürmen und Eisenbahngleisen bestimmte Silhouette des wallonischen Industriestädtchens Seraing-sur-Meuse, in dem Kichka aufwuchs, verdanken sich gerade der graphisch-assoziativen Methode von Spiegelman. Es ist deshalb kein Wunder, dass Kichka in einem Bild, das sein Zeichneratelier zeigt, das berühmte Titelbild von "Maus" an der Wand hängen lässt. Natürlich wusste er, welchem Vergleich er sich mit dem eigenen Vorhaben aussetzte.

Umso mutiger, dass er es gewagt hat. Und offenbar umso dringlicher für ihn persönlich. Darüber gibt "Zweite Generation" Auskunft: wie befreiend die Arbeit des mittlerweile selbst fast Sechzigjährigen am Stoff des eigenen Lebens gewesen ist. Dabei spielte im Gegensatz zu "Maus" die Erinnerung des Vaters nur insofern eine Rolle, als sie bereits dem jungen Michel vermittelt oder später dem Erwachsenen zugänglich wurde. Kichka trägt in seinem Buch also zusammen, was er bereits wusste. Spiegelmans "Maus" hatte mit einer dreiseitigen Frühfassung im Jahr 1973 auf die gleiche Weise begonnen, doch daraus erwuchs dann die mehrere Jahre umfassende Recherche. Diese Geschichte eröffnet das Geschehen, die von Kichka schließt es ab. "Zweite Generation" ist Kompensation für den nie erfüllten Wunsch seines Vaters, der Sohn möge ihn auf einer der zahlreichen Zeitzeugen-Reisen nach Auschwitz begleiten. Spiegelmans Vater wäre nie auf den Gedanken gekommen, dort noch einmal hinzufahren. "Maus" erzählt vom Kampf mit einer Verweigerung des Erinnerns, "Zweite Generation" von der Wiedergutmachung für die Verweigerung von Interesse.

Deshalb beruht Kichkas Auseinandersetzung mit dem Schicksal seines Vaters inhaltlich vor allem auf dessen Entschluss, sich nach der Gewährung einer belgischen Rente für die Überlebenden der Schoa früh aus dem Beruf zu verabschieden und sein Leben fortan ebender Erinnerung zu widmen. Für Vladek Spiegelman gab es einen ähnlich gravierenden biographischen Einschnitt, er bestand jedoch im Schock über den Suizid seiner Frau, und dieses Ereignis führte nicht den Überlebenden selbst, sondern seinen Sohn Art an das Thema heran. Das wiederum vereint die zeichnenden Söhne: Auch Michel Kichka wurde sich der Bedeutung der Schoa für sein eigenes Schicksal erst richtig bewusst, als sein jüngerer Bruder Charly, der selbst schon eine Familie gegründet hatte, sich für alle überraschend das Leben nahm.

Und doch könnten auch beide Väter Brüder sein, sosehr gleichen sich die Verbitterungen und Überempfindlichkeiten, die sie in der Lagerzeit ausgebildet und unter denen die jeweiligen Familien zu leiden haben. Das noch einmal, aber in ganz anderer familiärer, nationaler, sozialer Konstellation vorgeführt zu bekommen macht das geradezu beklemmende Gefühl der Lektüre von "Zweite Generation" aus. Diese Ähnlichkeit relativiert die Bedeutung von "Maus" nicht, sie verstärkt die Wahrnehmung der Pionierrolle Spiegelmans nicht nur als graphischer Erzähler, sondern auch als Psychologe.

Und das wird noch deutlicher, wenn man sich andere seit 1991 erschienene autobiographische Bildergeschichten ansieht, die "Maus" weniger nahe sind als Kichkas Buch, aber auch das Thema der Belastung von Kindern der Überlebenden aufnehmen. Die 1942 in Budapest geborene und gemeinsam mit ihrer Mutter der Schoa entkommene Miriam Katin hat in der Graphic Novel "Allein unter allen" 2006 aus Familienerzählungen die Geschichte des eigenen Entkommens rekonstruiert und zugleich daraus ihr Misstrauen gegen die Vorstellung eines Gottes begründet. Und Bernice Eisenstein, geboren 1949 in Toronto, publizierte im selben Jahr ihr Buch "Ich war das Kind von Holocaustüberlebenden" - keine Graphic Novel, aber durchsetzt mit Illustrationen und Comicsequenzen, womit auch sie sich einreiht ins Bemühen, durch die höchst subjektive Darstellung als gezeichnete Erinnerung die prinzipielle Fragwürdigkeit aller Versuche, vom Unsagbaren zu sprechen, zum Ausdruck zu bringen.

Michel Kichka kann für "Zweite Generation" auf solche Vorarbeiten zurücksehen und sie voraussetzen. Darum ist sein Beitrag ein freierer, auch witzigerer, zynischerer. Sein Buch weckt zwar nicht mehr Verständnis für die Elterngeneration als die anderen, es zeigt sie aber doch als souveränere Sachwalter ihres Schicksals, als es Spiegelman je gegenüber dem eigenen Vater eingefallen wäre. Man könnte auch sagen: In "Maus" bleiben Vater und Sohn sich fremd, in "Zweite Generation" versöhnen sie sich. Das war das Wagnis wert.

ANDREAS PLATTHAUS

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