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Die geheimnisvollen poetischen Kästen von Joseph Cornell (1903-1972) gehören zu den schönsten Zeugnissen der genuin amerikanischen Kunst der Moderne. Charles Simic, der Dichter des amerikanischen Alltags und seiner offenen und versteckten Komödien und Tragödien, hat in einer hinreißenden Serie von Gedichten, Prosastücken und Zitaten ein sprachliches Äquivalent zu Cornells Objekten geschaffen.

Produktbeschreibung
Die geheimnisvollen poetischen Kästen von Joseph Cornell (1903-1972) gehören zu den schönsten Zeugnissen der genuin amerikanischen Kunst der Moderne. Charles Simic, der Dichter des amerikanischen Alltags und seiner offenen und versteckten Komödien und Tragödien, hat in einer hinreißenden Serie von Gedichten, Prosastücken und Zitaten ein sprachliches Äquivalent zu Cornells Objekten geschaffen.
Autorenporträt
Charles Simic, 1938 in Belgrad geboren, kam 1954 in die USA und lehrt heute an der Universität von New Hampshire. Er hat 16 Bände mit Gedichten veröffentlicht. Zuletzt erschien der autobiographische Text Die Fliege in der Suppe (1997).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.06.1999

Kapitän Ahab an Land
Charles Simic über Joseph Cornell · Von Thomas Wagner

In der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts sind die Versuche nicht eben zahlreich, die Welt als die stille Verbundenheit der in ihr vorfindbaren Dinge und nicht als fragmentierte aufzufassen. Der amerikanische Künstler Joseph Cornell, von dem Robert Motherwell einmal gesagt hat, er ähnle "Kapitän Ahab an Land - gereizt, absolut, empfindsam, besessen, aber scheu" -, hat mit seinen Schaukästen ebendies versucht: die Konstruktion eines Weltzusammenhangs aus Dingen, die er während zahlloser Streifzüge durch die Trödelläden New Yorks und auf Müllhaufen gesammelt hat. Weil seine Kästen überaus träumerisch und poetisch entrückt erscheinen, hat die Kunstgeschichte Cornell zumeist in ein Schubfach am Rande der surrealistischen Bewegung einsortiert und einen der letzten Symbolisten aus ihm gemacht.

Doch Cornells Werk ist mehr. Es schafft eine ganz und gar eigene Rätselgestalt, ein Mysterium, in dem - wie er selbst einmal sagte - eine "Art Metaphysik der Erfahrung" zum Ausdruck kommt. Die Liste der Dinge, mit denen er seine märchenhaften Arrangements voll Licht, Raum und Meer ausgestattet hat, ist lang: Vögel, Käfige und Spiegel, Ballerinen und Filmstars, Puppen und Sternkarten, edle Schatullen, Korken, Knöpfe und Gläser, Kugeln, Mineralien und noch vieles mehr.

Daß sich gerade ein Dichter Cornells Werk und seiner Methode annimmt, mag auf den ersten Blick überraschen. Doch der 1938 in Belgrad geborene und seit 1954 in den Vereinigten Staaten lebende Charles Simic tut dies auf eine Weise, die ebenso durch ihre Verbindungen zur Literatur besticht, wie sie durch die erschließende Kraft ihrer Sprache zu bezaubern vermag. Simic selbst spricht davon, er komponiere lediglich eine Hommage an Cornell, eine "Serie kurzer Texte im Geist der Dichter, die er mochte". So verwundert es auch nicht, wenn er als Motto für sein Buch "Medici Groschengrab" einen Satz Gérard de Nervals ausgewählt hat: "Ich? Ich jage einem Bild nach, mehr nicht."

Der Dichter Simic widmet sich dem Künstler Cornell vor allem aus zwei Gründen: weil er sich der Methode des Konstrukteurs von Schaukästen annähern und versichern und weil er Texte schreiben möchte, die sich selbst dieser Vorgehensweise bedienen oder sie zumindest erproben. Im Grunde aber läßt sich beides nicht voneinander trennen: Die Jagd nach einem treffenden Sprachbild vermischt sich beständig mit Überlegungen zu Cornell und dessen Werk. Indem Simic das eine unternimmt, treibt er stets auch das andere voran. So ist ein Buch gelungen, das die Meinung Lügen straft, es müßten immer dickleibige Kataloge oder Monographien sein, angefüllt mit Daten, Fakten und wissenschaftlichen Erörterungen, die ein Werk in seiner poetischen Grundstruktur treffend erfassen könnten. Simic jedenfalls gelingt es mit einem schmalen Band von gerade einmal achtzig Seiten, daß wir Cornells künstlerische Haltung mit neuen, oft genug staunenden Augen sehen lernen.

Mit Simics Hilfe folgt der Leser Cornell, dem rastlos Umherstreifenden, durch die Straßenschluchten Manhattans, wo er in der Gestalt eines "Mannes auf dem Müllhaufen" wiederentdeckt wird: "Er sah so aus, wie ich mir Melvilles Bartleby an dem Tag vorstelle, an dem er zu arbeiten aufgehört hatte, um auf die leere Wand vor seinem Bürofenster zu starren. In Städten gibt es immer solche Männer. Einsame Wanderer in Mänteln, die schon lange aus der Mode sind, so sitzen sie in bescheidenen Restaurants und in Cafés der kleinen Nebenstraßen und essen ein Stück weichen Kuchen . . . Jeder von ihnen könnte Cornell sein."

Wie einzelne Muster, die sich in feinstem Spitzengewebe abzeichen, verbindet Simic eigene Beobachtungen, Tagebuchaufzeichnungen Cornells, Überlegungen zu dessen künstlerischer Methode und Beschreibungen einzelner Schaukästen zu einem unendlich zarten, alles miteinander in innige Verbindung bringenden Netz. So notiert Cornell, der in seinen Aufzeichnungen wiederholt davon spricht, sich zu rasieren und zum Ausgehen fertig zu machen erfrische den Geist, am 24. Januar 1947: "Rasierte mich und zog mich an und winkte Robert auf der Veranda zum Abschied zu (Mutter einkaufen gegangen). Winkte Robert vom Zug aus. Soweit ereignislos, doch der Rest des Tages sammelte um sich jede Art von Sättigung, in der die Begeisterung an Details solch ein Fest der Erfahrung wird - ging den ganzen Tag bis zur Penn Station."

Es ist dieses "Fest der Erfahrung" und die Art, wie es zustande kommt, die Simic fasziniert. Aufmerksam schleicht er Cornell durch die Straßen nach, um den Ort zu finden, an dem es stattfindet, er hört auf seine Stimme und die seiner Lieblingsschriftsteller, und er blickt in die stille Weite seiner Kästen, um es aufzuspüren. "Irgendwo in der Stadt New York", schreibt Simic, "gibt es vier oder fünf Objekte, die zusammengehören. Einmal zusammen, sind sie ein Kunstwerk. Das ist Cornells Prämisse, seine Metaphysik, die ich verstehen möchte." Für Simic befindet sich Cornell, der nicht weiß, "wonach er sucht oder was er finden wird", auf einer besonderen Reise: "Amerika wartet immer noch auf seine Entdeckung. Seine Landstreicher und Dichter gleichen frühen Seefahrern, die auf Erkundungsreise gehen. Selbst in den Städten gibt es noch Orte, die von Karthographen leer gelassen worden sind." Ist man den verzweigten Pfaden der Inspiration, die Zufall und Notwendigkeit einander begegnen läßt, lange genug gefolgt, so ahnt man, Simics Versuch über Cornell könnte nach demselben Prinzip funktionieren wie dessen "Medici Slot Machine": "Der Automat hat", schreibt Simic, "wie jeder Mythos, verschiedene Teile. Es muß Räder für die Übersetzung geben und Zahnräder und andere pfiffige Apparaturen, die an der Kurbel befestigt sind. Was auch immer es ist, es muß Pfiff haben. Unser liebevoller Blick schaltet ihn an. Ein Dichtungsgroschenautomat mit einem Jackpot voll sich widersprechender Bedeutungen, in Gang gesetzt von unserer Imagination. Sein mystisches Repertoire enthält viele Bilder."

Vor allem die Stadt ist für Simic eine solche "riesige Bildermaschine", ein "Spielautomat für die Einsamen", aber auch die Sprache ist eine solche, vor allem die lyrische. Und so beginnt man am Ende zu begreifen, daß Charles Simics wunderbar leichtes und doch zugleich so gewichtiges Buch über Joseph Cornell auch so etwas wie eine Poetik ist. Indem er sich dem schweigsam-verschlossenen Kastenmacher anvertraut, findet der Dichter zum Eigenen: "In Cornells Kunst sind das Auge und die Zunge einander entgegengesetzt. Keines von beiden ist allein ausreichend. Aus der Vermischung von beiden entsteht das dritte Bild."

Charles Simic: "Medici Groschengrab". Die Kunst des Joseph Cornell, Carl Hanser Verlag, München 1998. 88 S., br., 25,- DM.

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"Daß sich gerade ein Dichter Cornells Werk und seiner Methode annimmt, mag auf den ersten Blick überraschen. Doch Charles Simic tut das auf eine Weise, die ebenso durch ihre Verbindung zur Literatur besticht, wie sie durch die erschließende Kraft ihrer Sprache zu bezaubern vermag. ... Und so beginnt man zu begreifen, daß Charles Simics wunderbar leichtes und doch zugleich so gewichtiges Buch über Joseph Cornell auch so etwas wie eine Poetik ist:" Thomas Wagner, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.07.1999

"Es gibt bei uns bisher nur ein einziges, allerdings schönes Buch über Cornell. Wir verdanken es dem nach Amerika ausgewanderten Charles Simic." Wilhelm Genazino, Die Belebung der toten Winkel