Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2009Selten so gelacht
Humboldt und Bonpland sind zu ihrer großen Reise aufgebrochen. Jetzt besteigen sie auf Teneriffa einen Berg, begleitet von einheimischen Führern. Es ist kalt und unwirtlich. "Ganz Teneriffa, erklärte Humboldt ihren Führern, sei ein einziger, aus dem Meer ragender Berg. Ob sie das nicht interessiere? Um ehrlich zu sein, sagte einer von ihnen, nicht sehr."
Schon putzig, diese verkopften Intellektuellen, die sich so gar nicht hineindenken können in den einfachen Landmann, der ihnen dann auch noch so köstlich repliziert - ich kann bei derlei nicht mit, und weil der vielgerühmte Humor der "Vermessung der Welt" allzu oft genau so strukturiert ist, bin ich mit dem Buch nie warm geworden. Humboldt ist mir zu sehr Don Quijote, Bonpland Sancho Panza geworden, der eine transzendiert seinen Leib (gewaltsam, also komisch), der andere säuft und hurt bei jeder Gelegenheit.
Beide sind leider nicht die einzigen Figuren, die mehr schrullig als lebendig gezeichnet sind und die man kaum anzuhusten wagt, aus Angst, diese Pappkameraden könnten hintüberkippen. Gauß muss dann noch ahnen, dass "jeder Dummkopf in zweihundert Jahren sich über ihn lustig machen und absurden Unsinn über seine Person erfinden könne" - "leuchte, alter Mond, leuchte", heißt es im "Kleinen Häwelmann", und ich lese in der "Vermessung der Welt" ständig ein "Schmunzle, guter Leser, schmunzle", zumal die Sache mit der unsinnschreibenden Nachwelt sehr nach Absicherung gegenüber Vorwürfen allzu freimütiger Erfindung aussieht. Solcherart von Gauß getadelt, hält Kehlmann noch seinem zweiten Helden die Wange hin, wenn er Humboldt zu Lichtenberg sagen lässt, es sei "ein albernes Unterfangen, wenn ein Autor, wie es jetzt Mode werde, eine schon entrückte Vergangenheit zum Schauplatz wähle".
Aber es geht doch um Humboldt und Gauß, um die Biedermeierzeit, eine der aufregendsten Epochen der deutschen Geschichte, voller Umbrüche, Innovationen, Verwerfungen - macht das den Roman nicht interessant?
Um ehrlich zu sein, nicht sehr.
TILMAN SPRECKELSEN
Daniel Kehlmann: "Die Vermessung der Welt". Rowohlt, 9,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Humboldt und Bonpland sind zu ihrer großen Reise aufgebrochen. Jetzt besteigen sie auf Teneriffa einen Berg, begleitet von einheimischen Führern. Es ist kalt und unwirtlich. "Ganz Teneriffa, erklärte Humboldt ihren Führern, sei ein einziger, aus dem Meer ragender Berg. Ob sie das nicht interessiere? Um ehrlich zu sein, sagte einer von ihnen, nicht sehr."
Schon putzig, diese verkopften Intellektuellen, die sich so gar nicht hineindenken können in den einfachen Landmann, der ihnen dann auch noch so köstlich repliziert - ich kann bei derlei nicht mit, und weil der vielgerühmte Humor der "Vermessung der Welt" allzu oft genau so strukturiert ist, bin ich mit dem Buch nie warm geworden. Humboldt ist mir zu sehr Don Quijote, Bonpland Sancho Panza geworden, der eine transzendiert seinen Leib (gewaltsam, also komisch), der andere säuft und hurt bei jeder Gelegenheit.
Beide sind leider nicht die einzigen Figuren, die mehr schrullig als lebendig gezeichnet sind und die man kaum anzuhusten wagt, aus Angst, diese Pappkameraden könnten hintüberkippen. Gauß muss dann noch ahnen, dass "jeder Dummkopf in zweihundert Jahren sich über ihn lustig machen und absurden Unsinn über seine Person erfinden könne" - "leuchte, alter Mond, leuchte", heißt es im "Kleinen Häwelmann", und ich lese in der "Vermessung der Welt" ständig ein "Schmunzle, guter Leser, schmunzle", zumal die Sache mit der unsinnschreibenden Nachwelt sehr nach Absicherung gegenüber Vorwürfen allzu freimütiger Erfindung aussieht. Solcherart von Gauß getadelt, hält Kehlmann noch seinem zweiten Helden die Wange hin, wenn er Humboldt zu Lichtenberg sagen lässt, es sei "ein albernes Unterfangen, wenn ein Autor, wie es jetzt Mode werde, eine schon entrückte Vergangenheit zum Schauplatz wähle".
Aber es geht doch um Humboldt und Gauß, um die Biedermeierzeit, eine der aufregendsten Epochen der deutschen Geschichte, voller Umbrüche, Innovationen, Verwerfungen - macht das den Roman nicht interessant?
Um ehrlich zu sein, nicht sehr.
TILMAN SPRECKELSEN
Daniel Kehlmann: "Die Vermessung der Welt". Rowohlt, 9,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.03.2008Bitter und gepresst
Eine „Vermessung der Welt”
Die beiden zweiten Geigen, Gauß' Sohn Eugen und Humboldts Gehilfe Bonpland, fungieren in dieser Hörspielversion von Daniel Kehlmanns Roman „Die Vermessung der Welt” als Erzähler (Regie: Alexander Schuhmacher, Sprecher: Michael Rotschopf u.a. Deutsche Grammophon, Berlin 2008. 3 CD, 184 Minuten, 14,99 Euro). Was auf den ersten Blick wie eine gute Idee wirkt, erweist sich in der Ausführung dann doch als halbherziger Versuch, den Roman fürs Radio zuzurichten. Regisseur Alexander Schumacher ist es nicht gelungen, einen wirklich eigenständigen Zugang zum Stoff zu entwickeln; er vertraut ihm nicht. So klingen die Gespräche, die die Figuren miteinander führen, fast immer gestelzt und geschauspielert. Kehlmann selbst hat häufig betont, wie wichtig ihm der scheinbar falsche Gebrauch der indirekten Rede in der „Vermessung” ist, und bei der Übertragung in direkte Rede wird deutlich, welch ironische Kraft in Kehlmanns Stilmittel tatsächlich liegt. So klingt Gauß (Udo Schenk) im Hörspiel nicht lustig und in all seiner Härte doch irgendwie sympathisch, sondern schlicht bitter und gepresst. Alberne Musik und eine plakative Klanggestaltung (kreischende Möwen, die einen Drachenbaum auf Teneriffa umschwirren!) tun ihr übriges, den Finger in Richtung Stopptaste zucken zu lassen. tol
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Eine „Vermessung der Welt”
Die beiden zweiten Geigen, Gauß' Sohn Eugen und Humboldts Gehilfe Bonpland, fungieren in dieser Hörspielversion von Daniel Kehlmanns Roman „Die Vermessung der Welt” als Erzähler (Regie: Alexander Schuhmacher, Sprecher: Michael Rotschopf u.a. Deutsche Grammophon, Berlin 2008. 3 CD, 184 Minuten, 14,99 Euro). Was auf den ersten Blick wie eine gute Idee wirkt, erweist sich in der Ausführung dann doch als halbherziger Versuch, den Roman fürs Radio zuzurichten. Regisseur Alexander Schumacher ist es nicht gelungen, einen wirklich eigenständigen Zugang zum Stoff zu entwickeln; er vertraut ihm nicht. So klingen die Gespräche, die die Figuren miteinander führen, fast immer gestelzt und geschauspielert. Kehlmann selbst hat häufig betont, wie wichtig ihm der scheinbar falsche Gebrauch der indirekten Rede in der „Vermessung” ist, und bei der Übertragung in direkte Rede wird deutlich, welch ironische Kraft in Kehlmanns Stilmittel tatsächlich liegt. So klingt Gauß (Udo Schenk) im Hörspiel nicht lustig und in all seiner Härte doch irgendwie sympathisch, sondern schlicht bitter und gepresst. Alberne Musik und eine plakative Klanggestaltung (kreischende Möwen, die einen Drachenbaum auf Teneriffa umschwirren!) tun ihr übriges, den Finger in Richtung Stopptaste zucken zu lassen. tol
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'A dazzling success ... Fantastically imagined' Daily Telegraph