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Produktdetails
  • Verlag: Radius-Verlag
  • 1999.
  • Seitenzahl: 277
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 405g
  • ISBN-13: 9783871731860
  • ISBN-10: 3871731862
  • Artikelnr.: 08331034
Autorenporträt
Friedrich Schorlemmer, geboren 1944 in Wittenberge/Elbe, aufgewachsen in der Altmark. Studium der Theologie, 1978 - 92 Dozent am Evangelischen Predigerseminar und Prediger an der Schlosskirche in Wittenberg, seit 1992 Studienleiter an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt in der Lutherstadt Wittenberg. 1989 erhielt er für sein Wirken die Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für Menschenrechte und 1993 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. 2009 wurde Friedrich Schorlemmer mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.2000

Auch du, Bruder Gregor Gysi

Auf seine alten Tage wird Gregor Gysi fromm. Im Markusevangelium sucht er Gewissheiten, die ihn Wenden meistern lassen. Gern liest er das Logion vom Kamel, das eher durch ein Nadelöhr gelangt als ein Reicher ins Himmelreich. Der PDS-Schriftgelehrte liefert die Exegese gleich mit. Das Neue Testament offenbare "die geistesgeschichtlich bedeutsamste Idee" der Weltgeschichte, "die Idee der Gleichheit, der Brüderlichkeit, der menschlichen Wärme und der Solidarität". Wem würde da nicht warm ums Herz? Wer sähe in Gregor nicht den verkannten Bruder? Auch die SED-Erben wollen in der Berliner Republik christliche Werte predigen. Wenn das keine Frohbotschaft ist! Vierundzwanzig fromme Zeitgenossen haben für Friedrich Schorlemmer Zeugnis von ihrer "Lieblings-Bibelstelle" abgelegt (Friedrich Schorlemmer [Hrsg.]: "Mein Bibeltext". Radius Verlag, Stuttgart 1999. 274 S., geb., 38,- DM).

Viele finden in der Heiligen Schrift nur jene Trivialmoral, die sie immer schon für christlich gehalten haben. Kein Zeitgeist, der sich nicht zum Heiligen Geiste aufblähte. Ich glaube, dass die bösen Anderen schlimme Sünder sind, lautet das Credo der Brüder vom einfältigen Schriftsinn. Zwar lässt der himmlische Vater nach der Bergpredigt "seine Sonne scheinen auf böse wie auf gute Menschen". Franz Alt gelingt es dennoch, Jesu universalistisches Brüderlichkeitsethos in ökopazifistische Kampfrhetorik zu verwandeln. Sein "ökologischer Jesus" ruft zum heiligen Krieg gegen die "Kunstsonnen" der Atomlobby auf. Der Heiland verkünde "die ethische Basis einer künftigen Sonnenstrategie": "Sonnige Menschen setzen auf Sonnenenergie." Können Gutmenschen in Moralsolarien den Morgenglanz der Ewigkeit selbst erzeugen?

Keine religiöse Metapher, die nicht für den "Frieden mit Schöpfung" verhunzt werden darf. Dank hermeneutischer Bruchlandung wird selbst kleinen Geistern große Erleuchtung zuteil. Norbert Blüm liebt den David, der den Goliath besiegt. "Die Kleinen sind nicht immer die Schwächeren, wenn Gott auf ihrer Seite kämpft." So lassen sich die Probleme unseres Gesundheitssystems lösen. An Hiob lässt sich lernen, dass "Leiden die Quelle einer geläuterten Gotteserkenntnis ist". Allerdings wissen die Menschen heute "noch immer wenig mit dem Sinn von Leiden anzufangen". Sie verdrängen den Tod, setzen auf Apparatemedizin und lassen sich wie "Maschinenzubehör sinnlos an Schläuche" anschließen. Gut, dass Blüm seinen Hiob kennt! Selbst kontingentes Sterben kann er sinnhaft deuten. "Das Todesleid verleiht unserem Leben die Würde seiner Einmaligkeit. Leid ist nicht nur Defizit, sondern eine Brücke zum Wesentlichen."

Können nur Kranke "das Wesen" schauen? Oder reicht die Buße, die Heiner Geißler fordert? Er führt uns zum Golgatha der Börsensäle, in denen die Hohepriester des Kapitals den shareholder value anbeten, aber die Menschlichkeit kreuzigen. Wer wollte da nicht lieber Wolfgang Thierse folgen und wie die Vögel unter dem Himmel oder die Lilien auf dem Felde ohne die Ideologie des Privateigentums leben? "Gottes Gerechtigkeit! Das ist etwas anderes als das Ergebnis von Rechtsprechung in einem Rechtsstaat!", stimmt Reinhard Höppner in die ökumenischen Leidensgesänge ein.

Die Politexegeten überführen selbst die unverfügbare Gnade in ihr moralpolitisches Privateigentum. Schorlemmer bejammert den "Exhibitionismus . . . einer medial gesteuerten Welt" und die Schamlosigkeit der Presse, der nichts Privates mehr heilig sei. Warum bittet er seine Autoren dann darum, die Geheimnisse ihres Glaubens mitzuteilen? Die meisten inszenieren sich als Apostel einer "Moralreligion light", die wieder "nett zueinander" sein wollen.

Wenigen Nachdenklichen wie Eberhard Jüngel oder Hans Jochen Vogel gelingt es, biblische Texte so zu lesen, dass es spannend wird: als radikale, bedrohliche Infragestellung der eigenen Selbstverständlichkeiten. Die anderen aber benutzen alte Texte zum Zwecke autoerotischer Selbstaffirmation. Fortwährend verwechseln sie Religion mit Moral. Zum Johannesprolog vom Wort, das Fleisch wurde, fällt Ulrich Wickert ein: "An jedem Wort muss stets gezweifelt werden." Warum dann so viele hohle Wörter?

FRIEDRICH WILHELM GRAF

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