Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.2005Tiefschlag für Schmeling, Jab für die Deutschen
Warum nur widmen beide Autoren ihr jeweiliges Buch Frauen? Ist es eine Entschuldigung für die Materie, mit der sie sich befassen? Mütter oder Frauen von Boxern ziehen es vor, lieber draußen vor der Tür zu bleiben, wenn der Gong schrillt. Martin Krauß hier und David Pfeifer dort hätten für ihr Projekt eine Schreibstube teilen können. Das gleiche Thema, die gleichen Quellen, das gleiche Dilemma. Max Schmeling stand beiden nicht zu einem Gespräch zur Verfügung. Sie sind so fair, das ausdrücklich festzuhalten. Es war ihnen - das ist in diesem speziellen Fall die Ungnade ihrer späten Geburt, der eine ist 35, der andere 41 Jahre alt - nicht vergönnt. Bevor sie mit ihren Recherchen begonnen haben, war Schmeling längst auf Tauchstation gegangen. Es sei, hat er zu diesem Zeitpunkt längst festgelegt, alles gesagt und geschrieben. Er hat sie somit nicht mehr für sich einnehmen können mit seinen hellwachen Augen, dieser Vitalität im hohen Alter, seiner gewinnenden Art, die etwas Entwaffnendes gerade für die Generation der Söhne hatte. Nämlich dann, wenn sie ihre Väter nach ihren Taten im Kriege, ihrer Rolle im Dritten Reich fragten und sehr oft bestenfalls nur Fragmente an Antworten bekamen.
Krauß beharrt darauf, "keine Biographie im herkömmlichen Sinne geschrieben zu haben". Nun gut, er beginnt mit Schmelings erstem Kampf gegen Joe Louis, der ihn berühmt gemacht hat, doch vom zweiten Kapitel an schildert er chronologisch "Die Karriere eines Jahrhundertdeutschen". Wer Schmelings "Erinnerungen" gelesen hat, wird weder bei Krauß noch bei Pfeifer großartig Neues finden können. Zuvor hat bereits Volker Kluge in seiner "Max Schmeling. Eine Biographie in 15 Runden" tief gegraben, versucht, an der damals noch lebenden Legende unter der Oberfläche ein paar braune Kratzer zu finden. Aber er wurde nur in Spurenelementen fündig. Krauß wie Pfeifer sind in diesem Punkt auch nicht weitergekommen. Das hat nichts mit der Eile zu tun, mit der die für den runden Geburtstag im September gedachten Bücher nach dem Tod des 99jährigen auf den Markt kamen - die Quellen sind erschöpft, Zeitzeugen nicht mehr zu befragen. "Wie man über einen Menschen denkt, hängt davon ab, wie dieser Mensch präsentiert wird", schreibt Krauß in seiner Schlußbetrachtung. Da haben wir es. Jeder, der sich heute an die Beurteilung Max Schmelings macht, stößt natürlich auf Einschätzungen von einst. Krauß geht am Ende so weit, Schmeling anzulasten, nicht nach Amerika emigriert zu sein: "Schmeling blieb auch und vor allem dem eigenen Nutzen zuliebe in Deutschland, in der Nähe der Mächtigen, um sich so, nicht selten opportunistisch, durchs Leben zu schlängeln."
Vermutlich hätte Schmeling diesen Satz als Tiefschlag oder Nachschlag empfunden. Krauß wollte nicht unentschieden aus dem Ring gehen, also hat er sich festgelegt. Mutig. Dem Publikum wiederum gibt er einen Jab mit, der als Volltreffer durchgeht: "Schmeling gilt in der deutschen Öffentlichkeit nicht als der Boxer der Nazis, aber er gilt auch nicht als der Mann, der Juden gerettet hat. Er gilt als jemand, der in der hiesigen politischen Kultur höher geschätzt wird - als der Unpolitische."
Der Journalist Pfeifer ist nicht nur Boxfan, er hat das schwierige Fach sogar im Ring praktiziert. Er sollte mal ein Boxbuch schreiben. Er glänzt, wenn er das Boxmilieu der aktiven Schmeling-Jahre beschreibt, stilistisch eleganter als Krauß begleitet er Schmeling durch ein Jahrhundert, ohne sich in der Sache und im Urteil groß zu unterscheiden: "Schmeling, der sich nie besonders mit Politik befaßt hatte, benutzte die eigene Meinungslosigkeit . . . wie einen Schild, der ihn vor den Erkenntnissen schützen sollte, die sich ihm über die neuen Herren im Lande aufdrängten - zumindest, wenn er im Ausland war und auf das Nazi-Regime, die Judenverfolgung und später auch die Kriegsplanungen angesprochen wurde." Der große Max sei einer gewesen, "der es geschafft hat, ohne größere Schrammen durch die Nazizeit zu kommen und doch ein Deutscher durch und durch zu bleiben". Das hat man so oder so ähnlich in diversen Publikationen über die Geschichte eines deutschen Idols lesen können. Die "wunderbare Freundschaft" allerdings zwischen Max Schmeling und Joe Louis ortet Pfeifer forsch im Reich der modernen Legenden. Das liest sich bei Krauß ganz anders. Ja was denn nun? fragt sich der Rezensent und hält sich ohne eine letzte Wahrheit über Segen und Fluch des Max Schmeling im Pauschalurteil über die Juroren bedeckt: Unentschieden zwischen Krauß und Pfeifer. Sie haben es schwer gehabt. Schmeling übrigens auch.
HANS-JOACHIM LEYENBERG.
Besprochene Bücher: Martin Krauß: Schmeling. Die Karriere eines Jahrhundertdeutschen. Verlag Die Werkstatt 2005, 264 Seiten, 18,90 Euro.
David Pfeifer: Max Schmeling. Berufsboxer, Propagandafigur, Unternehmer. Die Geschichte eines deutschen Idols. Campus Verlag 2005, 362 Seiten, 24,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Warum nur widmen beide Autoren ihr jeweiliges Buch Frauen? Ist es eine Entschuldigung für die Materie, mit der sie sich befassen? Mütter oder Frauen von Boxern ziehen es vor, lieber draußen vor der Tür zu bleiben, wenn der Gong schrillt. Martin Krauß hier und David Pfeifer dort hätten für ihr Projekt eine Schreibstube teilen können. Das gleiche Thema, die gleichen Quellen, das gleiche Dilemma. Max Schmeling stand beiden nicht zu einem Gespräch zur Verfügung. Sie sind so fair, das ausdrücklich festzuhalten. Es war ihnen - das ist in diesem speziellen Fall die Ungnade ihrer späten Geburt, der eine ist 35, der andere 41 Jahre alt - nicht vergönnt. Bevor sie mit ihren Recherchen begonnen haben, war Schmeling längst auf Tauchstation gegangen. Es sei, hat er zu diesem Zeitpunkt längst festgelegt, alles gesagt und geschrieben. Er hat sie somit nicht mehr für sich einnehmen können mit seinen hellwachen Augen, dieser Vitalität im hohen Alter, seiner gewinnenden Art, die etwas Entwaffnendes gerade für die Generation der Söhne hatte. Nämlich dann, wenn sie ihre Väter nach ihren Taten im Kriege, ihrer Rolle im Dritten Reich fragten und sehr oft bestenfalls nur Fragmente an Antworten bekamen.
Krauß beharrt darauf, "keine Biographie im herkömmlichen Sinne geschrieben zu haben". Nun gut, er beginnt mit Schmelings erstem Kampf gegen Joe Louis, der ihn berühmt gemacht hat, doch vom zweiten Kapitel an schildert er chronologisch "Die Karriere eines Jahrhundertdeutschen". Wer Schmelings "Erinnerungen" gelesen hat, wird weder bei Krauß noch bei Pfeifer großartig Neues finden können. Zuvor hat bereits Volker Kluge in seiner "Max Schmeling. Eine Biographie in 15 Runden" tief gegraben, versucht, an der damals noch lebenden Legende unter der Oberfläche ein paar braune Kratzer zu finden. Aber er wurde nur in Spurenelementen fündig. Krauß wie Pfeifer sind in diesem Punkt auch nicht weitergekommen. Das hat nichts mit der Eile zu tun, mit der die für den runden Geburtstag im September gedachten Bücher nach dem Tod des 99jährigen auf den Markt kamen - die Quellen sind erschöpft, Zeitzeugen nicht mehr zu befragen. "Wie man über einen Menschen denkt, hängt davon ab, wie dieser Mensch präsentiert wird", schreibt Krauß in seiner Schlußbetrachtung. Da haben wir es. Jeder, der sich heute an die Beurteilung Max Schmelings macht, stößt natürlich auf Einschätzungen von einst. Krauß geht am Ende so weit, Schmeling anzulasten, nicht nach Amerika emigriert zu sein: "Schmeling blieb auch und vor allem dem eigenen Nutzen zuliebe in Deutschland, in der Nähe der Mächtigen, um sich so, nicht selten opportunistisch, durchs Leben zu schlängeln."
Vermutlich hätte Schmeling diesen Satz als Tiefschlag oder Nachschlag empfunden. Krauß wollte nicht unentschieden aus dem Ring gehen, also hat er sich festgelegt. Mutig. Dem Publikum wiederum gibt er einen Jab mit, der als Volltreffer durchgeht: "Schmeling gilt in der deutschen Öffentlichkeit nicht als der Boxer der Nazis, aber er gilt auch nicht als der Mann, der Juden gerettet hat. Er gilt als jemand, der in der hiesigen politischen Kultur höher geschätzt wird - als der Unpolitische."
Der Journalist Pfeifer ist nicht nur Boxfan, er hat das schwierige Fach sogar im Ring praktiziert. Er sollte mal ein Boxbuch schreiben. Er glänzt, wenn er das Boxmilieu der aktiven Schmeling-Jahre beschreibt, stilistisch eleganter als Krauß begleitet er Schmeling durch ein Jahrhundert, ohne sich in der Sache und im Urteil groß zu unterscheiden: "Schmeling, der sich nie besonders mit Politik befaßt hatte, benutzte die eigene Meinungslosigkeit . . . wie einen Schild, der ihn vor den Erkenntnissen schützen sollte, die sich ihm über die neuen Herren im Lande aufdrängten - zumindest, wenn er im Ausland war und auf das Nazi-Regime, die Judenverfolgung und später auch die Kriegsplanungen angesprochen wurde." Der große Max sei einer gewesen, "der es geschafft hat, ohne größere Schrammen durch die Nazizeit zu kommen und doch ein Deutscher durch und durch zu bleiben". Das hat man so oder so ähnlich in diversen Publikationen über die Geschichte eines deutschen Idols lesen können. Die "wunderbare Freundschaft" allerdings zwischen Max Schmeling und Joe Louis ortet Pfeifer forsch im Reich der modernen Legenden. Das liest sich bei Krauß ganz anders. Ja was denn nun? fragt sich der Rezensent und hält sich ohne eine letzte Wahrheit über Segen und Fluch des Max Schmeling im Pauschalurteil über die Juroren bedeckt: Unentschieden zwischen Krauß und Pfeifer. Sie haben es schwer gehabt. Schmeling übrigens auch.
HANS-JOACHIM LEYENBERG.
Besprochene Bücher: Martin Krauß: Schmeling. Die Karriere eines Jahrhundertdeutschen. Verlag Die Werkstatt 2005, 264 Seiten, 18,90 Euro.
David Pfeifer: Max Schmeling. Berufsboxer, Propagandafigur, Unternehmer. Die Geschichte eines deutschen Idols. Campus Verlag 2005, 362 Seiten, 24,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
David Pfeifers Stärke, meint Patric Seibel, sind die "dichten Beschreibungen von Metier und Milieu", analytisch haben andere, beispielsweise zum Mythos Boxsport, schon mehr beigetragen. Dieses Buch liefert dafür eine "überzeugende Darstellung" vor allem von Max Schmelings frühen Jahren - seine Herkunft, sein Umfeld, die entstehende städtische Subkultur des Berufsboxens zwischen Jahrmarkt und Kneipe, ihr Aufstieg zum gesellschaftlichen Großereignis - und zeichnet dabei zugleich ein lebendiges Bild der Zwischenkriegsboheme, die sich, von Brecht bis zur Dietrich, für das Boxen begeisterten. Der physisch starke, aber zugleich diszipliniert und strategisch boxende Schmeling verkörperte eine Lösung für das Leben in der Moderne, mit ihrem die ordnende, archaisch strenge Einlassung auf unüberschaubare Komplexität - das galt nicht zuletzt auch für die Nazis, die Schmeling zu einem ihrer populären Helden machten. All das ist prima beschrieben, dazu kommen packende Reportagen der wichtigsten Kämpfe, und dennoch, konstatiert der Rezensent, bleibt die Person Schmeling bis zum Schluss ein Rätsel. Inmitten der farbigen historischen Szenen erscheine er als das Abbild eines "seltsam körperlosen, klinisch reinen, ja aseptischen Menschen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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