Mit der deutschen Romantik verbinden sich nicht nur Kunst, Geschichte, Theologie und Philosophie, sondern - weitaus weniger beachtet - auch Medizin und Naturwissenschaften. Im Gegensatz zu den empirischen Wissenschaftstendenzen der Frühen Neuzeit und Aufklärung entwickeln Mediziner um 1800 philosophische Konzepte zur Überwindung der Gegensätze von Leib und Seele, Gesundheit und Krankheit, Natur und Kultur. Das metaphysische Naturverständnis dieser Mediziner beeinflusst bis heute die Suche nach Bewahrung und Pflege der Natur und einer 'humanen' Humanmedizin. In einem bislang nicht vorliegenden Umfang dokumentiert und interpretiert der Medizin- und Wissenschaftshistoriker Dietrich von Engelhardt in vier Bänden diese faszinierende Epoche mit ihren Positionen, Personen und Quellen im Horizont der international-interdisziplinären Forschung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.2023Nachts regt sich der versteckte Poet
Dietrich von Engelhardt widmet der medizinischen Seite der deutschen Romantik eine umfassende Darstellung.
Von Rüdiger Görner
Zu den hartnäckigen Vorurteilen gegenüber der Romantik gehört, sie sei vernunftfern und damit gegenaufklärerisch gewesen. Ihr Verhältnis zur Wissenschaft sei zu gefühlsbetont und über Spekulationen nicht hinausgekommen; ihr Beitrag etwa zur Medizin habe weitgehend aus Quacksalberei bestanden, und damit sei sie auf ein vorneuzeitliches Niveau zurückgefallen.
Nichts ist aber verfehlter als diese Einschätzung, denn die Romantik bestimmte sich nun einmal durch eine andere Art Vernunft, die von Empfindungen und Träumen durchsetzt war. Eine solche Vernunft äußerte sich zum Beispiel in der Art, in der sich besonders deutsche Romantiker mit medizinischen Fragen auseinandersetzten. Es gab sie tatsächlich, eine dezidiert romantische Medizin, wobei auch in diesem Fall die Streitfrage im Raum steht, wie lange diese Epoche oder Kulturphase andauerte.
Um 1800, also noch in der Frühromantik, setzte ein Prinzipienstreit in Fragen der medizinischen Therapie ein. Sollte die Weiterentwicklung und der Einsatz verfeinerter Arzneien Vorrang haben vor "natürlichen" Behandlungsformen, wie sie Samuel Hahnemann als Homöopathie praktizierte? War der Magnetismus Franz Anton Mesmers, der vor der Französischen Revolution für Aufsehen von Wien bis Paris gesorgt hatte mit der These, ein alles durchdringendes Fluidum verbinde kosmische mit körperlichen Kräften, wirklich nur Scharlatanerie? Festzustellen ist: Mesmerismus und Homöopathie waren ihrerseits Symptome einer Reaktion gegen das rasche Anwachsen einer rein medikamentösen Behandlung. Übrigens wurde der medizinkritische Arzt Hahnemann zum überzeugten Homöopathen, nachdem er die seinerzeit gängigen Arzneien an sich selbst geprüft und die Ergebnisse in seinem "Apothekerlexikon" (1790-1799) veröffentlicht hatte.
Die Kardinalfrage stellte zu dieser Zeit der einflussreiche, aber nicht minder arzneikritische Arzt Christoph Wilhelm Hufeland: "Wissen wir wohl von der inneren Wirksamkeit der Arzneimittel viel mehr als vom Magnetismus?" Hufeland warf eine Frage auf, die sich auch Annette von Droste-Hülshoff während ihres von Krankheit geprägten Lebens wiederholt gestellt hat. Ihr Verhältnis zur Medizin ist gerade deswegen von besonderem Interesse, weil diese Romantikerin beide Arten der Behandlung, die homöopathische und die medikamentöse, an sich erfahren hatte.
Im heimischen Westfalen begab sich die junge Dichterin in Behandlung eines juristisch ausgebildeten Heilpraktikers und Standeskollegen, Clemens von Bönninghausen. Sie war 1829 seine erste Patientin, und er konnte ihre Depression, Übergewicht aufgrund von Bewegungsmangel und (zunächst eher eingebildete) tuberkulöse "Engbrüstigkeit" zumindest mildern. Seine Behandlungserfolge sprachen sich rasch herum, und Droste kommentierte: "Der Zulauf zu Bönninghausen wächst gewaltig an [. . .] die Apotheken sollen, seit er seine Kuren macht, nur etwas weniges über ein Drittel von dem absetzen, was sie früher an Waren los wurden - und die Ärzte haben eine Menge ihrer einträglichsten Patienten verloren, da Bönninghausen, wie sie spöttisch sagen, ein Doktor für die vornehmen Leute und sonderlich für Damen ist, die sich zugleich gern über Literatur und schöne Kunst unterhalten."
Droste beließ es ihrerseits keineswegs nur bei Unterhaltungen über Literatur; sie schuf diese selbst, und das auch in Form von zwei Glanzstücken epischer Arztdichtungen: das Erzählgedicht "Das Vermächtnis des Arztes" sowie das an Leidensdeutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassende, vor dem "Vermächtnis" entstandene Kurzepos "Des Arztes Tod". Ein Greis, der einmal selbst Arzt war, haucht im Beisein seines Ältesten Illusion und Leben aus, röchelnd, von Todesangst gepeinigt, zuletzt noch ein "belebend Gift" einnehmend. Die junge krankheitsgeprüfte Droste lässt diesen Greis sagen: "Wie furchtbar in dem schwirrenden Gehirn / Der schwindenden Besinnung letzte Kraft / Sich abquält um des Worts Erleichterung, / Wie siedend der Gedanken wirrer Schwarm / Bald, nur in dumpfer Ahnung, Namenloses / Der kämpfenden Erinnerung versagend [. . .]". Denn der Greis findet es nicht, dieses erlösende Wort.
Droste selbst wird sich, als sie sich im Herbst 1846 in körperlich geschwächtem Zustand nach Meersburg aufmacht, in die Hand eines nicht homöopathisch behandelnden "Brunnenarztes" namens Franz Herght begeben, der ihre Schwester Jenny erfolgreich behandelt hatte. Hier nun schluckt sie "zwey Flaschen Medizindreck" herunter, wodurch sich Fieber und "Nachtschweiß" ebenso wie "das allgemeine Nerveuse Unbehagen" legen. Sie befindet sich offenbar in der Obhut eines Analytikers, dessen Befunde sie sich mit ihrer gewohnten Begriffsgenauigkeit zu eigen macht: "Der Docktor hat jetzt nur noch mit einer Engbrüstigkeit, Husten und Schleim-Andrang zu kämpfen, - Er sucht dies mein Hauptübel durchaus nicht in der Lunge, sondern in einer beständigen Schwäche und bey jeder Gelegenheit eintretenden Entzündung der Schleimhäute, wozu dann noch Schwäche des Unterleibs und der Nerven käme." Herght diagnostiziert eine dramatische "Überreizung" der Nerven und nimmt von weiterer medikamentöser Behandlung Abstand, verordnet stattdessen Ruhe.
Drostes Krankheitsdrama mit den diversen Behandlungsmethoden, denen sie sich ausgesetzt sah, spielte sich vor dem Hintergrund eines vor allem in deutschen Landen an Intensität kaum zu überbietenden Streits über den richtigen Weg in der Medizin ab, der sich durch die Hauptphasen der Romantik zieht. Wie bereits Madame de Staël in ihrer Studie "De l'Allemagne" (1810) bemerkte, handelte es sich bei der Beziehung zwischen Naturphilosophie, Naturwissenschaft und Medizin um ein dezidiert deutsches Phänomen in der ansonsten entschieden europäischen Romantik. Das lag in erster Linie an der philosophischen Durchdringung der medizinischen Fragestellungen, die maßgeblich von Kant, Schelling und Hegel geleistet wurde, wobei sich gerade in Schellings Naturphilosophie idealistische und romantische Ansätze trafen.
Hinzu kommen die Schriften der ausgesprochen schreibfreudigen Mediziner in der Zeit zwischen 1795 und 1840, die ihrerseits nicht nur die philosophischen Diskussionen aufnahmen, sondern diese entscheidend befruchteten. Zu nennen ist hierbei auch der Bamberger Medizinaldirektor und Vorsitzender der "TheaterAktiengesellschaft" Adalbert Friedrich Marcus, mit E. T. A. Hoffmann und Schelling befreundet und Verfasser von Arbeiten über das Gelbfieber, Typhus und "Keichhusten" nebst "Über die Natur und Behandlung der häutigen Bräune". In besonderem Maße gilt dieser medizinische Einfluss für Gotthilf Heinrich Schubert und seine zwischen 1808 und 1840 in mehreren Ausgaben und Auflagen vorliegenden "Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft", aber auch für seine "Symbolik des Traumes" (1814), der Beginn einer systematischen Traumdeutung, und der "Geschichte der Seele" (1830). Als nicht minder einflussreich erwiesen sich, um einige Schriften zu nennen, Karl Friedrich Burdachs "Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst" (1800), Carl Gustav Carus' "Von den Anforderungen an eine künftige Bearbeitung der Naturwissenschaften" (1822), Dietrich Georg Kiesers "System der Medicin" (1817/19), Lorenz Okens "Übersicht des Grundrisses des Sistems der Naturfilosofie und der damit entstehenden Theorie der Sinne" (1804), Johann Christian Reils "Von der Lebenskraft" (1796), Johann Wilhelm Ritters "Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers" (1810), die Schriften zur Universität und der Stellung der Naturwissenschaften von Heinrich Steffens sowie Ignaz Troxlers "Elemente der Biosophie" (1808).
Keine Darstellung hat bislang das ganze Spektrum dieser Medizindiskurse so umfassend dokumentiert und analysiert wie das vor Kurzem erschienene vierbändige Werk über die Medizin der Romantik und des Idealismus von Dietrich von Engelhardt ("Medizin in Romantik und Idealismus". Gesundheit und Krankheit in Leib und Seele, Natur und Kultur. Frommann-Holzboog Verlag, Stuttgart 2023. 4 Bände, 1964 S., geb., 542,- Euro). Die Hauptthese dieses wohl genauesten Kenners des Gegenstands lautet: "Wie der Mensch sich zur Natur verhält, verhält er sich auch zu sich selbst; Naturverantwortung ist zugleich Selbstverantwortung." Und genau diese Verhältnisbestimmung beginnt sich in der Romantik abzuzeichnen und reicht bis in identitätsphilosophische Erwägungen, ob bei Fichte oder Schelling, ist noch wichtiger bei Carus, Ritter und Steffen und nicht minder wirkungsvoll bei Reil und seiner Grundlegung therapeutischer Praktiken, die alle Sinne und künstlerischen Ausdrucksformen, vor allem die Musik, für Therapiezwecke nutzte - ein Verfahren, das bereits der Aufklärer Moses Mendelssohn erwogen hatte.
Bezeichnend für dieses romantische Verständnis ist, dass der Begründer der Musiktherapie für Geisteserkrankte, Johann Adam Walther, für sein Verfahren "naturphilosophisch-psychologisch" argumentiert: "[. . .] durch sie bildet sich das Unendliche dem Endlichen ein". Engelhardt befindet: "Von der romantischen Medizin um 1800 wird der Akzent auf die subjektive Krankengeschichte gelegt, die aber immer zugleich als Individualisierung einer objektiven Idee verstanden wird." Dieser Akzent verschiebt sich mit einer stärker naturwissenschaftlich ausgerichteten Medizin, die sich an eher objektiven Krankheitsbildern orientiert, um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts.
Kein naturphilosophisch orientierter Denker, kein medizinischer Praktiker zu Zeiten der Frühromantik, der sich nicht auf Kant berufen hätte. Bei ihm finden sich 1798 grundlegende Überlegungen zum Verhältnis von Medizin und Philosophie, desgleichen zur Stellung der Medizin unter den universitären Fakultäten. Sein Beispiel zeigt, weshalb die Diskurse über Medizin in der Romantik auf einer philosophischen Durchdringung der therapeutischen Praxis bestanden. Und eben deswegen kritisierten die Romantiker - aber auch Schelling und Hegel - die Arbeiten des schottischen Mediziners John Brown, sosehr sie dessen Kategorisierung von Krankheiten (Nosologie) und seine Systematisierung der Medizin anerkannten. In Browns quantifizierender Methode und Rückführung des Lebendigen auf "Erregbarkeit" vermissten sie eine "philosophische Begründung". Nichts zeigt deutlicher den Unterschied zwischen ihrem Zugang zur Medizin und einer aus der schottischen Aufklärung abgeleiteten Pragmatik.
Das betrifft auch die Begrifflichkeit, die unter romantischen Medizintheoretikern gern auf Analogien und Metaphern setzt, etwa wenn Johann Wilhelm Ritter befindet: "Das Gehirn der Pflanze ist die Erde." Oder wenn Franz Anton Mesmer daran verzweifelt, dass er nicht über eine angemessene Sprache verfüge, um zu beschreiben, was sich während seines therapeutischen Verfahrens tatsächlich abspiele. Gotthilf Heinrich Schubert wiederum findet treffliche Analogien, etwa wenn er die im Traum "eingesperrte Psyche" einen "versteckten Poeten" nennt, den man nur zum Sprechen bringen müsse, um das im Traumdunkel Verborgene in lichten Worten lesbar zu machen. Gerade dieses sprachliche Verfahren der romantischen Naturforscher und Mediziner kritisierte zeitverwandt Arthur Schopenhauer als eine unbotmäßige "Jagd nach Analogien".
In der Romantik kommt der Krankheit ein Sein zu. Bei Carl Gustav Carus etwa, der in seinen Betrachtungen zu Goethe dessen "Kunst krank zu sein" als Bestandteil von des Dichters Lebenskunst zu schätzen wusste. Diese Sicht der pathologischen Dinge war nicht allen Romantikern gegeben. In Wilhelm Hauffs Gedicht "Der Kranke" (1820) wirkt nichts stärker als die Sehnsucht, dem kranken Körper zu entkommen, "der Erde Bande" zu sprengen. Adelbert von Chamisso, des Dichtens müde geworden, mutierte zum Botaniker und untersuchte auch Heilpflanzen als Grundlage für natürliche Arzneien.
Romantische Mediziner kannten ihre Vorläufer - und keinen so genau wie Paracelsus. Sie hielten ihn für einen Stifter von Einheit zwischen Natur und Geist, von homöobiotischer Therapie und medikamentöser Behandlung. Man sah ihn als einen Physiologen der Natur, keiner mehr als Michael Benedict Lessing, der 1839 Paracelsus eine viel beachtete Monographie widmete und gewissermaßen die romantische Wiederentdeckung dieses Autors auf den Punkt brachte.
In Novalis' bruchstückhaften Überlegungen zu einem ganzheitlichen Verständnis von Medizin in Diagnostik und Therapie zeigte sich einmal mehr seine Lust am Paradoxen. Oder gab er damit das Signal, dass selbst der holistische Anspruch sich medizinisch nie vollständig erfüllen lasse? Dahinter verbarg sich eine Vorstellung, an der Novalis in seinen Aufzeichnungen zur Medizin in ihrem Wechselverhältnis zu Psychologie und Anthropologie festhielt: "Der Körper soll Seele - die Seele Körper werden." Dass es Novalis dabei ins Metaphysische zog - "Man berührt den Himmel, wenn man einen Menschenleib betastet" -, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, wie wegweisend manche seiner Einsichten in therapeutische Vorgänge geblieben sind. Kunst als Therapeutikum ("Der Poët als transcendentaler Arzt") bedeutete für ihn auch, dass "jeder sein eigener Arzt seyn soll". Das Arzt-Patienten-Verhältnis habe durch die Mit-, wenn nicht Selbstverantwortung des Kranken gestützt zu werden, gelte es doch vorrangig, "sich ein vollständiges, sichres und genaues Gefühl seines Körpers" zu erwerben. Therapie bedeutete nach Novalis eben auch: Arbeit des Patienten an sich selbst.
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Dietrich von Engelhardt widmet der medizinischen Seite der deutschen Romantik eine umfassende Darstellung.
Von Rüdiger Görner
Zu den hartnäckigen Vorurteilen gegenüber der Romantik gehört, sie sei vernunftfern und damit gegenaufklärerisch gewesen. Ihr Verhältnis zur Wissenschaft sei zu gefühlsbetont und über Spekulationen nicht hinausgekommen; ihr Beitrag etwa zur Medizin habe weitgehend aus Quacksalberei bestanden, und damit sei sie auf ein vorneuzeitliches Niveau zurückgefallen.
Nichts ist aber verfehlter als diese Einschätzung, denn die Romantik bestimmte sich nun einmal durch eine andere Art Vernunft, die von Empfindungen und Träumen durchsetzt war. Eine solche Vernunft äußerte sich zum Beispiel in der Art, in der sich besonders deutsche Romantiker mit medizinischen Fragen auseinandersetzten. Es gab sie tatsächlich, eine dezidiert romantische Medizin, wobei auch in diesem Fall die Streitfrage im Raum steht, wie lange diese Epoche oder Kulturphase andauerte.
Um 1800, also noch in der Frühromantik, setzte ein Prinzipienstreit in Fragen der medizinischen Therapie ein. Sollte die Weiterentwicklung und der Einsatz verfeinerter Arzneien Vorrang haben vor "natürlichen" Behandlungsformen, wie sie Samuel Hahnemann als Homöopathie praktizierte? War der Magnetismus Franz Anton Mesmers, der vor der Französischen Revolution für Aufsehen von Wien bis Paris gesorgt hatte mit der These, ein alles durchdringendes Fluidum verbinde kosmische mit körperlichen Kräften, wirklich nur Scharlatanerie? Festzustellen ist: Mesmerismus und Homöopathie waren ihrerseits Symptome einer Reaktion gegen das rasche Anwachsen einer rein medikamentösen Behandlung. Übrigens wurde der medizinkritische Arzt Hahnemann zum überzeugten Homöopathen, nachdem er die seinerzeit gängigen Arzneien an sich selbst geprüft und die Ergebnisse in seinem "Apothekerlexikon" (1790-1799) veröffentlicht hatte.
Die Kardinalfrage stellte zu dieser Zeit der einflussreiche, aber nicht minder arzneikritische Arzt Christoph Wilhelm Hufeland: "Wissen wir wohl von der inneren Wirksamkeit der Arzneimittel viel mehr als vom Magnetismus?" Hufeland warf eine Frage auf, die sich auch Annette von Droste-Hülshoff während ihres von Krankheit geprägten Lebens wiederholt gestellt hat. Ihr Verhältnis zur Medizin ist gerade deswegen von besonderem Interesse, weil diese Romantikerin beide Arten der Behandlung, die homöopathische und die medikamentöse, an sich erfahren hatte.
Im heimischen Westfalen begab sich die junge Dichterin in Behandlung eines juristisch ausgebildeten Heilpraktikers und Standeskollegen, Clemens von Bönninghausen. Sie war 1829 seine erste Patientin, und er konnte ihre Depression, Übergewicht aufgrund von Bewegungsmangel und (zunächst eher eingebildete) tuberkulöse "Engbrüstigkeit" zumindest mildern. Seine Behandlungserfolge sprachen sich rasch herum, und Droste kommentierte: "Der Zulauf zu Bönninghausen wächst gewaltig an [. . .] die Apotheken sollen, seit er seine Kuren macht, nur etwas weniges über ein Drittel von dem absetzen, was sie früher an Waren los wurden - und die Ärzte haben eine Menge ihrer einträglichsten Patienten verloren, da Bönninghausen, wie sie spöttisch sagen, ein Doktor für die vornehmen Leute und sonderlich für Damen ist, die sich zugleich gern über Literatur und schöne Kunst unterhalten."
Droste beließ es ihrerseits keineswegs nur bei Unterhaltungen über Literatur; sie schuf diese selbst, und das auch in Form von zwei Glanzstücken epischer Arztdichtungen: das Erzählgedicht "Das Vermächtnis des Arztes" sowie das an Leidensdeutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassende, vor dem "Vermächtnis" entstandene Kurzepos "Des Arztes Tod". Ein Greis, der einmal selbst Arzt war, haucht im Beisein seines Ältesten Illusion und Leben aus, röchelnd, von Todesangst gepeinigt, zuletzt noch ein "belebend Gift" einnehmend. Die junge krankheitsgeprüfte Droste lässt diesen Greis sagen: "Wie furchtbar in dem schwirrenden Gehirn / Der schwindenden Besinnung letzte Kraft / Sich abquält um des Worts Erleichterung, / Wie siedend der Gedanken wirrer Schwarm / Bald, nur in dumpfer Ahnung, Namenloses / Der kämpfenden Erinnerung versagend [. . .]". Denn der Greis findet es nicht, dieses erlösende Wort.
Droste selbst wird sich, als sie sich im Herbst 1846 in körperlich geschwächtem Zustand nach Meersburg aufmacht, in die Hand eines nicht homöopathisch behandelnden "Brunnenarztes" namens Franz Herght begeben, der ihre Schwester Jenny erfolgreich behandelt hatte. Hier nun schluckt sie "zwey Flaschen Medizindreck" herunter, wodurch sich Fieber und "Nachtschweiß" ebenso wie "das allgemeine Nerveuse Unbehagen" legen. Sie befindet sich offenbar in der Obhut eines Analytikers, dessen Befunde sie sich mit ihrer gewohnten Begriffsgenauigkeit zu eigen macht: "Der Docktor hat jetzt nur noch mit einer Engbrüstigkeit, Husten und Schleim-Andrang zu kämpfen, - Er sucht dies mein Hauptübel durchaus nicht in der Lunge, sondern in einer beständigen Schwäche und bey jeder Gelegenheit eintretenden Entzündung der Schleimhäute, wozu dann noch Schwäche des Unterleibs und der Nerven käme." Herght diagnostiziert eine dramatische "Überreizung" der Nerven und nimmt von weiterer medikamentöser Behandlung Abstand, verordnet stattdessen Ruhe.
Drostes Krankheitsdrama mit den diversen Behandlungsmethoden, denen sie sich ausgesetzt sah, spielte sich vor dem Hintergrund eines vor allem in deutschen Landen an Intensität kaum zu überbietenden Streits über den richtigen Weg in der Medizin ab, der sich durch die Hauptphasen der Romantik zieht. Wie bereits Madame de Staël in ihrer Studie "De l'Allemagne" (1810) bemerkte, handelte es sich bei der Beziehung zwischen Naturphilosophie, Naturwissenschaft und Medizin um ein dezidiert deutsches Phänomen in der ansonsten entschieden europäischen Romantik. Das lag in erster Linie an der philosophischen Durchdringung der medizinischen Fragestellungen, die maßgeblich von Kant, Schelling und Hegel geleistet wurde, wobei sich gerade in Schellings Naturphilosophie idealistische und romantische Ansätze trafen.
Hinzu kommen die Schriften der ausgesprochen schreibfreudigen Mediziner in der Zeit zwischen 1795 und 1840, die ihrerseits nicht nur die philosophischen Diskussionen aufnahmen, sondern diese entscheidend befruchteten. Zu nennen ist hierbei auch der Bamberger Medizinaldirektor und Vorsitzender der "TheaterAktiengesellschaft" Adalbert Friedrich Marcus, mit E. T. A. Hoffmann und Schelling befreundet und Verfasser von Arbeiten über das Gelbfieber, Typhus und "Keichhusten" nebst "Über die Natur und Behandlung der häutigen Bräune". In besonderem Maße gilt dieser medizinische Einfluss für Gotthilf Heinrich Schubert und seine zwischen 1808 und 1840 in mehreren Ausgaben und Auflagen vorliegenden "Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft", aber auch für seine "Symbolik des Traumes" (1814), der Beginn einer systematischen Traumdeutung, und der "Geschichte der Seele" (1830). Als nicht minder einflussreich erwiesen sich, um einige Schriften zu nennen, Karl Friedrich Burdachs "Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst" (1800), Carl Gustav Carus' "Von den Anforderungen an eine künftige Bearbeitung der Naturwissenschaften" (1822), Dietrich Georg Kiesers "System der Medicin" (1817/19), Lorenz Okens "Übersicht des Grundrisses des Sistems der Naturfilosofie und der damit entstehenden Theorie der Sinne" (1804), Johann Christian Reils "Von der Lebenskraft" (1796), Johann Wilhelm Ritters "Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers" (1810), die Schriften zur Universität und der Stellung der Naturwissenschaften von Heinrich Steffens sowie Ignaz Troxlers "Elemente der Biosophie" (1808).
Keine Darstellung hat bislang das ganze Spektrum dieser Medizindiskurse so umfassend dokumentiert und analysiert wie das vor Kurzem erschienene vierbändige Werk über die Medizin der Romantik und des Idealismus von Dietrich von Engelhardt ("Medizin in Romantik und Idealismus". Gesundheit und Krankheit in Leib und Seele, Natur und Kultur. Frommann-Holzboog Verlag, Stuttgart 2023. 4 Bände, 1964 S., geb., 542,- Euro). Die Hauptthese dieses wohl genauesten Kenners des Gegenstands lautet: "Wie der Mensch sich zur Natur verhält, verhält er sich auch zu sich selbst; Naturverantwortung ist zugleich Selbstverantwortung." Und genau diese Verhältnisbestimmung beginnt sich in der Romantik abzuzeichnen und reicht bis in identitätsphilosophische Erwägungen, ob bei Fichte oder Schelling, ist noch wichtiger bei Carus, Ritter und Steffen und nicht minder wirkungsvoll bei Reil und seiner Grundlegung therapeutischer Praktiken, die alle Sinne und künstlerischen Ausdrucksformen, vor allem die Musik, für Therapiezwecke nutzte - ein Verfahren, das bereits der Aufklärer Moses Mendelssohn erwogen hatte.
Bezeichnend für dieses romantische Verständnis ist, dass der Begründer der Musiktherapie für Geisteserkrankte, Johann Adam Walther, für sein Verfahren "naturphilosophisch-psychologisch" argumentiert: "[. . .] durch sie bildet sich das Unendliche dem Endlichen ein". Engelhardt befindet: "Von der romantischen Medizin um 1800 wird der Akzent auf die subjektive Krankengeschichte gelegt, die aber immer zugleich als Individualisierung einer objektiven Idee verstanden wird." Dieser Akzent verschiebt sich mit einer stärker naturwissenschaftlich ausgerichteten Medizin, die sich an eher objektiven Krankheitsbildern orientiert, um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts.
Kein naturphilosophisch orientierter Denker, kein medizinischer Praktiker zu Zeiten der Frühromantik, der sich nicht auf Kant berufen hätte. Bei ihm finden sich 1798 grundlegende Überlegungen zum Verhältnis von Medizin und Philosophie, desgleichen zur Stellung der Medizin unter den universitären Fakultäten. Sein Beispiel zeigt, weshalb die Diskurse über Medizin in der Romantik auf einer philosophischen Durchdringung der therapeutischen Praxis bestanden. Und eben deswegen kritisierten die Romantiker - aber auch Schelling und Hegel - die Arbeiten des schottischen Mediziners John Brown, sosehr sie dessen Kategorisierung von Krankheiten (Nosologie) und seine Systematisierung der Medizin anerkannten. In Browns quantifizierender Methode und Rückführung des Lebendigen auf "Erregbarkeit" vermissten sie eine "philosophische Begründung". Nichts zeigt deutlicher den Unterschied zwischen ihrem Zugang zur Medizin und einer aus der schottischen Aufklärung abgeleiteten Pragmatik.
Das betrifft auch die Begrifflichkeit, die unter romantischen Medizintheoretikern gern auf Analogien und Metaphern setzt, etwa wenn Johann Wilhelm Ritter befindet: "Das Gehirn der Pflanze ist die Erde." Oder wenn Franz Anton Mesmer daran verzweifelt, dass er nicht über eine angemessene Sprache verfüge, um zu beschreiben, was sich während seines therapeutischen Verfahrens tatsächlich abspiele. Gotthilf Heinrich Schubert wiederum findet treffliche Analogien, etwa wenn er die im Traum "eingesperrte Psyche" einen "versteckten Poeten" nennt, den man nur zum Sprechen bringen müsse, um das im Traumdunkel Verborgene in lichten Worten lesbar zu machen. Gerade dieses sprachliche Verfahren der romantischen Naturforscher und Mediziner kritisierte zeitverwandt Arthur Schopenhauer als eine unbotmäßige "Jagd nach Analogien".
In der Romantik kommt der Krankheit ein Sein zu. Bei Carl Gustav Carus etwa, der in seinen Betrachtungen zu Goethe dessen "Kunst krank zu sein" als Bestandteil von des Dichters Lebenskunst zu schätzen wusste. Diese Sicht der pathologischen Dinge war nicht allen Romantikern gegeben. In Wilhelm Hauffs Gedicht "Der Kranke" (1820) wirkt nichts stärker als die Sehnsucht, dem kranken Körper zu entkommen, "der Erde Bande" zu sprengen. Adelbert von Chamisso, des Dichtens müde geworden, mutierte zum Botaniker und untersuchte auch Heilpflanzen als Grundlage für natürliche Arzneien.
Romantische Mediziner kannten ihre Vorläufer - und keinen so genau wie Paracelsus. Sie hielten ihn für einen Stifter von Einheit zwischen Natur und Geist, von homöobiotischer Therapie und medikamentöser Behandlung. Man sah ihn als einen Physiologen der Natur, keiner mehr als Michael Benedict Lessing, der 1839 Paracelsus eine viel beachtete Monographie widmete und gewissermaßen die romantische Wiederentdeckung dieses Autors auf den Punkt brachte.
In Novalis' bruchstückhaften Überlegungen zu einem ganzheitlichen Verständnis von Medizin in Diagnostik und Therapie zeigte sich einmal mehr seine Lust am Paradoxen. Oder gab er damit das Signal, dass selbst der holistische Anspruch sich medizinisch nie vollständig erfüllen lasse? Dahinter verbarg sich eine Vorstellung, an der Novalis in seinen Aufzeichnungen zur Medizin in ihrem Wechselverhältnis zu Psychologie und Anthropologie festhielt: "Der Körper soll Seele - die Seele Körper werden." Dass es Novalis dabei ins Metaphysische zog - "Man berührt den Himmel, wenn man einen Menschenleib betastet" -, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, wie wegweisend manche seiner Einsichten in therapeutische Vorgänge geblieben sind. Kunst als Therapeutikum ("Der Poët als transcendentaler Arzt") bedeutete für ihn auch, dass "jeder sein eigener Arzt seyn soll". Das Arzt-Patienten-Verhältnis habe durch die Mit-, wenn nicht Selbstverantwortung des Kranken gestützt zu werden, gelte es doch vorrangig, "sich ein vollständiges, sichres und genaues Gefühl seines Körpers" zu erwerben. Therapie bedeutete nach Novalis eben auch: Arbeit des Patienten an sich selbst.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main