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Produktdetails
  • Verlag: Naumann, Würzburg
  • Seitenzahl: 293
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 410g
  • ISBN-13: 9783885670841
  • ISBN-10: 3885670844
  • Artikelnr.: 24730790
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.04.2000

Facettenauge
Alfred Dreggers Blicke auf die Sicherheitspolitik in den Achtzigern

Alfred Dregger: Mein Blick nach vorn. Herausgegeben von Markus Berger und Klaus Hoff. Verlag Johann Wilhelm Naumann, Würzburg 2000. 293 Seiten, 44,- Mark.

Alfred Dregger, der altgediente CDU-Politiker, knapp zehn Jahre Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag in der großen Zeitenwende bis zur Wiedervereinigung, blickt auf ein langes Leben in der Politik zurück, das ihn vom Fuldaer Rathaus 1970 über den Hessischen Landtag nach der wegen der Bonner Wende verlorenen hessischen Landtagswahl an den Rhein führte, wo er im Oktober 1982 den Fraktionsvorsitz vom neuen Kanzler Helmut Kohl übernahm. Sein Buch - oder besser die von zwei Mitarbeitern ausgewählte und kommentierte Textsammlung aus Reden und Aufsätzen des Namengebers - ist jedoch kein Rückblick, sondern präsentiert sich als "Blick nach vorn". Trotzdem handelt es sich um Lektionen aus der nahen Vergangenheit, um Bruchstücke seiner Gedanken und Forderungen zur damaligen Lage der Nation im geteilten Land, zur unvollendeten Einigung Europas und zur Strategie der atlantischen Allianz in der zu Ende gehenden Ost-West-Konfrontation.

In der letzteren Debatte spielte der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, der im Oktober 1982 eigentlich Verteidigungsminister werden wollte und sich danach auch auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik warf, eine spektakuläre Rolle zwischen Regierung und Opposition. Er stand in wesentlichen Aspekten in der Nuklearwaffenfrage schließlich näher bei der SPD als bei der Regierung, jedenfalls in den letzten Jahren des Ost-West-Konflikts 1986 bis 1989. Im "Dregger-Bahr-Papier" vom 15. Oktober 1987 zur "Gemeinsamen Europäischen Sicherheitspolitik" wurde vor allem Paris aufgefordert, die französischen Nuklearwaffen in eine europäische Verteidigungs- und Sicherheitsstrategie, "eine europäische Sicherheitsunion", einzuordnen. Das erscheint besonders aktuell im Lichte der gegenwärtigen Bemühungen um eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union. Kritisch für die deutsche Politik war damals aber die Trennlinie, die Dregger gemeinsam mit Egon Bahr zu den französischen Absichten autonomer französischer Abschreckung auch auf deutschem Boden mit Kernwaffen zog.

Zur Modernisierung der nuklearen Kurzstreckenwaffen der Nato in Europa nahm er eine parallele Stellung zum anderen Dissidenten in der Regierungskoalition, dem Außenminister Hans-Dietrich Genscher, ein. Beide waren 1988 bis 1989 nahe dabei, das Ende der Koalition unter Kohls Kanzlerschaft zu provozieren, weil sie der Umsetzung des Bündnisbeschlusses, die "Lance"-Raketen mit verlängerter Reichweite und die Atomgranaten der Artillerie zu modernisieren, nicht zustimmten. Ende 1989 stand das Kabinett Kohl wegen dieser Streitfrage, wie der Kanzler damals selber sagte, "vor der Wand", nachdem Genscher die Koalitionsfrage gestellt hatte. Die Bundesregierung wurde nach dem ersten Zurückweichen Kohls im Februar 1989 (nach der verlorenen Berliner Wahl) durch den amerikanischen Präsidenten Bush gerettet, der den Alliierten in der offen ausgebrochenen Bündniskrise den salvatorischen Kompromiss einer Vertagung vorschlug. Ein halbes Jahr danach fiel die Mauer in Berlin.

Auch darum lohnt Dreggers Blick zurück eine rigorose Befragung und Auseinandersetzung. Das gilt besonders für Dreggers Bemerkungen zur letzten "Wintex"-Übung der Nato 1989 mit Planspielen für Kernwaffeneinsatz in Mitteleuropa, die bestätigte, dass die amerikanischen Militärs (wie schon 1987 und 1985) noch immer Kernwaffen in Europa nicht gegen die Sowjetunion, sondern nur gegen deren Armee auf dem Gebiet ihrer Verbündeten einzusetzen bereit waren und damit die neuen politischen Richtlinien nicht beachteten (wobei sie in Washington unterstützt wurden). Dregger berichtet über seine Kontroverse mit General Rogers, dem Oberkommandierenden, der solche Kontroversen schon vorher mit der Bundesregierung hatte und sich dabei die Kritik Präsident Reagens zuzog. Alfred Dregger spielte damals auf eigene Faust eine öffentliche Sekundantenrolle für die Regierung, die ihre Differenzen mit den Alliierten und der Nato-Militärhierarchie nicht publik machen und die Debatte nur allianzintern führen konnte. Die Diskretion des "Blicks nach vorn" gegenüber dieser Historie ist eine bedauernswerte Schwäche der Präsentation, die aber eben kein Memoirenband ist.

LOTHAR RÜHL

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Lothar Rühl scheint ganz zufrieden mit dem von Berger und Hoff ausgewählten Texten zu sein, die das politische Leben Dreggers von 1970 bis 1989 beleuchten. Aber das Buch ist nicht allein ein Rückblick, sondern auch tatsächlich ein "Blick nach vorn", da besonders Dreggers Gedanken zu einer gemeinsamen europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik einen aktuellen Bezug haben, so Rühl. Für eine "bedauernswerte Schwäche" der Textsammlung hält es der Rezensent allerdings, dass Dreggers Auseinandersetzung mit General Roger über die Differenzen der Bundesregierung zur Nato-Politik allzu "diskret" abgehandelt worden seien.

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