Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.11.2007Noch mehr Trara um Tara
Mit lautem Getöse erscheint jetzt schon die zweite Nachdichtung des Südstaaten-Klassikers "Vom Winde verweht". Nur wer hat einen Roman über "Rhett" gebraucht?
Ein Teil der Geschichte geht so: 1936 erscheint "Vom Winde verweht" von Margaret Mitchell, ein opulenter Südstaaten-Roman zur Zeit des Bürgerkrieges samt komplizierter Liebesgeschichte zwischen dem undurchsichtigen Lebemann Rhett Butler und der Südstaaten-Schönheit Scarlett O'Hara, die zwar fasziniert ist von Rhett, aber so lange der faden Jugendliebe Ashley Wilkes nachtrauert, bis es zu spät ist. Vielleicht jedenfalls, das Ende ist offen. Das Buch wird ein Welterfolg und verkauft sich bis heute über achtundzwanzig Millionen Mal, erhält 1937 den Pulitzer-Preis und wird 1939 verfilmt mit Clark Gable und Vivien Leigh. Der mehrfach Oscar-prämierte Film ist bis heute der kommerziell erfolgreichste Film überhaupt.
Margaret Mitchell weigerte sich standhaft und trotz lukrativer Verlockungen, ihre Geschichte weiterzuspinnen. Das offene Ende sollte offenbleiben. 1949 starb sie an den Folgen eines Autounfalls. Schließlich entdeckten ihre Erben 1987 das finanzielle Potential der Geschichte und sorgten, unbekümmert um den Willen der Urheberin, für eine Fortsetzung, für die sie die Trivialautorin Alexandra Ripley gewinnen konnten, die mit "Scarlett" ein von der Kritik einhellig abgelehntes, aber vielgelesenes Buch vorlegte, das sich weltweit sechs Millionen Mal verkaufte. Da Ripley ihrerseits für eine Fortsetzung ihrer Fortsetzung nicht zur Verfügung stand, folgte ein weiteres Autorencasting. Eine erste Version geriet den Erben zu britisch, und der zweite Kandidat, der Südstaaten-Schriftsteller Par Conroy, stieß sich an den Auflagen der Rechteinhaber, weder Homosexualität noch Inzest, noch "Rassenmischung" in der Geschichte zuzulassen. Conroy zog seine Bewerbung zurück, indem er öffentlich den Beginn seines Buches darlegte: "Nachdem sie miteinander geschlafen hatten, drehte sich Rhett zu Ashley Wilkes um und sagte: ,Ashley, habe ich dir je erzählt, dass meine Großmutter schwarz war?'"
Schließlich fand man jemanden, die Zeit drängte - fünfundsiebzig Jahre nach dem Erscheinen des Romans, in vier Jahren also, endet der Rechtsschutz der Autorin und damit die Ertragsquelle ihrer Erben. Donald McCaig, Autor einiger Südstaaten-Romane und Hundebücher, serviert nun ein über sechshundert Seiten langes Südstaaten-Epos, das im Original "Rhett Butler's People", auf Deutsch schlicht "Rhett" heißt und in einer weltweiten Auflage von 1,2 Millionen Exemplaren, zweihunderttausend auf Deutsch, auf den Markt drängt. Angeblich soll George Clooney an einer Verfilmung interessiert sein - er selbst als der neue Clark-Gable-Rhett, versteht sich. Sicher nur Zufall ist da, dass der deutsche Verlag Hoffmann und Campe die siebzehn CDs umfassende Hörbuchversion von "Rhett" von Martin Umbach einsprechen ließ, der deutschen Synchronstimme von George Clooney.
Die Vermarktungsstrategie ist also abgestimmt bis ins Detail - und wenn der Fortsetzungsvorgänger "Scarlett" eines gezeigt hat, dann, dass man auch ein Buch, um es freundlich auszudrücken: minderer Qualität mit den entsprechenden Mitteln am Markt durchsetzen kann. Doch nun zum anderen Teil der Geschichte: Was ist über Donald McCaigs Roman selbst zu sagen?
McCaig setzt nicht am Schmachtfetzen seiner Vorgängerin Ripley an, sondern direkt an "Vom Winde verweht" und schlüpft in die Lücken, die Margaret Mitchell gelassen hatte. Vor allem die Vorgeschichte des geheimnisvollen Rhett wird nun erzählt, beginnend mit einem Duell, bei dem Rhett den Sohn des Verwalters seines Vaters erschießt - im Original nur nebenher erwähnt - und endend mit der fortgesponnenen Liebesgeschichte zwischen Rhett und Scarlett.
"Rhett" hat dabei durchaus starke Seiten, etwa bei der Schilderung des Bürgerkrieges. Es ist sogar so, dass McCaig immer dort gute Passagen gelingen, wo er sich vom Urroman entfernt. Nur ist das nicht oft der Fall. Im Gegenteil ist es McCaigs oberstes Anliegen, Rhett Butler in einem neuen Licht zu zeigen, ihn gegen seine Erfinderin zu verteidigen, die ihn betont zwielichtig angelegt hatte. Hinweise auf Rhetts Vergangenheit und sein Treiben werden von McCaig aufgenommen und in Geschichten überführt, die ihn am Ende fast als Gentleman präsentieren.
Sein Abenteurer- und Rebellentum erklärt sich nach McCaig aus der Familiengeschichte und dem brutalen Vater, der seine Sklaven quält, und den Sohn, der freundschaftlich mit ihnen verkehrt, schwer bestraft. Mitchells Hinweis auf einen unehelichen Sohn Rhetts in New Orleans nimmt McCaig auf und macht daraus eine sein besseren Figuren, Taz, und eine milchig-rührige Erklärungsgeschichte. Der Kriegsgewinnler Rhett wird zum vorausblickenden Realisten, der schließlich doch noch für die Sache des Südens patriotisch Partei ergreift. Und der Hinweis auf einen Mord Rhetts, den Mitchell eingestreut hatte, wird auch kassiert. Mitchell hatte geschrieben, Rhett habe einen Schwarzen getötet, "weil er unverschämt gegen eine Frau gewesen war". Nun konstruiert McCaig eine Verleumdung gegen einen schwarzen Freund von Rhett, der schließlich, um nicht gelyncht zu werden, Rhett bittet, ihn zu töten, was dieser schweren Herzens ausführt. Und Rhetts Eintreten für den Klu-Klux-Klan, der ja überhaupt bei Mitchell als notwendige Reaktion auf die Verbrechen der nun freien Schwarzen auftrat, wird auch in milderes Licht getaucht. Um die Einsicht zu gewinnen, dass Mitchells Roman nicht nur eine großartige Liebesgeschichte, sondern auch ein rassistischer Roman ist, hätte man Donald McCaig wohl nicht gebraucht. Und nebenher macht er aus Rhett, dem großen Geheimnismann, einen faden Langweiler. So genau wollten wir das nicht wissen.
Liebesszenen sind nicht die Stärke von McCaig. Da sitzt ein junges Liebespaar "unter dem Blätterdach der alten Kastanien und Ulmen", wo sie "all die gewichtigen Gedanken und Gefühle austauschten, die junge Menschen an solch einem Ort zum Ausdruck bringen". Die da wären: "Das Paar sprach über Literatur und Schönheit." Man versteht, warum McCaig die Darstellung von Liebe meidet, wo er kann - schließlich muss sogar die Ranch "Tara" dran glauben, um eine finale Liebesszene zu verhindern. Der Versuch, die Faszination, die Scarlett ausübt, aus Rhetts Perspektive zu vermitteln, gelingt mit McCaigs Mitteln nicht.
Gelegentlich gewinnt der Roman nahezu parodistische Züge. "Fürwahr" rufen sich die Herrenreiter zur Bestätigung zu, "garstige Insekten" quälen die Kinder auf den Plantagen. Und dann die geballte Wucht an Lebensweisheit: "Kein Mann kann aus dem Bett einer Frau aufstehen, ohne etwas für die Urheberin seines Vergnügens zu empfinden." Oder: "Keine Frau ist einer Geschlechtsgenossin, die ihre Gunst verkauft, wohlgesinnt." Das alles kann ja nicht nur die Schuld der Übersetzung sein, auch wenn einen angesichts des funkelnden Schlusses bei Mitchell doch Zweifel überkommen. Auf die zu späte Liebesbeteuerung von Scarlett hatte Rhett entgegnet: "Frankly, my dear, I don't give a damn." In deutscher Übersetzung, braver: "Das ist mir ganz egal." Und nun, bei McCaig: "Das ist mir einerlei."
War's das jetzt? Der Schlusssatz von "Rhett" ("Und das war noch lange nicht das Ende") deutet anderes an. Man hat nun die Perspektive von Margaret Mitchell, die schmalzige Scarlett-Version, eine Parodie aus der Sicht der Sklaven (von den Mitchell-Erben erfolglos vor Gericht gezerrt) und nun die Rhett-Butler-Perspektive. Fehlt noch Tecumseh und wie er die Sache sieht. Nicht der Shawnee-Häuptling - das Pferd von Rhett.
TILMANN LAHME
Donald McCaig: "Rhett". Roman. Aus dem Amerikanischen von Kathrin Razum. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2007. 639 S., geb., 23,- [Euro].
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Mit lautem Getöse erscheint jetzt schon die zweite Nachdichtung des Südstaaten-Klassikers "Vom Winde verweht". Nur wer hat einen Roman über "Rhett" gebraucht?
Ein Teil der Geschichte geht so: 1936 erscheint "Vom Winde verweht" von Margaret Mitchell, ein opulenter Südstaaten-Roman zur Zeit des Bürgerkrieges samt komplizierter Liebesgeschichte zwischen dem undurchsichtigen Lebemann Rhett Butler und der Südstaaten-Schönheit Scarlett O'Hara, die zwar fasziniert ist von Rhett, aber so lange der faden Jugendliebe Ashley Wilkes nachtrauert, bis es zu spät ist. Vielleicht jedenfalls, das Ende ist offen. Das Buch wird ein Welterfolg und verkauft sich bis heute über achtundzwanzig Millionen Mal, erhält 1937 den Pulitzer-Preis und wird 1939 verfilmt mit Clark Gable und Vivien Leigh. Der mehrfach Oscar-prämierte Film ist bis heute der kommerziell erfolgreichste Film überhaupt.
Margaret Mitchell weigerte sich standhaft und trotz lukrativer Verlockungen, ihre Geschichte weiterzuspinnen. Das offene Ende sollte offenbleiben. 1949 starb sie an den Folgen eines Autounfalls. Schließlich entdeckten ihre Erben 1987 das finanzielle Potential der Geschichte und sorgten, unbekümmert um den Willen der Urheberin, für eine Fortsetzung, für die sie die Trivialautorin Alexandra Ripley gewinnen konnten, die mit "Scarlett" ein von der Kritik einhellig abgelehntes, aber vielgelesenes Buch vorlegte, das sich weltweit sechs Millionen Mal verkaufte. Da Ripley ihrerseits für eine Fortsetzung ihrer Fortsetzung nicht zur Verfügung stand, folgte ein weiteres Autorencasting. Eine erste Version geriet den Erben zu britisch, und der zweite Kandidat, der Südstaaten-Schriftsteller Par Conroy, stieß sich an den Auflagen der Rechteinhaber, weder Homosexualität noch Inzest, noch "Rassenmischung" in der Geschichte zuzulassen. Conroy zog seine Bewerbung zurück, indem er öffentlich den Beginn seines Buches darlegte: "Nachdem sie miteinander geschlafen hatten, drehte sich Rhett zu Ashley Wilkes um und sagte: ,Ashley, habe ich dir je erzählt, dass meine Großmutter schwarz war?'"
Schließlich fand man jemanden, die Zeit drängte - fünfundsiebzig Jahre nach dem Erscheinen des Romans, in vier Jahren also, endet der Rechtsschutz der Autorin und damit die Ertragsquelle ihrer Erben. Donald McCaig, Autor einiger Südstaaten-Romane und Hundebücher, serviert nun ein über sechshundert Seiten langes Südstaaten-Epos, das im Original "Rhett Butler's People", auf Deutsch schlicht "Rhett" heißt und in einer weltweiten Auflage von 1,2 Millionen Exemplaren, zweihunderttausend auf Deutsch, auf den Markt drängt. Angeblich soll George Clooney an einer Verfilmung interessiert sein - er selbst als der neue Clark-Gable-Rhett, versteht sich. Sicher nur Zufall ist da, dass der deutsche Verlag Hoffmann und Campe die siebzehn CDs umfassende Hörbuchversion von "Rhett" von Martin Umbach einsprechen ließ, der deutschen Synchronstimme von George Clooney.
Die Vermarktungsstrategie ist also abgestimmt bis ins Detail - und wenn der Fortsetzungsvorgänger "Scarlett" eines gezeigt hat, dann, dass man auch ein Buch, um es freundlich auszudrücken: minderer Qualität mit den entsprechenden Mitteln am Markt durchsetzen kann. Doch nun zum anderen Teil der Geschichte: Was ist über Donald McCaigs Roman selbst zu sagen?
McCaig setzt nicht am Schmachtfetzen seiner Vorgängerin Ripley an, sondern direkt an "Vom Winde verweht" und schlüpft in die Lücken, die Margaret Mitchell gelassen hatte. Vor allem die Vorgeschichte des geheimnisvollen Rhett wird nun erzählt, beginnend mit einem Duell, bei dem Rhett den Sohn des Verwalters seines Vaters erschießt - im Original nur nebenher erwähnt - und endend mit der fortgesponnenen Liebesgeschichte zwischen Rhett und Scarlett.
"Rhett" hat dabei durchaus starke Seiten, etwa bei der Schilderung des Bürgerkrieges. Es ist sogar so, dass McCaig immer dort gute Passagen gelingen, wo er sich vom Urroman entfernt. Nur ist das nicht oft der Fall. Im Gegenteil ist es McCaigs oberstes Anliegen, Rhett Butler in einem neuen Licht zu zeigen, ihn gegen seine Erfinderin zu verteidigen, die ihn betont zwielichtig angelegt hatte. Hinweise auf Rhetts Vergangenheit und sein Treiben werden von McCaig aufgenommen und in Geschichten überführt, die ihn am Ende fast als Gentleman präsentieren.
Sein Abenteurer- und Rebellentum erklärt sich nach McCaig aus der Familiengeschichte und dem brutalen Vater, der seine Sklaven quält, und den Sohn, der freundschaftlich mit ihnen verkehrt, schwer bestraft. Mitchells Hinweis auf einen unehelichen Sohn Rhetts in New Orleans nimmt McCaig auf und macht daraus eine sein besseren Figuren, Taz, und eine milchig-rührige Erklärungsgeschichte. Der Kriegsgewinnler Rhett wird zum vorausblickenden Realisten, der schließlich doch noch für die Sache des Südens patriotisch Partei ergreift. Und der Hinweis auf einen Mord Rhetts, den Mitchell eingestreut hatte, wird auch kassiert. Mitchell hatte geschrieben, Rhett habe einen Schwarzen getötet, "weil er unverschämt gegen eine Frau gewesen war". Nun konstruiert McCaig eine Verleumdung gegen einen schwarzen Freund von Rhett, der schließlich, um nicht gelyncht zu werden, Rhett bittet, ihn zu töten, was dieser schweren Herzens ausführt. Und Rhetts Eintreten für den Klu-Klux-Klan, der ja überhaupt bei Mitchell als notwendige Reaktion auf die Verbrechen der nun freien Schwarzen auftrat, wird auch in milderes Licht getaucht. Um die Einsicht zu gewinnen, dass Mitchells Roman nicht nur eine großartige Liebesgeschichte, sondern auch ein rassistischer Roman ist, hätte man Donald McCaig wohl nicht gebraucht. Und nebenher macht er aus Rhett, dem großen Geheimnismann, einen faden Langweiler. So genau wollten wir das nicht wissen.
Liebesszenen sind nicht die Stärke von McCaig. Da sitzt ein junges Liebespaar "unter dem Blätterdach der alten Kastanien und Ulmen", wo sie "all die gewichtigen Gedanken und Gefühle austauschten, die junge Menschen an solch einem Ort zum Ausdruck bringen". Die da wären: "Das Paar sprach über Literatur und Schönheit." Man versteht, warum McCaig die Darstellung von Liebe meidet, wo er kann - schließlich muss sogar die Ranch "Tara" dran glauben, um eine finale Liebesszene zu verhindern. Der Versuch, die Faszination, die Scarlett ausübt, aus Rhetts Perspektive zu vermitteln, gelingt mit McCaigs Mitteln nicht.
Gelegentlich gewinnt der Roman nahezu parodistische Züge. "Fürwahr" rufen sich die Herrenreiter zur Bestätigung zu, "garstige Insekten" quälen die Kinder auf den Plantagen. Und dann die geballte Wucht an Lebensweisheit: "Kein Mann kann aus dem Bett einer Frau aufstehen, ohne etwas für die Urheberin seines Vergnügens zu empfinden." Oder: "Keine Frau ist einer Geschlechtsgenossin, die ihre Gunst verkauft, wohlgesinnt." Das alles kann ja nicht nur die Schuld der Übersetzung sein, auch wenn einen angesichts des funkelnden Schlusses bei Mitchell doch Zweifel überkommen. Auf die zu späte Liebesbeteuerung von Scarlett hatte Rhett entgegnet: "Frankly, my dear, I don't give a damn." In deutscher Übersetzung, braver: "Das ist mir ganz egal." Und nun, bei McCaig: "Das ist mir einerlei."
War's das jetzt? Der Schlusssatz von "Rhett" ("Und das war noch lange nicht das Ende") deutet anderes an. Man hat nun die Perspektive von Margaret Mitchell, die schmalzige Scarlett-Version, eine Parodie aus der Sicht der Sklaven (von den Mitchell-Erben erfolglos vor Gericht gezerrt) und nun die Rhett-Butler-Perspektive. Fehlt noch Tecumseh und wie er die Sache sieht. Nicht der Shawnee-Häuptling - das Pferd von Rhett.
TILMANN LAHME
Donald McCaig: "Rhett". Roman. Aus dem Amerikanischen von Kathrin Razum. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2007. 639 S., geb., 23,- [Euro].
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