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In seinem neuen Buch beschäftigt sich der Anthropologe und Soziologe Pierre Bourdieu in bisher unerreichter Radikalität mit den Grundthemen des abendländischen Denkens: der Vorstellung vom Menschen, den Wissenschaften vom Menschen sowie den Voraussetzungen des künstlerischen Schaffens wie der philosophischen Reflexion. Pierre Bourdieu stellt seine Überlegungen über Philosophie, Wissenschaft und Kunst unter das Vorzeichen Pascals. Dies deshalb, weil Blaise Pascal für Pierre Bourdieu derjenige ist, der die verdeckten Grundlagen jeder intellektuellen Arbeit, sei sie philosophisch, literarisch…mehr

Produktbeschreibung
In seinem neuen Buch beschäftigt sich der Anthropologe und Soziologe Pierre Bourdieu in bisher unerreichter Radikalität mit den Grundthemen des abendländischen Denkens: der Vorstellung vom Menschen, den Wissenschaften vom Menschen sowie den Voraussetzungen des künstlerischen Schaffens wie der philosophischen Reflexion.
Pierre Bourdieu stellt seine Überlegungen über Philosophie, Wissenschaft und Kunst unter das Vorzeichen Pascals. Dies deshalb, weil Blaise Pascal für Pierre Bourdieu derjenige ist, der die verdeckten Grundlagen jeder intellektuellen Arbeit, sei sie philosophisch, literarisch oder streng wissenschaftlich, freilegt: die Muße, die Abwesenheit des Zwangs, die eigene Existenz sichern zu müssen, sowie die Distanz zum Beobachteten und Beschriebenen. Aus dieser Situation, so der Pascalianer Bourdieu, ergeben sich die prinzipiellen, systematischen, epistemologischen, ethischen und ästhetischen Irrtümer, die er einer methodologischen Kritik unterzieht. Denn in der Situation des Beobachtens dominiert nicht die Wertfreiheit: Beim Beobachter wirken Gewalt, Gewohnheit, automatisches Verhalten, Imagination, Zufall und Wahrscheinlichkeit.
Im Durchgang durch die impliziten Prämissen allen Denkens entfaltet Pierre Bourdieu eine negative Philosophie, die die Ansprüche auf Wahrheit, Unterscheidungen zwischen Subjekt und Objekt - also zentrale Kategorien abendländischer Philosophie - auf ihre Geltungsvoraussetzungen befragt. Er begründet so die These, die Pascal in Worte gekleidet hat, daß "die wahre Philosophie über die Philosophie spottet".
Autorenporträt
Pierre Bourdieu (eigentlich Pierre-Félix Bourdieu; 1. August 1930 in Denguin, Pyrénées-Atlantiques; 23. Januar 2002 in Paris) war einer der bekanntesten Soziologen des 20. Jahrhunderts. Er studierte Philosophie in Paris an der École Normale Supérieure und arbeitete als Lehrer. Seit 1981 hatte Bourdieu einen Lehrstuhl am Collège de France. Im Jahre 1993 wurde er mit der "Médaille d'or du Centre National de la Recherche Scientifique" (CNRS) ausgezeichnet. Pierre Bourdieus soziologische Forschungen, zumeist im Alltagsleben verwurzelt, waren vorwiegend empirisch orientiert. Er war bekannt als politisch interessierter und aktiver Intellektueller, der sich gegen die herrschende Elite und den Neoliberalismus wandte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2001

Denn sie tun nicht, was sie wissen
Pierre Bourdieu meditiert über die Soziologie an der Hand Pascals / Von Ferdinand Zehentreiter

Pascals christlicher Einspruch gegen die Gleichsetzung der menschlichen Seele mit dem Vermögen der Vernunft ist auf eine paradoxe Weise modern. Seine scharfsinnige Wendung des Rationalismus gegen diesen selbst, sein skeptischer Beweis, daß alle systemphilosophischen Begriffs-Anstrengungen sowohl an der unendlichen Komplexität des Universums als auch an der Unauslotbarkeit des menschlichen Innenlebens zerschellen müssen, oder auch sein Beweis der Unmöglichkeit eines selbsttragenden, widerspruchsfreien Systems - all dies besitzt wissenschaftstheoretisch hohe Aktualität.

Daß sich gerade ein Soziologe Pascal zum Gewährsmann erwählt, obwohl dieser mit seiner Vernunftkritik letztlich die Notwendigkeit des religiösen Glaubens beweisen wollte, ohne den der Mensch zur Verzweiflung verdammt sein müsse, ist daher nur auf den ersten Blick befremdlich. Pierre Bourdieu würdigt in seinem neuesten Buch Pascal denn auch nicht als Anwalt der christlichen Botschaft, sondern als wahlverwandten Kritiker eines philosophischen Begründungsimperialismus. So kann Bourdieu sich etwa begeistern an Pascals Blick auf all jene Seiten des Subjekts, die nicht aufgehen in bewußter Reflexion und Planung, an seinem Gespür für die Äußerungen des gesunden Menschenverstandes noch in seinen unscheinbarsten Facetten, schließlich an seiner Unterscheidung zwischen "logischen Implikationen" und "praktischen Folgen" - kurzum, erhebt er ihn zum Habitustheoretiker avant la lettre.

Mehr noch scheint Bourdieu auch den Faden von Pascals Wendung der Philosophie gegen sich selbst aufzunehmen, wenn er eine soziologische Epistemologie in Aussicht stellt, die es aufnimmt mit "typischen Irrtümern" und Halbheiten philosophischen Denkens. Diese sieht er begründet in einer egozentrischen Verallgemeinerung reiner, erfahrungsloser Reflexion zum Ausgangsmodell von Symbolbildung. Etwas Determiniertes würde dadurch zum freischwebend Determinierenden. Die eigentlich fundierende Ebene, der "modus operandi" einer schöpferischen Praxis, käme dadurch nicht in den Blick. Aufgrund der konkreten sozialen Verankerung jeder Praxis ergibt sich so die kritische Forderung einer erfahrungswissenschaftlichen Transformation der Philosophie durch die Soziologie.

Diese Forderung erscheint in ihren zugespitztesten Formulierungen bisweilen wie ein soziologisches Parallelstück zur Philosophiekritik Jean Piagets, vor allem zu dessen Buch "Weisheit und Illusion der Philosophie" von 1965. Wie Piaget vor ihm, scheint nun auch Bourdieu die eingefahrene wissenschaftstheoretische "Alternative von logisch und empirisch" umstürzen zu wollen, das "Logische" aus der Enge der Reflexionstätigkeit in die Objektivität der historisch-sozialen Prozesse holen zu wollen. So spricht er von der "historischen Vernunft", aus der heraus die Genese der "scholastischen Felder", vor allem der Wissenschaften, im Sinne eines "rationalistischen Historizismus" erklärt werden müsse. Dem entspricht eine starke Distanzierung von der herrschenden sozial- und kulturwissenschaftlichen Theorielandschaft. Deren Begrenzungen markiert er immer wieder in aufzulösenden Dichotomien, wie der von "Subjektivismus" und "empiristischem Objektivismus" oder von "logizistischem Absolutismus" und "historizistischem Relativismus".

Nun ist man allerdings verblüfft, wie wenig sich von diesen avancierten theoretischen Perspektiven in der kategorialen Landschaft des Buches entfaltet findet - wodurch es in eine ungeheure Spannung gerät. Während Piagets Kritik am "suprawissenschaftlichen Anspruch" (Piaget) der Philosophie deren Begründungsprobleme mit aufnimmt, also im Gegenzug die Erfahrungswissenschaften zur konkreten Philosophie macht, möchte Bourdieu diesen zweiten Schritt nicht vollziehen. Seine "Logik der Praxis", mit der die Philosophie auf die Beine gestellt werden soll, beginnt dadurch zu oszillieren. Was sich anläßt wie eine neue Fundierung philosophischer Erkenntnisansprüche, ja, wie eine "praxeologische" Neubestimmung geistiger Operationen, reduziert sich immer wieder auf bloße Sozialgeschichte in kritischer Absicht. Dort regiert bisweilen eine enge Arbeitsamtsperspektive, werden die Voraussetzungen philosophischen Denkens gleichgesetzt mit der gesellschaftlichen Position des Philosophenberufes.

Analog ergeht es allen anderen Tätigkeiten, die den "Zwängen der Alltagspraxis" enthoben sind. Wie die Philosophie seien "Wissenschaft, Kunst und Ethik" vor allem gekennzeichnet durch die eingeschliffene Ignoranz gegenüber der fundierenden Praxis. Legitimiert würde dies mit Traditionen eines ausgrenzenden "scholastischen Wissens" - sinnfällig etwa in den geistigen Ghettos von Amerikas Eliteuniversitäten. Die fällige Frage nach der Praxis-Bedeutung und inneren Praxis-Logik dieser mußevoll entlasteten Tätigkeiten verschwindet hinter dem Panorama einer Privilegienwirtschaft in welthistorischem Ausmaß. Kultur ist so nicht mehr zu unterscheiden von repressiver Bildungsnorm und verknöchertem Akademismus. Die soziologische Epistemologie verschwindet hinter einer entlarvenden Soziologie von Eliteberufen - auf dem Fundament einer Theorie der symbolischen Gewalt.

So dreht sich die Sache immer wieder um 180 Grad. Denn der aufregende rebellische Ausgangsimpuls des Buches, sein Plädoyer für die schöpferische Autonomie von Praxis, findet in dem unfrohen Weltbild dieser Soziologie eigentlich keinen Halt. Gesellschaft stellt sich hier dar wie eine riesige Subsumtionsmaschinerie, die sich den Akteuren bis in die Körperlichkeit, die Libido und die Grundlagen des Denkens hinein einstanzt. Dort gibt es disparate Felder mit Normen der Ausgrenzung, der Konkurrenz und der Anpassung. Repressive Verteilungsschlüssel steuern die Chancen, existenznotwendige Anerkennung zu finden und vorhandene Ressourcen in "symbolische Macht" umzumünzen.

Bourdieu mißt der "symbolischen" Verwertung von "ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital" fundamentale Bedeutung bei. Das liest sich größtenteils wie eine Neuauflage funktionalistischer Konflikttheorien, man könnte sagen: wie eine Mischung aus Parsons und Foucault mit marxistischen Ingredienzien. Wo hier eine autonome, innovative Praxis oder eine substantielle, sachhaltige Kultur ihren Ort haben soll, ist nicht zu sehen. So bleibt etwa ein soziologischer Begriff des Individuums ein blinder Fleck. Bourdieu bietet hier nur das Konzept der sozialen "Kollektivierung" einer ausschließlich "biologisch" und raumzeitlich bestimmten "Einzigartigkeit" des Aktors. Und so erschöpft sich dessen soziale Mobilität in einer Folge verschiedener, feldspezifischer "Anpassungsleistungen" - biographische Offenheit ohne autonome Mitte.

Auf all dem liegt der Schatten des Relativismus. Wem die Trennung von Theorie und Praxis von Grund auf verdächtig erscheint, da sie nur einem nach Symbolmacht drängendem "Kognitivismus" diene, muß sich fragen lassen nach den Geltungsgründen seiner eigenen methodischen Urteile. Bourdieu begegnet dem nur mit Ausweichmanövern, etwa mit dem Verweis auf positivistische Erkenntnisinstrumente wie Beobachtung und Statistik, die dem Problem der historisch gebundenen Interpretation ihrer Gegenstände nicht so offen ausgesetzt sind. Gerade dadurch finden seine "Meditationen" sogar zum Glauben zurück, zwar nicht an eine transzendente Macht, aber an die begründungslose Ausnahmestellung seines Faches.

Pierre Bourdieu: "Meditationen". Zur Kritik der scholastischen Vernunft. Aus dem Französischen von Achim Russer. Unter Mitwirkung von Helene Albagnac und Bernd Schwibs. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 334 S., geb., 64,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Ferdinand Zehentreiter hat Pierre Bourdieus Rekurs auf Pascal wenig überrascht. Die Vernunftkritik des christlichen Philosophen liest Bourdieu nämlich nicht als religiösen Mahnruf, sondern als Kritik an dem Absolutsetzen der menschlichen Vernunft. So inspiriert von Pascal wagt sich auch Bourdieu auf das Feld der "Meditationen", vermag dabei aber seinen Kritiker Zehentreiter nicht zu überzeugen. Bourdieus Subjekt-Philosophie bleibe schale Theorie und hebe sich nicht von der vom Autor so kritisierten "erfahrungslosen Reflexion" ab. Der Soziologe bleibt, kritisiert Zehentreitner, bei Bourdieus Reflexionen außen vor, seine scharfe Kritik an den zeitgenössischen sozial- und kulturwissenschaftlichen Theorien könne nicht überzeugen, weil Bourdieu ihnen außer Verrissen nichts entgegen zu stellen habe. Der Autor verweigere den Schritt zu konkreter und substantieller Philosophie.

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