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Im August 2020 jährten sich die Salzburger Festspiele zum 100. Mal. Keiner hat sie so geprägt wie ihr Mitbegründer Max Reinhardt. Wie durch ein Wunder ist bis heute etwas von dem Zauber, den Reinhardt in Salzburg hinterließ, zu spüren: an Sommerabenden, beim "Jedermann" auf dem Domplatz und auf seinem Wohnsitz Schloss Leopoldskron, das noch immer eine seiner heitersten und elegantesten Inszenierungen ist.Sibylle Zehle hat Briefe und Tagebücher in den Archiven zwischen Wien und Berlin gesichtet und ist den Spuren des Weltbürgers bis nach New York und Hollywood gefolgt. Sie beschreibt den großen…mehr

Produktbeschreibung
Im August 2020 jährten sich die Salzburger Festspiele zum 100. Mal. Keiner hat sie so geprägt wie ihr Mitbegründer Max Reinhardt. Wie durch ein Wunder ist bis heute etwas von dem Zauber, den Reinhardt in Salzburg hinterließ, zu spüren: an Sommerabenden, beim "Jedermann" auf dem Domplatz und auf seinem Wohnsitz Schloss Leopoldskron, das noch immer eine seiner heitersten und elegantesten Inszenierungen ist.Sibylle Zehle hat Briefe und Tagebücher in den Archiven zwischen Wien und Berlin gesichtet und ist den Spuren des Weltbürgers bis nach New York und Hollywood gefolgt. Sie beschreibt den großen Theatermann als Gastgeber, der eigentlich die Menschen scheute; als begnadeten Kommunikator, der nicht mehr als zwei, drei Duzfreunde zuließ; als einen Erfolgsverwöhnten, der tiefe Krisen durchlebte. In einem opulenten Bildband mit vielen, bisher unveröffentlichten Fotografien - und einem neuen Blick auf den Menschen Reinhardt.
Autorenporträt
Sibylle Zehle, vormals Redakteurin bei der ¿Stuttgarter Zeitung¿ und ¿Die Zeit¿, hat unter anderem die viel beachtete Biografie ¿Minna Wagner¿ und einen opulenten Bildband über den Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner Jürgen Rose veröffentlicht. Als Autorin hat sie große Reisereportagen und Porträts für Magazine wie ¿stern¿ und ¿manager magazin¿ geschrieben. Sie lebt heute am Schwielowsee bei Potsdam.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für Rezensent Simon Strauß strahlt Max Reinhardt noch immer Tatkraft aus. Allemal in Sibylle Zehles Biografie des Theatermannes, den die Autorin laut Strauß umfassend und mit Fokus weniger auf Werk und Wirkung als auf sein Lebensabenteuer zeigt. Die Fotos im Band tragen zur Lebendigkeit bei, so Strauß. Privates (Zahnputzorgien!) kommt im Buch nicht zu knapp. Dem Rezensenten, der Reinhardts leicht grimmigem Charme und seinem laut Harry Graf Kessler "verstockten Napoleongesicht" erliegt,  scheint es zu passen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2020

Ansichten eines ästhetischen Großunternehmers

Eine Jahrhundertfigur der Bühnenkunst: Sibylle Zehles Biographie des Regisseurs und Theatergründers Max Reinhardt

Es gibt ein Foto, das zeigt, wie Marilyn Monroe vor einem Bücherstapel steht und konzentriert in einem aufgeschlagenen Band liest. Einen Seidenschal um die Hüften geschlungen, edle Steine um den Hals und an den Ohren, studiert sie mit halboffenem Mund das, was ein vergangenes Theaterjahrhundert an Anweisungen hinterlassen hat. Es sind die detailliert geführten Regiebücher von Max Reinhardt, vor denen die Monroe da steht. Im Dezember 1952 hatte sie hundertfünfzig Exemplare auf einer Auktion ersteigert.

Reinhardts Witwe Helene Thimig hatte ihren kalifornischen Anwalt eigentlich nur darum gebeten, sämtliches Inventar zu verkaufen, aber in einem der Schränke waren dann auch Reinhardts Regiebücher aufgetaucht und kurzerhand mitversteigert worden. Die Harvard-Universität und Reinhardts Sohn Gottfried versuchten noch, das entscheidende Erbe zu retten, wurden aber von der Monroe überboten. Sie war von ihrer Sprachlehrerin instruiert worden, die früher in Reinhardts Schauspielschule in Los Angeles gearbeitet hatte. Nach einigem Hin und Her konnte der Sohn die väterlichen Regiebücher zurückerobern - die Filmdiva hatte nämlich ihren kostbaren Fang nie bezahlt.

Marilyn Monroe in einer Reinhardt-Inszenierung, kann man sich das vorstellen? Immerhin hatte Reinhardt in den dreißiger Jahren die junge Olivia de Havilland und kurz vor seinem Tod auch noch den unbekannten Gregory Peck entdeckt. Da waren seine besten Jahre schon vorbei. In Amerika, wohin er 1912 das erste Mal als umjubelter Berliner Theaterzar gereist war, lebte er später als einer unter vielen. Auf den Cocktail-Partys in Hollywood stand er verloren zwischen freundlichen Fremden herum, die ihn mit der ihm widerwärtigen Begrüßung "Hi Max" auf die Schulter schlugen. Sein Englisch blieb schlecht, seine Schüchternheit hatte sich noch verstärkt.

Dazu kam das Stigma, "Kassengift" zu sein. 1934 war seine Theateraufführung von Shakespeares "Sommernachtstraum" in der "Hollywood Bowl" ein Erfolg gewesen, 150 000 Zuschauer hatten die aufwendige Freiluftinszenierung gesehen. Aber der Film, den er wenig später für Warner Brothers daraus machte, spielte die immensen Produktionskosten nicht ein. Das war der Anfang vom Ende der Reinhardtschen Erfolgsgeschichte.

Begonnen hatte sie, wie sich der pünktlich zum hundertjährigen Bestehen der Salzburger Festspiele erschienenen Biographie von Sibylle Zehle entnehmen lässt, in Berlin. Dorthin war der Sohn eines verarmten österreichischen Kaufmanns und einer ostjüdischen Miedermacherin nach einer abgebrochenen Lehre und einem ersten Schauspielengagement am Salzburger Landestheater im Herbst 1894 gereist, nachdem ihm Otto Brahm, der designierte neue Direktor des Deutschen Theaters, ein vielversprechendes Angebot gemacht hatte. Mit einundzwanzig, ohne Geld und ordentlichen Schulabschluss, beginnt Reinhardt in der Reichshauptstadt ein Leben als Jungschauspieler. Und steigt innerhalb von nur zehn Jahren zum neuen Theaterstar der Berliner Gesellschaft auf.

Zu Hilfe kommt ihm dabei die Ehe mit der schauspielernden Offizierstochter Else Heims, die für ihn den Einstieg ins bürgerliche Leben bedeutet, und der Schwung einer Jahrhundertwende, der in Berlin eine künstlerische Aufbruchsstimmung entfacht. In den ersten fünf Jahren des neuen Jahrhunderts gründet Reinhardt zusammen mit Schauspielkollegen unter dem Namen "Schall und Rauch" ein erstes "Kleines Theater", lernt prominente Literaten und Künstler der Zeit kennen und sammelt in den wohlhabenden Kreisen Geld.

Schon 1903 werden mit Maxim Gorkis "Nachtasyl" über fünfhundert Vorstellungen erreicht. Zusammen mit seinem jüngeren Bruder Edmund, der ihm fortan als kaufmännischer Direktor zur Seite stehen wird, kauft Reinhardt das "Neue Theater am Schiffbauerdamm" (das heutige Berliner Ensemble) und positioniert es als Heimstatt zeitgenössischer, sinnlicher Dramatik gegen den Naturalismus des Deutschen Theaters und die pathetische Klassikerpflege am Königlichen Schauspielhaus. Reinhardts Rechnung geht auf: Seine Inszenierung von Shakespeares "Sommernachtstraum" wird ein bahnbrechender Erfolg und macht den zweiunddreißigjährigen Schauspieler über Nacht zum ersten Regisseur Deutschlands.

Fortan reißt sich die Berliner Hautevolee um ihn, Harry Graf Kessler führt ihn in die Gesellschaft ein, Karl Vollmoeller lädt zu ausschweifenden Festen, auf denen die barbusige Josephine Baker tanzt. Und Reinhardt? Sitzt mit seinem "verstockten Napoleongesicht" (Harry Graf Kessler) dabei, hört viel zu und kauft in einem günstigen Augenblick auch noch das "Deutsche Theater". Mit Fleiß und Geschick baut sich Reinhardt in den kommenden Jahren ein Theaterreich auf, das bald schon zehn Spielstätten umfasst. Der junge Fritz Kortner, der beim neuen Intendanten vorspricht, berichtet, in Reinhardts Büro habe er sich gefühlt "wie im Audienzraum eines Monarchen".

Bald beginnen die Gastspielreisen quer durch Europa und in die ganze Welt, der Erfolg wächst, auch und gerade, als der Erste Weltkrieg ausbricht. Noch während der letzten Kriegsmonate im Mai 1918 beginnt Reinhardt den Umbau des einstigen Zirkus Schumann zu einem großen Schauspielhaus. Fünftausend Zuschauer sollen hier unter einer höhlenhaften Stalaktitenkuppel Platz haben. Aber diesmal verschätzt sich der Theaterunternehmer. Die Eröffnung wird ein Misserfolg, die Stimmung in der Stadt wendet sich gegen ihn. "Ein Künstler ist zum Zirkusdirektor geworden", wird getitelt, "nichts als Parvenükunst", ätzt Alfred Kerr.

In dieser Zeit geht auch seine Ehe mit Else Heims, die inzwischen zwei Söhne zur Welt gebracht hat, in die Brüche, weil sich Reinhardt in die Schauspielerin Helene Thimig verliebt. Neben ihr, die ihm als Muse, Hauptdarstellerin und Verwalterin eng zur Seite steht, ist auch die Schauspielerin Eleonora von Mendelsohn zeit seines Lebens seine Geliebte.

1920 kehrt Reinhardt Berlin ernüchtert den Rücken und geht zurück in die österreichische Heimat, um in Salzburg zusammen mit seinem Freund Hugo von Hofmannsthal Festspiele zu veranstalten. Die im "Roten Salon" seines Barockschlosses Leopoldskron in langen nächtlichen Sitzungen konzipierte Idee von "europäischen Friedensfestspielen nach dem Weltenbrand" wird noch mal ein großer Erfolg für den ästhetischen Großunternehmer Reinhardt, dessen Berliner Theater bald schon gewaltige Schulden anhäufen.

Dann übernehmen die Nationalsozialisten die Macht, enteignen seinen Besitz und vertreiben den jüdischen Theatermann aus seiner Heimat. 1933 inszeniert Reinhardt zum letzten Mal in Deutschland, 1934 probiert er in Venedig gerade Shakespeares "Kaufmann", als Mussolini und Hitler sich ein paar Straßen weiter erstmals persönlich begegnen. Die Einschläge kommen näher, das Schicksalsglück verlässt ihn. 1937 muss er zusammen mit Helene Thimig endgültig nach Amerika übersiedeln, wo er nach anfänglichem Erfolg verarmt und 1943 an den Folgen eines Schlaganfalls in einem New Yorker Hotelzimmer stirbt.

Zehles Biographie entwirft das umfassende Bild eines Mannes, der um der Kunst willen gelebt und gewirtschaftet hat. Nicht der Künstler, nicht seine Wirkung als Schauspieler oder Regisseur stehen hier im Vordergrund, sondern die Abenteuer seines Lebens und sein bis heute unübertroffenes theatralisches Unternehmertum. In fünf chronologisch geordneten Kapiteln, illustriert mit einer Vielzahl von eindrucksvollen Fotografien, berichtet Zehle vom Aufstieg und Fall einer künstlerischen Jahrhundertfigur.

Besonderes Geschick beweist sie darin, das Interesse auch für den privaten Reinhardt zu wecken. Dass der gepflegte Mann, der sich täglich exakt zwanzig Minuten lang die Zähne putzte und auf Reisen stets sein eigenes Bettzeug in einem großen Krokodillederkoffer mit sich führte, über seine Verhältnisse gelebt hat, ist leicht vorstellbar. Wie sehr er selbst aber alles Gesellschaftliche hasste, wie ihn drohender Smalltalk in Panik versetzte und er mit Helene Thimig genaue Absprachen traf, um sich aus solchen Situationen zu retten, überrascht und erklärt die kolportierte Behauptung, dass er auf Proben stets liebenswürdiger aufgetreten sei als im richtigen Leben.

Unterschiedliche Quellen berichten darüber, dass er ein leidenschaftlicher Zuhörer gewesen sei. Der befreundete Carl Zuckmayer, mit dem Reinhardt eines Nachts in seiner Leopoldskroner Bibliothek den ganzen "Hauptmann von Köpenick" durchgesprochen haben soll, schwärmt von "Reinhardts magischem Zuhören, mit dem er Menschen in eine Trance der Produktivität steigern konnte". Heldengeschichten? Idealvorstellung? In jedem Fall strahlt diese Figur noch heute eine herausfordernde Tatkraft aus. Einen heroischen Anspruch, der sagt: Im Theater geht es um alles. Auch wenn am Ende nichts bleibt.

SIMON STRAUSS.

Sibylle Zehle: "Max Reinhardt".

Ein Leben als Festspiel.

Brandstätter Verlag, Wien 2020.

304 S., Abb., geb., 50,- [Euro].

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Ein ergreifendes Buch, reich an Bildern, reich an Emotionen. Thomas Heinold nordbayern.de 20201113