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Max Hansen wächst in Norwegen auf. Genauer: im Stavanger der 80er Jahre, wo die Väter für Monate auf Ölplattformen verschwinden, während die Kinder im Märchenwald Vietnamkrieg spielen. Ein Idyll - bis Max' Familie in die USA emigriert. Während der Vater nun von Long Island aus um die ganze Welt fliegt und so selten zu Hause ist, dass die Ehe der Eltern daran zu zerbrechen droht, rücken Max und seine ebenso einsame Mutter näher zusammen. Bis Mordecai kommt, der zunächst Max' bester Freund und später ein bekannter Schauspieler wird. Er macht ihn auch mit Mischa bekannt, einer sieben Jahre…mehr

Produktbeschreibung
Max Hansen wächst in Norwegen auf. Genauer: im Stavanger der 80er Jahre, wo die Väter für Monate auf Ölplattformen verschwinden, während die Kinder im Märchenwald Vietnamkrieg spielen. Ein Idyll - bis Max' Familie in die USA emigriert.
Während der Vater nun von Long Island aus um die ganze Welt fliegt und so selten zu Hause ist, dass die Ehe der Eltern daran zu zerbrechen droht, rücken Max und seine ebenso einsame Mutter näher zusammen. Bis Mordecai kommt, der zunächst Max' bester Freund und später ein bekannter Schauspieler wird. Er macht ihn auch mit Mischa bekannt, einer sieben Jahre älteren bildenden Künstlerin. Max und Mischa verlieben sich ineinander. Sie ist es auch, die Max anstiftet, sich auf die Suche nach seinem geheimnisvollen Onkel zu machen, einem Vietnam-Kriegsveteranen, mit dem sein Vater vor langer Zeit gebrochen hat. Sie finden ihn im Apthorp-Building in Manhattan und ziehen schon bald bei ihm ein. Die unkonventionelle WG, in der man einander mit Großmut und Verständnis begegnet, wird zum Epizentrum des Lebens von Max, Mischa, Mordecai und Onkel Owen. Für einen Moment scheint es, als hätte Max ein Zuhause gefunden...

«Max, Mischa und die Tet-Offensive» ist ein weltumspannender Roman darüber, dass Heimat vor allem in uns ist und Familie eine Frage der Interpretation. Vor allem aber erzählt Johan Harstad eine Geschichte über Haltung, Aufrichtigkeit, Freundschaft und Mädchen, die der Schauspielerin Shelley Duvall ähneln - und wie sehr man sie lieben kann.

Autorenporträt
JOHAN HARSTAD, geboren 1979 in Stavanger, ist eine der profiliertesten Stimmen der skandinavischen Literatur. 'Max, Mischa und die Tet-Offensive' erschien 2015 in Norwegen und sorgt seither auch international für Furore. Harstad wurde mit zahlreichen Preisen wie dem Ibsenpris, dem Hungerpris, dem Aschehougpris sowie dem Doblougpris der Svenska Akademie ausgezeichnet. Er lebt in Oslo. Ursel Allenstein, 1978 geboren, übersetzt u.a. Sara Stridsberg, Johan Harstad und Tove Ditlevsen. 2011 und 2020 erhielt sie den Hamburger Förderpreis, 2013 den Förderpreis der Kunststiftung NRW und 2019 den Jane-Scatcherd-Preis für ihre Übersetzungen aus den skandinavischen Sprachen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.04.2019

Werden und Verkaufen
Johan Harstads 1200-Seiten-Epos „Max, Mischa und die Tet-Offensive“
erzählt meisterhaft von den postmodernen Jahrzehnten
VON WOLFGANG HOTTNER
Wenn ein liebeskranker Theaterregisseur auf mehr als 1200 Seiten von amerikanischem Imperialismus, einer lebenslangen Obsession mit Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now!“ sowie diversen Migrationstraumata zu erzählen versucht, kann das eigentlich nicht gutgehen. Epische Überambitioniertheit, Geschwätzigkeit und Mann-ohne-Eigenschaftigkeit liegen in der Luft. Doch Johan Harstads „Max, Mischa und die Tet-Offensive“ ist kein Monumentalroman, sondern ein irrsinniges Geflecht aus Lebensläufen und Katastrophen; der Versuch, Coming-of-Age-Drama und einen Künstlerroman mit verschiedenen Auswanderungs- und Liebesgeschichten zu verbinden. Harstads Prosa quillt dabei über vor Witz, Cameoauftritten und Details, die niemals bloßer Selbstzweck sind, sondern Teil in einem Ganzen, das dem Leser sein schieres Ausmaß an keiner Stelle aufdrängt.
Orchestriert werden die Fäden des Romans von dem Erzählerprotagonisten Max Hansen. Dieser ist ein erfolgreicher Theaterregisseur und tourt mit einer neuen Inszenierung durch Amerika, jenem „Land der Heimatlosen“, in das er vor 20 Jahren als Teenager aus dem norwegischen Stavanger emigriert ist. Irgendwo in Minnesota wird ihm klar, dass er am Ende ist und dringend einen Neuanfang benötigt: Seine langjährige Partnerin, die bildende Künstlerin Mischa Grey, hat ihn verlassen, sein Onkel Owen Larsen, der Ende der 1960er nach Amerika kommt, um Jazzmusiker zu werden und der die Erfahrungen aus der Hölle eines sinnlosen Krieges nicht mehr loswird, ist kürzlich gestorben.
Das Theater ist für Max zur bloßen Routine verkommen, er beginnt sich zu wiederholen und vom Betrieb zu entfremden, eine Produktion gleicht der anderen, keine Differenz in all den leeren Wiederholungen: „Der Tag beginnt. Nichts zu machen. Das Schlimmste, kein einziger Morgen ohne diese allumfassende Enttäuschung: noch ein Tag. Nie eine Fortsetzung an dem Punkt, wo der vorherige endet, sondern ein Dienstag, der immer weiter Dienstag bleibt, bis der erste Schnee fällt, alles wird von neuem angestoßen, pedantisch und ausnahmslos, alle vierundzwanzig Stunden, auf die Minuten und die Sekunde, wie ein bockiges, altkluges Kind, das mit seiner absurden Pünktlichkeit Eindruck schinden will.“
Mit diesen Sätzen setzt Max‘ Versuch ein, der Unerbittlichkeit der Zeit zu entkommen. Es ist der Anfang einer Suche „nach dem Heimweg oder (die) Verzögerung des Moments, in dem wir akzeptieren müssen, dass es dafür zu spät ist.“ Max glaubt dabei, sein Trauma klar benennen zu können: Seit er mit seinen Eltern und seiner Schwester aus Stavanger nach Long Island übergesiedelt ist, wird er sich als Entwurzelter verstehen wollen. Das Verlassen der norwegischen Westküstenbeschaulichkeit kostet ihn immerhin sein ohnehin fragiles Selbst und seine Muttersprache. Doch dieser Verlust geht zugleich einher mit seiner Geburt als Künstler aus dem Geist der Migration: Unablässig schreibt er Briefe an seine alten Freunde in Norwegen und erfindet sich darin lauter amerikanische Abenteuer, die nicht passieren – bis er in der Theatergruppe seiner Highschool seinem neuen besten Freund Mordecai begegnet. Ihre gegenseitige Abhängigkeit ist, wie jede Jugendfreundschaft in der Provinz, eine Mischung aus überzogenem Nerdtum, unbedingter Komplizenschaft und ausgestellter Obsession für obskure Filme, Bands und alles, was mehr oder weniger übertüncht, dass man zutiefst verunsichert durch die Welt stolpert.
Mordecai bringt den blassen Norweger schließlich mit der sieben Jahre älteren Kanadierin Mischa zusammen, einer in Brooklyn lebenden bildenden Künstlerin, die der Schauspielerin Shelley Duvall aus Robert Altmans Science-Fiction-Komödie „Brewster McCloud“ ähnelt und deren Portrait auf dem Cover des Romans zu sehen ist.
Mit dieser schicksalhaften Begegnung wird Max‘ Coming-of-Age-Geschichte zum Künstlerroman. Mischa ermutigt Max, bestärkt ihn in seinen vagen künstlerischen Ambitionen, und er verändert sich von jemandem, „der sich wünschte, nach Hause zurückzukehren, in jemanden, der wünschte, er würde sich wünschen, nach Hause zurückzukehren.“ Zusammen werden Max und Mischa im Laufe der 1990er zu gefragten „postmodernen“ Künstlern, die in bedeutenden Museen ausstellen und hoch dotierte Preise erhalten.
In seinen Stücken inszeniert Max die Antidramatik des Wartens, er verwischt die Grenzen zwischen Bühne und Zuschauerraum, während Mischa hyperrealistische Bilder von Waschmaschinen malt und das „Grenzgebiet“ zwischen Malerei, Fotografie und Film „erkundet“. Immer wieder thematisieren sie die amerikanische Geschichte, ihr eigene Amerikanisierung, um irgendwann der politischen Kunst den Rücken zu kehren und die eigene Biografie, das Alltägliche zu entdecken.
In Max und Mischas Künstlerbiografien verhandelt Harstad exemplarisch die Geschichte ästhetischer Moden und des Kunstbetriebes von der Mitte der 1990er Jahre an bis zur Gegenwart. „Max, Mischa und die Tet-Offensive“ verkommt trotzdem an keiner Stelle zu einer Mimikry der postmodernen Subversionen oder der schillernder Popkultur, von der er erzählt. Harstad verfährt nahezu historiografisch, indem er die Prämissen der Postmoderne bis zu ihrem vermeintlichen Ende in der Gegenwart der Memoires und Autobiografismen verfolgt. Nicht umsonst besteht ein Großteil des Romans aus tagebuchartigen Aufzeichnungen von Max‘ Onkel, der eigentlich Ove heißt.
Die von Max kompilierten Tagebücher seines Onkels, dessen tragische Auswanderungsgeschichte seinen eigenen Erfolg konterkariert, sind nur ein Beispiel aus einem Roman, der voll ist von fiktiver Kunst, irrwitzigen Werktiteln und „invasiven Fußnoten“ aus Ausstellungskatalogen. Harstad erzählt nicht nur die Lebensläufe diverser Künstlerfiguren, er erfindet ganze Werkkomplexe.
Da er auch als Designer und Grafiker tätig ist und sein Schreibprozess bisweilen mit den Entwürfen zu einem möglichen Cover beginnt, reicht es Harstad nicht, sich Titel für postmoderne Theaterstücke und Ausstellungen auszudenken. Seine Erfindungsgabe kulminiert in einem Ausstellungskatalog zu Mischa Greys Retrospektive im New Yorker Whitney Museum, der an verschiedenen Stellen des Romans wichtige Hinweise zur Geschichte Max‘, Mischas und Owens liefert. Harstad hat diesen Katalog samt der Bilder und Texte tatsächlich veröffentlicht, als Teil der limitierten ersten Auflage des Romans im Jahr 2015 (in der deutschen Ausgabe sind Ausschnitte davon auf der Innenseite des Einbands abgedruckt). Der pseudo-fiktive Katalog setzt sich insbesondere mit ihren späten „autobiografischen Gemälden“ auseinander, die wie Owens Tagebücher und Max’ Erinnerungen mit der eigenen Vergangenheit umzugehen versuchen.
All diese Erinnerungsprojekte variieren die Fragen, die sich der Roman auch selbst stellt: Wo war der Punkt, an dem man anfing, der zu werden, der man jetzt ist? Wie lassen sich die Dinge, wie sie sich entwickelt haben, als eigene Geschichte erkennen? Lohnt sich der Aufwand, sich anzupassen, das alte Selbst hinter sich zu lassen, nur um dann zu fragen, wo man es bloß gelassen hat, wann man diese andere Person wurde, die man nun ist, und möglicherweise gar nicht mehr sein will?
Eines macht der Roman deutlich: Anfänge geben sich selten als solche zu erkennen, vielmehr müssen sie nachträglich zu diesen gemacht werden. Zu Ereignissen, die Leben verändern, zu folgenreichen Konstellationen, durch die plötzlich alles klar wird.
Für Max ist ein solcher Anfang die Begegnung mit Mischa, eine Überwältigung und ein Hingerissensein, das Harstad über mehr als 30 Seiten mit unglaublicher Präzision in Szene setzt. Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass „Max, Mischa und die Tet-Offensive“ (auch) ein großer Liebesroman sein möchte, eine Reflexion über die Abhängigkeit von einer geliebten Person, das Verlassenwerden und die unausweichlichen Klischees einer jeden wahren Liebe.
Die Geschichte von Max‘ und Mischas Liebe führt aber zugleich die Angst vor Augen, einem solchen fulminanten Anfang nicht mehr gerecht zu werden. Die Frage „Und wer waren wir geworden?“ stellt sich vom Ende her, in Anbetracht der Katastrophe, dann, wenn nichts mehr zu machen scheint, nur ein weiterer Tag beginnt. Als Anzeichen eines Endes birgt die Frage nur dann einen Anfang, wenn sie bloße Vergangenheit zu Geschichte werden lässt, diese als Geschichte erkennen lässt. Ob der Katastrophenparcours, an dem sich der Roman und sein melancholischer Protagonist entlang hangelt, in eine mögliche Zukunft (für ihn und Mischa) weist, bleibt letztlich offen, muss offen bleiben, gilt doch für jedes Ende, das ein Anfang sein will: „Zeit war schon immer ein Problem. In die eine oder andere Richtung.“
Anfänge geben sich
selten zu erkennen, sie entstehen
erst in der Rückschau
Johan Harstad wurde 1979
im norwegischen Stavanger geboren.
Foto: imago images / Horst Galuschka 
Mischa wird ein Star der zeitgenössischen Kunst, indem sie hyperrealistische Bilder von Waschmaschinen malt und das „Grenzgebiet“ zwischen Malerei, Fotografie und Film „erkundet“.
Foto: Lee Kurth/unsplash



Johan Harstad: Max, Mischa und die Tet-Offensive. Roman. Aus dem Norwegischen von Ursel Allenstein. Rowohlt Verlag, Reinbek 2019.
1248 Seiten, 34 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.04.2019

Da hilft kein Fischpudding

Die jüngste Great American Novel stammt von einem Norweger: Johan Harstads "Max, Mischa und die Tet-Offensive" ist ein gewitztes Epos unbehauster Menschen.

Manchmal braucht man 1239 Seiten, um endlich die entscheidende Frage zu stellen: "Kann ich vorbeikommen?" Das ehemalige Liebespaar, zwischen dem sie steht, hat zu diesem Zeitpunkt schon eine sehr weite Strecke zurückgelegt, sowohl geographisch als auch in Beziehungsdingen. Max, ein norwegischer Regisseur und Dramatiker, der als Jugendlicher nach Amerika kam und seither unter Heimatlosigkeit leidet, liebt Mischa, eine kanadische Künstlerin, die ein paar Jahre älter ist als er. In New York hatten sie einmal eine gute Zeit, aber die liegt lang zurück, als die entscheidende Frage gestellt wird.

Ist es legitim, den Leser einer solchen Liebesgeschichte so lange auf die Folter zu spannen, weit über tausend Seiten hinaus? Vielleicht ja, aber natürlich geht es in diesem Roman auch noch um anderes. "Max, Mischa und die Tet-Offensive" heißt er etwas kryptisch, doch es könnte einem auch Bill Brysons Sachbuchtitel "A Short History of Nearly Everything" dazu einfallen - nur dass diese Geschichte eben nicht ganz kurz ist.

Die Tet-Offensive, also jene mehrmonatige des Vietcong gegen Südvietnamesen und Amerikaner im Jahr 1968, die mit deren Gegenaktionen den Vietnam-Krieg unfassbar grausam und verheerend werden ließ, hat im Buch eine vielfältige Funktion. Zum einen taucht sie als historisches Ereignis auf, das mittelbar auch das Leben des Protagonisten Max prägt: weil sein Onkel Ove tatsächlich auf Seiten der Amerikaner in Vietnam gekämpft hat, Vietnam-Erzählungen also zur Familiengeschichte gehören.

Zum anderen ist sie eine Chiffre, weil Max und auch Mischa in ihrer künstlerischen Reflexion, also im Bild und auf der Bühne, sich auf den Vietnam-Krieg und seine Folgen beziehen, bis hin zur Grundauseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus, die, wenn auch in sehr anderer Form als in den siebziger Jahren, noch ihre Realität prägt - bei Max vor allem bedingt durch den Umzug von Norwegen nach New Jersey, die den Sohn ehemaliger Marxisten mitten in die amerikanische Jugendkultur der frühen neunziger Jahre katapultiert.

Max hat eine regelrechte Vietnam-Obsession. Als Kind, noch in Norwegen, hat er im Wald bei Stavanger mit seinen Freunden Gefechte nachgestellt und sich dabei schwer verletzt; als Erwachsener möchte er von Onkel Ove, der sich inzwischen Owen nennt, hören, wie es wirklich war. "Warst du in the shit?", fragt Max ihn, und der antwortet: "Nicht so richtig."

Von Owens Vietnam-Trauma, von seinem verbogenen Weg, der ihn als Jazzmusiker in die Vereinigten Staaten führte und dann zum Soldaten werden ließ, wird der Leser indes noch viel erfahren, vielleicht sogar zu viel: mehrere hundert Seiten sind auch diesem Owen Larsen gewidmet. Johan Harstad pflegt einen digressiven Stil, der ihn mühelos auch mal eine Seite lang Titel von Musikalben aufzählen lässt, die bei einer Plattenfirma erschienen sind, für die Owen in den achtziger Jahren Klavieraufnahmen macht.

Den roten Faden des Romans kann man bei solchen Erzählexzessen schon einmal verlieren; wieder aufgenommen wird er aber etwa durch gewisse Leitbilder und Metaphern. So spielt etwa Francis Ford Coppolas Film "Apocalypse Now" eine zentrale Rolle für das Buch, er taucht immer wieder in Gesprächen auf, die Max mit seinen Freunden oder anderen Künstlern führt, und zwar sowohl in seiner Thematik als auch in seiner berüchtigt gewordenen Produktionsgeschichte.

Ein Zitat des Regisseurs Coppola, das diesem Roman als Motto vorangestellt ist, lautet: "We were in the jungle. There were too many of us. We had access to too much money, too much equipment, and little by little, we went insane." Es ist naheliegend, diese Diagnose auch auf Harstads Roman zu übertragen: "Apocalypse Now" wird damit auch zur Allegorie für das Buch selbst, das ja ebenfalls ein überambitioniertes Großprojekt darstellt und vom Scheitern bedroht ist - hier vor allem bei der Bewältigung einer Familiengeschichte, die eingebettet ist in mehr als fünfzig Jahre Zeitgeschichte.

Der Dschungel der Erinnerung ist leider meist nicht chronologisch geordnet. So beginnt die Erzählung im Herbst 2012, als Max sich auf einer Theaterreise durch amerikanische Städte befindet, springt dann bald in die neunziger, bald in die siebziger Jahre, ist mal am Küchentisch der strickenden Mutter in Norwegen, die nach fünf Jahren "Selbstproletarisierung" genug von ihren verbohrten Genossen hat, ist dann mit Max im amerikanischen Sommer von 1993, wo er "No Rain" von Blind Melon hört und seinen Lebensfreund Mordecai findet, der Schauspieler wird und sich am Ende umbringt, ist dabei, wie Max als Siebzehnjähriger mit dem Fahrrad nach New York fährt, um dort vor Mischas Haus zu stehen, die erst noch nicht recht weiß, was sie mit dem Schuljungen anfangen soll, und sich dann auch in ihn verliebt, springt in die "imperialistischen Tagebücher" des Onkels Ove von 1966 bis 1970, ist dann wieder in New York nach dem 11. September 2001, als Owen Leichenteile am Ground Zero aufsammelt und Max seine Identität aufs Neue in Frage gestellt sieht: "Es war, als wäre ich noch einmal heimatlos geworden." Der vorher schon voll Integrierte ist plötzlich doch wieder Außenseiter. Das "wachsende Gefühl von Patriotismus für das Land, das jetzt einem verschreckten und untröstlichen Kind ähnelte, wurde von dem Empfinden überschattet, keinen Besitzanspruch auf diese Tragödie zu haben. Ich war kein New Yorker, ich war nicht mal Amerikaner, ich wohnte einfach nur hier und hatte mich schon oft weggewünscht."

Die Heimatgefühle von Max und Familie werden fortan insbesondere am 17. Mai aufgerührt, dem Verfassungstag Norwegens, der auch in Amerika mit Paraden begangen wird. So etwa auf der achten Avenue in Brooklyn, die den Spitznamen "Lapskaus Boulevard" trägt. Aber wie es den zwischen den Stühlen sitzenden Exilanten eben oft so geht, fühlen sie sich "neither here nor there", da helfen auch keine Konzerte mit singender Säge, Weidenflöte und Bukkehorn, kein Trockenfisch und kein Fischpudding. Helfen kann da eigentlich nur Humor, und den bringt immerhin der Erzähler auf: "Owen und ich verließen still und leise die langen Tische und Feierlichkeiten, als die traditionelle Kür der Miss Norway of Greater New York begann, registrierten allerdings noch, dass die Zahl der geeigneten Kandidatinnen seit der Glanzzeit in den 1950er Jahren dramatisch gefallen sein musste."

Ein weiterer Heimatverlust droht Max schließlich noch, als der Hurrikan Sandy sein Elternhaus vor Long Island vertilgt. Damit ist das Buch dann am aktuellsten Punkt der amerikanischen Zeitgeschichte angekommen. Ästhetisch bedeutender für den Roman als solche historischen Orientierungspunkte ist indes seine fortwährende Auseinandersetzung mit der Kulturgeschichte: Er erfüllt geradezu mustergültig die archivalische Gestalt von Popliteratur, indem er die Lebensläufe seiner Figuren nicht nur in existierenden Musikstücken, Fotos und Filmen spiegelt, sondern auch in fiktiven Kunstwerken, die seine Figuren selbst hervorbringen. Sowohl Max als auch Mischa kann man am Ende je einen ganzen Werkkatalog zuordnen, in dem beispielsweise das Bild "Vietnamization (Colby)" oder das Theaterstück "Bob Ross Paints a Pretty Clear Picture" auftauchen.

Teils bleibt es bei der spielerischen Nennung solcher Titel, zu denen der Leser sich alles andere ausdenken muss, teils wird aber auch Genaueres über die Werke gesagt. So stellt sich langsam heraus, dass Max, durch die Schule Samuel Becketts gegangen, sich in seinem Theater besonders mit der Ästhetik des Ausharrens beschäftigt, etwa in einem Improvisations-Stück des Titels "Better Worlds through Weyland-Yutani", das bei jeder Aufführung länger wird, "mit immer längeren Abschweifungen, bis sich die Zuschauer am Ende geschlagen geben".

Johan Harstad, der 1979 in Stavanger geboren wurde, zuvor Erzählungen, Theaterstücke und einen kürzeren Roman veröffentlicht hat und gewisse Ähnlichkeit mit seinem Erzähler Max aufweist, versucht sich mit diesem Werk an einer "Great American Novel", die als gelungen gelten kann. In der Auseinandersetzung mit den autobiographisch geprägten Kunstwerken beziehungsweise Inszenierungen seiner Figuren schafft er aber noch mehr: Er erzeugt hier so etwas wie ein Meta-Memoir, was insbesondere angesichts der jüngsten norwegischen Literaturgeschichte interessant ist. Womöglich ist der Überdruss, den Max am zeitgenössischen Theater empfindet, ein Spiegelbild für Harstads Überdruss am Memoir-Kult, den er in seinem Buch teilweise sarkastisch und unterhaltsam aufspießt.

JAN WIELE

Johan Harstad:

"Max, Mischa und die

Tet-Offensive". Roman.

Aus dem Norwegischen von Ursel Allenstein. Rowohlt Verlag, Reinbek 2019. 1243 S., geb., 34,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension

Richard Kämmerlings zeigt sich enttäuscht von Johan Harstads Versuch, die Geschichte einer Lebenskrise und eines Liebespaars im New York der 90er und Nullerjahre mit einer Passion für Coppolas Filmklassiker "Apocalypse Now" und dem Kriegsgeschehen in Vietnam zu verbinden. So wuchtig und stilistisch ambitioniert Harstad Alltags- und Kriegsgeschichte zu verschneiden sucht, so wenig glaubwürdig bleiben die Figuren und Konflikte für Kämmerlings. Für den Rezensenten leider nicht mehr als ein schaler Wirklichkeitsersatz.

© Perlentaucher Medien GmbH
Manche haben während der Corona-Krise wenig Zeit, während andere mehr davon haben. Aber wenn Sie Zeit haben, gibt es ein Buch, mit dem Sie jetzt vorankommen können. Den Ziegelstein des Norwegers Johan Harstad, der von Menschen handelt, die sich in Zeit und Raum bewegen, von Stavanger bis in die Vereinigten Staaten. Ein epischer Roman, der den eigenen Horizont weitet - in jeder Weise. Jo Nesbø