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»Nie habe ich von Pater G. erzählt, aus Angst, man könne mir anmerken, dass ich sein Kind geblieben bin.«
»Meine Eltern hatten mich der Gemeinschaft der Patres anvertraut, weil mich dort das Beste, das selbst sie mir nicht geben konnten, erwarten würde. Ich habe sie heimlich oft verflucht, weil sie mich nicht darauf vorbereitet hatten, was dieses Beste sei ...« Als Zehnjähriger wurde Josef Haslinger Schüler des Sängerknabenkonvikts Stift Zwettl. Er war religiös, sogar davon überzeugt, Priester werden zu wollen, er liebte die Kirche. Seine Liebe wurde von den Patres erwidert. Erst von einem,…mehr

Produktbeschreibung
»Nie habe ich von Pater G. erzählt, aus Angst, man könne mir anmerken, dass ich sein Kind geblieben bin.«

»Meine Eltern hatten mich der Gemeinschaft der Patres anvertraut, weil mich dort das Beste, das selbst sie mir nicht geben konnten, erwarten würde. Ich habe sie heimlich oft verflucht, weil sie mich nicht darauf vorbereitet hatten, was dieses Beste sei ...« Als Zehnjähriger wurde Josef Haslinger Schüler des Sängerknabenkonvikts Stift Zwettl. Er war religiös, sogar davon überzeugt, Priester werden zu wollen, er liebte die Kirche. Seine Liebe wurde von den Patres erwidert. Erst von einem, dann von anderen.

Ende Februar 2019 tritt Haslinger vor die Ombudsstelle der Erzdiözese Wien für Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche. Dreimal muss er seine Geschichte vor unterschiedlich besetzten Gremien erzählen. Bis der Protokollant ihn schließlich auffordert, die Geschichte doch bitte selbst aufzuschreiben.
Autorenporträt
Josef Haslinger, 1955 in Zwettl/Niederösterreich geboren, lebt in Wien und Leipzig. Seit 1996 lehrt Haslinger als Professor für literarische Ästhetik am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 1995 erschien sein Roman ¿Opernball¿, 2000 ¿Das Vaterspiel¿, 2006 ¿Zugvögel¿, 2007 ¿Phi Phi Island¿. Sein letztes Buch ¿Jáchymov¿ erschien im Herbst 2011. Haslinger erhielt zahlreiche Preise, zuletzt den Preis der Stadt Wien, den Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels und den Rheingau Literaturpreis. 2010 war er Mainzer Stadtschreiber. Literaturpreise: Theodor Körner Preis (1980) Österreichisches Staatsstipendium für Literatur (1982) Förderungspreis der Stadt Wien (1984) Stipendium des Deutschen Literaturfonds (1985) Österreichisches Dramatikerstipendium (1988) Elias Canetti-Stipendium der Stadt Wien (1993-94) Stipendium des Deutschen Literaturfonds (1994) Förderungspreis des Landes Niederösterreich für Literatur (1994) Preis der Stadt Wien und Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels (2000) Mainzer Stadtschreiber (2010) Rheingau Literatur Preis (2011)
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rezensentin Petra Pluwatsch dankt Josef Haslinger für seine offenen Worte zum sexuellen Missbrauch im Stift Zwettl und zu seinen eigenen Erfahrungen dort als Sängerknabe. Dass es 50 Jahre gedauert hat, bis der Autor "Klartext" redet, kann die Rezensentin verstehen angesichts des perfiden psychologischen Bündnisses zwischen Täter und Opfer, wie es Haslinger am eigenen Beispiel schildert. Ein Lehrstück, das über die bloße Fallschilderung hinausgeht, meint Pluwatsch.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.02.2020

Eine Missbrauchsaffäre
Diese Zeit ragt bis in die Gegenwart: Josef Haslinger legt kirchliche Übergriffe offen

Man ahnt, nein, man ist sich sicher zu wissen, was sich da in der einen oder anderen Klosterzelle zugetragen hat, während die übrigen Klosterschüler in ihrer kargen Freizeit ein "Ringerl Tischtennis" gespielt haben. Und man ahnt, warum der "Spieß", wie ihn alle nannten, eigentlich Spießmayr, aus der Klosterschule genommen wurde. Der Pater Gottfried, nun, der "werde für neue Aufgaben im Stift Heiligenkreuz gebraucht". Josef Haslinger fügt noch hinzu: "Das ist meine letzte Erinnerung an den Spieß. Ein paar Monate später hieß es, er sei gestorben. Vom Berg gestürzt."

In sieben unterschiedlich kurzen Geschichten - der Band "Child in Time", einschließlich der zahlreichen, auch nicht gerade fröhlichen Schwarzweißbilder von Maix Mayer, kommt gerade einmal auf 128 Seiten - erzählt der 1955 im tiefsten Niederösterreich, in Zwettl (hauptsächlich bekannt für das dort seit 1138/39 bestehende Zisterzienserstift), geborene Haslinger von seiner Kindheit und Jugend. Vieles deutet er hier nur an, so etwa gewisse Erfahrungen als Klosterschüler und Chorknabe. Wofür man ihm dankbar ist, sind die Bilder, die beim Lesen im Kopf entstehen, doch schlimm genug. Zum Glück kann man sie meist leicht wegwischen.

Das schmale Bändchen will man aber dennoch nicht aus der Hand legen, schlägt einen doch die aufs äußerste reduzierte Sprache von der ersten Seite an in ihren Bann. Ganz so trostlos und brutal hat man sich als Städter, als Wiener zumal, die Zeit auf dem Land bis zum Erwachsenwerden dann doch nicht ausgemalt. Letztlich hat es Haslinger aber geschafft, dort rauszukommen. Seinen (ersten?) Fluchtversuch, direkt vom Begräbnis seiner Eltern weg, da war er 22 oder 23 Jahre alt, schildert er in einem (nach seiner jüngsten Schwester) "Marie" übertitelten Abschnitt. Nach Salisbury oder seinetwegen auch London wollte er, immerhin bis an die Ärmelkanalküste hat er es per Autostopp geschafft.

Priester, wie das seiner Mutter und eine Zeit auch ihm selbst wohl vorschwebte, ist Haslinger nicht geworden, sondern Schriftsteller. Auch dafür darf man dankbar sein. Und wenn man auf der letzten Seite dieses kleinen bitteren Meisterwerkes angekommen ist, verspürt man das Verlangen, sich die titelgebende, mehr als zehn Minuten dauernde Nummer "Child in Time" von Deep Purple wieder einmal herauszukramen und anzuhören.

Ziemlich anders verhält es sich da mit dem zweiten, jüngeren Buch von Josef Haslinger. "Mein Fall" ist, literarisch betrachtet, kein großer Wurf. Wiederholungen einzelner Episoden, nicht einmal aus unterschiedlicher Perspektive, kommen da oft vor. Manche Kapitel - insgesamt dreizehn in diesem ebenfalls mit knapp 140 Seiten schmalen Band - wirken wie Entwürfe zu längeren Geschichten, nach deren Abfassung es sich Haslinger dann doch anders überlegt und sie, man möchte fast sagen: lieblos, in einem Sammelband zusammengepfercht hat.

Aber da beginge man einen Fehler. Denn der Titel des Buchs ist keine verklausulierte Anspielung, kein witzig gemeintes Zitat - er ist, was er ist: die Schilderung seines Falls, des Missbrauchs eines Sohnes aus bäuerlich-katholischem Milieu in einer Klosterschule. In einer kirchlichen Erziehungsanstalt, in der über die in Österreich erst Mitte der siebziger Jahre abgeschaffte Erlaubnis zur körperlichen Züchtigung hinaus gewütet wurde - Watschen oder Liegestütze bis zur Erschöpfung der Buben als Strafe waren offenbar an der Tagesordnung.

Aber auch, und das ist der eigentliche Anlass zur Veröffentlichung von "Mein Fall", die damals, Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre, an Haslinger verübten sexuellen Übergriffe einzelner Patres und Fratres, aber auch älterer Mitschüler und sogar einer nichtpriesterlichen Person, des Orgelspielers. Freilich nicht nur an ihm, aber außer denen der Täter (kann hier auch eine "Unschuldsvermutung" gelten?), die mittlerweile alle gestorben sind, nennt Haslinger keine Namen.

Die Erzählung, die "Mein Fall" denn doch darstellt, beginnt mit einem Irrtum. Erst Ende 2018 beschließt Haslinger, nachdem er in Kurzgeschichten, aber auch Interviews und Essays, wenn auch oft versteckt und nach heutiger Einschätzung zu sanft, zu Fällen von Kindesmissbrauch in (katholisch-)kirchlichen Einrichtungen Stellung bezogen hat, sich mit der eigenen Geschichte an die bereits acht Jahre zuvor vom Wiener Erzbischof Kardinal Schönborn auf öffentlichen Druck hin eingesetzte und jenem unterstehende Untersuchungsbehörde - nach ihrer Vorsitzenden, der ehemaligen steirischen Frau Landeshauptmann (in Deutschland entspräche das der Ministerpräsidentin eines Bundeslandes) Waltraud Klasnic, im Volksmund "Klasnic-Kommission" genannt - zu wenden. Um genau zu sein, muss Haslinger seine nun fast fünfzig Jahre zurückliegenden Missbrauchserfahrungen dreimal schildern, was er, merkbar verwirrt und begreiflicherweise verärgert, sehr genau darlegt. Beinahe resignierend stellt er an anderer Stelle fest: "Das Ausmaß der Übergriffe blieb unklar. Es war eine Missbrauchsaffäre. Aber eine Affäre, von der die Öffentlichkeit nichts erfährt, ist eigentlich keine Affäre, sondern ein bloßer Vorfall." In einem späten Kapitel zieht er sein Resümee: "Autoritäre Systeme sind so hartnäckig, weil man in sie hineinwächst."

"Mein Fall" ist Beichte und Abrechnung, auch mit der eigenen Unzulänglichkeit, zugleich. Es ist kein schönes, kein aufbauendes, nicht einmal ein tröstliches Buch. Man will es kein zweites Mal lesen. Aber einmal sollte man es unbedingt gelesen haben.

MARTIN LHOTZKY

Josef Haslinger: "Child in Time". Ein literarisches Bilderbuch.

Fotografisch eingerichtet von Maix Mayer. Faber & Faber Verlag, Leipzig 2019. 128 S., geb., 20,- [Euro].

Josef Haslinger: "Mein Fall".

Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2020. 139 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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ein bemerkenswertes Buch [...]. Gegen seine inneren Widerstände hat Haslinger eine eigene, schlüssige Form [...] gefunden. Christoph Schröder Die Zeit 20200206