ZUGÄNGLICHE, VIELFACH PREISGEKRÖNTE LYRIK IN FORM EINES REISETAGEBUCHSDie Welt in Gedichten erfassen, vermeintlich im Vorübergehen, und doch an DAS WESEN DER DINGE rühren - MICHAEL KRÜGER hat diese Kunst zur Meisterschaft gebracht in seiner Jahrzehnte währenden Arbeit als Lyriker. In "Mein Europa" zeigt er sich auf intime Weise als ENTHUSIAST DES STILLEN BEOBACHTENS, als EINGEWEIHTER IM GESPRÄCH DER TIERE, als Skeptiker der menschlichen Natur, als Kenner vielfältiger Traditionen, Kulturen und Sprachen - und nicht zuletzt als GLÜHENDER ANHÄNGER DES EUROPÄISCHEN GEDANKENS. GEDICHTE VON ORTEN IN GANZ EUROPA, VON DEN ZENTREN BIS IN DIE PERIPHERIEÜber den Zeitraum von eineinhalb Jahren hat Michael Krüger AN ALL DEN ORTEN, DIE ER BEREISTE, GEDICHTE VERFASST. Es sind die Orte der Peripherie, an denen er mehr über sich und das Leben vernimmt als im Trubel der großen Städte. Entstanden ist ein SEHR PERSÖNLICHER ATLAS EUROPAS, chronologisch unterteilt in die VIER JAHRESZEITEN, in dem man MIT DEM BLICK DES AUTORS IN DIE WELT EBENSO WIE IN SEINE GANZ PRIVATE UMGEBUNG schaut. ___________________________________________________Erscheint IN BIBLIOPHILER AUSSTATTUNG und ist AUCH ALS NUMMERIERTE UND SIGNIERTE VORZUGSAUSGABE ERHÄLTLICH.___________________________________________________Pressestimmen:"Michael Krüger ist mir als Leserin ein immer anregender Autor verblüffender Romane und berührender Gedichte gewesen und ist das noch. Er ist gescheit, witzig, melancholisch, weltläufig." FOCUS, Elke Heidenreich (aus den Pressestimmen zu "Vorübergehende")"Ein besonders feiner, ironischer, sowie melancholischer Betrachter menschlichen Treibens."Bayrischer Rundfunk, Bernhard Setzwein (aus den Pressestimmen zu "Das Irrenhaus")
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.02.2020Du willst es schwärzer
Gedichte, die einer schrieb, nachdem er flanierend der Zivilisation entsagte und Zuflucht in Natur und Romantik suchte: Michael Krügers "Mein Europa"
Michael Krügers Gedichtbuch "Mein Europa" ist ein Buch des Abschieds, und das in gleich zweifacher Hinsicht: des Abschieds von einem Europa, das, wie es im Nachwort heißt, kollektiv "den Verstand verloren" habe und sich als große, freiheitsstiftende und -bewahrende Idee gegenwärtig selbst zersetze; und des Abschieds von einem Leben, das nunmehr "ganz" am "Schluss" stehe, wie gleich zu Beginn mit einem Zitat aus Rilkes "Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" verkündet wird.
Es sind weit mehr als zweihundert Gedichte, die von 2017 bis 2019 als Tagebucheinträge entstanden sind. Erhalten hat sich der Entstehungsprozess - zumindest andeutungsweise - in der Gliederung des Bandes nach den Jahreszeiten. Die Titel der Gedichte benennen die Orte, an denen sie verfasst worden sind: große und kleine Städte, Gegenden und Landschaften, die fast über den ganzen Kontinent verstreut sind (nur der Norden, jenseits von Lübeck, bleibt ausgespart). Das Zentrum des lyrisch kartierten Europas ist München und seine Umgebung: der Englische Garten mit seinem Wehr, die Moore zwischen Starnberger See und Gebirge. Hier ist Michael Krüger zu Hause.
Es sind flanierende Gedichte, die in diesem Band zusammengetragen sind. Sie fangen den Moment eines kurzen Innehaltens ein, jenen Moment, in dem ein Spaziergänger einem Gedanken nachgeht, sich einer Beobachtung widmet, um seinen Gang daraufhin gleich fortzusetzen: "Tagesmüd binden die Kellner / die Blumenkübel fest / vor der Cigale, / und die Loire, tagesmüd auch, / hält die Stadt zusammen", so etwa beginnt das Gedicht "Nantes". Neben solchen alltäglichen Stadtszenen, die zwangsläufig an Baudelaire denken lassen, richtet sich der Blick häufig auf Altes, Sakrales und immer wieder auf Erscheinungen jenseits der Alltagsnorm: "Heute sah ich wieder den Schneeflockenzähler / mit seinem blinden Hund. / Er arbeitet an einem Glossar der Kristalle". Für metrische Feinheiten, für Strophenformen oder Reime gar bleibt in dieser Poetik keine Zeit. Frei wie die Bewegung des Flanierenden im Raum sind die Verse der meist recht kurzen Gedichte.
Die Leichtigkeit in der Form kontrastiert mit der Schwermut, die für den Gedichtband in weiten Teilen bestimmend ist und sich manchmal in vehemente Zeitkritik verwandelt. "Man muss Mut und Ausdauer haben / um heute zu Fuß eine Stadt zu verlassen, / sich durch die Möbelhallen und Autohäuser zu schlagen, / die jede Ansiedelung im Würgegriff halten", klagt das Ich in einem Gedicht. Es kulminiert in dem bleischweren Satz: "Offen gesagt, gebe ich keinen Cent / mehr auf diese Zivilisation". Aber es bleibt nicht bei der Totalabsage, die übrigens einen besonderen Akzent setzt auf Umwelt- und Klimaschäden ("wo die Borke von den schimmligen Birken platzt, / weil sie den Diesel nicht unterbringen / in den alten Gesetzen der Photosynthese"). Das Ich hält sich fest an einem "kleinen Geviert" jenseits der modernen Lebensrealität, "wo der blanke Mond / in all seiner Unschuld zu sehen ist / ein winziger Fleck" nur, dem aber nichts Geringeres zugetraut wird, als "uns" zu "retten". Gar nicht so leise klingt in diesen Versen die liedhafte Waldmetaphysik des späten Eichendorff an, und auch in Krügers Nature Writing - in der Zwiesprache mit Bäumen ("Ich bin doch auch nur, weil du bist") und Bergen ("Bruder Berg / nimm all deine Steine zusammen / und leg mir den Kiesel aufs Aug") - finden sich Spuren der Romantik.
Aber was außerhalb der bedrohten Natur vermag dem Ich noch Halt zu geben? Von den Göttern jedenfalls ist nicht mehr zu hören als ein "schüchternes Krächzen". Und der Glaube? Er ist ebenso "zerfleddert" wie der "Unglaube", das allein sei "gewiss". Ja, nicht einmal in sich selbst setzt das Ich noch Vertrauen: "Ich bin doch auch nur ein alter Idiot", flüstert es im graubündischen Parpan zwei "blinden, stocktauben Hunden" zu. Der Wunsch, nach dem nicht mehr fernen Ableben kein Grab zu erhalten, sondern namenlos als Asche verstreut zu werden (denn "die Birke hat Asche nötig"), erscheint da nur konsequent.
"You Want it Darker": Der Titel, den Leonard Cohen dem letzten Album seines Lebens gegeben hat, benennt vielleicht am besten die spätzeitliche Stimmung, von der "Mein Europa" gekennzeichnet ist. Und ähnlich wie Cohens Songs sind auch Krügers Gedichte nicht ganz leicht zu ertragen, zumal nicht in diesem langen, zähen Winter (der noch nicht einmal ein richtiger Winter ist). Selbst die Lakonie, die sich ganz selten in ihnen findet, ist getränkt in schwarze Galle: "Jetzt, wo es fast vorbei ist, fängt man an, / sich an das Leben zu gewöhnen."
KAI SINA
Michael Krüger
"Mein Europa". Gedichte aus dem Tagebuch.
Haymon Verlag, Innsbruck 2019. 256 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gedichte, die einer schrieb, nachdem er flanierend der Zivilisation entsagte und Zuflucht in Natur und Romantik suchte: Michael Krügers "Mein Europa"
Michael Krügers Gedichtbuch "Mein Europa" ist ein Buch des Abschieds, und das in gleich zweifacher Hinsicht: des Abschieds von einem Europa, das, wie es im Nachwort heißt, kollektiv "den Verstand verloren" habe und sich als große, freiheitsstiftende und -bewahrende Idee gegenwärtig selbst zersetze; und des Abschieds von einem Leben, das nunmehr "ganz" am "Schluss" stehe, wie gleich zu Beginn mit einem Zitat aus Rilkes "Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" verkündet wird.
Es sind weit mehr als zweihundert Gedichte, die von 2017 bis 2019 als Tagebucheinträge entstanden sind. Erhalten hat sich der Entstehungsprozess - zumindest andeutungsweise - in der Gliederung des Bandes nach den Jahreszeiten. Die Titel der Gedichte benennen die Orte, an denen sie verfasst worden sind: große und kleine Städte, Gegenden und Landschaften, die fast über den ganzen Kontinent verstreut sind (nur der Norden, jenseits von Lübeck, bleibt ausgespart). Das Zentrum des lyrisch kartierten Europas ist München und seine Umgebung: der Englische Garten mit seinem Wehr, die Moore zwischen Starnberger See und Gebirge. Hier ist Michael Krüger zu Hause.
Es sind flanierende Gedichte, die in diesem Band zusammengetragen sind. Sie fangen den Moment eines kurzen Innehaltens ein, jenen Moment, in dem ein Spaziergänger einem Gedanken nachgeht, sich einer Beobachtung widmet, um seinen Gang daraufhin gleich fortzusetzen: "Tagesmüd binden die Kellner / die Blumenkübel fest / vor der Cigale, / und die Loire, tagesmüd auch, / hält die Stadt zusammen", so etwa beginnt das Gedicht "Nantes". Neben solchen alltäglichen Stadtszenen, die zwangsläufig an Baudelaire denken lassen, richtet sich der Blick häufig auf Altes, Sakrales und immer wieder auf Erscheinungen jenseits der Alltagsnorm: "Heute sah ich wieder den Schneeflockenzähler / mit seinem blinden Hund. / Er arbeitet an einem Glossar der Kristalle". Für metrische Feinheiten, für Strophenformen oder Reime gar bleibt in dieser Poetik keine Zeit. Frei wie die Bewegung des Flanierenden im Raum sind die Verse der meist recht kurzen Gedichte.
Die Leichtigkeit in der Form kontrastiert mit der Schwermut, die für den Gedichtband in weiten Teilen bestimmend ist und sich manchmal in vehemente Zeitkritik verwandelt. "Man muss Mut und Ausdauer haben / um heute zu Fuß eine Stadt zu verlassen, / sich durch die Möbelhallen und Autohäuser zu schlagen, / die jede Ansiedelung im Würgegriff halten", klagt das Ich in einem Gedicht. Es kulminiert in dem bleischweren Satz: "Offen gesagt, gebe ich keinen Cent / mehr auf diese Zivilisation". Aber es bleibt nicht bei der Totalabsage, die übrigens einen besonderen Akzent setzt auf Umwelt- und Klimaschäden ("wo die Borke von den schimmligen Birken platzt, / weil sie den Diesel nicht unterbringen / in den alten Gesetzen der Photosynthese"). Das Ich hält sich fest an einem "kleinen Geviert" jenseits der modernen Lebensrealität, "wo der blanke Mond / in all seiner Unschuld zu sehen ist / ein winziger Fleck" nur, dem aber nichts Geringeres zugetraut wird, als "uns" zu "retten". Gar nicht so leise klingt in diesen Versen die liedhafte Waldmetaphysik des späten Eichendorff an, und auch in Krügers Nature Writing - in der Zwiesprache mit Bäumen ("Ich bin doch auch nur, weil du bist") und Bergen ("Bruder Berg / nimm all deine Steine zusammen / und leg mir den Kiesel aufs Aug") - finden sich Spuren der Romantik.
Aber was außerhalb der bedrohten Natur vermag dem Ich noch Halt zu geben? Von den Göttern jedenfalls ist nicht mehr zu hören als ein "schüchternes Krächzen". Und der Glaube? Er ist ebenso "zerfleddert" wie der "Unglaube", das allein sei "gewiss". Ja, nicht einmal in sich selbst setzt das Ich noch Vertrauen: "Ich bin doch auch nur ein alter Idiot", flüstert es im graubündischen Parpan zwei "blinden, stocktauben Hunden" zu. Der Wunsch, nach dem nicht mehr fernen Ableben kein Grab zu erhalten, sondern namenlos als Asche verstreut zu werden (denn "die Birke hat Asche nötig"), erscheint da nur konsequent.
"You Want it Darker": Der Titel, den Leonard Cohen dem letzten Album seines Lebens gegeben hat, benennt vielleicht am besten die spätzeitliche Stimmung, von der "Mein Europa" gekennzeichnet ist. Und ähnlich wie Cohens Songs sind auch Krügers Gedichte nicht ganz leicht zu ertragen, zumal nicht in diesem langen, zähen Winter (der noch nicht einmal ein richtiger Winter ist). Selbst die Lakonie, die sich ganz selten in ihnen findet, ist getränkt in schwarze Galle: "Jetzt, wo es fast vorbei ist, fängt man an, / sich an das Leben zu gewöhnen."
KAI SINA
Michael Krüger
"Mein Europa". Gedichte aus dem Tagebuch.
Haymon Verlag, Innsbruck 2019. 256 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main