Shortlist Politisches Sachbuch des Jahres 2021Hans-Jochen Vogel setzte sich lange Jahre für eine neue Bodenordnung und soziale Gerechtigkeit ein. Er macht klar: Boden ist keine beliebige Ware. Das Gemeinwohl muss über die Regeln des Marktes gestellt werden. In seinem letzten großen Bestseller wirft er einen Blick in die Vergangenheit und zeigt auf, wie es zur aktuellen Situation kommen konnte. Er formuliert konkrete Vorschläge für die Zukunft, um die Situation hierzulande zu verbessern.Lange Jahre fristete das Thema bezahlbarer Wohnraum ein Schattendasein. Zuletzt drängte es wieder in die Öffentlichkeit. Für viele ist angemessener Wohnraum infolge der steigenden Mieten unbezahlbar geworden. Längst betrifft das Thema nicht mehr nur einkommensschwache Milieus. Bis weit in die Mittelschicht hinein stellt sich vielen die bange Frage, wie lange sie sich ihre Wohnung, ihr Heim, noch leisten können.In den letzten Jahrzehnten gehen die Preise nur noch nach oben - sowohl in Großstädten als auch in ländlichen Regionen. Die bisherigen Maßnahmen, wie etwa die Mietpreisbremse, erweisen sich als stumpfes Schwert gegen die scheinbar unaufhaltsame Verteuerung des Wohnens. Denn den eigentlichen Grund hinter der Preisexplosion hat lange Zeit kaum jemand wahrgenommen: die dramatische Steigerung der Baulandpreise.Erst Hans-Jochen Vogels beharrlicher Kampf setzte das Thema wieder auf die Tagesordnung: Dieses Buch ist das Vermächtnis eines renommierten und weithin geschätzten Politikers, der sein ganzes politisches Leben lang für die Sicherung von bezahlbarem Wohnraum für alle Menschen gekämpft hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.11.2019Bezahlbares Wohnen
Vorschläge des früheren SPD-Vorsitzenden
Am heutigen Montag erscheint ein kleines Buch des inzwischen 93 Jahre alten Hans-Jochen Vogel. Dabei geht es um ein Thema, das Vogel seit Jahrzehnten umtreibt, ob als Münchner Oberbürgermeister, Regierender Bürgermeister von Berlin, Bundesminister für Städtebau oder SPD-Vorsitzender: die gerechte Verteilung des Bodens. Vogel streitet für eine Bodenrechtsreform, um der "ungebremsten Zockerei mit Grundstücken" Einhalt zu gebieten. Boden sei keine beliebige Ware. Deshalb müsse das Gemeinwohl die Regeln des Marktes zurückdrängen. Man kann also sagen: Ein Sozialdemokrat befasst sich mit einem typisch sozialdemokratischen Anliegen, und das macht ihn, bei allem Streit in der Sache, schon einmal sympathisch. Ansatzpunkt sind für Vogel die hohen Mieten. Die Ursache dafür sieht er in den Bodenpreisen. Im Jahr 1961 entfielen 8 Prozent der Kosten eines Neubaus auf das Grundstück, der Rest auf den Baupreis. Heutzutage entfallen 79 Prozent der Kosten auf das Grundstück, jedenfalls in der Stadt München. "Die massive Spekulation mit steigenden Grundstückspreisen führte deutschlandweit in den letzten Jahrzehnten zu einer Erhöhung der Baulandpreise um 1900 Prozent", kritisiert Vogel. Dabei habe der Münchner Stadtrat diese Spekulation schon im Jahr 1970 gerügt: "Die Mieten steigen. Die Eigentumsbildung wird zum Spekulationsobjekt. Boden ist jedoch unproduzierbar. Trotzdem wird er gehandelt wie Ware in einem Krämerladen, das heißt, Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis." An dieser Feststellung hat sich, das wissen alle, die heutzutage in München eine Wohnung suchen, nichts geändert. Seit dem Jahr 1950 ist der Baulandpreis in der bayerischen Hauptstadt um 39390 Prozent gestiegen. "Das sind Rekordzahlen, für die ich keine vergleichbaren Zahlen auf anderen Gebieten wüsste."
Im aktuellen Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD aus dem Jahr 2018 findet sich diese Vereinbarung: "Für eine nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik werden wir eine Enquete-Kommission einsetzen." Anstelle der vereinbarten Enquete-Kommission beim Bundestag wurde allerdings eine Bauland-Kommission auf Regierungsebene eingerichtet, weil diese schneller arbeiten und rascher zu Ergebnissen kommen könne. Berufen wurden ständige und themenbezogene Mitglieder, wobei Vogel bei den Verbandsvertretern auffällt, dass "fünf der Immobilienseite und nur einer der Mieterseite angehört." Der Vorsitzende der Kommission, der CDU-Politiker Marco Wanderwitz, besuchte Vogel in München. Bei diesem Gespräch konnte Vogel seine Vorschläge ausführlich darlegen. So regte er unter anderem an, ein unbedingtes Vorkaufsrecht für Gemeinden zu schaffen und einen Planungswertausgleich einzuführen. Dieser Ausgleich war in der Novelle des Bundesbaugesetzes von 1974 vorgesehen, scheiterte aber im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens. "Es kann nicht angehen, dass Bodeneigentümer für jeden öffentlichen Eingriff Entschädigung erhalten, aber die Gewinne, die ihnen durch öffentliche Entscheidungen erwachsen, für sich behalten können", schreibt Vogel und meint damit vor allem die Zuerkennung des Baurechts.
Im Steuerrecht schlägt Vogel vor, den Hebesatz der Grunderwerbsteuer auf 3,6 (an einer anderen Stelle des Buches: 3,5) Prozent zu fixieren, da höhere Prozentsätze stets auf den Baulandpreis durchschlagen. Außerdem sei eine Grundsteuer C einzuführen, die auf nicht bebaute, aber bebaubare Grundstücke erhoben werden sollte. Das müsse auch für sogenannte Schrottimmobilien gelten. Schließlich sei das Privileg der Zehnjahresfrist im Einkommensteuerrecht abzuschaffen, dem zufolge der Verkaufserlös eines Grundstücks nicht mehr einkommensteuerpflichtig ist, wenn der 10 Jahre oder mehr zurückliegt. Diese steuerrechtlichen Vorschläge wurden im Abschlussbericht der Kommission vom Juli 2019 berücksichtigt. Dagegen wurde der Planungswertausgleich nicht zurückbehalten. Er taucht in dem nur 12 Seiten langen Bericht an keiner Stelle auf. Darüber ärgert sich Vogel maßlos, denn "gestoppt werden müssen selbstverständlich die Spekulanten; also diejenigen, die Grundstücke nur erwerben, um sie alsbald unter Abschöpfung des Preisgewinns weiter zu veräußern". Gespeist würden die Bodenwertzuwächse aus den ständig wachsenden Mieten und den ebenso ansteigenden Grundstückspreisen. "Zur Steigerung hat schließlich auch beigetragen, dass Geldanlagen seit 2007 in großem Umfang nicht mehr verzinst wurden. Gerade deshalb floss dieses Geld dann in Grundstückskäufe." Zum Schluss seines Büchleins verweist Vogel auf die in Wohnungsnot geratenen Menschen. Er macht Vorschläge, was die Gemeinden gegen die Preisspirale tun sollten.
Alles in allem bleibt Vogels Darstellung auf Großstädte bezogen. Im vergangenen Jahr wuchs Deutschland um 227 000 Menschen, gleichzeitig wurden aber 285 000 Wohnungen fertiggestellt. Legt man - wie der Wirtschaftswissenschaftler Daniel Fuhrhop - zugrunde, dass im Durchschnitt zwei Personen in einem Haushalt leben, und berücksichtigt man noch, dass wahrscheinlich rund 20 000 Wohnungen durch Abriss verlorengingen, bleibt ein Überschuss von etwa 150 000 Wohnungen, die rechnerisch zu viel gebaut wurden. Der Grund für die trotzdem grassierende Wohnungsnot ist, dass viele Menschen immer größere Flächen bewohnen und in Städten wie München leben wollen statt im Harz. Gleichzeitig stehen Neubauten leer oder werden als Zweitwohnung oder Drittwohnung an reiche Menschen aus aller Welt verkauft. Mit diesen Themen beschäftigt sich Vogel nicht.
JOCHEN ZENTHÖFER
Hans-Jochen Vogel: Mehr Gerechtigkeit! Herder Verlag, Freiburg 2019. 80 Seiten. 12 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vorschläge des früheren SPD-Vorsitzenden
Am heutigen Montag erscheint ein kleines Buch des inzwischen 93 Jahre alten Hans-Jochen Vogel. Dabei geht es um ein Thema, das Vogel seit Jahrzehnten umtreibt, ob als Münchner Oberbürgermeister, Regierender Bürgermeister von Berlin, Bundesminister für Städtebau oder SPD-Vorsitzender: die gerechte Verteilung des Bodens. Vogel streitet für eine Bodenrechtsreform, um der "ungebremsten Zockerei mit Grundstücken" Einhalt zu gebieten. Boden sei keine beliebige Ware. Deshalb müsse das Gemeinwohl die Regeln des Marktes zurückdrängen. Man kann also sagen: Ein Sozialdemokrat befasst sich mit einem typisch sozialdemokratischen Anliegen, und das macht ihn, bei allem Streit in der Sache, schon einmal sympathisch. Ansatzpunkt sind für Vogel die hohen Mieten. Die Ursache dafür sieht er in den Bodenpreisen. Im Jahr 1961 entfielen 8 Prozent der Kosten eines Neubaus auf das Grundstück, der Rest auf den Baupreis. Heutzutage entfallen 79 Prozent der Kosten auf das Grundstück, jedenfalls in der Stadt München. "Die massive Spekulation mit steigenden Grundstückspreisen führte deutschlandweit in den letzten Jahrzehnten zu einer Erhöhung der Baulandpreise um 1900 Prozent", kritisiert Vogel. Dabei habe der Münchner Stadtrat diese Spekulation schon im Jahr 1970 gerügt: "Die Mieten steigen. Die Eigentumsbildung wird zum Spekulationsobjekt. Boden ist jedoch unproduzierbar. Trotzdem wird er gehandelt wie Ware in einem Krämerladen, das heißt, Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis." An dieser Feststellung hat sich, das wissen alle, die heutzutage in München eine Wohnung suchen, nichts geändert. Seit dem Jahr 1950 ist der Baulandpreis in der bayerischen Hauptstadt um 39390 Prozent gestiegen. "Das sind Rekordzahlen, für die ich keine vergleichbaren Zahlen auf anderen Gebieten wüsste."
Im aktuellen Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD aus dem Jahr 2018 findet sich diese Vereinbarung: "Für eine nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik werden wir eine Enquete-Kommission einsetzen." Anstelle der vereinbarten Enquete-Kommission beim Bundestag wurde allerdings eine Bauland-Kommission auf Regierungsebene eingerichtet, weil diese schneller arbeiten und rascher zu Ergebnissen kommen könne. Berufen wurden ständige und themenbezogene Mitglieder, wobei Vogel bei den Verbandsvertretern auffällt, dass "fünf der Immobilienseite und nur einer der Mieterseite angehört." Der Vorsitzende der Kommission, der CDU-Politiker Marco Wanderwitz, besuchte Vogel in München. Bei diesem Gespräch konnte Vogel seine Vorschläge ausführlich darlegen. So regte er unter anderem an, ein unbedingtes Vorkaufsrecht für Gemeinden zu schaffen und einen Planungswertausgleich einzuführen. Dieser Ausgleich war in der Novelle des Bundesbaugesetzes von 1974 vorgesehen, scheiterte aber im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens. "Es kann nicht angehen, dass Bodeneigentümer für jeden öffentlichen Eingriff Entschädigung erhalten, aber die Gewinne, die ihnen durch öffentliche Entscheidungen erwachsen, für sich behalten können", schreibt Vogel und meint damit vor allem die Zuerkennung des Baurechts.
Im Steuerrecht schlägt Vogel vor, den Hebesatz der Grunderwerbsteuer auf 3,6 (an einer anderen Stelle des Buches: 3,5) Prozent zu fixieren, da höhere Prozentsätze stets auf den Baulandpreis durchschlagen. Außerdem sei eine Grundsteuer C einzuführen, die auf nicht bebaute, aber bebaubare Grundstücke erhoben werden sollte. Das müsse auch für sogenannte Schrottimmobilien gelten. Schließlich sei das Privileg der Zehnjahresfrist im Einkommensteuerrecht abzuschaffen, dem zufolge der Verkaufserlös eines Grundstücks nicht mehr einkommensteuerpflichtig ist, wenn der 10 Jahre oder mehr zurückliegt. Diese steuerrechtlichen Vorschläge wurden im Abschlussbericht der Kommission vom Juli 2019 berücksichtigt. Dagegen wurde der Planungswertausgleich nicht zurückbehalten. Er taucht in dem nur 12 Seiten langen Bericht an keiner Stelle auf. Darüber ärgert sich Vogel maßlos, denn "gestoppt werden müssen selbstverständlich die Spekulanten; also diejenigen, die Grundstücke nur erwerben, um sie alsbald unter Abschöpfung des Preisgewinns weiter zu veräußern". Gespeist würden die Bodenwertzuwächse aus den ständig wachsenden Mieten und den ebenso ansteigenden Grundstückspreisen. "Zur Steigerung hat schließlich auch beigetragen, dass Geldanlagen seit 2007 in großem Umfang nicht mehr verzinst wurden. Gerade deshalb floss dieses Geld dann in Grundstückskäufe." Zum Schluss seines Büchleins verweist Vogel auf die in Wohnungsnot geratenen Menschen. Er macht Vorschläge, was die Gemeinden gegen die Preisspirale tun sollten.
Alles in allem bleibt Vogels Darstellung auf Großstädte bezogen. Im vergangenen Jahr wuchs Deutschland um 227 000 Menschen, gleichzeitig wurden aber 285 000 Wohnungen fertiggestellt. Legt man - wie der Wirtschaftswissenschaftler Daniel Fuhrhop - zugrunde, dass im Durchschnitt zwei Personen in einem Haushalt leben, und berücksichtigt man noch, dass wahrscheinlich rund 20 000 Wohnungen durch Abriss verlorengingen, bleibt ein Überschuss von etwa 150 000 Wohnungen, die rechnerisch zu viel gebaut wurden. Der Grund für die trotzdem grassierende Wohnungsnot ist, dass viele Menschen immer größere Flächen bewohnen und in Städten wie München leben wollen statt im Harz. Gleichzeitig stehen Neubauten leer oder werden als Zweitwohnung oder Drittwohnung an reiche Menschen aus aller Welt verkauft. Mit diesen Themen beschäftigt sich Vogel nicht.
JOCHEN ZENTHÖFER
Hans-Jochen Vogel: Mehr Gerechtigkeit! Herder Verlag, Freiburg 2019. 80 Seiten. 12 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main