Margot Käßmann, Mehr als ja und amen. Glaube gehört mitten ins Leben, Adeo 2013, ISBN 978-3-942208-77-2
Es scheint eine große Erschöpfung in der Welt. Immer mehr einzelne Menschen leiden unter Depressionen oder sind ausgebrannt, aber auch unsere Institutionen, die ehemals vielen Menschen
Orientierung boten, Vorbild waren und Möglichkeiten des Engagements boten, befinden sich in einem Zustand…mehrMargot Käßmann, Mehr als ja und amen. Glaube gehört mitten ins Leben, Adeo 2013, ISBN 978-3-942208-77-2
Es scheint eine große Erschöpfung in der Welt. Immer mehr einzelne Menschen leiden unter Depressionen oder sind ausgebrannt, aber auch unsere Institutionen, die ehemals vielen Menschen Orientierung boten, Vorbild waren und Möglichkeiten des Engagements boten, befinden sich in einem Zustand struktureller und inhaltlicher Erschöpfung und Ratlosigkeit. Das gilt für die Parteien genauso wie für die Gewerkschaften, aber auch die Kirchen können nicht mehr den Impuls zur Veränderung setzen, wie sie das vielleicht noch im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts taten.
Viele Menschen haben das Gefühl, nicht mehr selbst und frei zu leben, sondern sozusagen gelebt zu werden, fremdbestimmt von Zwängen auf ihrer Arbeit, mehr aber noch von Erwartungen anderer Menschen, ihrer Eltern, ihres Partners, ihrer Kinder oder ihrer Freunde. Man lebt so vor sich hin, immer mehr müssen regelrecht kämpfen, dass sie sich wenigstens nicht selbst verloren gehen.
Seit das vorliegende Buch, das hier in einer aktualisierten und erweiterten Neuausgabe vorliegt, 2013 zum ersten Mal erschienen ist, hat sich dieser Befund durch weltpolitische und innenpolitische Veränderungen noch weiter zugespitzt
Mit der Freiheit des Evangeliums, mit protestantischer Freiheit zumal, hat diese resignative Erschöpfung nichts zu tun, sagt Margot Käßmann in ihrem Buch. Sie denkt nach darin über die Freiheit des Glaubens, der sie in die Lage versetzt, über ihre Gewohnheiten hinauszudenken, kritische Fragen zu stellen und nicht mehr alles resignativ-erschöpft als gegeben hinzunehmen. Der Blick in die Bibel zeige ihr, so schreibt sie, dass sie eine Verantwortung habe, das sie selbst und niemand anders gemeint sei von Gott und seinen Verheißungen, dass sie nicht für sich selbst und den Augenblick lebt.
Einen Buchtitel von Dorothee Sölle und Fulbert Steffensky aus dem Jahr 1983 („Nicht nur Ja und Amen. Christen im Widerstand“) aufgreifend, führt sie in zehn Kapiteln in einer sehr verständlichen und einladenden Sprache aus, dass menschliche Existenz, die sich von der Botschaft und der Freiheit der Bibel her versteht, „mehr als ja und amen“ ist und dass es sehr wohl möglich ist, gegen alle Resignation und Perspektivlosigkeit, die Welt zu verbessern.
Ähnlich wie das Jörg Zink in seinem Buch „Das offene Gastmahl“ gezeigt hat, geht es darum, sich selbst als einen Teil einer Gemeinschaft zu sehen, einer Gemeinschaft, zu der jeder Zugang hat, in der die Starken selbstverständlich für die Schwächeren eintreten und diese sich nicht mehr dafür schämen müssen. Immer noch, seit den Ideen desK onzliaren Prozesses vor vierzig Jahren, geht es um die drängenden Fragen von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung und um ein verantwortliches und nachhaltiges Leben, das zukünftigen Generationen ihre Lebensmöglichkeiten lässt.
Jeder, das ist die Botschaft Käßmanns, die sie immer wieder betont, jeder kann dazu etwas beitragen. Jeder kann lernen und üben, nicht mehr immer Ja und Amen zu sagen. Jeder kann das lernen, „selbst denken“, wie das der Sozialphilosoph Harald Welzer vor einigen Jahren in einem gleichnamigen Buch überzeugend gezeigt hat.
Und weil das nicht so leicht ist, gibt sie am Ende des Buches „Zehn Ermutigungen für Weltverbesserer“
„Ihr seid das Licht der Welt“, sagt Jesus zu seinen Jüngern und mutet ihnen zu, das der Welt auch zu zeigen, „damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen“. Um diesen Zusammenhang geht es Margot Käßmann, nicht um bloßes Gutmenschentum, sondern um eine an der biblischen Botschaft orientierte Lebenspraxis, die sich im Alltag und in den kleinen Dingen und Begegnungen zeigt und dann, wie ein Stein, der ins Wasser fällt, weite Kreise zieht.