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Recht wird gesprochen. Es gilt das Prinzip der Mündlichkeit. Die Rechtsprechung operiert indes auch mit Medien, die nicht der Stimme zugehören. Eine Fotografie zu Beweiszwecken oder eine Kamera zur Übertragung einer Gerichtsverhandlung zählen ebenfalls zu den Medien der Rechtsprechung. Weit davon entfernt, bloße Hilfsmittel der Wahrheitsfindung zu sein, greifen sie in das Verfahren ein. Und dort, wo unter der Macht technischer Medien die justitiellen Formen verwildern, wird das Gericht zum Tribunal.

Produktbeschreibung
Recht wird gesprochen. Es gilt das Prinzip der Mündlichkeit. Die Rechtsprechung operiert indes auch mit Medien, die nicht der Stimme zugehören. Eine Fotografie zu Beweiszwecken oder eine Kamera zur Übertragung einer Gerichtsverhandlung zählen ebenfalls zu den Medien der Rechtsprechung. Weit davon entfernt, bloße Hilfsmittel der Wahrheitsfindung zu sein, greifen sie in das Verfahren ein. Und dort, wo unter der Macht technischer Medien die justitiellen Formen verwildern, wird das Gericht zum Tribunal.
Autorenporträt
Vismann, Cornelia
Cornelia Vismann war Professorin für Geschichte und Theorie der Kulturtechniken an der Bauhaus-Universität Weimar. Sie studierte Recht und Philosophie und arbeitete u.a. als Rechtsanwältin in Berlin. Nach ihrer Dissertation 'Akten. Medientechnik und Recht' (2000) habilitierte sie sich mit einer Arbeit zur 'Verfassung nach dem Computer' im öffentlichen Recht. Cornelia Vismann ist am 28. August 2010 in Berlin gestorben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2011

Das große Theater des Rechts

Von Aktenversendung, alten Gottesurteilen und der Stimme vor Gericht: Cornelia Vismanns groß angelegter Versuch, die ganze Jurisprudenz von den Medien her verständlich zu machen.

Von Winfried Hassemer

Ich weiß nicht, wie weit verbreitet die ehrwürdige Sottise noch ist, die Jurisprudenz und Rechtsprechung mit dem Adjektiv "trocken" verknüpft und damit Schlüsse auf das Beschaffensein derer gestattet, die sich das zum Beruf gemacht haben. Ich weiß aber, wie arm Juristen dran sind und wie schlecht sie im professionellen Alltag zurechtkommen, wenn sie keine Phantasie für Verknüpfungen haben, keinen Sinn für Proportionen oder kein Gefühl für Verletzungen anderer Menschen. Und ich sehe mit Freude und Zustimmung, dass die am weitesten verbreitete juristische Zeitschrift, die "Neue Juristische Wochenschrift", die ein ungemein offenes Ohr für die "Bedürfnisse der Praxis hat", es sich immer noch angelegen sein lässt, von Zeit zu Zeit ein ganzes Heft dem Verhältnis von Jus und Kunst zu widmen, wo dann die üblichen Verdächtigen, aber auch frische Pensionäre über Stücke schreiben, deren Nähe zur Jurisprudenz sie entdeckt haben, oder über den (durchaus verbreiteten) Kunstsinn berühmter Juristen.

Und ich erinnere mich auch an die Dankbarkeit aufmerksamer Richter oder Anwälte angesichts von Forschungen aus Philosophie, Sozialwissenschaften oder Wissenschaftstheorie: von Forschungen, die Rechtsprechung und Jurisprudenz für sich entdeckt haben und an ihnen Denkweisen, Systeme oder auch nur Settings verallgemeinern oder exemplifizieren: Dankbarkeit, weil an solchen Forschungen kenntlich wird, dass, wie und in welch weitem Umfang das Recht unser Leben bestimmt; dass die Juristen nicht auf einer exotischen Insel siedeln und dass es sich für andere Wissenschaften lohnen kann, der Juristerei auf den Grund zu gehen.

Auf diese Dankbarkeit kann auch die Studie von Cornelia Vismann rechnen. Sie beschenkt die Juristen - nicht nur, wie der Titel das allzu bescheiden ankündigt, aus der Rechtsprechung, sondern auch aus der Wissenschaft: eben die gesamte Jurisprudenz - mit der tief begründeten und weit ausgeführten Verallgemeinerung ihres Tuns. Und sie beschenkt die Medienleute - Buch, Hörfunk, Film, Fernsehen, Internet - mit einer Fülle klug ausgewählter und sorgsam geordneter Beispiele aus ihrer Profession.

Die Autorin hat den Überblick in Theorie und Praxis, ohne den eine solche Zusammenführung in Naivität oder Verkürzung enden muss. Sie war bis zu ihrem frühen Tod vor etwa einem Jahr Professorin für Geschichte und Theorie der Kulturtechniken in Weimar, hatte Recht und Philosophie studiert, als Rechtsanwältin gearbeitet und im Bereich von Medien und Recht vielfältig publiziert. Die Herausgeber, mit kultur- und rechtswissenschaftlicher Kompetenz, berichten in ihrem Vorwort von ihrer ersten Arbeitss'itzung mit Cornelia Vismann und der letzten wenige Tage vor dem Tod der Autorin; da war das Buch praktisch fertig.

In diesem Werk findet nicht bloß irgendeine Zusammenführung von "Recht und Medien" statt, es beschränkt sich auch nicht auf eine Parallelisierung oder Nachzeichnung von Differenzen und Gemeinsamkeiten, wie wir das so kennen. Das Buch nimmt sich nicht weniger als die wissenschaftliche Entwicklung des einen am anderen vor, es verfolgt das Ziel beileibe nicht nur die Rechtsprechung, sondern die Jurisprudenz in Theorie, Praxis und Politik von ihren Medien her zu begreifen, ihre Entwicklung zu verstehen, zu beurteilen und vorherzusagen. Und es will in der Verwendung von Medien im Recht einen Grund und einen Sinn entdecken, der zugleich dieses Recht erklären kann. Hier werden nicht Holzstückchen artig zu einem Bild zusammengefügt; hier wird ein dickes Brett gebohrt.

In einem ersten Teil ("Dispositive") werden die theoretischen Grundlagen gelegt, wird der Sprachgebrauch, so gut es geht, klargestellt und wird jeweils ein Beispiel ausführlich besprochen: ein theatrales Dispositiv, das eher in der wohlgeordneten Rechtspflege beheimatet ist (Gerichtstheater: Kleists "Der zerbrochne Krug") und ein agonales Dispositiv, das mit Tribunal, mit Drama, mit Überraschung, mit Kampf assoziiert und an Aischylos' "Eumeniden" vorgeführt wird. Die Autorin bezieht ihre Vorstellung von "Dispositiven" aus dem begrifflichen Haushalt von Michel Foucault - sie umfassen also Anlagen, Strategien, aber auch Redeweisen und Techniken. Für Vismann beschreiben die theatrale und die agonale Dimension das Gericht und sein Tun ziemlich vollständig. Sie arbeitet von Anfang bis Ende mit dieser Unterscheidung, beispielsweise in einer ausführlichen Analyse der Kleistschen Erzählung "Der Zweikampf", wo Theater und Agon, Gericht und Tribunal, Untersuchung und Zweikampf, Wahrheit und Obsiegen gegeneinander gesetzt, mit Konturen und mit Farben versehen werden.

In einem zweiten Teil ("Medien") machen wir uns, so ausgerüstet, auf ins Gelände. Hier begegnen uns alsbald Akten, die schillernden Garanten des Gewesenen. Wir sehen sie aber nur von ferne; das Buch ist vielmehr von der Praxis und der Theorie der Aktenversendung - von den Richtern an externe Gutachter und zurück - fasziniert. An deren Auf und Ab im Lauf der Jahrhunderte lassen sich nämlich Typen von "Fernrechtsprechung", die Rollen von fremden Gutachtern oder die Bedeutung von Schriftlichkeit studieren.

Das Medium der "Stimme vor Gericht" (Mündlichkeit) und das Prinzip der Öffentlichkeit rufen die Träume der Aufklärung herauf, Durchsichtigkeit und Kontrollierbarkeit der Rechtsprechung zu erreichen und für immer zu sichern. Fotografien und Gerichtszeichnungen, das Kino im Gericht und in seiner Nacherzählung von gerichtlichen Verfahren sowie das Fernsehen werden dabei beobachtet, wie sie die Dispositive verschieben, die Rollen neu zuschneiden, die Erwartungen steigern und damit unerfüllbar machen und die Verfahrensautonomie faktisch an sich ziehen. In den neuesten Entwicklungen einer "Transitional Justice" wie etwa dem International Tribunal for the Former Yugoslawia (ICTY) sieht die Autorin "Rechtsprechungs-Technologie auf dem neusten Stand", nämlich ein Tribunal, das keines sein will, und ein Gericht, das keines ist, mit einem Verfahren unbestimmter Art, das sich in der "Serialität ihrer jeweiligen Verfahren" mit dem kommerziellen Gerichtsfernsehen trifft - auf der heimischen Couch.

Das ist starker Tobak, bei dem nicht wenige ins Hüsteln geraten werden. Auch die Sprache, in der dieses Buch daherkommt, wird nicht allen passen; sie funkelt und tanzt bisweilen bis zur Grenze der semantischen Seriosität. Frau Vismann ist auch in dieser Hinsicht bei den französischen Historikern und Sozialwissenschaftlern in die Lehre gegangen und stützt sich, was die deutschen Traditionen angeht, vor allem auf den Luhmann von "Legitimation durch Verfahren", also auf eine Schrift in einer Sprache, die sich - den französischen Bezugsfiguren nicht ganz unähnlich - durch Wagemut, Erfindungsreichtum und Verknüpfungsgabe auszeichnet.

Die Faszination durch Luhmann mag auch bewirkt haben, dass das Konzept von Wahrheit und Gerechtigkeit, dem das Buch folgt, entschieden prozedural und damit einseitig geprägt ist: Das Verfahren ist es, das - auch beim theatralen Dispositiv - das Ergebnis generiert und trägt. Aber eben nicht begründet. Die Chancen und Vorgaben des materiellen Rechts als Hoffnungsträger eines gerechten Ergebnisses sind also unterbelichtet. Der Beckmesser wird notieren, bisweilen sei der Gaul der Erzählfreude mit der Autorin durchgegangen; ihm leuchte beispielsweise nicht ein, was über Seiten hinweg ausgebreitete technische und physische Kniffligkeiten beim Simultandolmetschen mit der Rechtsprechung zu tun haben sollten.

Vor allem aber wird man einwenden, der Blick dieser Konzeption reiche nicht bis zu "der" Rechtsprechung: Er sehe nicht deren Alltag hinter Aktenbergen und Routinen, er registriere nicht die abgekürzten Verfahren, die Zeitnot der Tatrichter, die generelle Rückführung des Mündlichkeitsprinzips, die verheerende Ausdünnung der Kollegialgerichte, die jeweils spezifischen Methoden, Pragmatiken und Settings der spezifischen Rechtsgebiete. Stattdessen sei der Fokus auf spektakuläre Teile des Strafrechts und auf das Verfassungsrecht verengt; das aber seien Felder, auf denen anderes gesät und geerntet werde als etwa im Arbeitsrecht oder im Recht des Verbraucherschutzes.

So oder so wird man das alles mit Gründen vortragen können. Solche Einwände aber mindern den Reichtum dieses mutigen und gelehrten Textes nicht und trüben nicht seinen Glanz. Da Buch schlägt eine Schneise. Von seiner Autorin hätte ich gerne noch mehr gehört und gelesen.

Cornelia Vismann: "Medien der Rechtsprechung".

S. Fischer Verlag,

Frankfurt am Main 2011. 464 S., geb., 22,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Susanne Baer, Richterin am Verfassungsgericht, findet in ihrer Besprechung sehr lobende Worte für Cornelia Vismanns Buch "Medien der Rechtsprechung" und wünscht ihm viele Leser. Die im letzten Jahr gestorbene Juristin und Kulturwissenschaftlerin argumentiert darin, dass mit zunehmendem Gewicht der Medien aus der Inszenierung des Gerichts als Theater ein Tribunal wird, also ein Schauprozess, bei dem die Rechtsprechung mit außergerichtlichen Mitteln erfolgt, erklärt die Rezensentin. Ihr Buch zeichnet sich durch das Heranziehen von Literatur, Rechtsgeschichte, Prozessordnung, Psychoanalyse, Diskursanalyse oder Filmwissenschaft aus, wie Baer begeistert feststellt, und sie findet, dass sich dieses Verfahren als äußerst lohnenswert herausstellt. Sie preist den "Facettenreichtum" und die Gelehrsamkeit dieses Werks. Und die sich zwischen den Zeilen aussprechende "Sorge" Vismanns, das Tribunal könne gegenüber dem gerichtlichen Theater durch die Macht der Medien die Oberhand gewinnen, teilt die Rezensentin offensichtlich.

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