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Burkhard Van der Waiden, ein deutscher Universitätsdozent, ist mit seiner Familie nach Wien gezogen, um dort die vielleicht letzte Chance zu nutzen, einen Lehrstuhl zu bekommen. Dabei gerät seine familiäre Welt aus dem Lot. Seine Frau, Tochter aus einer Wiener Arztfamilie, setzt alles auf eine späte Karriere in der Scheinwelt des modernen Kunstbetriebs. Seine demenzkranke Mutter verfolgt ihn mit Telefonterror bis hinein in die heiligen Hallen der Wissenschaft. Van der Waidens Tochter, eine drogensüchtige Backgroundsängerin, versucht ihrer Karriere mit plastischer Chirurgie auf die Sprünge zu…mehr

Produktbeschreibung
Burkhard Van der Waiden, ein deutscher Universitätsdozent, ist mit seiner Familie nach Wien gezogen, um dort die vielleicht letzte Chance zu nutzen, einen Lehrstuhl zu bekommen. Dabei gerät seine familiäre Welt aus dem Lot. Seine Frau, Tochter aus einer Wiener Arztfamilie, setzt alles auf eine späte Karriere in der Scheinwelt des modernen Kunstbetriebs. Seine demenzkranke Mutter verfolgt ihn mit Telefonterror bis hinein in die heiligen Hallen der Wissenschaft. Van der Waidens Tochter, eine drogensüchtige Backgroundsängerin, versucht ihrer Karriere mit plastischer Chirurgie auf die Sprünge zu helfen. Beim jährlichen Familienessen verliert seine Schwiegermutter die Contenance und schüttet einen Topf Suppe gegen die Wand. Und dann ist da noch der Sohn Moritz, der zusammen mit seinem türkischen Freund in eine Science-Fiction-Welt flüchtet. Als er sich in eine Mitschülerin verliebt, wird er gemeinsam mit ihr zum Schulverweigerer.Mehr Freiheit ist ein originell komponierter Familien- und Generationenroman, der weit über das Individuelle hinausreicht. Parabelhaft und mit feinem Humor porträtiert Dietmar Krug die Sprachlosigkeit einer Familie, die sich immer wieder in verschiedenen Konstellationen vor den großen Spiegeln der Wohnung trifft, zu mehr als oberflächlichem Beobachten aber nicht fähig ist.
Autorenporträt
Dietmar Krug geboren 1963 im Rheinland, studierte in Aachen und Wien Germanistik, Philosophie und Geschichte. Er promovierte 1996 mit einer Arbeit über Thomas Mann. Seit 1988 lebt Krug in Wien, arbeitete dort zunächst als freier Verlagslektor, bevor er 2004 begann, für die Tageszeitung Die Presse zu arbeiten; unter anderem betreute er dort die "Neuen Texte aus Österreich" in der Wochenendbeilage Spectrum. Seit 2010 schreibt er in der Presse am Sonntag die Kolumne "Diese Deutschen".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.10.2013

Der stumme Fluch aus der Terrine
Schon wieder Frittatensuppenalarm in Wien: Dietmar Krug blickt in seinem Romandebüt in den Abgrund eines Professorenhaushalts

Flecken sprechen ihre eigene Sprache. Im Märchen vom Ritter Blaubart stehen sie für die Übertretung des ritterlichen Gesetzes. In Goethes "Wahlverwandtschaften" verursacht Charlotte, die sonst "mit gewandter Feder gefällig und verbindlich schreibt", beim Briefeschreiben einen Tintenfleck, "der sie ärgerlich macht und nur größer wird, indem sie ihn wegwischen will". Im Fleck kommt nicht selten Verdrängtes ans Licht.

Ein Fleck wird auch in Dietmar Krugs Roman "Mehr Freiheit" zu einem Sinnbild. Im Mittelpunkt der Handlung steht Burkhard Van der Waiden. Der Deutsche in Wien hat die fünfzig überschritten und ist in letzter Minute auf der Zielgeraden zur ersehnten Philosophieprofessur. Wir sehen ihn am Familientisch in einer vornehmen Wiener Vorortvilla sitzen. Versammelt sind der Schwiegervater, emeritierter Medizinprofessor und Patriarch der Familie, dessen fragile Gattin Gertrude mit dem straffen Haarknoten und beider Sohn Karl, ein höchst erfolgreicher Arzt, außerdem Van der Waidens Frau Lisa und sein Sohn Moritz. Sophie, die ältere Tochter fehlt. Als sie endlich erscheint, sorgt sie mit ihren frisch operierten Brüsten zunächst für einen kleinen Skandal.

Es ist ausgerechnet Sophie, die auf der weißen Tapete den Fleck wiederentdeckt, den Gertrude dort Jahre zuvor verursacht hat, als sie nach einer spitzen Bemerkung ihres Mannes eine Terrine voller Rindssuppe an die Wand kippte. Inzwischen verblasst, erinnert der Suppenfleck nicht nur an den Verlust von Gertruds Contenance, er symbolisiert auch das Verdrängte und Totgeschwiegene dieser Familie und deutet zudem auf kommendes Unheil.

Dietmar Krug, 1963 im Rheinland geboren und heute als Journalist und Autor in Wien lebend, wurde mit einer Arbeit über Thomas Mann promoviert. Seinen bitterfeinen Figurenzeichnungen ist das positiv anzumerken. Krugs Romanpersonal scheitert eindrucksvoll im Versuch zu verdrängen, was, verdichtet im Suppenfleck, ein zentrales Thema dieses klugen Debüts ist: die Angst des aufgeklärten Bürgers vor dem Chaos der Triebe und Gefühle, das den Lebensplan stören könnte. Dieses Chaos lauert überall und sucht mit Heftigkeit auch Van der Waiden und seine Familie heim, auf der ein starker Druck lastet: Alle erwarten endlich Klarheit über Van der Waidens berufliche Lage.

Lisa sehnt sich nach seinem und nach dem eigenen beruflichen Erfolg. Die Kinder bleiben oft außen vor. Umso plausibler, wenn Sophie sich die Brüste aufpolstern lässt, um als Backgroundsängerin groß herauszukommen, und Drogen nimmt, wenn Lisa vorm Spiegel ihre weiße Hose wieder und wieder daraufhin inspiziert, ob sich nicht doch der String darunter abzeichnet, wenn Moritz am Computer in die Welt von "Star Trek" abdriftet. Es ist eine reichlich neurotische, im angestrengten Wahren des Scheins dem Auseinanderbrechen stets nahe Familie, die in ihrer Abgründigkeit dennoch sympathisch und normal ist, in der alle Mitglieder vereint sind im unausgesprochenen Wunsch, der diesem Roman den Titel gibt: dem Wunsch nach mehr Freiheit.

Doch das Unheil braut sich immer dichter zusammen. Van der Waidens Mutter in Deutschland erkrankt an Demenz, während ihr Sohn in Wien den für seine Karriere entscheidenden wissenschaftlichen Kongress organisieren soll. Van der Waiden ist den Anforderungen kaum gewachsen. Im Rückblick muss er zugeben, meist mehr Glück als Verstand gehabt, mehr Opportunismus als Geist an den Tag gelegt zu haben. Im Alltag jongliert er weiter mit den Mechanismen des Wissenschaftsbetriebs und den zweifelhaften Händeln, auf denen seine Existenz beruht. Doch der bürgerliche Jedermann wird nicht aktiv, er übt sich allenfalls in Schadensbegrenzung, und im Gegensatz zum Suppenfleck auf der Tapete bleiben die Folgen der Ängste und Albträume, Kränkungen und Konflikte lange unsichtbar.

Als der Kongress schließlich stattfindet, lässt Krug bei einem Auftritt des "Schamanen" und des "Predigers" noch einmal die Auseinandersetzung zwischen Peter Sloterdijk und Jürgen Habermas aus dem Jahr 1999 aufleben, die - von Sloterdijks "Regeln für den Menschenpark" angefacht - eine Debatte über die Anwendung der Biotechnologie auf den Menschen auslöste. Indem an diese Auseinandersetzung erinnert wird, gewinnt dieses vielversprechende gesellschaftsdiagnostische Debüt eine zusätzliche Deutungsebene, die indirekt auf das offene, überraschende Ende verweist, an dem Van der Waiden schließlich drastisch und komisch mit seinem ureigenen Verdrängten konfrontiert wird. So kommt ans Licht, was allzu lange unter der Oberfläche brodelte.

BEATE TRÖGER

Dietmar Krug: "Mehr Freiheit". Roman.

Otto Müller Verlag, Salzburg 2013. 320 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Schulung des Autors an Thomas Mann findet Beate Tröger vorteilhaft. Jedenfalls bemerkt sie die "bitterfeine" Figurenzeichnung in Dietmar Krugs gesellschaftsdiagnostischem Debütroman über eine Wiener Professorenfamilie, in der so einiges an Verdrängtem unterm Teppich lauert. Das Unheil immer im Blick, amüsiert sich die Rezensentin über schönheitsoperierte Brüste, einen zähen Fleck an der Villenwohnzimmerwand und allerhand neurotische Ausfälle. Dass ihr die dargestellte Familie dennoch sympathisch bleibt, liegt für Tröger an der Allgemeingültigkeit dieser bürgerlichen Jedermann-Posse.

© Perlentaucher Medien GmbH