Deutschland streitet um das Thema soziale Gerechtigkeit. Und immer sitzen »der Kapitalismus« und »der Markt« auf der Anklagebank, wenn Werke geschlossen oder Arbeitsplätze verlagert werden. Fried rich Merz, der »unbequeme und profilierte Kopf« (Süddeutsche Zeitung), hält dagegen: Der Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung! Noch so gut gemeinte soziale Regelungen, wie Mindestlohn oder verlängertes Arbeitslosengeld für Ältere, schränken den Markt ein. Und sie schränken gleichzeitig auch den Menschen ein, sein Recht auf Freiheit. Da folgt Friedrich Merz ganz Ludwig Erhard: Marktwirtschaft ist aus sich selbst heraus sozial! Damit wird Merz sich gegen den Zeitgeist stellen, aber bloßer Beifall war noch nie das Ziel des wirtschaftspolitischen Vordenkers.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.11.2008Mehr Freiheit wagen
Friedrich Merz schreibt ein Buch gegen den Zeitgeist
Anderen und sich selbst hat es Friedrich Merz nie leicht gemacht. Der Zeitpunkt seines neuen Buches "Mehr Kapitalismus wagen" ist - typisch Merz - wider den Zeitgeist. Während um ihn herum das Vertrauen der Menschen in die Marktwirtschaft wegen der Finanzmarktkrise schwindet und viele nach der führenden Hand des Staates rufen, stellt Merz ungerührt seine provokanten Thesen vor. Eines wird aus jeder Zeile seines Buches klar. Es schmerzt ihn, wie seine eigene Partei die Ideale von Ludwig Erhard und der Sozialen Marktwirtschaft verrät. Das ist die traurige Botschaft seines Buches. Das Buch enthält zwar keine Ideen, die nicht bereits seit Jahren bekannt wären, doch an ihrer wirtschaftspolitischen Richtigkeit hat sich dennoch nichts geändert.
Die zweite traurige Botschaft des Buches spricht Merz nicht offen aus: Mit seinem Abgang aus der Politik im kommenden Jahr verliert die Union ihren vielleicht letzten profilierten Wirtschaftspolitiker. Und damit wird die Plattform für Populisten wie Oskar Lafontaine frei, über den Merz schreibt: "Heute kommt die Linke zwar nicht mehr in Gestalt der vulgär-marxistischen Theorie der späten sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts daher. Aber sie findet in der Linkspartei eine neue Plattform und in Oskar Lafontaine einen auch rhetorisch versierten Anführer und Verführer."
Enttäuschend sind die ersten rund 50 Seiten des Buches. Denn seine Ausführungen über Gerechtigkeit, Soziale Marktwirtschaft und Neoliberalismus sind langatmig. Dabei unterliegt er auch einem Irrtum, wenn er schreibt, dass es Erhard als Wirtschaftsminister zu Beginn der Bundesrepublik einfacher gehabt habe als seine Nachfolger heute. Denn Erhard brauchte viel Mut und musste von den marktwirtschaftlichen Prinzipien zutiefst überzeugt gewesen sein, als die Deutschen am Tag nach der Währungsreform für ihren Einkauf keine Lebensmittelmarken mehr benötigten. Mit der Abschaffung der behördlichen Zuteilung von Lebensmittelmarken unternahm Erhard in einer Zeit bitterster Armut ein Wagnis.
In den nächsten Kapiteln widmet sich Merz den Fragen, die ihn seit Jahren umtreiben. Vor allem fordert er die Menschen auf, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Sei es in der Renten- und Krankenversicherung, sei es bei der Bildung. Voraussetzung dafür sei, dass der Staat den Bürgern mehr Freiräume lassen müsse. Natürlich darf auch der Verweis auf "mehr Brutto vom Netto" nicht fehlen. Denn dann ließe sich auch die Zahl der Aktionäre in Deutschland deutlich erhöhen, damit die Menschen in Deutschland nicht länger allein auf die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung angewiesen seien.
Bei aller berechtigten Kritik an der großen Koalition tut Merz jedoch der Regierung unrecht, wenn er ihr vorwirft, dass "seit der Bundestagswahl 2005 und dem Erstarken der Linkspartei die Reformen im Bereich der Sozialversicherungen jedoch abrupt zum Erliegen gekommen" seien. Da vergisst Merz, dass vor allem der frühere Sozialminister Franz Müntefering (SPD) viel Durchsetzungsvermögen benötigte, um die "Rente mit 67" gegen den Widerstand aus den eigenen Reihen und der Gewerkschaften ins Gesetzesblatt zu bringen.
Im Buch wird auch klar, dass der in gesellschaftspolitischen Fragen konservative Merz nicht der "eiskalte Turbokapitalist" ist, als der er oft gebrandmarkt wird. Denn auch mit den Unternehmern geht er hart ins Gericht. "Man kann nicht erwarten, dass in deutschen Unternehmen die Beschäftigten chinesische Löhne bekommen und die Manager amerikanische Gehälter. Das sprengt den betrieblichen und gesellschaftlichen Zusammenhalt auseinander", schreibt Merz ihnen ins Stammbuch.
Kritisch setzt Merz sich auch mit den Akteuren an den Finanzmärkten auseinander. Die Ausdifferenzierung der Palette von Finanzmarktprodukten habe schließlich dazu geführt, dass selbst die Profis den Überblick über das Angebot verloren haben. Allerdings sind seine Ausführungen zur Finanzmarktkrise sehr knapp, weil sie erst mit voller Wucht zuschlug, als Merz sein Buch bereits beendet hatte.
Enttäuschend ist, dass Merz zwar die Schwierigkeiten der Geringqualifizierten am Arbeitsmarkt anspricht, doch keine Lösungen anbietet. Kein Wort verliert er über die Notwendigkeit, durch den Ausbau frühkindlicher Erziehung auch Kindern aus bildungsfernen Schichten den sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Dabei steht die Generation seiner Kinder, der Merz sein Buch widmet, vor einer immensen Aufgabe, wenn die Zahl der Arbeitslosen mit geringer Qualifikation nicht gesenkt wird. Immer weniger gut qualifizierte Beschäftigte müssen künftig nicht nur die Rente finanzieren, sondern auch kommende Hartz-IV-Generationen.
Das Buch von Merz macht traurig. Denn er gibt darin viele vernünftige wirtschaftspolitische Lösungsvorschläge und wird dennoch am Tag der Präsentation vom Generalsekretär seiner Partei, die sich immer wieder auf Erhard beruft, verhöhnt. Merz hatte jahrelang auch als Fraktionsvorsitzender seiner Partei die Möglichkeit, die öffentliche Meinung und seine eigene Partei von den Idealen der Sozialen Marktwirtschaft zu überzeugen. Indirekt gesteht er mit seinem Buch sein politisches Scheitern ein und überlässt damit den Populisten das Feld. Ob Merz seinen Kindern und ihren Generationen mit seinem Abschied aus der aktiven Politik einen Gefallen tut, muss er mit sich selbst austragen.
MATTHIAS MÜLLER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Friedrich Merz schreibt ein Buch gegen den Zeitgeist
Anderen und sich selbst hat es Friedrich Merz nie leicht gemacht. Der Zeitpunkt seines neuen Buches "Mehr Kapitalismus wagen" ist - typisch Merz - wider den Zeitgeist. Während um ihn herum das Vertrauen der Menschen in die Marktwirtschaft wegen der Finanzmarktkrise schwindet und viele nach der führenden Hand des Staates rufen, stellt Merz ungerührt seine provokanten Thesen vor. Eines wird aus jeder Zeile seines Buches klar. Es schmerzt ihn, wie seine eigene Partei die Ideale von Ludwig Erhard und der Sozialen Marktwirtschaft verrät. Das ist die traurige Botschaft seines Buches. Das Buch enthält zwar keine Ideen, die nicht bereits seit Jahren bekannt wären, doch an ihrer wirtschaftspolitischen Richtigkeit hat sich dennoch nichts geändert.
Die zweite traurige Botschaft des Buches spricht Merz nicht offen aus: Mit seinem Abgang aus der Politik im kommenden Jahr verliert die Union ihren vielleicht letzten profilierten Wirtschaftspolitiker. Und damit wird die Plattform für Populisten wie Oskar Lafontaine frei, über den Merz schreibt: "Heute kommt die Linke zwar nicht mehr in Gestalt der vulgär-marxistischen Theorie der späten sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts daher. Aber sie findet in der Linkspartei eine neue Plattform und in Oskar Lafontaine einen auch rhetorisch versierten Anführer und Verführer."
Enttäuschend sind die ersten rund 50 Seiten des Buches. Denn seine Ausführungen über Gerechtigkeit, Soziale Marktwirtschaft und Neoliberalismus sind langatmig. Dabei unterliegt er auch einem Irrtum, wenn er schreibt, dass es Erhard als Wirtschaftsminister zu Beginn der Bundesrepublik einfacher gehabt habe als seine Nachfolger heute. Denn Erhard brauchte viel Mut und musste von den marktwirtschaftlichen Prinzipien zutiefst überzeugt gewesen sein, als die Deutschen am Tag nach der Währungsreform für ihren Einkauf keine Lebensmittelmarken mehr benötigten. Mit der Abschaffung der behördlichen Zuteilung von Lebensmittelmarken unternahm Erhard in einer Zeit bitterster Armut ein Wagnis.
In den nächsten Kapiteln widmet sich Merz den Fragen, die ihn seit Jahren umtreiben. Vor allem fordert er die Menschen auf, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Sei es in der Renten- und Krankenversicherung, sei es bei der Bildung. Voraussetzung dafür sei, dass der Staat den Bürgern mehr Freiräume lassen müsse. Natürlich darf auch der Verweis auf "mehr Brutto vom Netto" nicht fehlen. Denn dann ließe sich auch die Zahl der Aktionäre in Deutschland deutlich erhöhen, damit die Menschen in Deutschland nicht länger allein auf die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung angewiesen seien.
Bei aller berechtigten Kritik an der großen Koalition tut Merz jedoch der Regierung unrecht, wenn er ihr vorwirft, dass "seit der Bundestagswahl 2005 und dem Erstarken der Linkspartei die Reformen im Bereich der Sozialversicherungen jedoch abrupt zum Erliegen gekommen" seien. Da vergisst Merz, dass vor allem der frühere Sozialminister Franz Müntefering (SPD) viel Durchsetzungsvermögen benötigte, um die "Rente mit 67" gegen den Widerstand aus den eigenen Reihen und der Gewerkschaften ins Gesetzesblatt zu bringen.
Im Buch wird auch klar, dass der in gesellschaftspolitischen Fragen konservative Merz nicht der "eiskalte Turbokapitalist" ist, als der er oft gebrandmarkt wird. Denn auch mit den Unternehmern geht er hart ins Gericht. "Man kann nicht erwarten, dass in deutschen Unternehmen die Beschäftigten chinesische Löhne bekommen und die Manager amerikanische Gehälter. Das sprengt den betrieblichen und gesellschaftlichen Zusammenhalt auseinander", schreibt Merz ihnen ins Stammbuch.
Kritisch setzt Merz sich auch mit den Akteuren an den Finanzmärkten auseinander. Die Ausdifferenzierung der Palette von Finanzmarktprodukten habe schließlich dazu geführt, dass selbst die Profis den Überblick über das Angebot verloren haben. Allerdings sind seine Ausführungen zur Finanzmarktkrise sehr knapp, weil sie erst mit voller Wucht zuschlug, als Merz sein Buch bereits beendet hatte.
Enttäuschend ist, dass Merz zwar die Schwierigkeiten der Geringqualifizierten am Arbeitsmarkt anspricht, doch keine Lösungen anbietet. Kein Wort verliert er über die Notwendigkeit, durch den Ausbau frühkindlicher Erziehung auch Kindern aus bildungsfernen Schichten den sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Dabei steht die Generation seiner Kinder, der Merz sein Buch widmet, vor einer immensen Aufgabe, wenn die Zahl der Arbeitslosen mit geringer Qualifikation nicht gesenkt wird. Immer weniger gut qualifizierte Beschäftigte müssen künftig nicht nur die Rente finanzieren, sondern auch kommende Hartz-IV-Generationen.
Das Buch von Merz macht traurig. Denn er gibt darin viele vernünftige wirtschaftspolitische Lösungsvorschläge und wird dennoch am Tag der Präsentation vom Generalsekretär seiner Partei, die sich immer wieder auf Erhard beruft, verhöhnt. Merz hatte jahrelang auch als Fraktionsvorsitzender seiner Partei die Möglichkeit, die öffentliche Meinung und seine eigene Partei von den Idealen der Sozialen Marktwirtschaft zu überzeugen. Indirekt gesteht er mit seinem Buch sein politisches Scheitern ein und überlässt damit den Populisten das Feld. Ob Merz seinen Kindern und ihren Generationen mit seinem Abschied aus der aktiven Politik einen Gefallen tut, muss er mit sich selbst austragen.
MATTHIAS MÜLLER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2008Es lebe der Kapitalismus
Friedrich Merz schreibt sein Glaubensbekenntnis und zeigt, warum ihn einige in der Politik schmerzlich vermissen
„Der Markt ist sozial und der Kapitalismus gerecht.” Sätze wie diesen muss man sich in Zeiten der Finanzkrise auf der Zunge zergehen lassen. Es gibt kaum noch einen politischen Beobachter, schon gar keinen Politiker, der es wagt, so einfach und doch so treffend zu formulieren. Friedrich Merz tut es, und er tut es mit Lust und Können.
Der frühere CDU-Spitzenpolitiker hat ein neues Buch geschrieben, mit dem er die Lücke schmerzlich dokumentiert, die er durch sein Ausscheiden aus der Politik hinterlassen hat. Man muss nicht derselben Meinung sein wie Friedrich Merz, aber dass er einer der wenigen profilierten Wirtschaftspolitiker im Deutschen Bundestag war, und dass er dort fehlt, wird kaum jemand ernsthaft bestreiten. Dass die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel Männer wie ihn, so eitel und selbstverliebt sie auch sein mögen, systematisch aus der Politik gedrängt hat, war ein dramatischer Fehler; er wirft für alle Zeit ein denkbar schlechtes Licht auf sie.
Merz hat sich die Mühe gemacht, sein Weltbild noch einmal zu überprüfen. Er nennt seinen Sohn Philippe, Student der Philosophie, und den Wirtschaftsstudenten Tim Christiansen als intellektuelle Sparringspartner. Herausgekommen ist eine 200 Seiten schmale Streitschrift für den Markt und gegen einen überbordenden Sozialstaat. Merz fängt beim Philosophen Platon an, setzt sich mit den unterschiedlichen Gerechtigkeitsbegriffen auseinander, begründet den subsidiären Sozialstaat, rechtfertigt die Aktionärswirtschaft, bricht eine Lanze für die Heuschrecken genannten Finanzinvestoren und streift weitere maßgebliche Themen der Wirtschaftspolitik.
Der gelernte Jurist Merz leitet sauber her, worauf die Marktwirtschaft oder der Kapitalismus, was dasselbe ist, beruhen: eben auf privatem Kapital, dessen Einsatz nach Renditeerwartungen im Wettbewerb mit anderen Marktteilnehmern erfolgt. Der Staat gibt die Rechtsordnung vor, in der das Marktgeschehen stattfindet. Er tritt grundsätzlich nicht selbst aus Marktteilnehmer auf.
Seit Ludwig Erhard war dieses Modell in Deutschland überaus erfolgreich und ermöglichte einen gut funktionierenden Sozialstaat für die Schwachen. In der Globalisierung, in der neue, drängende, effizientere und billiger produzierende Wettbewerber auftauchen, ächzt das System in den Scharnieren; es gibt freilich keine erfolgversprechende Alternative.
„Mehr Gerechtigkeit”, staatlich verordnet, ist eine höchst populäre Forderung, das weiß auch Merz, und er räumt ein, dass man damit Wahlen gewinnen kann – nicht aber die Zukunft. Je nach Arbeitsmarktlage sind heute etwa 40 Prozent der Bevölkerung in Deutschland ganz oder teilweise auf Transferleistungen aus öffentlichen Kassen angewiesen – wen werden diese Menschen wohl wählen? Verantwortungsvolle Politik aber, sagt der Ex-Politiker Merz, darf den Menschen nicht nach dem Mund reden. Obwohl das Wort CDU selten und der Name Angela Merkel soweit erkennbar gar nicht vorkommt, ist dieses Buch eine Abrechnung mit der eigenen Partei und ihren Machthabern. Es ist lesenswert für alle, die ordnungspolitische Orientierung in turbulenten Zeiten suchen.
Und doch greift es zu kurz – weil es keine expliziten Antworten auf die dramatische Legitimitätskrise des Kapitalismus gibt. Natürlich weist Merz darauf hin, dass die Marktwirtschaft stetig an Zustimmung verliert. Aber das ist noch die alte Lage. Sie besteht im Grunde seit Gerhard Schröders „Agenda 2010”-Politik, die Merz nachdrücklich lobt.
Neu sind die rapide wachsenden Zweifel am Kapitalismus, sogar die Selbstzweifel, wie sie sich als Folge der Finanzkrise ergeben: Das dramatische Marktversagen in dieser Sparte der Wirtschaft, der Abschwung der Wall Street, die staatlichen Rettungsaktionen für Banken können nicht so nebenbei erörtert werden.
Der Autor spricht zwar bereits von einer „partiellen Bankenkrise” und vermutet, das diese auf die gesamte Volkswirtschaft übergreifen und dass dies die Kritik am Kapitalismus „noch einmal verschärfen” könnte, „zumal einige Manager mit ihrer Gier und ihren halsbrecherischen Aktionen auf den Kapitalmärkten zu dieser Kritik geradezu einladen”.
Das ist für ein Buch, dessen Manuskript vermutlich vor Monaten abgeschlossen worden ist, durchaus weitsichtig. Leider meidet Merz die Auseinandersetzung mit den Konsequenzen dieser Zeitenwende: Es gibt Nachbesserungsbedarf für eine Neuauflage. MARC BEISE
Friedrich Merz
Mehr Kapitalismus wagen
Wege zu einer gerechten Gesellschaft. Piper Verlag, München/Zürich 2008. 224 Seiten, 19,90 Euro.
„Einige Manager laden mit ihrer Gier zur Kritik ein”
Friedrich Merz Foto: Seyboldt
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Friedrich Merz schreibt sein Glaubensbekenntnis und zeigt, warum ihn einige in der Politik schmerzlich vermissen
„Der Markt ist sozial und der Kapitalismus gerecht.” Sätze wie diesen muss man sich in Zeiten der Finanzkrise auf der Zunge zergehen lassen. Es gibt kaum noch einen politischen Beobachter, schon gar keinen Politiker, der es wagt, so einfach und doch so treffend zu formulieren. Friedrich Merz tut es, und er tut es mit Lust und Können.
Der frühere CDU-Spitzenpolitiker hat ein neues Buch geschrieben, mit dem er die Lücke schmerzlich dokumentiert, die er durch sein Ausscheiden aus der Politik hinterlassen hat. Man muss nicht derselben Meinung sein wie Friedrich Merz, aber dass er einer der wenigen profilierten Wirtschaftspolitiker im Deutschen Bundestag war, und dass er dort fehlt, wird kaum jemand ernsthaft bestreiten. Dass die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel Männer wie ihn, so eitel und selbstverliebt sie auch sein mögen, systematisch aus der Politik gedrängt hat, war ein dramatischer Fehler; er wirft für alle Zeit ein denkbar schlechtes Licht auf sie.
Merz hat sich die Mühe gemacht, sein Weltbild noch einmal zu überprüfen. Er nennt seinen Sohn Philippe, Student der Philosophie, und den Wirtschaftsstudenten Tim Christiansen als intellektuelle Sparringspartner. Herausgekommen ist eine 200 Seiten schmale Streitschrift für den Markt und gegen einen überbordenden Sozialstaat. Merz fängt beim Philosophen Platon an, setzt sich mit den unterschiedlichen Gerechtigkeitsbegriffen auseinander, begründet den subsidiären Sozialstaat, rechtfertigt die Aktionärswirtschaft, bricht eine Lanze für die Heuschrecken genannten Finanzinvestoren und streift weitere maßgebliche Themen der Wirtschaftspolitik.
Der gelernte Jurist Merz leitet sauber her, worauf die Marktwirtschaft oder der Kapitalismus, was dasselbe ist, beruhen: eben auf privatem Kapital, dessen Einsatz nach Renditeerwartungen im Wettbewerb mit anderen Marktteilnehmern erfolgt. Der Staat gibt die Rechtsordnung vor, in der das Marktgeschehen stattfindet. Er tritt grundsätzlich nicht selbst aus Marktteilnehmer auf.
Seit Ludwig Erhard war dieses Modell in Deutschland überaus erfolgreich und ermöglichte einen gut funktionierenden Sozialstaat für die Schwachen. In der Globalisierung, in der neue, drängende, effizientere und billiger produzierende Wettbewerber auftauchen, ächzt das System in den Scharnieren; es gibt freilich keine erfolgversprechende Alternative.
„Mehr Gerechtigkeit”, staatlich verordnet, ist eine höchst populäre Forderung, das weiß auch Merz, und er räumt ein, dass man damit Wahlen gewinnen kann – nicht aber die Zukunft. Je nach Arbeitsmarktlage sind heute etwa 40 Prozent der Bevölkerung in Deutschland ganz oder teilweise auf Transferleistungen aus öffentlichen Kassen angewiesen – wen werden diese Menschen wohl wählen? Verantwortungsvolle Politik aber, sagt der Ex-Politiker Merz, darf den Menschen nicht nach dem Mund reden. Obwohl das Wort CDU selten und der Name Angela Merkel soweit erkennbar gar nicht vorkommt, ist dieses Buch eine Abrechnung mit der eigenen Partei und ihren Machthabern. Es ist lesenswert für alle, die ordnungspolitische Orientierung in turbulenten Zeiten suchen.
Und doch greift es zu kurz – weil es keine expliziten Antworten auf die dramatische Legitimitätskrise des Kapitalismus gibt. Natürlich weist Merz darauf hin, dass die Marktwirtschaft stetig an Zustimmung verliert. Aber das ist noch die alte Lage. Sie besteht im Grunde seit Gerhard Schröders „Agenda 2010”-Politik, die Merz nachdrücklich lobt.
Neu sind die rapide wachsenden Zweifel am Kapitalismus, sogar die Selbstzweifel, wie sie sich als Folge der Finanzkrise ergeben: Das dramatische Marktversagen in dieser Sparte der Wirtschaft, der Abschwung der Wall Street, die staatlichen Rettungsaktionen für Banken können nicht so nebenbei erörtert werden.
Der Autor spricht zwar bereits von einer „partiellen Bankenkrise” und vermutet, das diese auf die gesamte Volkswirtschaft übergreifen und dass dies die Kritik am Kapitalismus „noch einmal verschärfen” könnte, „zumal einige Manager mit ihrer Gier und ihren halsbrecherischen Aktionen auf den Kapitalmärkten zu dieser Kritik geradezu einladen”.
Das ist für ein Buch, dessen Manuskript vermutlich vor Monaten abgeschlossen worden ist, durchaus weitsichtig. Leider meidet Merz die Auseinandersetzung mit den Konsequenzen dieser Zeitenwende: Es gibt Nachbesserungsbedarf für eine Neuauflage. MARC BEISE
Friedrich Merz
Mehr Kapitalismus wagen
Wege zu einer gerechten Gesellschaft. Piper Verlag, München/Zürich 2008. 224 Seiten, 19,90 Euro.
„Einige Manager laden mit ihrer Gier zur Kritik ein”
Friedrich Merz Foto: Seyboldt
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Hellauf begeistert ist Marc Beise von Friedrich Merz' Plädoyer für mehr Kapitalismus. Seines Erachtens war Merz einer der wenigen profilierten Wirtschaftspolitiker in Deutschland, dessen Ausscheiden aus der Politik er zutiefst bedauert. Er spricht von einem "dramatischen Fehler" Angela Merkels, die Merz aus der Politik gedrängt habe. Das Buch zeichnet sich in Beises Augen durch klare Formulierungen und Argumentationen aus. Merz macht für ihn deutlich, dass es zum Kapitalismus keine Alternative gebe. Beise sieht in dem Buch zudem eine Abrechnung von Merz' mit der eigenen Partei. Allerdings findet er keine ausdrücklichen Antworten auf die gegenwärtige Legitimationskrise des Kapitalismus. Er vermutet, dass das Buch vor der großen Banken- und Finanzkrise abgeschlossen wurde. Hier konstatiert er Nachbesserungsbedarf.
© Perlentaucher Medien GmbH
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