Ein entlegenes Ferienhaus im französischen Périgord: Dort will der erfolgreiche Journalist Viktor Callner mit seiner Familie Urlaub machen. Doch es liegt eine unerklärliche Beunruhigung über ihm und seiner Frau. Dann taucht ein Fremder auf und mit ihm eine lange verschwiegene Vergangenheit ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2003Gespenster in der Frischebox
Suggestiv: Stefan Beuses neuer Roman mischt Kafka und Kintopp
Die wirkmächtige Kraft innerer Bilder fasziniert den Schriftsteller Stefan Beuse. Schon in seinem Debüt-Roman "Kometen" entwickelte das experimentelle Spiel mit der Vorstellungskraft innerhalb einer auf den ersten Blick unzusammenhängenden Figurenkonstellation unheilvolle Dynamik. Im Nachfolger "Die Nacht der Könige" wurde der Werbefachmann Jakob Winter auf rätselhafte Weise von den Erfahrungen einer unliebsamen Vergangenheit eingeholt. Und nun, im neuen Buch Meeresstille lauert das Grauen abermals in verdrängten Erinnerungen, die ihre Sprengkraft in der Abgeschiedenheit einer provinziellen Idylle entfalten.
Die deutsche Familie Callner fährt über die Sommerferien in ein einsames, französisches Landhaus. Die Adresse hat der Vater, ein ebenso erfolgreicher wie eitler Zeitungsfeuilletonist, von seinem Chef zeitgleich mit der Nachricht zu seiner Beförderung erhalten. Er empfindet den Urlaub als eine "Art Belohnung", wie er seiner Familie stolz beim Hinflug erklärt, "damit wir alle noch einmal richtig durchatmen können". Seine Tochter Frances, eine angehende Schriftstellerin, spürt allerdings bald, daß irgend etwas mit dem Reisedomizil nicht stimmt. Nicht genug, daß das Ferienhaus so versteckt an einem Berghang hinter Büschen liegt, daß man es von der Straße aus mit bloßem Auge nicht erkennen kann. Hinter dem Swimmingpool ragt auch ein geheimnisvoller "Taubenturm" auf, dessen Betreten die Hausordnung verbietet. Eine Badetuch wird wie von Geisterhand verrückt. Eine Boulé-Kugel verschwindet. Und spätestens, als gleich nach der Ankunft kein Wasser aus dem Hahn läuft und plötzlich ein Fremder in der Tür steht, der den Schaden ungefragt behebt, ist man als Leser alarmiert.
Schließlich sieht dieser Mann mit seinen "tiefblauen Augen" aus "wie ein Schauspieler, der an der Seite von Grace Kelly, Greta Garbo und Ingrid Bergman hätte spielen können", wie Frances meint. Ein paar Seiten vorher hatte die Tochter festgestellt, daß der Gesichtsausdruck ihrer Mutter an ebendiese Schauspielerinnen erinnert. Welcher Art ist die rätselhafte Beziehung zwischen Mutter Callner und dem unheimlichen Hausmeister?.
Zweifellos versteht es Beuse, kriminalistische Spannung zu erzeugen. Sein Fall aber driftet schnell ab in parapsychologische Sphären. Regelmäßig schiebt Beuse dazu die Monologe eines namenlosen Ich-Erzählers ein, die seine multiperspektivisch geschilderte Familienhandlung unterbrechen und von traumatischen Kindheitserfahrungen erzählen. Die übersinnlich veranlagte Frances wird zur Mittlerin zwischen den beiden Erzählebenen. Ihr schickt der Autor so mancherlei bedeutungsschwangere Ahnung durch den Kopf. Beim Anblick der Küche etwa denkt die junge Frau, daß es Orte gebe, "die Zeit speichern können". Ein anderes Mal überlegt sie: "Wovor man Angst hat, das geschieht bereits."
Beuse zeigt sich in diesem Buch stark von der New-Age-Lehre der Suggestion beeinflußt. Gedanken sind hier die wahren "Täter". Von daher ist es wohl auch kein Zufall, daß der seltsame Eindringling sich als "Frank Samser" zu erkennen gibt, was zumindest lautmalerisch auf Kafkas Georg Samsa anspielt, der seine eigenen Wünsche bekanntlich so lange zugunsten seiner Eltern vernachlässigte, bis er darüber zu einem Käfer wurde. Wie in der "Verwandlung" lauert auch hier der Dämon in einem unterdrückten Unterbewußtsein, für das die struppige Villa ein Sinnbild liefert, das man vor allem aus dem Kino kennt.
Besonders subtil aber waltet das Grauen bei Beuse nicht. Die Geschichte wird mehr und mehr zu einer Aneinanderreihung von Versatzstücken bekannter Kinothriller. Vater Viktor wird vom seltsamen Samser in der Dusche überrascht wie das Opfer in "Psycho". Die Liebe eines Fans zu seinem Idol endet hier wahnhaft wie in "Misery". Und zum Schluß weiß man ähnlich wie in Ozons "Swimming Pool" nicht recht, ob sich die schriftstellernde Frances die ganze Handlung vielleicht einfach nur ausgedacht hat. Nicht nur Mutter Callner kommt einem beunruhigend leblos wie die Kopie einer Schauspieldiva vor. Auch Vater Viktor redet "wie der Protagonist einer Vorabendserie", wie Frances meint, und knufft seiner Tochter mit einer Geste in die Seite, "die er bestimmt aus amerikanischen Filmen hatte".
Hinzu kommen Dialoge, die mitunter klingen wie Standardsätze aus dem Drehbuch-Workshop. Frances begründet ihre Flugangst beim Abflug da zum Beispiel damit, daß der Mensch nicht zum Fliegen gemacht ist: "Wäre er zum Fliegen gemacht, hätte er Flügel." Mag sein, daß Beuse die Holzschnittartigkeit seines Personals durchaus beabsichtigt hat. Womöglich wollte er eine Familie, die in Klischeerollen gefangen ist, als die eigentlichen Gespenster präsentieren. Ein interessanter Gedanke, der jedoch wie viele Andeutungen in diesem Roman im esoterischen Geraune untergeht.
Während das Geheimnis der Callners da einerseits viel zu schnell und vollständig ausgeplaudert wird, überfrachtet Beuse die Handlung andererseits mit Motiven, die ins Grundsätzliche zielen und unerklärt in der Schwebe bleiben: Die Frage nach der Möglichkeit eines authentischen Lebens wird ebenso wie die Diskussion um Genialität in der Kunst kurz angerissen, dann geht es wieder um eine verquere Vater-Sohn-Beziehung und das Verhältnis von Schuld und Sühne. Alles wird nur angeklickt. Das sind einfach ein bißchen zu viele Themen für einen zwar handwerklich gekonnt erzählten, aber stark zu Stereotypen neigenden Psychothriller.
GISA FUNCK
Stefan Beuse: "Meeresstille". Roman. Piper Verlag, München 2003. 185 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Suggestiv: Stefan Beuses neuer Roman mischt Kafka und Kintopp
Die wirkmächtige Kraft innerer Bilder fasziniert den Schriftsteller Stefan Beuse. Schon in seinem Debüt-Roman "Kometen" entwickelte das experimentelle Spiel mit der Vorstellungskraft innerhalb einer auf den ersten Blick unzusammenhängenden Figurenkonstellation unheilvolle Dynamik. Im Nachfolger "Die Nacht der Könige" wurde der Werbefachmann Jakob Winter auf rätselhafte Weise von den Erfahrungen einer unliebsamen Vergangenheit eingeholt. Und nun, im neuen Buch Meeresstille lauert das Grauen abermals in verdrängten Erinnerungen, die ihre Sprengkraft in der Abgeschiedenheit einer provinziellen Idylle entfalten.
Die deutsche Familie Callner fährt über die Sommerferien in ein einsames, französisches Landhaus. Die Adresse hat der Vater, ein ebenso erfolgreicher wie eitler Zeitungsfeuilletonist, von seinem Chef zeitgleich mit der Nachricht zu seiner Beförderung erhalten. Er empfindet den Urlaub als eine "Art Belohnung", wie er seiner Familie stolz beim Hinflug erklärt, "damit wir alle noch einmal richtig durchatmen können". Seine Tochter Frances, eine angehende Schriftstellerin, spürt allerdings bald, daß irgend etwas mit dem Reisedomizil nicht stimmt. Nicht genug, daß das Ferienhaus so versteckt an einem Berghang hinter Büschen liegt, daß man es von der Straße aus mit bloßem Auge nicht erkennen kann. Hinter dem Swimmingpool ragt auch ein geheimnisvoller "Taubenturm" auf, dessen Betreten die Hausordnung verbietet. Eine Badetuch wird wie von Geisterhand verrückt. Eine Boulé-Kugel verschwindet. Und spätestens, als gleich nach der Ankunft kein Wasser aus dem Hahn läuft und plötzlich ein Fremder in der Tür steht, der den Schaden ungefragt behebt, ist man als Leser alarmiert.
Schließlich sieht dieser Mann mit seinen "tiefblauen Augen" aus "wie ein Schauspieler, der an der Seite von Grace Kelly, Greta Garbo und Ingrid Bergman hätte spielen können", wie Frances meint. Ein paar Seiten vorher hatte die Tochter festgestellt, daß der Gesichtsausdruck ihrer Mutter an ebendiese Schauspielerinnen erinnert. Welcher Art ist die rätselhafte Beziehung zwischen Mutter Callner und dem unheimlichen Hausmeister?.
Zweifellos versteht es Beuse, kriminalistische Spannung zu erzeugen. Sein Fall aber driftet schnell ab in parapsychologische Sphären. Regelmäßig schiebt Beuse dazu die Monologe eines namenlosen Ich-Erzählers ein, die seine multiperspektivisch geschilderte Familienhandlung unterbrechen und von traumatischen Kindheitserfahrungen erzählen. Die übersinnlich veranlagte Frances wird zur Mittlerin zwischen den beiden Erzählebenen. Ihr schickt der Autor so mancherlei bedeutungsschwangere Ahnung durch den Kopf. Beim Anblick der Küche etwa denkt die junge Frau, daß es Orte gebe, "die Zeit speichern können". Ein anderes Mal überlegt sie: "Wovor man Angst hat, das geschieht bereits."
Beuse zeigt sich in diesem Buch stark von der New-Age-Lehre der Suggestion beeinflußt. Gedanken sind hier die wahren "Täter". Von daher ist es wohl auch kein Zufall, daß der seltsame Eindringling sich als "Frank Samser" zu erkennen gibt, was zumindest lautmalerisch auf Kafkas Georg Samsa anspielt, der seine eigenen Wünsche bekanntlich so lange zugunsten seiner Eltern vernachlässigte, bis er darüber zu einem Käfer wurde. Wie in der "Verwandlung" lauert auch hier der Dämon in einem unterdrückten Unterbewußtsein, für das die struppige Villa ein Sinnbild liefert, das man vor allem aus dem Kino kennt.
Besonders subtil aber waltet das Grauen bei Beuse nicht. Die Geschichte wird mehr und mehr zu einer Aneinanderreihung von Versatzstücken bekannter Kinothriller. Vater Viktor wird vom seltsamen Samser in der Dusche überrascht wie das Opfer in "Psycho". Die Liebe eines Fans zu seinem Idol endet hier wahnhaft wie in "Misery". Und zum Schluß weiß man ähnlich wie in Ozons "Swimming Pool" nicht recht, ob sich die schriftstellernde Frances die ganze Handlung vielleicht einfach nur ausgedacht hat. Nicht nur Mutter Callner kommt einem beunruhigend leblos wie die Kopie einer Schauspieldiva vor. Auch Vater Viktor redet "wie der Protagonist einer Vorabendserie", wie Frances meint, und knufft seiner Tochter mit einer Geste in die Seite, "die er bestimmt aus amerikanischen Filmen hatte".
Hinzu kommen Dialoge, die mitunter klingen wie Standardsätze aus dem Drehbuch-Workshop. Frances begründet ihre Flugangst beim Abflug da zum Beispiel damit, daß der Mensch nicht zum Fliegen gemacht ist: "Wäre er zum Fliegen gemacht, hätte er Flügel." Mag sein, daß Beuse die Holzschnittartigkeit seines Personals durchaus beabsichtigt hat. Womöglich wollte er eine Familie, die in Klischeerollen gefangen ist, als die eigentlichen Gespenster präsentieren. Ein interessanter Gedanke, der jedoch wie viele Andeutungen in diesem Roman im esoterischen Geraune untergeht.
Während das Geheimnis der Callners da einerseits viel zu schnell und vollständig ausgeplaudert wird, überfrachtet Beuse die Handlung andererseits mit Motiven, die ins Grundsätzliche zielen und unerklärt in der Schwebe bleiben: Die Frage nach der Möglichkeit eines authentischen Lebens wird ebenso wie die Diskussion um Genialität in der Kunst kurz angerissen, dann geht es wieder um eine verquere Vater-Sohn-Beziehung und das Verhältnis von Schuld und Sühne. Alles wird nur angeklickt. Das sind einfach ein bißchen zu viele Themen für einen zwar handwerklich gekonnt erzählten, aber stark zu Stereotypen neigenden Psychothriller.
GISA FUNCK
Stefan Beuse: "Meeresstille". Roman. Piper Verlag, München 2003. 185 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Gisa Funck ist von diesem Psychothriller von Stefan Beuse, in dem sich das Grauen aus der verdrängten Vergangenheit inmitten einer französischen Sommeridylle entfaltet, enttäuscht. In dem Roman, in dem die Familie Callner in ein Landhaus in Frankreich fährt und dort zunehmend durch unheimliche Begebenheiten verunsichert wird, hat sich der Autor von der "New-Age-Lehre" leiten lassen, die in den "Gedanken" die "wahren Täter" erkennt, bemerkt Funck, die außerdem an prominenter Stelle auch eine Kafka-Reminiszenz entdeckt hat. Sie attestiert Beuse durchaus das Talent, "kriminalistische Spannung" entstehen zu lassen, doch stört sie enorm, dass bei ihm die Geschehnisse allzu rasch in "parapsychologische Sphären" abheben. Außerdem gehen der Rezensentin offensichtlich die "bedeutungsschwangeren Ahnungen", die die übersinnlich veranlagte Tochter der Familie beständig äußert, auf die Nerven, und sie kritisiert die auffällige Verwendung von Thrillermotiven aus dem Film als gar zu stereotyp. Nein, "subtil" entfaltet sich das Grauen in diesem Roman nicht, schimpft die Rezensentin, der auch die Figuren und Dialoge sehr "leblos" und hölzern vorkommen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Stefan Beuse weiß sein Personal souverän zu führen. Ihm gelingt es, in wenigen Sätzen Atmosphäre zu schaffen." (Süddeutsche Zeitung)