Kaum ein anderes Thema der jüngeren deutschen Medizingeschichte ist so häufig behandelt worden wie das der Medizin im Nationalsozialismus. Doch trotz hoch differenzierter Forschungen und einer Fülle von Büchern gibt es keine aktuelle Gesamtdarstellung. Diese Lücke schließt Wolfgang Uwe Eckart. Er stellt die Medizin des NS-Staats in den Kontext ihrer Ideologien, Praktiken und Konsequenzen. An der moralischen Verwerflichkeit der NS-Medizin, ihrer menschenverachtenden und verbrecherischen Umsetzung besteht kein Zweifel. Die auf neuesten Forschungsergebnissen beruhende umfassende Analyse des Medizinhistorikers Wolfgang Uwe Eckart setzt bewusst deutlich vor 1933 ein und reicht über das Jahr 1945 hinaus. Fußend auf biopolitischen und erbbiologischen Ideologien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, geprägt durch die Katastrophe des Ersten Weltkriegs, durch Antisemitismus, Völkische Ideologie und Führergedanken definierte die NS-Medizin Wert und Unwert des Menschen. Sie wurde als Rassen- und Leistungsmedizin willfährig zum Werkzeug des totalen staatlichen Zugriffs auf den menschlichen Körper und entfaltete ihre mörderischen Instrumente Zwangssterilisation und Krankenmord. Als forschende Medizin wollte sie modern und konkurrenzfähig sein, am utopischen Entwurf des völkisch-totalitären Rassenstaates teilhaben. Am Kriegsende war sie kaum in der Lage, die Not der Überlebenden, der Flüchtlinge, der durch Holocaust und Kriegsgefangenschaft Traumatisierten zu lindern und stand schließlich für ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht. Wolfgang Uwe Eckarts Gesamtdarstellung der Medizin in der NS-Diktatur trägt der ungebrochen nachgefragten Thematik Rechnung. Ein Standardwerk - grundlegend und gut verständlich.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wenn der Medizinhistoriker Wolfgang Eckart in seiner Geschichte der Medizin im Nationalsozialismus auch die Zeit davor und danach in den Blick nimmt, erscheint das dem Rezensenten Robert Jütte sinnvoll. Biopolitische Ideen und Handlungsweisen, meint Jütte, gab es schließlich schon vorher, und die Auswirkungen ihrer konsequent gewissenlosen Umsetzung im "Dritten Reich" reichen weit über diese Zeit hinaus. Ausführlich, häufig beruhend auf eigener Forschung, immer aber auf dem Stand der Dinge findet Jütte Eckarts Ausführungen für den Zeitraum nach 1933, die, für ihn erfreulich, auch über die Reichsgrenzen hinaus gehen und nicht nur den Beruf des Arztes in den Blick nehmen, sondern auch Hebammen und Krankenschwestern.
© Perlentaucher Medien GmbH
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