Wachsen, gedeihen, welken und vergehen sind ganz normale Rhythmen des Gartenjahres, die sich im menschlichen Leben widerspiegeln. Diese Kreisläufe im Garten zu erleben, hilft oft eigene Lebensphasen zu bewältigen und neue Kraft zu schöpfen oder gleich wahres Glück zu empfinden. Ein Geschenkbuch, dass das Augenmerk nicht auf die Gestaltung oder die Gartenpflanzen legt, sondern auf den gärtnernden Menschen und seine Stimmungen im Garten. Geschrieben aufgrund eigener, langjähriger Erfahrung - authentisch und Mut machend.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.05.2016Paradies mit offenem Vollzug
Helga Urban hat sich eine Idylle geschaffen. In "Mein Garten" berichtet sie von Erfahrungen, Verlusten, Träumen.
Von Mechthild Harting
Es gibt keinen Mangel an Gartenliteratur. Auch an Bekenntnissen über die therapeutische Wirkung des Gärtnerns, des Arbeitens mit Pflanzen und Grün, fehlt es nicht. Also warum sollte man das kleine gebundene Büchlein der Frankfurter Hobbygärtnerin Helga Urban lesen, das den Titel "Mein Garten - ein Geben und Nehmen" trägt? Die Antwort ist einfach: Weil alle diejenigen, die spüren, dass für sie ein Garten mehr ist als ein Dekorationsobjekt, um Gäste und Nachbarn zu beeindrucken, und die schon einmal Glücksgefühle empfunden haben, wenn eine längst totgesagte Pflanze plötzlich doch wieder austreibt, Spaß an der Lektüre haben werden. Selbst Gartengegner können profitieren. Sie erfahren, dass sie einem teuren, kräftezehrenden, nie endenden Hobby mit Suchtpotential entkommen sind.
Entstanden ist das 170 Seiten umfassende Büchlein aufgrund eines Artikels, der im April 2014 in der "Garten-Beilage" dieser Zeitung erschienen ist. Zu dem Zeitpunkt war Helga Urban bereits als Gartenbuchautorin bekannt, Verleger Matthias Ulmer regte aufgrund des Artikels an, Urban solle mehr über ihre Erfahrungen als Gärtnerin berichten, über die Wechselwirkung zwischen Pflanzen und Menschen.
Tatsächlich spricht Urban nicht nur mit ihren Pflanzen, wie es einige Gärtner tun, um sie als geduldige Zuhörer zu missbrauchen, sondern sie droht ihnen auch, wenn die nicht so wollen wie sie. Unter der Kapitelüberschrift "Und bist du nicht willig..." zitiert sie nicht nur Goethe, sondern macht unmissverständlich deutlich, dass sie bereit ist, Hand anzulegen. "Ihre Schützlinge müssen spüren, dass Sie das Sagen haben", rät sie. Auf Empfehlung eines Rosenzüchters aus Bad Nauheim hat sie etwa einen eigens aus England mitgebrachten Rhododendronstrauch bearbeitet, der bei ihr "mickrig" ausgesehen habe. Der Rosenzüchter habe ihr geraten, die Pflanze mal kräftig anzupacken. "Du roppst sie hin und her, bis sie denkt, sie müsse verrecken. Du wirst sehen, das hilft." Urban hat nach eigenen Angaben daraufhin an der Pflanze "geroppt", gezogen und geschüttelt. Seitdem blühe sie den ganzen Mai mit winzigen weißen Blüten - genau so, wie es sich die Gärtnerin beim Kauf vorgestellt hat. Anekdoten wie diese finden sich viele in dem Buch. Urban gesteht auch ein, dass sie mit den Pflanzen nicht nur schimpft und ihnen schmeichelt, sondern dass sie fast allen eine zweite Chance zugesteht. Allerdings müssen die Pflanzen dafür meist ihren bis dahin vorgesehenen exklusiven Platz im Garten aufgeben. "Ich habe einen Platz im Garten, den man als ,offenen Vollzug' bezeichnen könnte", schreibt Urban. Der liege etwas versteckt. Doch die ein oder andere habe sich dort prächtig entwickelt. Wenn nicht, hätten sie das Paradies im Frankfurter Stadtteil Eschersheim auch verlassen müssen.
Dabei ist Urban nicht so radikal, wie es auf mancher Seite des Buches klingt. Sie will zwar nur weiß blühende Gehölze und Blumen in ihrem 200-Quadratmeter-Revier haben und ist geradezu rabiat, wenn sich etwa Narzissen, deren Blüten sie ein halbes Jahr entgegen gefiebert hat, plötzlich als orangefarbene Schönheiten präsentieren. Verhöhnt habe sie sich gefühlt, schreibt Urban. "Wie konnten sie mir das antun?" Schließlich hat sie selbst diese Exemplare ausgegraben und verschenkt, statt sie auf den Kompost zu werfen.
Gartenbesitzer können von der Frankfurterin vor allem lernen, dass man ein Refugium hat, in dem man sich austoben kann. Urban gibt nicht allgemeingültige Ratschläge, sondern empfiehlt, dass der Garten zum Charakter des Gärtners passen sollte. "Seien Sie schonungslos ehrlich mit sich selbst", rät sie. Ein sehr ordentlicher Mensch, der kein Blättchen liegen sehen könne, der solle sich nicht mit einem romantischen Garten mit vielen Rosen und Stauden schwertun.
Natürlich empfiehlt sie, sich mit den Rahmenbedingungen einer Pflanze zu beschäftigen: Nicht eine, die den Schatten liebt, in die Sonne zu pflanzen. Doch sie rät auch immer wieder dazu, Dinge auszuprobieren und den eigenen Kopf durchzusetzen, gleichgültig, was Fachblätter und Gartenexperten sagen.
Noch einen wertvollen, in Deutschland nicht gern gehörten Tipp gibt Urban: "Warum holen Sie sich nicht vorher professionellen Rat?" Für alle möglichen Situationen sonst im Leben laufe man sofort los, um sich Hilfe zu holen. Warum nicht für den Garten. "Das spart Zeit, Geld und Frist", sagt sie.
Schonungslos macht sie deutlich, dass ein Garten Arbeit macht, einem am Abend die Knochen weh tun können. Schließlich schleppt die heute 74 Jahre alte Urban im Sommer unzählige volle Gießkannen, damit es ihren "Lieblingen" gutgeht. Und sie erläutert, dass ein Garten ständige Veränderung bedeutet, weil es natürliche Verluste gibt, dies aber auch Platz für Neuzugänge schafft. Die ehemalige Drogistin berichtet über die Bedeutung von Düften, die Erinnerungen auslösen könnten, und noch vieles mehr.
Anfang März ist Helga Urbans Buch "Mein Garten" auf Schloss Dennenlohe mit dem Deutschen Gartenbuchpreis 2016 in der Kategorie "Bestes Buch zur Gartenprosa" ausgezeichnet worden. Das bebilderte Buch ist bei Ulmer erschienen und kostet 17,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Helga Urban hat sich eine Idylle geschaffen. In "Mein Garten" berichtet sie von Erfahrungen, Verlusten, Träumen.
Von Mechthild Harting
Es gibt keinen Mangel an Gartenliteratur. Auch an Bekenntnissen über die therapeutische Wirkung des Gärtnerns, des Arbeitens mit Pflanzen und Grün, fehlt es nicht. Also warum sollte man das kleine gebundene Büchlein der Frankfurter Hobbygärtnerin Helga Urban lesen, das den Titel "Mein Garten - ein Geben und Nehmen" trägt? Die Antwort ist einfach: Weil alle diejenigen, die spüren, dass für sie ein Garten mehr ist als ein Dekorationsobjekt, um Gäste und Nachbarn zu beeindrucken, und die schon einmal Glücksgefühle empfunden haben, wenn eine längst totgesagte Pflanze plötzlich doch wieder austreibt, Spaß an der Lektüre haben werden. Selbst Gartengegner können profitieren. Sie erfahren, dass sie einem teuren, kräftezehrenden, nie endenden Hobby mit Suchtpotential entkommen sind.
Entstanden ist das 170 Seiten umfassende Büchlein aufgrund eines Artikels, der im April 2014 in der "Garten-Beilage" dieser Zeitung erschienen ist. Zu dem Zeitpunkt war Helga Urban bereits als Gartenbuchautorin bekannt, Verleger Matthias Ulmer regte aufgrund des Artikels an, Urban solle mehr über ihre Erfahrungen als Gärtnerin berichten, über die Wechselwirkung zwischen Pflanzen und Menschen.
Tatsächlich spricht Urban nicht nur mit ihren Pflanzen, wie es einige Gärtner tun, um sie als geduldige Zuhörer zu missbrauchen, sondern sie droht ihnen auch, wenn die nicht so wollen wie sie. Unter der Kapitelüberschrift "Und bist du nicht willig..." zitiert sie nicht nur Goethe, sondern macht unmissverständlich deutlich, dass sie bereit ist, Hand anzulegen. "Ihre Schützlinge müssen spüren, dass Sie das Sagen haben", rät sie. Auf Empfehlung eines Rosenzüchters aus Bad Nauheim hat sie etwa einen eigens aus England mitgebrachten Rhododendronstrauch bearbeitet, der bei ihr "mickrig" ausgesehen habe. Der Rosenzüchter habe ihr geraten, die Pflanze mal kräftig anzupacken. "Du roppst sie hin und her, bis sie denkt, sie müsse verrecken. Du wirst sehen, das hilft." Urban hat nach eigenen Angaben daraufhin an der Pflanze "geroppt", gezogen und geschüttelt. Seitdem blühe sie den ganzen Mai mit winzigen weißen Blüten - genau so, wie es sich die Gärtnerin beim Kauf vorgestellt hat. Anekdoten wie diese finden sich viele in dem Buch. Urban gesteht auch ein, dass sie mit den Pflanzen nicht nur schimpft und ihnen schmeichelt, sondern dass sie fast allen eine zweite Chance zugesteht. Allerdings müssen die Pflanzen dafür meist ihren bis dahin vorgesehenen exklusiven Platz im Garten aufgeben. "Ich habe einen Platz im Garten, den man als ,offenen Vollzug' bezeichnen könnte", schreibt Urban. Der liege etwas versteckt. Doch die ein oder andere habe sich dort prächtig entwickelt. Wenn nicht, hätten sie das Paradies im Frankfurter Stadtteil Eschersheim auch verlassen müssen.
Dabei ist Urban nicht so radikal, wie es auf mancher Seite des Buches klingt. Sie will zwar nur weiß blühende Gehölze und Blumen in ihrem 200-Quadratmeter-Revier haben und ist geradezu rabiat, wenn sich etwa Narzissen, deren Blüten sie ein halbes Jahr entgegen gefiebert hat, plötzlich als orangefarbene Schönheiten präsentieren. Verhöhnt habe sie sich gefühlt, schreibt Urban. "Wie konnten sie mir das antun?" Schließlich hat sie selbst diese Exemplare ausgegraben und verschenkt, statt sie auf den Kompost zu werfen.
Gartenbesitzer können von der Frankfurterin vor allem lernen, dass man ein Refugium hat, in dem man sich austoben kann. Urban gibt nicht allgemeingültige Ratschläge, sondern empfiehlt, dass der Garten zum Charakter des Gärtners passen sollte. "Seien Sie schonungslos ehrlich mit sich selbst", rät sie. Ein sehr ordentlicher Mensch, der kein Blättchen liegen sehen könne, der solle sich nicht mit einem romantischen Garten mit vielen Rosen und Stauden schwertun.
Natürlich empfiehlt sie, sich mit den Rahmenbedingungen einer Pflanze zu beschäftigen: Nicht eine, die den Schatten liebt, in die Sonne zu pflanzen. Doch sie rät auch immer wieder dazu, Dinge auszuprobieren und den eigenen Kopf durchzusetzen, gleichgültig, was Fachblätter und Gartenexperten sagen.
Noch einen wertvollen, in Deutschland nicht gern gehörten Tipp gibt Urban: "Warum holen Sie sich nicht vorher professionellen Rat?" Für alle möglichen Situationen sonst im Leben laufe man sofort los, um sich Hilfe zu holen. Warum nicht für den Garten. "Das spart Zeit, Geld und Frist", sagt sie.
Schonungslos macht sie deutlich, dass ein Garten Arbeit macht, einem am Abend die Knochen weh tun können. Schließlich schleppt die heute 74 Jahre alte Urban im Sommer unzählige volle Gießkannen, damit es ihren "Lieblingen" gutgeht. Und sie erläutert, dass ein Garten ständige Veränderung bedeutet, weil es natürliche Verluste gibt, dies aber auch Platz für Neuzugänge schafft. Die ehemalige Drogistin berichtet über die Bedeutung von Düften, die Erinnerungen auslösen könnten, und noch vieles mehr.
Anfang März ist Helga Urbans Buch "Mein Garten" auf Schloss Dennenlohe mit dem Deutschen Gartenbuchpreis 2016 in der Kategorie "Bestes Buch zur Gartenprosa" ausgezeichnet worden. Das bebilderte Buch ist bei Ulmer erschienen und kostet 17,90 Euro.
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