Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.12.2008Neue Bankräuber
Die Welt der organisierten Kriminalität ist teilweise die eigentliche Welt Von Hans Leyendecker
Bankräuber sind nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Ihre Überfälle zeugen nur noch von naivem Dilettantismus. Und was ist schon der Finger am Abzug einer Waffe verglichen mit der Hand, die den Geldhahn auf- und zudreht? In der grenzenlos gewordenen Welt boomen die Geschäfte des organisierten Verbrechens. Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds schätzen, dass mittlerweile bis zu zwanzig Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts aus kriminellen Aktivitäten stammen. Von einer ähnlichen Größenordnung wie die beiden Milliarden-Hochburgen geht der britische BBC-Reporter und Buchautor Misha Glenny aus, der die Welt des international organisierten Verbrechens kennt. Sein neues Buch hat er McMafia genannt.
Das ist ein origineller Titel für ein nicht ganz so neues Phänomen. „Mafia, eigtl. Überheblichkeit, Anmaßung”, erklärt der Duden. Der Mafioso ist in aller Regel unabhängig von den bürgerlichen Gesetzen und vertraut auf eigene Machtmittel. Mafia ist kein Geheimbund, sondern die Definition eines Zustands. Der Aggregatzustand der Gesellschaft, das steht fest, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht zum Besseren entwickelt. Seit der Implosion des Ostens ist das organisierte Verbrechen immer weiter gewachsen und immer neue Bündnisse eingegangen. Machtlos stehen vielerorts Ermittler vor dem Netzwerk krimineller Unternehmungen. Längst übertrifft die Wirklichkeit die Fiktion an Phantasie.
Als sich in Osteuropa Staaten auflösten, verschwand nicht nur eine Ideologie. Zehntausende früherer Sicherheitsmitarbeiter bauten kriminelle Konzerne auf, die unter anderem mit Drogenschiebereien, Schmuggel, Menschenhandel, Waffenhandel und allen Formen der Eigentumskriminalität das große Geld machten. Ständig erschlossen sie neue Märkte. Die für ihre Brutalität bekannte tschetschenische Mafia etwa verkaufte sogar ihren Namen an Schutzgeldkartelle, wie Glenny berichtet. Die machten die Dreckarbeit und mussten ebenso brutal auftreten wie das Original. Bankhäuser, Briefkastenfirmen, Treuhandgesellschaften, Beratungsfirmen und Holdings mit Phantasienamen steuerten dann Milliarden-Transaktionen. Dieses Geld ist Bestandteil des Finanzsystems und wird quer durch die Wirtschaftsbereiche investiert.
Glennys Reise in die Welt des organisierten Verbrechens führt den Leser nach West- und Osteuropa, Russland, China und Japan über Nord- und Südamerika in den Nahen Osten und nach Afrika. Er beschreibt die Internationalität des Geschäfts. Vor gut anderthalb Jahrzehnten etwa trafen sich kolumbianische Drogenkartelle und europäische Kriminelle auf Einladung italienischer Anwälte, die in Brasilien leben, auf einer Karibikinsel, um den Kokainschmuggel nach Europa neu zu organisieren. Der Autor warnt, dass Länder wie Sierra Leone oder Liberia zum Handlanger kolumbianischer Drogenkartelle werden könnten.
Der Brite ist Spezialist für Mittel- und Südosteuropa und hat auch deshalb einen besonderen Blick auf die panbalkanische Mafia und auf das kriminelle Gewese in Bulgarien. Im Schatten öffentlicher Wahrnehmung, aber in den Umrissen schon deutlich erkennbar, sind dort Verbrechensimperien entstanden. Die Staaten des früheren Jugoslawien, schreibt Glenny, hätten „die Logistik ihrer militärischen Anstrengungen in die Hände von Verbrecherbanden” gelegt. Der Westen habe zugeschaut und sich sogar der aus kriminellen Aktivitäten stammenden Produkten bedient.
Glennys Beschreibungen der Entwicklung der japanischen Yakuza oder der chinesischen Triaden hingegen sind eher klischeehaft. Kein Buchautor kann offenkundig Spezialist für alle weltweiten Formen der organisierten Kriminalität sein. Deutschland, wo es diese auch gibt, spart er aus, was kein allzu großer Mangel ist. Dass die osteuropäischen Verbrechenskonzerne in den Zeiten der Wirrnis den Aufbau des Kapitalismus erst möglich gemacht haben, ist ebenso eine Kernthese Glennys wie der Vorschlag, beispielsweise Marihuana freizugeben, um den kriminellen Unternehmungen den Gewinn wegzunehmen. Den Krieg gegen Rauschgift, der von den USA ausgerufen wurde, hält er für verloren.
Die Syndikate unserer Tage bilden keine Gegenmacht, bauen keinen Parallelstaat auf, sie wollen Anpassung um jeden Preis und hemmungslose Assimilation. Geräuschlos wollen sie sich in den Wirtschaftskreislauf integrieren und möglichst hohen Profit erzielen. Gewalt werde nur als letztes Mittel eingesetzt, meint Glenny. Die Bosse hätten gelernt, dass Mord- und Totschlag nur die Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden auf sich ziehen und die Geschäfte stören.
Dass die Unterwelt zur Oberwelt werden könne, war die These vieler Kriminologen in den achtziger und frühen neunziger Jahren. Die Aufmerksamkeit ließ nach, als der islamistische Terrorismus die gewöhnliche Kriminalität aus dem Blickpunkt der Öffentlichkeit verdrängte. Der neue Blick zeigt: Das Menetekel vom Verbrechen, das eines Tages die Welt regiert, ist keine Zustandsbeschreibung, sondern war Apokalypse.
In diesen Tagen stellt sich ohnehin die Frage, wo denn überhaupt der Unterschied zwischen aggressivem Turbokapitalismus und Kriminalität liegt. Es gibt häufig eine Scheu, die beiden Bereiche miteinander zu vergleichen oder in Beziehung zu bringen. Dabei macht schon die alte Definition der organisierten Kriminalität (OK) wie sie in Deutschland bereits 1990 von der Arbeitsgruppe Justiz/Polizei erarbeitet wurde, die Gemeinsamkeiten klar: Danach ist OK „die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte, planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig, unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen (. . .) zusammenwirken”. Danach kann Korruption, die Kartellabsprache, ja sogar die organisierte Steuerhinterziehung, die Voraussetzung für den Tatbestand OK erfüllen. Welcher Beamte traut sich, das öffentlich zu sagen. OK – das sind immer die anderen.
Eine andere Beschreibung der Welt des Verbrechens liefert Petra Reski. Die in Venedig lebende deutsche Journalistin ist eine sehr genaue, kenntnisreiche Beobachterin der Mafia in Italien. Die Reporterin hat einen „Mafia”-Reportageband geschrieben. Es ist das lesenswerteste Buch der vergangenen Jahre über die ehrenwerte Gesellschaft in Italien. Die Autorin berichtet über ihre Begegnungen mit Mafiosi, deren Unterstützern und Helfern, mit Staatsanwälten, Richtern und Opfern, und das Besondere ist, dass sie den Ton trifft und kühle Distanz hält: Sie kann beobachten, schreiben. Da gibt es keine stilistischen Ungezogenheiten, keinen Schwulst. Die Schilderung wählt kürzeste Linien, verschmäht Zierrat. Sie entlarvt die Mitwisser und Mittäter, aber sie ist keine Verkünderin irgendwelcher Botschaften. Ihre Abstecher nach Palermo oder San Luca sind Zeitzeugnisse. Der korrupte Priester, die verlogene Strohwitwe – sie bekommen plötzlich Gestalt und Gesicht. Selten war die Mafia so gut zu erkennen.
Misha Glenny
McMafia
Die grenzenlose Welt des organisierten Verbrechens. DVA, München 2008. 528 Seiten, 24,95 Euro.
Petra Reski
Mafia
Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern. Verlag Droemer, München 2008. 335 Seiten, 19,95 Euro.
Herzig ist nur die Aufmachung. Tatsächlich verbirgt sich in den Plastikteilchen aufgelöstes Kokain. Die Rauschgiftkartelle Südamerikas versuchen so die Kontrollen auf den Flughäfen zu unterlaufen. Foto: dpa
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Die Welt der organisierten Kriminalität ist teilweise die eigentliche Welt Von Hans Leyendecker
Bankräuber sind nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Ihre Überfälle zeugen nur noch von naivem Dilettantismus. Und was ist schon der Finger am Abzug einer Waffe verglichen mit der Hand, die den Geldhahn auf- und zudreht? In der grenzenlos gewordenen Welt boomen die Geschäfte des organisierten Verbrechens. Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds schätzen, dass mittlerweile bis zu zwanzig Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts aus kriminellen Aktivitäten stammen. Von einer ähnlichen Größenordnung wie die beiden Milliarden-Hochburgen geht der britische BBC-Reporter und Buchautor Misha Glenny aus, der die Welt des international organisierten Verbrechens kennt. Sein neues Buch hat er McMafia genannt.
Das ist ein origineller Titel für ein nicht ganz so neues Phänomen. „Mafia, eigtl. Überheblichkeit, Anmaßung”, erklärt der Duden. Der Mafioso ist in aller Regel unabhängig von den bürgerlichen Gesetzen und vertraut auf eigene Machtmittel. Mafia ist kein Geheimbund, sondern die Definition eines Zustands. Der Aggregatzustand der Gesellschaft, das steht fest, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht zum Besseren entwickelt. Seit der Implosion des Ostens ist das organisierte Verbrechen immer weiter gewachsen und immer neue Bündnisse eingegangen. Machtlos stehen vielerorts Ermittler vor dem Netzwerk krimineller Unternehmungen. Längst übertrifft die Wirklichkeit die Fiktion an Phantasie.
Als sich in Osteuropa Staaten auflösten, verschwand nicht nur eine Ideologie. Zehntausende früherer Sicherheitsmitarbeiter bauten kriminelle Konzerne auf, die unter anderem mit Drogenschiebereien, Schmuggel, Menschenhandel, Waffenhandel und allen Formen der Eigentumskriminalität das große Geld machten. Ständig erschlossen sie neue Märkte. Die für ihre Brutalität bekannte tschetschenische Mafia etwa verkaufte sogar ihren Namen an Schutzgeldkartelle, wie Glenny berichtet. Die machten die Dreckarbeit und mussten ebenso brutal auftreten wie das Original. Bankhäuser, Briefkastenfirmen, Treuhandgesellschaften, Beratungsfirmen und Holdings mit Phantasienamen steuerten dann Milliarden-Transaktionen. Dieses Geld ist Bestandteil des Finanzsystems und wird quer durch die Wirtschaftsbereiche investiert.
Glennys Reise in die Welt des organisierten Verbrechens führt den Leser nach West- und Osteuropa, Russland, China und Japan über Nord- und Südamerika in den Nahen Osten und nach Afrika. Er beschreibt die Internationalität des Geschäfts. Vor gut anderthalb Jahrzehnten etwa trafen sich kolumbianische Drogenkartelle und europäische Kriminelle auf Einladung italienischer Anwälte, die in Brasilien leben, auf einer Karibikinsel, um den Kokainschmuggel nach Europa neu zu organisieren. Der Autor warnt, dass Länder wie Sierra Leone oder Liberia zum Handlanger kolumbianischer Drogenkartelle werden könnten.
Der Brite ist Spezialist für Mittel- und Südosteuropa und hat auch deshalb einen besonderen Blick auf die panbalkanische Mafia und auf das kriminelle Gewese in Bulgarien. Im Schatten öffentlicher Wahrnehmung, aber in den Umrissen schon deutlich erkennbar, sind dort Verbrechensimperien entstanden. Die Staaten des früheren Jugoslawien, schreibt Glenny, hätten „die Logistik ihrer militärischen Anstrengungen in die Hände von Verbrecherbanden” gelegt. Der Westen habe zugeschaut und sich sogar der aus kriminellen Aktivitäten stammenden Produkten bedient.
Glennys Beschreibungen der Entwicklung der japanischen Yakuza oder der chinesischen Triaden hingegen sind eher klischeehaft. Kein Buchautor kann offenkundig Spezialist für alle weltweiten Formen der organisierten Kriminalität sein. Deutschland, wo es diese auch gibt, spart er aus, was kein allzu großer Mangel ist. Dass die osteuropäischen Verbrechenskonzerne in den Zeiten der Wirrnis den Aufbau des Kapitalismus erst möglich gemacht haben, ist ebenso eine Kernthese Glennys wie der Vorschlag, beispielsweise Marihuana freizugeben, um den kriminellen Unternehmungen den Gewinn wegzunehmen. Den Krieg gegen Rauschgift, der von den USA ausgerufen wurde, hält er für verloren.
Die Syndikate unserer Tage bilden keine Gegenmacht, bauen keinen Parallelstaat auf, sie wollen Anpassung um jeden Preis und hemmungslose Assimilation. Geräuschlos wollen sie sich in den Wirtschaftskreislauf integrieren und möglichst hohen Profit erzielen. Gewalt werde nur als letztes Mittel eingesetzt, meint Glenny. Die Bosse hätten gelernt, dass Mord- und Totschlag nur die Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden auf sich ziehen und die Geschäfte stören.
Dass die Unterwelt zur Oberwelt werden könne, war die These vieler Kriminologen in den achtziger und frühen neunziger Jahren. Die Aufmerksamkeit ließ nach, als der islamistische Terrorismus die gewöhnliche Kriminalität aus dem Blickpunkt der Öffentlichkeit verdrängte. Der neue Blick zeigt: Das Menetekel vom Verbrechen, das eines Tages die Welt regiert, ist keine Zustandsbeschreibung, sondern war Apokalypse.
In diesen Tagen stellt sich ohnehin die Frage, wo denn überhaupt der Unterschied zwischen aggressivem Turbokapitalismus und Kriminalität liegt. Es gibt häufig eine Scheu, die beiden Bereiche miteinander zu vergleichen oder in Beziehung zu bringen. Dabei macht schon die alte Definition der organisierten Kriminalität (OK) wie sie in Deutschland bereits 1990 von der Arbeitsgruppe Justiz/Polizei erarbeitet wurde, die Gemeinsamkeiten klar: Danach ist OK „die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte, planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig, unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen (. . .) zusammenwirken”. Danach kann Korruption, die Kartellabsprache, ja sogar die organisierte Steuerhinterziehung, die Voraussetzung für den Tatbestand OK erfüllen. Welcher Beamte traut sich, das öffentlich zu sagen. OK – das sind immer die anderen.
Eine andere Beschreibung der Welt des Verbrechens liefert Petra Reski. Die in Venedig lebende deutsche Journalistin ist eine sehr genaue, kenntnisreiche Beobachterin der Mafia in Italien. Die Reporterin hat einen „Mafia”-Reportageband geschrieben. Es ist das lesenswerteste Buch der vergangenen Jahre über die ehrenwerte Gesellschaft in Italien. Die Autorin berichtet über ihre Begegnungen mit Mafiosi, deren Unterstützern und Helfern, mit Staatsanwälten, Richtern und Opfern, und das Besondere ist, dass sie den Ton trifft und kühle Distanz hält: Sie kann beobachten, schreiben. Da gibt es keine stilistischen Ungezogenheiten, keinen Schwulst. Die Schilderung wählt kürzeste Linien, verschmäht Zierrat. Sie entlarvt die Mitwisser und Mittäter, aber sie ist keine Verkünderin irgendwelcher Botschaften. Ihre Abstecher nach Palermo oder San Luca sind Zeitzeugnisse. Der korrupte Priester, die verlogene Strohwitwe – sie bekommen plötzlich Gestalt und Gesicht. Selten war die Mafia so gut zu erkennen.
Misha Glenny
McMafia
Die grenzenlose Welt des organisierten Verbrechens. DVA, München 2008. 528 Seiten, 24,95 Euro.
Petra Reski
Mafia
Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern. Verlag Droemer, München 2008. 335 Seiten, 19,95 Euro.
Herzig ist nur die Aufmachung. Tatsächlich verbirgt sich in den Plastikteilchen aufgelöstes Kokain. Die Rauschgiftkartelle Südamerikas versuchen so die Kontrollen auf den Flughäfen zu unterlaufen. Foto: dpa
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