Die Inflation erreicht Gut Mohlenberg....
Ich bekenne es von vornherein: ich bin ein großer Fan von Melanie Metzenthin, mich hat bisher keines ihrer Bücher enttäuscht! Natürlich habe ich meine „Lieblinge“ („Hafenschwester 3“ und „Im Lautlosen“) aber auch die vorliegende Mohlenberg-Reihe gefällt
mir ausgesprochen gut.
„Mehr als die Finsternis“ ist nach „Mehr als die Erinnerung“ der 2. Band der…mehrDie Inflation erreicht Gut Mohlenberg....
Ich bekenne es von vornherein: ich bin ein großer Fan von Melanie Metzenthin, mich hat bisher keines ihrer Bücher enttäuscht! Natürlich habe ich meine „Lieblinge“ („Hafenschwester 3“ und „Im Lautlosen“) aber auch die vorliegende Mohlenberg-Reihe gefällt mir ausgesprochen gut.
„Mehr als die Finsternis“ ist nach „Mehr als die Erinnerung“ der 2. Band der Reihe, es sind weitere Fortsetzungen „in Arbeit“ - aber man kann sie auch gut getrennt voneinander lesen. Gut Mohlenberg ist eine kleine private Einrichtung für psychisch kranke Menschen in der Lüneburger Heide. Es ist das Jahr 1923, die Hyperinflation treibt auf ihren Höhepunkt zu. Obwohl sich das Gut zum größten Teil selbst versorgen kann, spüren Friederike von Aaalen, ihr Vater und die anderen Mitarbeiter den Verfall des Geldes („Allein ein Pfund Butter schlug mit fünfzigtausend Mark zu Buche, doppelt so viel wie noch vor einer Woche.“ S. 8/9). Dr. Meinhard (Friederikes Vater) hat sich als Psychoanalytiker auf die „Behandlung junger Damen aus besseren Kreisen spezialisiert, denen fernab von ihrem Wohnort geholfen werden sollte, um Gerede zu vermeiden.“ (S. 9) – und dafür sind die Familien nur zu gern bereit, Geld zu zahlen...
Als Friederike vom Polizeiarzt Dr. Schröder gebeten wird, sich um eine traumatisierte, junge Schwangere zu kümmern, muss sie (berechtigterweise) erst die Kostenübernahme klären, Dr. Schröder sagt zu, dass sich die Staatskasse darum kümmern würde, da sie eine wichtige Zeugin in einem ungeklärten Todesfall sei. Die zweite Patientin ist die 17-jährige Luise aus Hannover, sie reist mit ihrer Gouvernante, Fräulein Wermut, an...
Da sich die weitere Handlung als eine gelungene Mischung zwischen einem Sittengemälde der damaligen Zeit mit kriminalistischen Aspekten / Einschüben entwickelt, werde ich hier nichts über den weiteren Verlauf verraten!
Man merkt, dass die Autorin Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ist, psychiatrische Begriffe werden locker im Text verwendet und uns Leser*innen quasi „nebenbei“ erklärt. Aber viel interessanter und faszinierender ist für mich immer, wie bildhaft die Autorin die Zeit, die Umgebung, die handelnden Menschen, die politischen Verhältnisse usw. beschreibt, gewissermaßen „zeichnet“, deshalb trifft das oben genutzte Wort vom „Gemälde“ eigentlich perfekt, man fühlt sich schnell als Teil davon.
Die Protagonisten sind sehr sympathisch, hier in diesem Buch entpuppte sich allerdings Fräulein Wermut als eine ganz große Überraschung, anfangs empfand ich sie sehr mit Vorurteilen belastet, sie entwickelte sich aber schnell zu einer bemerkens- und liebenswerten Person, über die ich gern noch mehr erfahren würde.
Zum Nachdenken hat mich ein Dialog zwischen Friederike und Fräulein Wermut gebracht: „...Das hat aber nichts mit Verachtung zu tun. Eher mit Mitleid.“ „Ist Mitleid nicht die kleine Schwester von Verachtung?“ fragt Friederike und führt weiter aus: „Man hat Mitleid mit Menschen oder Tieren, die unter einem stehen. Gleichrangigen zeigt man Mitgefühl.“ (S. 137) Ich hatte bisher noch nicht über diesen Unterschied nachgedacht, aber die Definition der Worte „Mitleid“ und „Mitgefühl“ fand ich nachvollziehbar und habe dadurch auch meine eigene Einstellung geändert.
Zusammenfassend: es war mal wieder ein schönes Leseerlebnis, auf das Gut Mohlenberg zu reisen, für das ich gern eine Leseempfehlung ausspreche – und ich freue mich auf sehr auf die weiteren Bände!