Im April 1999 erschien in der Türkei Mehmets Buch. Es enthält 42 Protokolle türkischer Wehrpflichtiger ("Mehmets"), die ihren Militärdienst in der Südosttürkei ableisteten und in dem seit 16 fahren andauernden Kampf gegen die PKK eingesetzt wurden. Die jungen Veteranen sprechen im Schütze der Anonymität mit bestürzender Offenheit über ihre persönlichen Erfahrungen vor, während und nach ihrem Einsatz in diesem "Low-intensity war", wie dieser bewaffnete Konflikt im Militärjargon heißt. Sie erzählen von der Brutalität ihrer Mitstreiter, von den grausamen Methoden der Sonderkommandos, von den Misshandlungen der kurdischen Zivilbevölkerung, von den Schwierigkeiten, mit ihren Traumata umzugehen, und davon, wie der Krieg aus ihnen andere Menschen gemacht hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.2001Schonungslos
TÜRKEI. Das Buch der Istanbuler Journalistin avancierte innerhalb weniger Wochen zu einem Bestseller. Es wurde verboten, die Autorin vor ein Gericht gestellt, aber schließlich von dem Vorwurf freigesprochen, die Armee beleidigt zu haben. Die ursprüngliche Reaktion des türkischen Staates ist verständlich, da Mater am Image der wichtigsten Institution kratzt. In 41 Interviews läßt sie junge türkische Wehrpflichtige (mehmets) aus unterschiedlichen sozialen Schichten und aus verschiedenen Landesteilen zu Wort kommen, die zwischen 1994 und 1998 ihren Militärdienst ableisten mußten, vornehmlich im Frontgebiet gegen die PKK. Sie schildern eine andere Armee, als sie in den offizielle Berichten vorkommt. Sie berichten über regelmäßige und willkürliche Prügel seitens ihrer Vorgesetzten. Selbst der Kontakt zu ihren Verwandten wurde ihnen manchmal verwehrt. Die Angst, in einen Hinterhalt der kurdischen Guerrilla zu geraten oder auf eine Mine zu treten, ist ständig vorhanden. Dies schlägt sich umgekehrt in Folter gegenüber Gefangenen beziehungsweise im Mißtrauen gegenüber der Bevölkerung nieder. Der Übergang in das Zivilleben gelingt den Wehrpflichtigen nicht immer. Interessant sind auch die Äußerungen von Soldaten kurdischer oder griechischer Abstammung über die Schwierigkeit, sich in diese Armee einzugliedern. Für die Türkei war dies eine wichtige Veröffentlichung, da Mater ein schonungsloses Bild des Krieges gegen die PKK aus der Sicht der betroffenen Wehrpflichtigen liefert. Dem deutschen Leser bietet die reine Übersetzung wenig, zumal ein Teil des Hintergrundwissens, auf dem die Schilderungen aufbauen, nicht präsent ist - das zehnseitige Glossar ist hier eher eine Zumutung als eine Hilfe. Vor allem fehlen eine Einführung in das Thema und eine Einbettung in die Geschichte der Türkei: So stellt die Verfolgung der kurdischen Minderheit eine Fortsetzung der Nationalisierungspolitik unter der Herrschaft des Sultans gegen Ende des vorigen Jahrhunderts dar; sie fand ihren ersten Höhepunkt im Ersten Weltkrieg mit der Vernichtung der christlichen Armenier - an ihr beteiligten sich auch Kurden. Abgesehen davon macht das Buch deutlich: Solange der von den Interviewten geschilderte Umgang mit den Rekruten gang und gäbe ist und keine Kritiker dazu Stellung beziehen - das Buch könnte hier ein kleiner Ansatz sein -, ist das Land weit davon entfernt, ein demokratischer Staat zu sein. (Nadire Mater: Mehmets Buch. Türkische Soldaten berichten über ihren Kampf gegen kurdische Guerrillas. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 437 Seiten, 29,90 Mark.)
FRANZ-JOSEF KOS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
TÜRKEI. Das Buch der Istanbuler Journalistin avancierte innerhalb weniger Wochen zu einem Bestseller. Es wurde verboten, die Autorin vor ein Gericht gestellt, aber schließlich von dem Vorwurf freigesprochen, die Armee beleidigt zu haben. Die ursprüngliche Reaktion des türkischen Staates ist verständlich, da Mater am Image der wichtigsten Institution kratzt. In 41 Interviews läßt sie junge türkische Wehrpflichtige (mehmets) aus unterschiedlichen sozialen Schichten und aus verschiedenen Landesteilen zu Wort kommen, die zwischen 1994 und 1998 ihren Militärdienst ableisten mußten, vornehmlich im Frontgebiet gegen die PKK. Sie schildern eine andere Armee, als sie in den offizielle Berichten vorkommt. Sie berichten über regelmäßige und willkürliche Prügel seitens ihrer Vorgesetzten. Selbst der Kontakt zu ihren Verwandten wurde ihnen manchmal verwehrt. Die Angst, in einen Hinterhalt der kurdischen Guerrilla zu geraten oder auf eine Mine zu treten, ist ständig vorhanden. Dies schlägt sich umgekehrt in Folter gegenüber Gefangenen beziehungsweise im Mißtrauen gegenüber der Bevölkerung nieder. Der Übergang in das Zivilleben gelingt den Wehrpflichtigen nicht immer. Interessant sind auch die Äußerungen von Soldaten kurdischer oder griechischer Abstammung über die Schwierigkeit, sich in diese Armee einzugliedern. Für die Türkei war dies eine wichtige Veröffentlichung, da Mater ein schonungsloses Bild des Krieges gegen die PKK aus der Sicht der betroffenen Wehrpflichtigen liefert. Dem deutschen Leser bietet die reine Übersetzung wenig, zumal ein Teil des Hintergrundwissens, auf dem die Schilderungen aufbauen, nicht präsent ist - das zehnseitige Glossar ist hier eher eine Zumutung als eine Hilfe. Vor allem fehlen eine Einführung in das Thema und eine Einbettung in die Geschichte der Türkei: So stellt die Verfolgung der kurdischen Minderheit eine Fortsetzung der Nationalisierungspolitik unter der Herrschaft des Sultans gegen Ende des vorigen Jahrhunderts dar; sie fand ihren ersten Höhepunkt im Ersten Weltkrieg mit der Vernichtung der christlichen Armenier - an ihr beteiligten sich auch Kurden. Abgesehen davon macht das Buch deutlich: Solange der von den Interviewten geschilderte Umgang mit den Rekruten gang und gäbe ist und keine Kritiker dazu Stellung beziehen - das Buch könnte hier ein kleiner Ansatz sein -, ist das Land weit davon entfernt, ein demokratischer Staat zu sein. (Nadire Mater: Mehmets Buch. Türkische Soldaten berichten über ihren Kampf gegen kurdische Guerrillas. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 437 Seiten, 29,90 Mark.)
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eine in der Türkei ausgesprochen wichtige Veröffentlichung ist dieser Interviewband von Nadire Mater in den Augen des Rezensenten Franz-Josef Ros. Das Buch enthält Interviews, die die Autorin mit türkischen Wehrpflichtige geführt hat, die ihren Dienst "im Frontgebiet gegen die PKK" ableisteten und die von erschütternden Zuständen in der Institution berichten, so Ros. Dabei widersprechen die Interviewten dem offiziellen Image der Armee ganz deutlich und werfen einen kritischen Blick auf das Demokratieverständnis der türkischen Armee und damit auch des Staates. Dem deutschen Leser bringt das Buch nach Meinung des Rezensenten jedoch recht wenig, da ihm viel an Hintergrundwissen fehlt, das für das Verständnis der Aussagen aber Voraussetzung ist. Eine Hilfestellung für den Leser versuche ein zehnseitiges Glossar zu geben, aber diesen Anhang nennt Ros "eher eine Zumutung als eine Hilfe". Er vermisst eine Einführung in das Thema und eine Darstellung des historischen Hintergrunds.
© Perlentaucher Medien GmbH
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