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Wir brauchen mehr Liebe, als wir verdienen.Frank Schulz erzählt Geschichten von der Liebe, vom Älterwerden und Nicht-mehr-jung-Sein. Miniaturen wie in der Geschichte von der alten Dame, die dem geheimen Leben ihres Mannes durchOrtsbegehung in einem Reeperbahn-Stripclub nachforscht. Aber auch dramatische Lebensgeschichten im Schnelldurchlauf, wie die der Frau, die ausgerechnet auf ihrer Hochzeitsreise der großen Liebe in Gestalt eines albanischen Lkw-Fahrers begegnet und ihr über Jahre nah zu sein versucht. «Man sollte das Klischee vom süchtig machenden Kultautor nicht bemühen; aber man bekommt…mehr

Produktbeschreibung
Wir brauchen mehr Liebe, als wir verdienen.Frank Schulz erzählt Geschichten von der Liebe, vom Älterwerden und Nicht-mehr-jung-Sein. Miniaturen wie in der Geschichte von der alten Dame, die dem geheimen Leben ihres Mannes durchOrtsbegehung in einem Reeperbahn-Stripclub nachforscht. Aber auch dramatische Lebensgeschichten im Schnelldurchlauf, wie die der Frau, die ausgerechnet auf ihrer Hochzeitsreise der großen Liebe in Gestalt eines albanischen Lkw-Fahrers begegnet und ihr über Jahre nah zu sein versucht. «Man sollte das Klischee vom süchtig machenden Kultautor nicht bemühen; aber man bekommt tatsächlich so schnell nicht genug davon, weil das alles so wahrhaftig und human beschrieben ist.»FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
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Autorenporträt
Frank Schulz, Jahrgang 1957, lebt als freier Schriftsteller in Hamburg. Für die Romane seiner so genannten Hagener Trilogie - «Kolks blonde Bräute» , «Morbus fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien» und «Das Ouzo-Orakel» - wurde er mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Förderpreis zum Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (1999 und 2015), dem Hubert-Fichte-Preis (2004) und dem Kranichsteiner Literaturpreis (2012).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2010

Petra und die Kraft der sieben Pferde

Wir brauchen mehr Liebe, als wir verdienen: Aus dieser Erkenntnis macht Frank Schulz das Beste - Erzählungen, die mit allem Menschlichen versöhnen.

Von Edo Reents

Es war, nach der durch "Das Ouzo-Orakel" beendeten Hagener Trilogie (F.A.Z. vom 17. Juni 2006), sehr die Frage, ob Frank Schulz damit alles gesagt hatte - eine Befürchtung, die beim Leser Beklemmung auslösen musste, denn einen anderen Erzähler, der mehr oder auch nur annähernd so viel Takt, Finesse und Sprachpracht zu bieten hätte, wird man so leicht nicht finden. Die Trilogie war, was selten genug vollauf gelingt: Heimatkunst, die ihrem Autor dazu diente, tief in die Abgründe hinunterzusteigen - in die eigenen und die von Land (dem norddeutschen) und Leuten.

Der Erinnerungskünstler mit dem unglaublich genauen Gehör fürs gesprochene, meistens plattdeutsche Wort versammelte um den erst mit dem zweiten Teil "Morbus fonticuli" ins Zentrum gerückten, hochintelligenten Säufer und Gelegenheitsjournalisten Bodo Morten ein überschaubares Personal, an dem Exemplarisches demonstriert wird: die Prägekraft der Kindheit, Ehekrisen, die Schwäche für erotische Abenteuer und andere niedere Verrichtungen sowie, aus all dem resultierend, die Unfähigkeit, auf die Dauer ein geregeltes Leben zu führen.

Aus dieser mit viel Sympathie, ja Zuneigung beschriebenen und zu großen Teilen wohl auch selbst erlebten, durchlittenen Welt der hohen Komik und der tiefen Trauer begegnen uns nun, in Schulzens neuem Buch, einige alte Bekannte. "Mehr Liebe" heißt der Band mit knapp zwei Dutzend Erzählungen höchst unterschiedlicher Machart. Das, wenn man so will, epische Zentrum bildet eine Geschichte, die im Titel das entscheidende Moment Schulzschen Erzählens benennt. "Sehnsuchtsglühen" spielt an jenem Juniabend 1970, an dem die bundesrepublikanische, von Franz Beckenbauer und Uwe Seeler angeführte Mannschaft gegen Italien im WM-Halbfinale 3:4 unterlag. Schulz nutzt diese bis heute als "Jahrhundertspiel" apostrophierte Begegnung als Folie, auf der sich Lust und Qual der Adoleszenz abspielen.

Bodo Morten, Alfred Kolk, Dutschke Duttheney und all die anderen aus der Hagener Trilogie sind gerade in der Pubertät und wollen das Ereignis, das ihre kleinbürgerlich-bäuerlichen Väter zu später Stunde rauchend und trinkend vor dem Bildschirm verfolgen, zu einer Parallelaktion nutzen; sie wollen, während der dann allerdings im Wesentlichen nur Schnee übertragende Fernseher in einem abgesperrten Verhau läuft, es ihren Vätern endlich einmal gleichtun und auch Männer sein. Zwischendurch kommt aber die frühreife Karin Kolk herein, die die Jungs schon durch ihre bloße Anwesenheit verlegen macht und ihren Bruder fragt: "Weiß Mama, dass du hier bist?" Wer den norddeutschen Zungenschlag kennt, der weiß, welche Mischung aus Empörung, Petzsucht und heimlicher Solidarität mit jüngeren Geschwistern in den Tonfall eingeht. Man wird, wenn man das liest, sofort selbst wieder zum Kind und ist geneigt, mit Alfred Kolk adäquat zurückzufragen: "Weiß Papa, dass du hier bist?"

Die evokative Kraft, für die Schulz ja bekannt ist, erzeugt nicht nur in der Figurenzeichnung eine ganz außerordentliche Plastizität, und das fast ganz ohne die so stereotype, schnell ermüdende Erfassung von Augen- und Haarfarbe und dergleichen. Schulzens Beschreibungskunst besteht darin, dass sie die wesentlichen Regungen ausdrückt, und die sind fast immer seelisch-affektiver Natur. Die Fußball-Erzählung spielt in einer Zeit, als man sich noch gegenseitig damit aufgezogen hat, wenn man einen roten Kopf bekam. Der ruppige Ton, der unter norddeutschen Kindern auch sonst herrschte, ist perfekt getroffen.

Die weiteren Hauptstücke sind ebenfalls länger geraten: "Der Stich des Bienenmörders" entfaltet die bereits vom "Ouzo-Orakel" her bekannte Nord-Süd-Dialektik und erzählt von Katja, die auf der Hochzeitsreise ihrem lange erträumten Idealmann begegnet, einem nach Griechenland übergesiedelten Albaner. Der Flirt, der in jahrelanger, grandios illustrierter innerer Glut nachwirkt, bleibt am Ende folgenlos, weil der Angebetete Deutscher werden will; und so einen hat Katja ja schon.

Schulz ist groß, wenn es darum geht, das falsch oder ungelebte Leben zu schildern und dabei feinste Bemerkungen über körperlichen Verfall oder zwischenmenschliche Risse einzustreuen. Aber er ist fast noch bezwingender in der Beschwörung der Zeitlichkeit, der wachsenden Beschleunigung, der, zumindest in der Wahrnehmung, alles von einem bestimmten Alter an unterworfen ist. Meisterhaft sind in dieser Hinsicht schon die fünfzehn zwischen Vergangenheit und Gegenwart leichtfüßig hin und her springenden Seiten von "Buxtehude" über die Entbehrungen und Zumutungen der Väter- und Großvätergeneration: Krieg, Neuanfang, bleibende Ängste und dann doch ein (halbwegs) erträgliches, irgendwie weitergehendes Leben.

Dem mit allen Wassern auch der Popmusik gewaschenen Autor ist es in "Sieben Pferde" ein Leichtes, auf den so belanglos daherkommenden Zeilen des so lustig klingenden Doors-Liedes "Love Her Madly" das bedrückend hoffnungslose, unendlich triste Drama einer unerfüllten und zuletzt ganz einfach kalt werdenden Liebe aufzubauen: Helmer wird über seiner Besessenheit von Bea zum aus dem Leim gehenden, schließlich auf Antidepressiva angewiesenen Alkoholiker, dessen Jahre unter immer wieder neuen, zwecklosen Bemühungen wie Pfeile dahinschießen, er und der Leser wissen nicht, wie, mit Erschrecken stellen sie es fest, bis Helmer im Bewusstsein, dass die andere Frau an seiner Seite doch die (einzig) richtige ist, aufgibt: "Ja, Jahre dauerte all das. Und dank Petra spürte er sie tatsächlich eines Tages, die Kraft der sieben Pferde."

Der mit der Trilogie vertraute Leser erkennt in diesen und anderen Geschichten manche Person und manchen Konflikt wieder; deren Konstellationen werden aufgegriffen und, wie ein musikalisches Stück, variiert, aber in einer Kenntlichkeit belassen, die nicht langweilt, sondern über die man sich im Gegenteil freut. Schulz kann nun einmal am besten über Dinge schreiben, die er aus eigener Anschauung kennt. Man sollte das Klischee vom süchtig machenden Kultautor nicht bemühen; aber man bekommt tatsächlich so schnell nicht genug davon, weil das alles so wahrhaftig und human beschrieben ist.

Die eigentliche Überraschung des Bandes aber ist, dass Schulz sich hier auf Terrain vorwagt, das zumindest seinen Lesern unbekannt war: In der vielleicht eine Spur zu ambitioniert betitelten "Trilogie der Gewalt" (sei's drum) geht es, auf engstem Raum, um Menschen- und Tierquälereien, die so plötzlich und massiv hereinbrechen, dass niemand eine Chance hat, etwas dagegen zu unternehmen - keine schlechte Voraussetzung für den Krimi, an dem Schulz angeblich gerade sitzt.

Der gewitzt betitelte "King Kong des Pingpongs" macht den Leser zum Zuschauer eines dann fast unerträglich spannenden Tischtennisspiels in einer unteren Berliner Liga. "Männertreu" lässt Dörchen kurz vor der Goldenen Hochzeit in der Jackentasche ihres Mannes Lothar etwas finden, das sie an dessen Treue zweifeln lässt; die Recherche im Hamburger Rotlichtviertel gerät zum Spießrutenlauf, so mitfühlend geschildert, dass davon noch die letzten Nervenbahnen erfasst werden, wie dann erst recht "Der Schornsteinfeger", der vom Unfalltod des Großvaters handelt, "der einzige Mensch, den ich auf ganz und gar reine Art geliebt hatte" - für den Erzähler eine kostbar-bewegende Erkenntnis.

"Mehr Liebe" - grandios hat Schulz sein bei Marie von Ebner-Eschenbach geborgtes, abgründig kluges Motto "Die meisten Menschen brauchen mehr Liebe, als sie verdienen" eingelöst; er gönnt sie ihnen und sieht ihnen die Schwäche nach. Und wenn man liest, wie und warum er das tut, dann hat man doch wahrhaftig Tränen in den Augen: vor Lachen, vor Weinen und am Ende bloß noch vor Dankbarkeit dafür, dass Frank Schulz die Schriftstellerei nicht an den Nagel gehängt hat.

Frank Schulz: "Mehr Liebe". Heikle Geschichten. Verlag Galiani, Berlin 2010. 294 S., geb., 19,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Virtuos, unterhaltsam, prall wie das Leben selbst: Die "furiosen Beschreibungsexerzitien", die  Frank Schulz in seinen 22 Erzählungen vorführt, versetzen Frank Schäfer in seiner ausholenden Besprechung in Begeisterung. Ob die heiklen Geschichten, als welche sie im Untertitel geführt werden, nun alle das Thema Liebe beziehungsweise Liebesverlangen durchspielen, ist in den Augen des Rezensenten zweitrangig, denn ihre "Wahrhaftigkeit" und "sprachliche Suggestionskraft" machen sie für ihn zu autarken Kunstwerken. Manche Stories nehmen Bezug auf Figuren aus vorhergehenden Romanen, als reiche der Erzähler bestimmte Details, aus dem Liebesleben des Bodo Morten etwa, nach, andere variieren anhand des Liebesmotivs Protagonisten aus dem Schulz'schen Kosmos. So oder so, formal gehört der Autor zu den Meistern der "epischen Kleinformen" (Novelle, Schnurre, Kalendergeschichte, Feuilleton etc.), inhaltlich stellt der Rezensent beispielsweise in der "Trilogie der Gewalt" eine Neuerung fest, deren "Schärfe und Unterkühltheit im Ton" irritieren.

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