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Die Hauptakteure des Kunstsystems - Sammler, Kunsthistoriker und Künstler - haben eines gemein: Sie alle sind hyperimage -Bildner. In Ausstellungen, illustrierten Kunstbüchern und im Unterricht werden Bilder oder ihre fotografischen Reproduktionen als kalkulierte Ensembles mit eigener Bedeutung arrangiert. Für deren Untersuchung ist die Kunstgeschichte bislang kaum gerüstet. Felix Thürlemann entwirft eine Theorie dieser besonderen Form des pluralen Bildgebrauchs, die charakteristisch ist für den Umgang der westlichen Kultur mit dem Bild. Jede Zusammenstellung von Bildwerken zu einem größeren…mehr

Produktbeschreibung
Die Hauptakteure des Kunstsystems - Sammler, Kunsthistoriker und Künstler - haben eines gemein: Sie alle sind hyperimage -Bildner. In Ausstellungen, illustrierten Kunstbüchern und im Unterricht werden Bilder oder ihre fotografischen Reproduktionen als kalkulierte Ensembles mit eigener Bedeutung arrangiert. Für deren Untersuchung ist die Kunstgeschichte bislang kaum gerüstet. Felix Thürlemann entwirft eine Theorie dieser besonderen Form des pluralen Bildgebrauchs, die charakteristisch ist für den Umgang der westlichen Kultur mit dem Bild. Jede Zusammenstellung von Bildwerken zu einem größeren Ganzen kommt - dies ist die Hauptthese des Buches - einer Deutung und ästhetischen Wertung der beteiligten Werke gleich. Da die hyperimages nicht auf Dauer gestellt sind, erweist sich ihr Studium als wichtige, bislang vernachlässigte Quelle für die wechselnden historischen Konzepte von 'Kunst'.
Autorenporträt
Felix Thürlemann ist seit 1987 Professor für Kunstwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Konstanz.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dass kein Bild jemals für sich allein steht, erfährt Anne Kohlick bei der Lektüre von Felix Thürlemanns alternativer Kunstgeschichte. Wenn der Autor sein Konzept des hyperimage, also die von Künstlern, Sammlern und Kunsthistorikern etwa für Ausstellungen kreierten Bildzusammenstellungen, durch die Geschichte der Kunst seit dem 17. Jahrhundert bis heute zu erläutern sucht, geht Kohlick ein Licht auf. Nicht nur erkennt sie dank Thürlemanns müheloser wie ansprechender Führung die neue Einheit in der Addition autonomer Bilder. Auch über das Kunst- und Werkverständnis von Künstlern und Kunsthistorikern wie Picasso, Wolfgang Tillmans, Aby Warburg und Andre Malraux gibt ihr der Band Aufschluss.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.04.2014

Dem Gespräch der Bilder zuhören

Auf die Komposition kommt es an, ob mit Gemälden im Museum oder mit Postkarten an der Atelierwand: Felix Thürlemann plädiert für eine Kunstgeschichte des "hyperimage".

Sie thront über allem wie eine Königin - Picassos "Femme assise dans un fauteuil". Der Maler Pierre Bonnard hat die Reproduktion des Gemäldes von 1941 an die Wand seines Ateliers gepinnt. Unterhalb des Porträts mit den deformierten Gesichtszügen sind weitere Bilder aufgereiht: Postkarten mit antiken Statuen, mit Gemälden von Gauguin und Monet, die Ölskizze eines weiblichen Akts von Renoir mit persönlicher Widmung an ihn, Bonnard, und ein gezeichneter Entwurf für ein Stillleben. Als der junge Fotograf Henri Cartier-Bresson Bonnard 1944 in seinem Atelierhaus bei Cannes besucht, fällt ihm die Bilderwand ins Auge. Dank seines Fotos - und einer weiteren Aufnahme, die Brassaï zwei Jahre später macht - ist das Arrangement aus Originalen und Reproduktionen, das Bonnard täglich beim Malen vor Augen hatte, überliefert.

Der Kunsthistoriker Felix Thürlemann nutzt Bonnards Assemblage in seinem Buch geschickt als Beispiel. Er analysiert, was die Kombination von Bildern über den Nabis-Maler aussagt: Einerseits diene sie Bonnard dazu, "sein eigenes Werk in der Welt und im Universum der Kunst zu verorten" - in einer Traditionslinie mit den französischen Impressionisten. Andererseits verdeutliche die Bilderwand das ambivalente Verhältnis des Malers zu Picasso, über den Bonnard einmal sagte: "Dieser Mann hat nicht die gleichen Augen wie der Rest der Welt." Die "Frau im Fauteuil" wirke im Kontext der anderen Bilder "fremd und gleichzeitig dominant".

Thürlemann klassifiziert Bonnards Bildarrangement als hyperimage. Darunter versteht er eine Zusammenstellung von Bildobjekten zu einer neuen übergreifenden Einheit. Nach dieser Definition sind zum Beispiel Hängungen in Ausstellungen oder Zusammenstellungen von Bildern in Büchern hyperimages; aber auch Powerpoint-Präsentationen oder Bilderwände wie in Bonnards Atelier fallen unter den Begriff. Charakteristisch ist für Thürlemann dabei eine nicht permanente Verbindung der einzelnen Objekte, dass die jeweiligen Bilder - ob nun als Originale oder Reproduktionen - also für neue Arrangements offenbleiben.

Die Wortschöpfung hyperimage lässt mit ihrer Nähe zu Hypertext an Links und digitale Welten denken. Doch diese bleiben in Thürlemanns Analysen außen vor. Der Autor begründet seinen Verzicht mit der schier unüberschaubaren Präsenz von Kunst im Internet und der Interaktivität, die ein neues Verhältnis zu den Bildern hervorgebracht habe. Sein Begriff des hyperimage passe dazu nicht. Trotz dieser Reduktion bleibt der Bogen, den Thürlemann spannt, beachtlich: Vom 17. Jahrhundert reicht er bis in die Gegenwart. Exemplarisch werden Bilderzusammenstellungen aus drei Kategorien untersucht - kreiert von Sammlern, Kunsthistorikern oder Künstlern.

Den Ausgangspunkt von Thürlemanns Überlegungen bildet allerdings keine reale Kunstsammlung, sondern eine fiktive. Sie findet sich auf dem Gemälde "Der Triumph der Malerei", geschaffen um 1620 von Frans Francken dem Jüngeren. Die Tafel zeigt eine Wand, an der Bilder hängen, und eine vorgelagerte Tischplatte, auf der sich Wunderkammerobjekte wie Muscheln und Porzellangefäße befinden. Während die Gegenstände in der unteren Bildhälfte keine Ordnung erkennen lassen, sind die Gemälde an der Wand systematisch gehängt: Zwei Werke, die einander kompositorisch und inhaltlich entsprechen, flankieren ein zentrales Bild.

Das einem Triptychon ähnelnde Schema ist das Grundprinzip der Pendanthängung, die sich im Laufe des 17. Jahrhunderts als Ordnungsprinzip für Kunstsammlungen durchsetzt. Thürlemann verfolgt die Entwicklung dieses Systems anhand zweier weiterer Beispiele bis ins 19. Jahrhundert. In seinen Erörterungen belegt er geschickt seine Eingangsthese. Die lautet: Hyperimages sind keine bloße Addition autonomer Bilder, sondern Bedeutungsträger eigener Geltung, die als solche auch analysiert werden können.

Wer das tut, gewinnt Erkenntnisse - zum Beispiel darüber, dass mit der Neuhängung der Abschlusswand der Grande Galerie des Louvre 1802 eine Neubewertung Raffaels einherging. Das von Thürlemann untersuchte hyperimage führt vor Augen, dass Raffael dem verantwortlichen Museumsdirektor Vivant Denon als "vorzüglichster aller Maler" galt - zuvor hatte Guido Reni diese Position eingenommen.

Auch über die Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin und Aby Warburg oder den Kunstschriftsteller André Malraux verraten die von ihnen zusammengestellten Abbildungen Interessantes: einschließlich Warburgs harschem Urteil über die "barbarische Stillosigkeit" der Bildpraxis von Illustrierten. Ebenso aufschlussreich sind Thürlemanns Analysen der von Künstlern entworfenen Bildzusammenstellungen. Neben Bonnards Atelierwand erörtert er Werkassemblagen des jungen Picasso rund um seine dreidimensionale Gitarre aus Karton von 1912 sowie die Hängung für Wolfgang Tillmans' Turner-Prize-Ausstellung, die der Fotograf im Jahr 2000 selbst konzipierte.

Thürleman bewegt sich in seinem ansprechend geschriebenen Buch mühelos durch die Jahrhunderte und demonstriert dabei, was eine Kunstgeschichte des hyperimage leisten kann. Sein Ansatz lässt ein breites Forschungsfeld erkennen, jenseits der Idee des einen Meisterwerks - denn kein Bild steht jemals für sich allein.

ANNE KOHLICK.

Felix Thürlemann: "Mehr als ein Bild".

Für eine Kunstgeschichte des hyperimage.

Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2013. 224 S., Abb., br., 34,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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