In den »Meditationes de prima philosophia« (1642) geht es Descartes um eine neue Grundlegung der Metaphysik. Dieser Neuanfang in der Philosophie, den Descartes wie wohl kaum ein anderer propagiert und durchführt, hat jedoch einen konservativen Zug: Gerade Descartes besteht darauf, dass seine Philosophie die älteste ist, die es überhaupt geben kann, und diese Aussage hat nur Sinn, wenn Metaphysik als Rekonstruktion der ursprünglichen Fragen verstanden wird, die anfänglich das philosophische und insbesondere metaphysische Geschäft ins Rollen gebracht hatten.Mit Descartes beginnt deshalb nicht etwa nur jenes systematische Philosophieren, dem es um die Beantwortung der Fragen selbst geht, sondern auch ein Philosophieren, das die Behandlung der Fragen selbst in der Auseinandersetzung und mit dem Material jener Positionen vollzieht, die es zu überwinden versucht.Die zentrale Innovation der »Meditationes« liegt also weder in der bloß scheinbaren Unabhängigkeit von aller vorherigen Metaphysik, noch in einer neuen Terminologie, sondern in einer völligen Neuordnung des vorhandenen Materials. Descartes agiert souverän in der Terminologie des Aristoteles und der scholastischen Metaphysik, greift nicht weniger souverän die Themen dieser Tradition auf und fügt sie zu einem völlig neuen Gebäude zusammen. Das Neue an Descartes' Metaphysik ist, dass er 'mit' der hergebrachten Metaphysik agiert, nicht 'in' ihr.Die Neuübersetzung folgt diesem Duktus der Argumentation, indem sie größten Wert legt auf die Einhaltung einer einheitlichen Terminologie. Hinzu kommt die konzentrierte und pointierte Einführung des Herausgebers zur Entstehung und Intention des Werks, die den Leser ohne Umschweife dahin führt, von wo aus er den »Meditationen« von Anfang an hellsichtig folgen kann: in medias res.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2009Vom vielgescholtenen Vater der modernen Philosophie
Die "Meditationen" des René Descartes in einer neuen Übersetzung mit allen Einwänden und Erwiderungen
Vor einem Jahr erschien in der "Philosophischen Bibliothek" des Felix Meiner Verlags eine neue Übersetzung der "Meditationen über die Erste Philosophie" und damit des Textes, den die Wirkungsgeschichte zum philosophischen Hauptwerk von René Descartes (1598 bis 1650) befördert hat. Nun folgte auch die erweiterte Fassung samt den in der Erstausgabe von 1641 mitabgedruckten Begleittexten, nämlich den Einwänden gegen die Meditationen, die Thomas Hobbes und einige andere Zeitgenossen formuliert hatten, sowie Descartes' Repliken darauf.
Eine Arbeit, mit der man wissenschaftliches Neuland zu betreten oder zu erschließen glaubt, derart "eingebettet" zu publizieren, das verrät ein stabiles Selbstbewusstsein, woran es Descartes ersichtlich nicht fehlte. Kaum minder erstaunlich ist jedoch, dass die eingeladenen Kritiker sich auf dieses neue Format einließen. Denn eine Gelegenheit zur Duplik hatten sie nicht. Mit Recht macht der Herausgeber und Übersetzer Christian Wohlers in seiner Einleitung auf diese besonderen Umstände aufmerksam.
Da die Meditationen, solange Descartes lebte, nie anders als eingerahmt von diesem - buchstäblich so zu nennenden - Kontext gedruckt wurden, haben Generationen von Lesern, die allein den Wortlaut der "eigentlichen" Meditationen studiert haben, das vermeintliche Hauptwerk nur in einer verstümmelten Version kennengelernt. Umso wichtiger war, dass die "Philosophische Bibliothek" seit 1915 das vollständige Werk in der Übersetzung von Artur Buchenau bereithielt.
Diese Übersetzung krankte jedoch an einigen systematischen Schwächen. Irritierend war insbesondere Buchenaus zeitbedingte Vorliebe für das Wort "Bewußtsein", mit dem er bis zur Sturheit konsequent wiedergab, was in Descartes' Latein "cogitatio" hieß und in seinem Französisch "pensée". Ohne den Kunstgriff wäre das Wort "Bewußtsein" in den Cartesischen Texten bemerkenswert selten vorgekommen - zu selten, so scheint es, für einen Autor, mit dem doch die "Bewusstseinsphilosophie" und so die philosophische Moderne begonnen haben sollten. Aus Descartes' Definition des Denkens wurde durch die Kunst des Übersetzers freilich die nichtssagende Auskunft: "Unter dem Namen ,Bewußtsein' (cogitatio, pensée) befasse ich alles das, was so in uns ist, dass wir uns seiner unmittelbar bewußt werden." Nur Leser, denen die lexikalische Bedeutung der in Klammern nachgereichten Originalvokabeln vertraut war, konnten ohne weiteres schließen, dass der tautologische Leerlauf nicht Descartes anzulasten war.
Christian Wohlers' Neuübersetzung der kompletten "Meditationen" hat die Mängel der Buchenauschen Übersetzung erfolgreich behoben, und es hatte seinen guten Sinn, bei dieser Gelegenheit auch die "eigentlichen" "Meditationen" neu zu übersetzen, damit am Ende ein Ganzes wie aus einem Guss dasteht.
Nicht alles, was Wohlers in seiner Einleitung zu unentbehrlichen Merkmalen einer jeden (auch künftigen) Metaphysik erklärt, wird den Beifall aller Fachleute finden. Das muss kein Nachteil sein. Lebendig bleiben die klassischen Texte nur, solange sie Stoff zu Diskussionen bieten, und sei es über die Interpretationshilfen ihrer Herausgeber. Wohlers verheißt den heutigen Lesern, die Meditationen könnten, da sie in "bewusster Absetzung vom akademischen Betrieb" verfasst seien, "von jedermann gelesen und ... verstanden werden". In Descartes' eigenem "Vorwort an den Leser" von 1641 klingt es ein bisschen anders, wenn er von dem mit den Meditationen beschrittenen "Weg" ausdrücklich sagt, er habe diesen nicht "in einer auf Französisch geschriebenen und allen Leuten allgemein zugänglichen Schrift eingehender behandeln" wollen, "denn schwächere Geister sollen nicht glauben, auch sie könnten ihn einschlagen".
Sechs Jahre später erschienen die ganzen Meditationen (ohne dieses Vorwort) in einer französischen Fassung. Verflüchtigt hatten die "schwächeren Geister" sich da wohl noch nicht, aber sie waren nicht mehr erwähnenswert, weil zwar nicht jedermann, aber unter den gelehrten Adressaten ein hinreichend großer Teil die Meditationen gelesen und verstanden hatte.
HANS-PETER SCHÜTT
René Descartes: "Meditationes de prima philosophia". Lat.-dt. Übersetzt und herausgegeben von Christian Wohlers. Felix Meiner Verlag, Hamburg 2008. 217 S., br., 16,90 [Euro].
René Descartes: "Meditationen". Mit sämtlichen Einwänden und Erwiderungen. Übersetzt und herausgegeben von Christian Wohlers. Felix Meiner Verlag. Hamburg 2009. 588 S., geb., 68,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die "Meditationen" des René Descartes in einer neuen Übersetzung mit allen Einwänden und Erwiderungen
Vor einem Jahr erschien in der "Philosophischen Bibliothek" des Felix Meiner Verlags eine neue Übersetzung der "Meditationen über die Erste Philosophie" und damit des Textes, den die Wirkungsgeschichte zum philosophischen Hauptwerk von René Descartes (1598 bis 1650) befördert hat. Nun folgte auch die erweiterte Fassung samt den in der Erstausgabe von 1641 mitabgedruckten Begleittexten, nämlich den Einwänden gegen die Meditationen, die Thomas Hobbes und einige andere Zeitgenossen formuliert hatten, sowie Descartes' Repliken darauf.
Eine Arbeit, mit der man wissenschaftliches Neuland zu betreten oder zu erschließen glaubt, derart "eingebettet" zu publizieren, das verrät ein stabiles Selbstbewusstsein, woran es Descartes ersichtlich nicht fehlte. Kaum minder erstaunlich ist jedoch, dass die eingeladenen Kritiker sich auf dieses neue Format einließen. Denn eine Gelegenheit zur Duplik hatten sie nicht. Mit Recht macht der Herausgeber und Übersetzer Christian Wohlers in seiner Einleitung auf diese besonderen Umstände aufmerksam.
Da die Meditationen, solange Descartes lebte, nie anders als eingerahmt von diesem - buchstäblich so zu nennenden - Kontext gedruckt wurden, haben Generationen von Lesern, die allein den Wortlaut der "eigentlichen" Meditationen studiert haben, das vermeintliche Hauptwerk nur in einer verstümmelten Version kennengelernt. Umso wichtiger war, dass die "Philosophische Bibliothek" seit 1915 das vollständige Werk in der Übersetzung von Artur Buchenau bereithielt.
Diese Übersetzung krankte jedoch an einigen systematischen Schwächen. Irritierend war insbesondere Buchenaus zeitbedingte Vorliebe für das Wort "Bewußtsein", mit dem er bis zur Sturheit konsequent wiedergab, was in Descartes' Latein "cogitatio" hieß und in seinem Französisch "pensée". Ohne den Kunstgriff wäre das Wort "Bewußtsein" in den Cartesischen Texten bemerkenswert selten vorgekommen - zu selten, so scheint es, für einen Autor, mit dem doch die "Bewusstseinsphilosophie" und so die philosophische Moderne begonnen haben sollten. Aus Descartes' Definition des Denkens wurde durch die Kunst des Übersetzers freilich die nichtssagende Auskunft: "Unter dem Namen ,Bewußtsein' (cogitatio, pensée) befasse ich alles das, was so in uns ist, dass wir uns seiner unmittelbar bewußt werden." Nur Leser, denen die lexikalische Bedeutung der in Klammern nachgereichten Originalvokabeln vertraut war, konnten ohne weiteres schließen, dass der tautologische Leerlauf nicht Descartes anzulasten war.
Christian Wohlers' Neuübersetzung der kompletten "Meditationen" hat die Mängel der Buchenauschen Übersetzung erfolgreich behoben, und es hatte seinen guten Sinn, bei dieser Gelegenheit auch die "eigentlichen" "Meditationen" neu zu übersetzen, damit am Ende ein Ganzes wie aus einem Guss dasteht.
Nicht alles, was Wohlers in seiner Einleitung zu unentbehrlichen Merkmalen einer jeden (auch künftigen) Metaphysik erklärt, wird den Beifall aller Fachleute finden. Das muss kein Nachteil sein. Lebendig bleiben die klassischen Texte nur, solange sie Stoff zu Diskussionen bieten, und sei es über die Interpretationshilfen ihrer Herausgeber. Wohlers verheißt den heutigen Lesern, die Meditationen könnten, da sie in "bewusster Absetzung vom akademischen Betrieb" verfasst seien, "von jedermann gelesen und ... verstanden werden". In Descartes' eigenem "Vorwort an den Leser" von 1641 klingt es ein bisschen anders, wenn er von dem mit den Meditationen beschrittenen "Weg" ausdrücklich sagt, er habe diesen nicht "in einer auf Französisch geschriebenen und allen Leuten allgemein zugänglichen Schrift eingehender behandeln" wollen, "denn schwächere Geister sollen nicht glauben, auch sie könnten ihn einschlagen".
Sechs Jahre später erschienen die ganzen Meditationen (ohne dieses Vorwort) in einer französischen Fassung. Verflüchtigt hatten die "schwächeren Geister" sich da wohl noch nicht, aber sie waren nicht mehr erwähnenswert, weil zwar nicht jedermann, aber unter den gelehrten Adressaten ein hinreichend großer Teil die Meditationen gelesen und verstanden hatte.
HANS-PETER SCHÜTT
René Descartes: "Meditationes de prima philosophia". Lat.-dt. Übersetzt und herausgegeben von Christian Wohlers. Felix Meiner Verlag, Hamburg 2008. 217 S., br., 16,90 [Euro].
René Descartes: "Meditationen". Mit sämtlichen Einwänden und Erwiderungen. Übersetzt und herausgegeben von Christian Wohlers. Felix Meiner Verlag. Hamburg 2009. 588 S., geb., 68,- [Euro].
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»Einen klassischen Text im Original einsehen zu können, ist immer ein Gewinn. Descartes ist ein Klassiker und die 'Meditationes' sind ein klassisches Werk, das auch gern als Prüfungsthema gewählt wird. Gerade deshalb ist die ausführliche und sorgfältige Einleitung des Übersetzers - 50 Seiten! - sehr hilfreich. Von der Qualität der Übersetzung habe ich mich überzeugt. Ich denke, dass diese Ausgabe für Seminare und für Prüfungsvorbereitungen zum Standard wird - wozu auch der moderate Preis beiträgt!« Prof. Dr. Dr. Gerhard Vollmer