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»Ach, wenn Sie doch kein Fürst wären!« schrieb der Märchendichter Hans Christian Andersen an den deutschen Erbgroßherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach.Der Sohn eines Schuhmachers aus Odense in Dänemark und der Erbe der herzoglichen Privilegien in Thüringen sahen sich zum ersten Mal 1844 im nachklassischen Weimar. Andersen hatte zu diesem Zeitpunkt bereits mit seinen ersten Werken großen Ruhm erworben. Besonders seine Märchen machten ihn zu einem der beliebtesten ausländischen Autoren in Deutschland.Die innere Nähe der beiden Männer, die von großer Zuneigung und geistiger…mehr

Produktbeschreibung
»Ach, wenn Sie doch kein Fürst wären!« schrieb der Märchendichter Hans Christian Andersen an den deutschen Erbgroßherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach.Der Sohn eines Schuhmachers aus Odense in Dänemark und der Erbe der herzoglichen Privilegien in Thüringen sahen sich zum ersten Mal 1844 im nachklassischen Weimar. Andersen hatte zu diesem Zeitpunkt bereits mit seinen ersten Werken großen Ruhm erworben. Besonders seine Märchen machten ihn zu einem der beliebtesten ausländischen Autoren in Deutschland.Die innere Nähe der beiden Männer, die von großer Zuneigung und geistiger Übereinstimmung geprägt war sowie von dem Wunsch Carl Alexanders, bedeutende Künstler an Weimar zu binden, dauerte bis zum Tode Andersens im Jahre 1875. Während der deutsch-dänischen Kriege, einer Zeit der gesellschaftlichen Unruhen und nationalen Spannungen, versuchten beide dennoch, an der Idee der Freundschaft festzuhalten.Der erstmalig vollständig und kommentiert herausgegebene Briefwechsel gibt ein treffendes Bild des traditionsbewußten und zugleich aufgeschlossenen Fürsten, der das klassische Weimar als Kulturstätte Deutschlands zu erhalten und zu fördern suchte. Hans Christian Andersen erscheint in seinen Briefen als feinnerviger und nach Anerkennung suchender Dichter und Mensch.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Das weiche Herz
Andersens Briefe an einen Herzog · Von Thomas Steinfeld

Hans Christian Andersen ließ sich heftig drängen. "Ich werde Ihnen nicht gut bleiben erkläre ich Ihnen wenn Sie fortfahren mich so zu behandeln", schrieb ihm Großherzog Carl Alexander im August 1857, "also erwarte ich Sie in Weimar, so Gott will, sonst erkläre ich Ihnen den Krieg." Und Andersen kam. Das Denkmal, das auf dem Platz vor dem Theater steht und Johann Wolfgang Goethe mit Friedrich Schiller Arm in Arm zeigt, wurde im Beisein des dänischen Dichters eingeweiht. "Schiller ähnelt mir", schrieb Andersen in sein Tagebuch. Dabei kann es ihm nicht um eine physiognomische Ähnlichkeit, etwa um die unbestreitbare Verwandtschaft der Nasen, gegangen sein.

Er muß etwas anderes gemeint haben. Die Ähnlichkeit des Blicks zum Beispiel. Der Goethe des Denkmals umfaßt mit ruhigem Blick die vor ihm ausgebreitete Welt. Schiller hebt den Kopf der Weite des Ideals entgegen. Aber sein Blick scheint, wie von einem Widerstand gehemmt, in sich selbst zurückzukehren. In dieser Haltung liegt die Ähnlichkeit: Andersen, der zur Photographie ein inniges Verhältnis hatte, erscheint auf Hunderten von Bildern mit gerecktem Kinn und gesenktem Blick. Sein Gesicht ist sinnend und fordernd zugleich. Es ist der Blick eines Erzählers, der als Herrscher im Reich der Phantasie die Wirklichkeit mit seiner Sehnsucht einzudämmen sucht. Schiller, der idealische Dichter, und Andersen, der Märchenerzähler, begegnen sich im biedermeierlichen Idyll.

Der Briefwechsel zwischen Hans Christian Andersen und dem Weimarer Herzog ist ein seltsames, ja bizarres Dokument: auf der einen Seite der Fürst, der seine Kindheit noch in der Gesellschaft Goethes verbracht hatte und das Erbe der deutschen Klassik zu bewahren und fortzusetzen beanspruchte, auf der anderen der Sohn eines armen Schuhmachers und einer Waschfrau, ein in seiner dänischen Heimat lange verlachter Dichter, der auf seinen rastlosen Wanderschaften durch Europa sein Freundschaftsalbum mit den Zelebritäten Europas füllte. Über mehr als dreißig Jahre erstreckt sich dieser Briefwechsel, vom August 1844 bis zum Tod des Dichters im Sommer 1875. Fast zweihundert Briefe gingen in dieser Zeit hin und her, am Anfang in rascher Folge, am Ende in manchmal jahrelangem Abstand. Ivy York Möller-Christensen und Ernst Möller-Christensen haben sie nun zum ersten Mal vollständig, in der originalen Orthographie und mit einem umfangreichen Kommentar herausgegeben.

Andersen war auf einer seiner großen Touren zum ersten Mal nach Weimar gekommen. Bei Robert Schumann, Jacob Grimm, Ludwig Tieck, Alexander von Humboldt, Bettina von Arnim und Henrik Steffens hatte er schon seine Aufwartung gemacht, und nun war Weimar an der Reihe. Als er auf der Ettersburg, der Sommerresidenz des Fürstenhauses, dem jungen Erbgroßherzog vorgestellt wurde, ist er dennoch tief bewegt: "Ich liebe den jungen Herzog recht sehr", schreibt er in sein Tagebuch, "er ist der erste von allen Prinzen, der mir so recht gefallen hat, von dem ich wünschte, daß er kein Prinz wäre, oder daß auch ich einer wäre." Und offenbar beruht die Begeisterung wenigstens zu einem Teil auf Gegenseitigkeit. "Mein Herz ist gar zu voll der Freude die sie ihm bereitet, als daß es schweigen könnte", schwärmt der Fürst in seinem ersten Brief, und bald drängt er den Dichter, sich doch auf Dauer in Weimar niederzulassen oder dort wenigstens seine "zweite Heimat" einzurichten.

Die Begegnung findet auf romantischem Terrain statt, auf dem Parnaß der schönen Seelen. Die Briefe sind ein Echo der Freundschaftspoesie des achtzehnten Jahrhunderts, verhandelt wird fast nichts. Um so wichtiger sind Bekenntnisse der gegenseitigen Zuneigung - und die Beschwörung der Märchenwelt, als deren Künder Andersen auftritt und mit deren Ausschmückung sich auch der Herzog beschäftigt. Lange noch spielt die Erinnerung an das gemeinsam erlebte Volksfest zum sechsundzwanzigsten Geburtstag des jungen Fürsten eine Rolle in den Briefen, an "die Bauern die nach Bändern kletterten auf den Schlaraffenstang, die duftenden Linden, mit den bunten Laternen, unsre Wandrung, mein edler Herzog, durch den Wald . . ." Auch dies ist eine Erinnerung an die älteren Zeiten, es ist, als sollten noch einmal die Schäferspiele und lebenden Bilder der späten Aufklärung beschworen werden.

Aber aus der Epoche der Empfindsamkeit ist das Zeitalter der Operette geworden, und Hans Christian Andersen kann bereits bei seinem vierten Besuch in Weimar im Herbst 1847 die Eisenbahn benutzen. Das Idyll, das sich die beiden gegenseitig bebildern, ist längst aus der Öffentlichkeit zurückgenommen ins private Interieur, der Fürst tritt als Familienvater auf, die berühmten Menschen, die weltbekannten Künstler, Wissenschaftler und regierenden Fürsten, von denen vor allem Andersen berichtet, sind stets "freundlich" und "gut", haben ein "weiches Herz" und einen "milden Blick". Eine Spielwelt hat sich aufgetan, und Carl Alexander spielt mit: Die Wiederbelebung des Musenhofs, die er im Sinn hat, mit Hans Christian Andersen, dem Malerpoeten Victor von Scheffel und Berthold Auerbach, dem Dichter der "Schwarzwälder Dorfgeschichten", ist fast eine Parodie auf die Hofgesellschaft Anna Amalias. Daß keiner der beiden Briefschreiber der deutschen Sprache wirklich mächtig ist, läßt den Aufschwung zum Pathos um so komischer versanden.

Auch das ist Operette. Am Ende sind in dieser Korrespondenz viele Elemente der leichten Muse versammelt: Immer wieder berichten die Briefe von den Schwierigkeiten der Liebenden, zusammenzukommen: "Ich habe Sie noch sehen wollen, lieber Freund und konnte es nicht." Die Rollen werden getauscht: Der Fürst versucht sich im Märchenton Hans Christian Andersens, er schlägt ihm Sujets vor und liefert die Exposition gleich mit: "Was meinen Sie über die Skizze? Sie könnten noch etwas Mord und Totschlag hinein verweben, daß es recht schauerlich würde."Unterdessen reist der Poet als Diplomat in eigener Sache durch Europa und berichtet von Einladungen, von Anerkennung und Ordensverleihungen. Ganz wie in der Operette kommen Groß und Klein, Arm und Reich, Königssohn und armer Leute Kind zusammen.

Aber diese Innigkeit ist nur so lange möglich, wie die Wirklichkeit davon nicht tangiert wird. Mit dem Deutsch-Dänischen Krieg von 1848 zieht der Ernst in den Briefwechsel ein. Zwar mühen sich beide Seiten, der Politik keinen Eingang in die Idylle zu gewähren, aber sie schaffen es nicht. Andersen reklamiert nun die Empfindsamkeit für die dänische Seite, und der Großherzog reagiert gereizt. Die beseelte Privatheit erweist sich als hohle Form, und der Operettenheld muß mit einer Hilfsbrigade nach Schleswig-Holstein ziehen.

Den zweiten Schlag erfährt die Freundschaft, als Carl Alexander im Juli 1853 zum regierenden Fürsten wird. Er hat die Aufsicht über die Kunst- und Bildungsanstalten übernommen, er will der deutschen Kunst einen großen Preis widmen, er überlegt, eine Goethe-Stiftung einzurichten. Längst ist die Dichtung nicht mehr das unbestrittene Zentrum Weimars. Die Musik, weniger durch Sängerin Jenny Lind, Andersens Freundin, als durch den Klaviervirtuosen Franz Liszt vertreten, ist ungleich repräsentativer. Sie füllt die großen Säle, und Literatur bleibt in der Lesestube. An die Stelle des Dichterfürsten ist der Pianist, der große Verführer, getreten. Er reckt nun das Kinn, blickt in die Weite und hält die Verbindung zum Höheren. Die Briefe zwischen Andersen und Carl Alexander werden seltener, beschränken sich auf einfache Geschichten und gute Wünsche. Am Ende spukt der innige Ton nur noch wie ein fernes Echo zwischen den Zeilen.

Einmal noch gibt es ein Märchen. Im April 1857 schickt Hans Christian Andersen die Geschichte von des "Hagestolzen Nachtmütze", die er eigens für seinen fürstlichen Freund hat übersetzen lassen. Sie spielt in Thüringen und erzählt von dem Knaben Anton und dem Mädchen Molly, die einander herzlich lieben und gemeinsam einen Apfelbaum pflanzen. Aber das Leben treibt die beiden auseinander, Molly liebt einen anderen, Anton bleibt allein und darf nur träumen: "Ein blühender Apfelbaum war es, das sah er jetzt, der wölbte sich über ihm, es war der Baum, den er mit Molly als kleinen Kern in die Erde gesteckt hatte." Und so stirbt der Hagestolz. Aber der Großherzog konnte oder wollte die Botschaft nicht verstehen. Die Erfindung sei "glücklich", schreibt er zurück, und manche Gedanken "von reizender Poesie".

Die nächste Sendung des Dichters enthielt das Märchen "Etwas". Es handelt von fünf Brüdern, die alle "etwas" werden wollen. Vier von ihnen vertun ihr Leben im Streben nach Ruhm und Reichtum. Einer aber hat einmal etwas Gutes getan. Ihm gehört der Triumph des Geringen über die Mächtigen.

"Mein edler , theurer Großherzog!" Briefwechsel zwischen Hans Christian Andersen und Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach. Hrsg. von Ivy Möller-Christensen und Ernst Möller-Christensen. Wallstein Verlag, Göttingen 1998. 384 S., geb., 58,- DM.

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