Marktplatzangebote
7 Angebote ab € 0,25 €
  • Broschiertes Buch

Hans Fallada lebte viele Leben und viele auf einmal: als Trinker, Morphinist, Gefängnisinsasse, als liebevoller Familienvater und manischer Schreiber. Dieses widerspruchsvolle Schicksal macht die irische Fallada-Forscherin bis ins Detail nachvollziehbar. Das gelingt ihr spannend und überzeugend, denn sie stützt sich auf Quellen, die in diesem Ausmaß bisher noch nicht erschlossen wurden.

Produktbeschreibung
Hans Fallada lebte viele Leben und viele
auf einmal: als Trinker, Morphinist, Gefängnisinsasse, als liebevoller Familienvater und manischer Schreiber. Dieses widerspruchsvolle Schicksal macht die irische Fallada-Forscherin bis ins Detail nachvollziehbar. Das gelingt ihr spannend und überzeugend, denn sie stützt sich auf Quellen, die in diesem Ausmaß bisher noch nicht erschlossen wurden.
Autorenporträt
Jenny Williams, geboren in Nordirland, studierte an der Queens's University of Belfast Germanistik. Nach mehreren Jahren Hochschultätigkeit an der University of Ulster zog sie 1987 nach Dublin und arbeitet seitdem an der Dublin City University. Dort war sie zehn Jahre lang Leiterin der deutschen Abteilung und ist seit Juni 2001 Associate Professor mit Schwerpunkt Übersetzungswissenschaft.
Sie hat mehrere Aufsätze zu Hans Fallada und zur Übersetzungswissenschaft verfasst und ist Autorin der ersten englischen Fallada-Biographie "More Lives than One" (1998).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.06.2002

Auflehnung und Kotau
Jenny Williams porträtiert Hans Fallada

Der Autor ist ein Glücksfall für die Biographen. Er gibt ihnen Stoff genug, mehr als genug. Als Gehetzter, als Trinker und Morphinist, als manischer Schöpfer und als Straftäter, als kleiner Mann und als großer Erzähler kann es Hans Fallada mit den Figuren seiner zahlreichen Romane aufnehmen. Der Angestellte Pinneberg und der Häftling Kufalt, Fähnrich Pagel und der Redakteur Stuff, alle haben sie ein Stück von ihm. So vertraut wie ihr seltenes Glück war ihm die fortdauernde Bedrohung seiner Helden. Nie mußte er ein Schicksal so völlig aus der Luft greifen, immer konnte er sich erinnern. Und immer wieder haben auch spätere Forscher versucht, das Schicksal von Rudolf Ditzen, wie der Autor eigentlich hieß, in den Büchern von Hans Fallada zu entdecken. Noch nie aber ist das so überzeugend gelungen wie in der Biographie der nordirischen Germanistin Jenny Williams. Auf 370 Seiten hat sie vorgelegt, was sie als Desiderat erkannte, "die differenzierte Beurteilung eines Schriftstellers, der in turbulenten Zeiten ein turbulentes Leben führte".

Möglich wurde das nicht zuletzt deshalb, weil die Autorin neben den bekannten sehr viel unveröffentlichte Quellen auswertete, Archivalien, die ihre Vorgänger im Vertrauen auf die autobiographische Zuverlässigkeit der Werke nur allzu großzügig übersahen. Wie bedenklich diese Gutgläubigkeit war, hatte zwar schon die 1997 erschiene Bild-Text-Dokumentation von Gunnar Müller-Waldeck und Roland Ulrich erahnen lassen; aber jetzt erst ist deutlich zu erkennen, was der Autor meinte, wenn er 1932 an seine Eltern schrieb: "Gewiß eigene Erinnerungen geben oft den Rohstoff, aber es wird immer alles ganz anders wie in der Wirklichkeit, alles könnte beinah stimmen, aber nichts stimmt." Denn nicht in der Abbildung des Erlebten, in der mehr oder weniger verschlüsselten Paraphrase besteht "die eigentliche autobiographische Dimension", sondern in "der kathartischen Erfahrung", die "der Akt des Schreibens" für Fallada bedeutete.

Ergeben hat sich diese Erkenntnis, der Hauptertrag von Jenny Williams' Untersuchung, unter anderem durch eine genauere Erforschung der früheren Jahre, einer bislang wenig beachteten, weil nur archivarisch zu erschließenden Zeit. Erstmals liest man nun eine genaue Darstellung jenes Doppelselbstmordes, bei dem der kaum achtzehnjährige Ditzen seinen nächsten Freund umbrachte, während er selbst nur lebensgefährlich verletzt wurde. Man erfährt, daß sein vielfach beschworenes "Pech" in Wahrheit "ein Resultat der Abenteuerlust" war, eine Folge "der tiefverwurzelten Abneigung, sich an ,Regeln' zu halten". Herausgehoben wird die Bedeutung einer autoritären Erziehung, die ebenso zu antibürgerlicher Auflehnung führte, wie sie den Kotau vor der Macht nach sich zog. Auch der wiederholte Versuch, sich mit dem Nationalsozialismus literarisch zu arrangieren, etwa die Bereitschaft, den Roman "Der eiserne Gustav" nach Goebbels' Wünschen umzuschreiben, wird aus dem frühzeitig gebrochenen "Widerstandsgeist" erklärt, als ein Versagen, über das Rudolf Ditzen dann nur wieder als Schriftsteller, mit neuen Werken, in der Rolle Hans Falladas hinwegkommen konnte.

So jedenfalls sieht es Jenny Williams. Und man folgt ihrer Analyse um so bereitwilliger, als sie ohne moralischen Aplomb, ohne ideologischen Eifer auskommt. Erfreulich nüchtern, mit angelsächsischer Sachlichkeit beschreibt sie das fraglos bewegende Schicksal. Aus den familiären wie aus den historischen Umständen weiß sie es zu erklären. Und wenn sie dabei gelegentlich des Guten zuviel tut, die häuslichen Umstände des Autors gar zu ausführlich beschreibt, sich bemüht, keinen Keuchhusten der Kinder zu vergessen, wenn sie glaubt, noch geschichtliche Grundkenntnisse referieren zu müssen, dann mag man sich elegantere Bögen wünschen, muß aber zugleich die gründliche Recherche anerkennen. Daß wir sie einer Irin verdanken, daß es ihr vorbehalten blieb, dem deutschen Schriftsteller mit der ersten zuverlässigen Biographie gerecht zu werden, könnte am Ende noch den hiesigen Forschern zu denken geben. Vielleicht wird es sie irgendwann sogar anregen, selbst auf das Thema zurückzukommen. Denn jetzt erst, nach der wissenschaftlichen Vorlage, wissen wir auch, was da für den historischen Erzähler noch immer zu tun wäre. Ein Glücksfall für die Biographen ist Hans Fallada nach wie vor.

THOMAS RIETZSCHEL

Jenny Williams: "Mehr Leben als eins". Hans Fallada Biographie. Aus dem Englischen übersetzt von Hans-Christian Oeser. Aufbau-Verlag, Berlin 2002. 391 S., Abb., geb., 20,- [Euro]

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr