Ein Landarbeiter, 1920 geboren, erzählt mitreißend authentisch, detailliert und präzise sein Leben, das als exemplarische Biographie des zwanzigsten Jahrhunderts gelesen werden kann. Er schildert Kindheit und Jugend im Dritten Reich, die Zeit als Soldat im Zweiten Weltkrieg und die Flucht aus Westpreußen ebenso wie die besonderen Erfahrungen eines Mannes, dessen Berufsstand mit der völligen Umstrukturierung der Landwirtschaft ausstirbt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.2000Der Pilz des Glückes wartet fein
Es können Dinge sich begeben, die ihn der Arbeit ganz entheben: Ein Westpreuße in Schleswig-Holstein erinnert sich an Krieg und Frieden
So kann es einem gehen. Man hat sein Leben gemeistert, so gut es die Zeiten zuließen, man hat Herrschaften kommen und gehen sehen, hat manchen blanken Trecker über die Felder gefahren, bis er alt und rostig war, hat eine Heimat verloren und eine neue sich erarbeitet: ein Leben von Tausenden, so gewöhnlich und unauffällig, wie es einem Westpreußen in diesem Jahrhundert eben möglich war. Dann findet man, was die wenigsten finden, einen interessierten Zuhörer. Man erzählt ihm vom Lauf der Dinge, so wie man ihn gelebt hat oder gelebt haben möchte. Dann fährt der andere wieder weg, man hat warten gelernt, und irgendwann ist das Buch da, eines über "Flüchtlinge und Vertriebene in Westdeutschland 1945-1990". Man blättert, man findet die eigenen Worte wieder. Und man findet sich gedeutet: "Bei Herrn Maletzke wird eine Lebensführung erkennbar, die die tragenden sozialen Entwicklungen unserer Zeit nicht zur Kenntnis nimmt. Er führt ein Leben im gesellschaftlichen Abseits. (...) Seine Orientierung an der Welt des Adels mutet anachronistisch an. (...) Drei Jahre vor seinem Übergang in den Ruhestand wurde er ausgangs der 1970er Jahre vom Gut in Schleswig-Holstein entlassen. (...) Die moderne Welt, vor der er sich ein Leben lang zurückgezogen hatte, hatte ihn im Alter erreicht." Erkennt man sich wieder? Was wissen die Wissenschaftler, das man selber nie über sich gewusst hat?
Der Mann, der nie Hans Maletzke war, hat jetzt ein weiteres Pseudonym gefunden: Max Landowski. In Albrecht Lehmanns Buch "Im Fremden ungewollt zu Haus" war er 1991 noch eine Stimme unter vielen, nun räumt ihm der Hamburger Volkskundler Hans Joachim Schröder ein eigenes Stück Interviewliteratur ein. Sieben Gespräche haben in einer Gesamtlänge von sechzehn Stunden stattgefunden, der Wortlaut ist weitgehend beibehalten, die Erträge sind chronologisch geordnet worden. Schröder und der Mann, der nicht Max Landowski ist, stellen einen Stoff bereit, der von vielen Seiten aufbereitet werden kann. Volkskundler, Historiker, Romanautoren, du und ich haben hier eine Lebenserzählung vorliegen, in die die Geschichte mit aller Rücksichtslosigkeit eingegriffen hat.
Max Landowski gerät als Neunzehnjähriger in ihr Mühlwerk. Nach militärischer Ausbildung in Osnabrück gehört er zur deutschen Besatzungsmacht in Frankreich und wird dann im Sommer 1941 in den Krieg geworfen. Gleich hinter der Grenze sieht er Waggons voller Getreide, das die Russen für Deutschland bestimmt haben: So sieht Hitlers Überraschungsangriff von unten aus. Nach ersten Gefechten braucht wochenlang kein Schuss abgegeben zu werden, doch dann wird es finsterer um Max Landowski, sieht er der Zerstörung von Menschenleben ins Gesicht. Er muss eine Massenerschießung von Gefangenen miterleben und ist Zeuge, als russische Frauen bei lebendigem Leibe verbrannt werden. Landowski reagiert wie jeder, der das überleben will: "Man hat sich nach und nach an dieses harte Leben da gewöhnt. Und dann muss ich ganz ehrlich sagen, wir haben manches Mal hier Mittag gegessen, was gegessen, und da fünf Meter von uns lagen gefallene Russen. Weil es eben nicht anders ging." Dass die Grausamkeiten des Krieges ausgesprochen werden, verdanken wir dem vertiefenden Interviewer Schröder und Landowskis Verantwortungsgefühl: "Ich will hier nichts verheimlichen, ich will auch nichts verschönern."
Im großen Unheil hat er viel Glück, man muss es wohl so nennen. Der russische Winter trifft ihn ohne Winterausrüstung an, kein Quecksilber kann die Minusgrade mehr ausweisen, wer im Schneesturm raus muss, setzt eine Gasmaske aufs Gesicht. Im Januar 1942 wird Landowski durch Granatsplitter verwundet und erst nach Tagen zum Lazarett transportiert. Dort kommt für den rechten Fuß die Hilfe zu spät: Alle Zehen werden amputiert, er sieht die Front nicht wieder, wird 1943 sogar aus der Wehrmacht entlassen: "Einer von meinen Schulfreunden, der war schwer verwundet, und er saß aufm Wehrbezirkskommando in Marienburg. Ich nehm an, dass er meine Karte da mal zwischenfallen ließ, wo sie nicht reingehörte. Kann sein. Denn er hat es einmal so durchblicken lassen."
Auf die Kriegsteilnahme folgt das apokalyptische Szenario der Vertreibung: Russische Gräueltaten lösen sie aus, solche der SS begleiten sie, die Menschen in den Trecks bewegen sich in völliger Hilflosigkeit voran: "Der einen Frau ist der Wagen bei Glatteis die Böschung runtergefallen, also abgerutscht die Pferde, die konnten nicht halten. Die lag da unten vielleicht so drei Meter tief im Graben, und kein Mensch hat ihr geholfen. Die Kinder jammern, die Kinder weinen; alles war nur auf sich selbst bedacht, sich selbst zu retten. Andern zu helfen war nicht mehr drin." Doch auch auf der Flucht noch zeigt Landowski sich als Kind des Glücks. Einem Gefühl folgend, lässt er seine Begleiter weiter südwärts ziehen und wartet an einer Gabelung. Eine Stunde später zieht der Treck mit seiner Verlobten heran. Trotz solcher wundersam anmutenden Geschichten begegnet Max Landowski dem Leser als sehr genauer Erzähler seines Lebens. Ortsnamen, Daten und Zahlen sind ihm tief eingebrannt, viele davon werden im Anhang verifiziert. Gleichzeitig verzettelt der Autobiograph sich nicht in Details, mit einem sicheren Sinn für das Setzen von Schwerpunkten treibt Landowski seine Lebensgeschichte voran.
Als die Historie ihn und seine Verlobte Gerda wieder entlässt, finden sie sich in Schleswig-Holstein wieder. Ein Bombenangriff auf Oldesloe ist ein letzter Ausläufer des Krieges, danach folgt die Phase des Überlebens und "Organisierens". Bald beginnt die tastende Neuorientierung in einer sich formierenden westdeutschen Gesellschaft. Es ist Landowskis Auseinandersetzung mit der Flüchtlingspartei BHE, die ihm Albrecht Lehmanns Urteil der anachronistischen Orientierung einbrachte. Landowski: "Aber als ich mir so die Vorsitzenden und die führenden Persönlichkeiten dieses Vereins angeguckt habe, hab ich gesagt, ,da gehörst du nicht rein'. Man konnte wieder diesen Großadel finden. Im BHE, in den Vorständen und in den oberen Funktionen. Hab ich gleich gesagt: ,Nö, die wollen etwas anderes; die wollen nur deine Stimme haben, aber nicht deine Interessen vertreten.'" Landowski, der bis zu seinem Ruhestand Landarbeiter bleibt, nimmt seine Interessen selber wahr. Als Gewerkschaftler wird er Bezirksvorsitzender, setzt mit Hilfe des Bundesarbeitsministers ("Ich bin echt stolz darauf") eine Zusatzrente für Landarbeiter durch, engagiert sich nebenbei beim Arbeitsgericht und in der AOK und erhält schließlich das Bundesverdienstkreuz am Bande. Dass dies ein Leben im "gesellschaftlichen Abseits" ist, kann man wohl nur mit dem geschärften Blick der Studierstube erkennen.
Von den fünfziger Jahren an erlebt Landowski eine fortschreitende Technisierung der Landwirtschaft, die dem einzelnen Arbeiter nicht nur Gutes bietet: "Damals war's geruhsamer, ja. Hast du die ganze Zeit von hier - die zwölf Kilometer nach Oldesloe - auf dem Wagen gesessen und hast die Landschaft beguckt. Heute rast du mit dem Trecker da hin, musst aufn Verkehr achten; dann beladest du dein Fahrzeug und dann schnell wieder zurück. Geht's hier weiter. (...) Die Maschine hetzt den Menschen." Als es sich ausgehetzt hat, unternimmt der Ruheständler 1978 die Reise vieler Vertriebener: ostwärts, in die alte Heimat. Weitere Fahrten folgen, einen Sog nennt er es, was ihn und seine Frau immer wieder nach Polen gezogen hat. "Ich sag immer ,die alte Heimat' noch. Die Landschaft ist so herrlich. Man hat ab und zu mal so'n kleinen Drang, das wieder mal zu sehen. Das besteht, das besteht noch."
Es wird bestehen bis zum Ende. Max Landowski aber hat nicht nur mit Krieg und Vertreibung seinen Frieden gemacht, sondern auch letzte Dinge für sich geordnet. "Also Religion nehm ich nicht, seh ich nicht so verbissen. Ich sag ja für mich, die beste Kirche ist die Natur. Das ist Gottes Werk, wie man so sagt. Wenn ich rausgehe, sag ich: ,Das ist etwas. Das hat Bestand.'" Nun, da das Buch über sein Leben vorliegt, kann Max Landowski, wie auch immer er heißen mag, sich sogar mit der Wissenschaft versöhnen.
KLAUS UNGERER
Hans Joachim Schröder: "Max Landowski, Landarbeiter". Ein Leben zwischen Westpreußen und Schleswig-Holstein. Lebensformen, Veröffentlichungen des Instituts für Volkskunde der Universität Hamburg, Band 15. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2000. 302 S., Abb., br., 48,- DM.
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Es können Dinge sich begeben, die ihn der Arbeit ganz entheben: Ein Westpreuße in Schleswig-Holstein erinnert sich an Krieg und Frieden
So kann es einem gehen. Man hat sein Leben gemeistert, so gut es die Zeiten zuließen, man hat Herrschaften kommen und gehen sehen, hat manchen blanken Trecker über die Felder gefahren, bis er alt und rostig war, hat eine Heimat verloren und eine neue sich erarbeitet: ein Leben von Tausenden, so gewöhnlich und unauffällig, wie es einem Westpreußen in diesem Jahrhundert eben möglich war. Dann findet man, was die wenigsten finden, einen interessierten Zuhörer. Man erzählt ihm vom Lauf der Dinge, so wie man ihn gelebt hat oder gelebt haben möchte. Dann fährt der andere wieder weg, man hat warten gelernt, und irgendwann ist das Buch da, eines über "Flüchtlinge und Vertriebene in Westdeutschland 1945-1990". Man blättert, man findet die eigenen Worte wieder. Und man findet sich gedeutet: "Bei Herrn Maletzke wird eine Lebensführung erkennbar, die die tragenden sozialen Entwicklungen unserer Zeit nicht zur Kenntnis nimmt. Er führt ein Leben im gesellschaftlichen Abseits. (...) Seine Orientierung an der Welt des Adels mutet anachronistisch an. (...) Drei Jahre vor seinem Übergang in den Ruhestand wurde er ausgangs der 1970er Jahre vom Gut in Schleswig-Holstein entlassen. (...) Die moderne Welt, vor der er sich ein Leben lang zurückgezogen hatte, hatte ihn im Alter erreicht." Erkennt man sich wieder? Was wissen die Wissenschaftler, das man selber nie über sich gewusst hat?
Der Mann, der nie Hans Maletzke war, hat jetzt ein weiteres Pseudonym gefunden: Max Landowski. In Albrecht Lehmanns Buch "Im Fremden ungewollt zu Haus" war er 1991 noch eine Stimme unter vielen, nun räumt ihm der Hamburger Volkskundler Hans Joachim Schröder ein eigenes Stück Interviewliteratur ein. Sieben Gespräche haben in einer Gesamtlänge von sechzehn Stunden stattgefunden, der Wortlaut ist weitgehend beibehalten, die Erträge sind chronologisch geordnet worden. Schröder und der Mann, der nicht Max Landowski ist, stellen einen Stoff bereit, der von vielen Seiten aufbereitet werden kann. Volkskundler, Historiker, Romanautoren, du und ich haben hier eine Lebenserzählung vorliegen, in die die Geschichte mit aller Rücksichtslosigkeit eingegriffen hat.
Max Landowski gerät als Neunzehnjähriger in ihr Mühlwerk. Nach militärischer Ausbildung in Osnabrück gehört er zur deutschen Besatzungsmacht in Frankreich und wird dann im Sommer 1941 in den Krieg geworfen. Gleich hinter der Grenze sieht er Waggons voller Getreide, das die Russen für Deutschland bestimmt haben: So sieht Hitlers Überraschungsangriff von unten aus. Nach ersten Gefechten braucht wochenlang kein Schuss abgegeben zu werden, doch dann wird es finsterer um Max Landowski, sieht er der Zerstörung von Menschenleben ins Gesicht. Er muss eine Massenerschießung von Gefangenen miterleben und ist Zeuge, als russische Frauen bei lebendigem Leibe verbrannt werden. Landowski reagiert wie jeder, der das überleben will: "Man hat sich nach und nach an dieses harte Leben da gewöhnt. Und dann muss ich ganz ehrlich sagen, wir haben manches Mal hier Mittag gegessen, was gegessen, und da fünf Meter von uns lagen gefallene Russen. Weil es eben nicht anders ging." Dass die Grausamkeiten des Krieges ausgesprochen werden, verdanken wir dem vertiefenden Interviewer Schröder und Landowskis Verantwortungsgefühl: "Ich will hier nichts verheimlichen, ich will auch nichts verschönern."
Im großen Unheil hat er viel Glück, man muss es wohl so nennen. Der russische Winter trifft ihn ohne Winterausrüstung an, kein Quecksilber kann die Minusgrade mehr ausweisen, wer im Schneesturm raus muss, setzt eine Gasmaske aufs Gesicht. Im Januar 1942 wird Landowski durch Granatsplitter verwundet und erst nach Tagen zum Lazarett transportiert. Dort kommt für den rechten Fuß die Hilfe zu spät: Alle Zehen werden amputiert, er sieht die Front nicht wieder, wird 1943 sogar aus der Wehrmacht entlassen: "Einer von meinen Schulfreunden, der war schwer verwundet, und er saß aufm Wehrbezirkskommando in Marienburg. Ich nehm an, dass er meine Karte da mal zwischenfallen ließ, wo sie nicht reingehörte. Kann sein. Denn er hat es einmal so durchblicken lassen."
Auf die Kriegsteilnahme folgt das apokalyptische Szenario der Vertreibung: Russische Gräueltaten lösen sie aus, solche der SS begleiten sie, die Menschen in den Trecks bewegen sich in völliger Hilflosigkeit voran: "Der einen Frau ist der Wagen bei Glatteis die Böschung runtergefallen, also abgerutscht die Pferde, die konnten nicht halten. Die lag da unten vielleicht so drei Meter tief im Graben, und kein Mensch hat ihr geholfen. Die Kinder jammern, die Kinder weinen; alles war nur auf sich selbst bedacht, sich selbst zu retten. Andern zu helfen war nicht mehr drin." Doch auch auf der Flucht noch zeigt Landowski sich als Kind des Glücks. Einem Gefühl folgend, lässt er seine Begleiter weiter südwärts ziehen und wartet an einer Gabelung. Eine Stunde später zieht der Treck mit seiner Verlobten heran. Trotz solcher wundersam anmutenden Geschichten begegnet Max Landowski dem Leser als sehr genauer Erzähler seines Lebens. Ortsnamen, Daten und Zahlen sind ihm tief eingebrannt, viele davon werden im Anhang verifiziert. Gleichzeitig verzettelt der Autobiograph sich nicht in Details, mit einem sicheren Sinn für das Setzen von Schwerpunkten treibt Landowski seine Lebensgeschichte voran.
Als die Historie ihn und seine Verlobte Gerda wieder entlässt, finden sie sich in Schleswig-Holstein wieder. Ein Bombenangriff auf Oldesloe ist ein letzter Ausläufer des Krieges, danach folgt die Phase des Überlebens und "Organisierens". Bald beginnt die tastende Neuorientierung in einer sich formierenden westdeutschen Gesellschaft. Es ist Landowskis Auseinandersetzung mit der Flüchtlingspartei BHE, die ihm Albrecht Lehmanns Urteil der anachronistischen Orientierung einbrachte. Landowski: "Aber als ich mir so die Vorsitzenden und die führenden Persönlichkeiten dieses Vereins angeguckt habe, hab ich gesagt, ,da gehörst du nicht rein'. Man konnte wieder diesen Großadel finden. Im BHE, in den Vorständen und in den oberen Funktionen. Hab ich gleich gesagt: ,Nö, die wollen etwas anderes; die wollen nur deine Stimme haben, aber nicht deine Interessen vertreten.'" Landowski, der bis zu seinem Ruhestand Landarbeiter bleibt, nimmt seine Interessen selber wahr. Als Gewerkschaftler wird er Bezirksvorsitzender, setzt mit Hilfe des Bundesarbeitsministers ("Ich bin echt stolz darauf") eine Zusatzrente für Landarbeiter durch, engagiert sich nebenbei beim Arbeitsgericht und in der AOK und erhält schließlich das Bundesverdienstkreuz am Bande. Dass dies ein Leben im "gesellschaftlichen Abseits" ist, kann man wohl nur mit dem geschärften Blick der Studierstube erkennen.
Von den fünfziger Jahren an erlebt Landowski eine fortschreitende Technisierung der Landwirtschaft, die dem einzelnen Arbeiter nicht nur Gutes bietet: "Damals war's geruhsamer, ja. Hast du die ganze Zeit von hier - die zwölf Kilometer nach Oldesloe - auf dem Wagen gesessen und hast die Landschaft beguckt. Heute rast du mit dem Trecker da hin, musst aufn Verkehr achten; dann beladest du dein Fahrzeug und dann schnell wieder zurück. Geht's hier weiter. (...) Die Maschine hetzt den Menschen." Als es sich ausgehetzt hat, unternimmt der Ruheständler 1978 die Reise vieler Vertriebener: ostwärts, in die alte Heimat. Weitere Fahrten folgen, einen Sog nennt er es, was ihn und seine Frau immer wieder nach Polen gezogen hat. "Ich sag immer ,die alte Heimat' noch. Die Landschaft ist so herrlich. Man hat ab und zu mal so'n kleinen Drang, das wieder mal zu sehen. Das besteht, das besteht noch."
Es wird bestehen bis zum Ende. Max Landowski aber hat nicht nur mit Krieg und Vertreibung seinen Frieden gemacht, sondern auch letzte Dinge für sich geordnet. "Also Religion nehm ich nicht, seh ich nicht so verbissen. Ich sag ja für mich, die beste Kirche ist die Natur. Das ist Gottes Werk, wie man so sagt. Wenn ich rausgehe, sag ich: ,Das ist etwas. Das hat Bestand.'" Nun, da das Buch über sein Leben vorliegt, kann Max Landowski, wie auch immer er heißen mag, sich sogar mit der Wissenschaft versöhnen.
KLAUS UNGERER
Hans Joachim Schröder: "Max Landowski, Landarbeiter". Ein Leben zwischen Westpreußen und Schleswig-Holstein. Lebensformen, Veröffentlichungen des Instituts für Volkskunde der Universität Hamburg, Band 15. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2000. 302 S., Abb., br., 48,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Klaus Ungerer hält sich in seiner ausführlichen und ausgesprochen aufschlussreichen Rezension mit einem dezidierten Urteil weitgehend zurück und lässt die Fakten für sich sprechen. Wichtig scheint ihm jedoch, darauf hinzuweisen, dass es sich hier um eine Reihe von Interviews handelt und dass "Max Landowski" eines von mehreren Pseudonymen ist - wozu eine längere Erklärung vonnöten wäre, die hier aus Platzgründen nicht möglich ist. Zwar gibt es viele Menschen, die ein ähnliches Schicksal wie Landowski gehabt haben (grauenhafte Kriegserlebnisse als junger Soldat, Verletzung, Flucht, der Beginn eines neuen Lebens). Ungerer scheint jedoch großen Gefallen an der Art und Weise zu finden, mit der der ehemalige Landarbeiter seine Erinnerungen erzählt. Er hebt die Präzision hervor, mit der Landowski Daten, Ortsnamen und Zahlen wieder gibt, dass er nicht unnötig abschweift und dass er über "einen sicheren Sinn für das Setzen von Schwerpunkten" verfüge, der der Geschichte seines Lebens die nötige Zugkraft verleiht. Ungerer zeigt sich auch von Landowskis Liebe zur Natur und seiner sozialen Umtriebigkeit beeindruckt. Immerhin gelang es dem Landarbeiter "mit Hilfe des Bundesarbeitsministers (`ich bin echt stolz drauf`)" sogar eine Zusatzrente für seinen Berufsstand durchzusetzen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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