Schon heute lebt mehr als die Hälfte aller Menschen in Städten, 2015 wird es weltweit 60 Megacitys geben, in denen mehr als 700 Millionen Menschen zu Hause sein werden. Peking, Tokio, Teheran, Sao Paolo, Johannesburg – wie lebt man heute schon in solchen Stadtmaschinen, die auf den ersten Blick nichts gemeinsam haben als ihre schiere Größe? Elf Autoren aus zwölf der größten Städte der Welt beschreiben in diesem Band ihren Heimatort: Sukhdev Sandhu zum Beispiel, skizziert anhand einer einzigen Straße, der Brick Lane, in der er wohnt, ganz London; Maria Golia schreibt eine Ode an den Sand, den Staub und die Zeit, die in Kairo am Ende alles besiegen; und Chris Abani, der aus Nigeria floh, weil er zum Tode verurteilt wurde, und dessen Lagosporträt das Buch eröffnet, schreibt an dessen Ende, nach der Lektürereise durch elf Megacitys, in seinem zweiten Text über seine heutige Heimatstadt Los Angeles.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.04.2008Mitten in der Hölle
Ein Ausflug in Dantes Inferno ist dagegen ein Sonntagsspaziergang: heißer, schmelzender Asphalt, Flüsse von Exkrementen, Attacken gieriger Vögel. Elf ortskundige Autoren skizzieren in Alex Rühles Buch "Megacitys" ihre Heimatstädte. Sie leben in aus allen Nähten platzenden Megacitys, sind Kronzeugen der weltweit fortschreitenden Urbanisierung. Was ihre literarischen Reportagen auszeichnet, ist der Verzicht auf den Anspruch, ein getreues Abbild vom Chaos geben zu wollen, das Namen wie Lagos, Teheran oder Los Angeles trägt. Eine Annäherung daran ist nur punktuell möglich. Diese Städte sind mit menschlichem Auge nicht zu überblicken, weshalb sich die Autoren meist auf die Schilderung subjektiver, aber umso bestechenderer Eindrücke beschränken. Obwohl die Texte aus unterschiedlichen Ecken der Welt kommen, taucht in den meisten die Vorstellung von der Megacity als Hölle auf Erden auf: "São Paulo wirkt, als sei es von einem sadistischen Städteplaner geplant worden, der Lust dabei empfand, elf Millionen Menschen das Leben zur Hölle zu machen", heißt es im Text Daniela Chiarettis. Teheran ist für Amir Hasssan Cheheltan immerhin die "letzte Station vor der Hölle". Allerdings besteht kein Grund, sich an einen lieblicheren Ort zu flüchten: "Die Hölle hat auch ihre Vorteile", versichert der in Mexico City lebende Guillermo Fadanelli. Der moderne Städter lebt mit der Gewissheit, in einer künstlichen Hölle zu schmoren, dafür aber in der berechtigten Hoffnung, vielleicht im nächsten Augenblick ins Paradies zu fallen. (Alex Rühle [Hrsg.]: "Megacitys". Die Zukunft der Städte. Verlag C. H. Beck, München 2008. 159 S., br., 9,95 [Euro].) seng
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Ausflug in Dantes Inferno ist dagegen ein Sonntagsspaziergang: heißer, schmelzender Asphalt, Flüsse von Exkrementen, Attacken gieriger Vögel. Elf ortskundige Autoren skizzieren in Alex Rühles Buch "Megacitys" ihre Heimatstädte. Sie leben in aus allen Nähten platzenden Megacitys, sind Kronzeugen der weltweit fortschreitenden Urbanisierung. Was ihre literarischen Reportagen auszeichnet, ist der Verzicht auf den Anspruch, ein getreues Abbild vom Chaos geben zu wollen, das Namen wie Lagos, Teheran oder Los Angeles trägt. Eine Annäherung daran ist nur punktuell möglich. Diese Städte sind mit menschlichem Auge nicht zu überblicken, weshalb sich die Autoren meist auf die Schilderung subjektiver, aber umso bestechenderer Eindrücke beschränken. Obwohl die Texte aus unterschiedlichen Ecken der Welt kommen, taucht in den meisten die Vorstellung von der Megacity als Hölle auf Erden auf: "São Paulo wirkt, als sei es von einem sadistischen Städteplaner geplant worden, der Lust dabei empfand, elf Millionen Menschen das Leben zur Hölle zu machen", heißt es im Text Daniela Chiarettis. Teheran ist für Amir Hasssan Cheheltan immerhin die "letzte Station vor der Hölle". Allerdings besteht kein Grund, sich an einen lieblicheren Ort zu flüchten: "Die Hölle hat auch ihre Vorteile", versichert der in Mexico City lebende Guillermo Fadanelli. Der moderne Städter lebt mit der Gewissheit, in einer künstlichen Hölle zu schmoren, dafür aber in der berechtigten Hoffnung, vielleicht im nächsten Augenblick ins Paradies zu fallen. (Alex Rühle [Hrsg.]: "Megacitys". Die Zukunft der Städte. Verlag C. H. Beck, München 2008. 159 S., br., 9,95 [Euro].) seng
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.05.2008Kann hier nicht weg
Von SZ-Autoren: Alex Rühle sammelt Porträts der „Megacitys”
Auf die Frage, ob er nicht ein Porträt der Stadt Bombay schreiben wolle, antwortete Kiran Nagarkar mit drei Worten: „Are you nuts?!” Womit er das Problem griffig umrissen hat: Wie soll man über Phänomene schreiben, die so chaotisch vor sich hin wuchern, dass man sich darin lebenslang verlieren, die man aber kaum noch beschreiben kann? Seit 2007 lebt die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, mehr als eine Million Menschen zieht jede Woche in die Stadt. Wie fühlt man sich als Einzelner in einem Moloch wie Mexico City, in der das 5140 Seiten dicke Telefonbuch 130 Seiten mit dem Namen Gonzalez führt? Wie sieht der Alltag unter 35 Millionen Tokiotern aus? Elf Schriftsteller und Publizisten aus den größten Städten der Welt haben in diesem Band, der auf eine Serie im SZ-Feuilleton zurückgeht, aus ihrem jeweiligen Heimatmoloch Hasstiraden und Liebeserklärungen geschickt. ,,Lieben?!” fragte Hassan Cheheltan am Telefon, draußen hörte man den tumultuösen Verkehr Teherans. ,,Sagen wir es so: Es ist schwer, das Kind einer Prostituierten zu sein. Ich hasse sie, aber sie ist meine Mutter. Ich kann hier nicht weg.” SZ
ALEX RÜHLE (Hrsg.): Megacitys. Die Zukunft der Städte. Verlag C. H. Beck, München 2008. 160 Seiten, 9,95 Euro.
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Von SZ-Autoren: Alex Rühle sammelt Porträts der „Megacitys”
Auf die Frage, ob er nicht ein Porträt der Stadt Bombay schreiben wolle, antwortete Kiran Nagarkar mit drei Worten: „Are you nuts?!” Womit er das Problem griffig umrissen hat: Wie soll man über Phänomene schreiben, die so chaotisch vor sich hin wuchern, dass man sich darin lebenslang verlieren, die man aber kaum noch beschreiben kann? Seit 2007 lebt die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, mehr als eine Million Menschen zieht jede Woche in die Stadt. Wie fühlt man sich als Einzelner in einem Moloch wie Mexico City, in der das 5140 Seiten dicke Telefonbuch 130 Seiten mit dem Namen Gonzalez führt? Wie sieht der Alltag unter 35 Millionen Tokiotern aus? Elf Schriftsteller und Publizisten aus den größten Städten der Welt haben in diesem Band, der auf eine Serie im SZ-Feuilleton zurückgeht, aus ihrem jeweiligen Heimatmoloch Hasstiraden und Liebeserklärungen geschickt. ,,Lieben?!” fragte Hassan Cheheltan am Telefon, draußen hörte man den tumultuösen Verkehr Teherans. ,,Sagen wir es so: Es ist schwer, das Kind einer Prostituierten zu sein. Ich hasse sie, aber sie ist meine Mutter. Ich kann hier nicht weg.” SZ
ALEX RÜHLE (Hrsg.): Megacitys. Die Zukunft der Städte. Verlag C. H. Beck, München 2008. 160 Seiten, 9,95 Euro.
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