Unsere Väter und Großväter waren im Krieg. Was haben sie gesehen und erlebt, was taten sie und was erzählen sie uns darüber? Wie hielten sie es mit dem NS-Regime? Auch Moritz Pfeiffer möchte gern einen Großvater haben, der den Nazis wenigstens nicht die Hand gereicht hat. Der junge Historiker befragt seinen "Opa", den er liebt, und dieser gibt ihm bereitwillig Auskunft. Das Erinnerte vergleicht Pfeiffer mit den Briefen und Zeugnissen aus der Familiengeschichte, analysiert es vor dem Hintergrund des wissenschaftlichen Forschungsstandes und stellt fest: Die Großeltern haben sich dem NS-Regime weit mehr verschrieben, als sie es heute sagen. Wie aber geht ihr Enkel damit um? Spricht er sie frei? Verurteilt er sie? In welchem Maße ist er selbst davon betroffen, dass Nationalsozialismus und Holocaust Familiengeschichte sind und er in sie eingewoben ist? Ein Buch, das auf bislang ungewöhnliche Weise die Chance zu einem neuen Umgang mit der Vergangenheit eröffnet, der die Nachgeborenen freimacht von der Last ihrer Väter und Großväter, ihrer Mütter und Großmütter.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.09.2012Großvater im
Zweiten Weltkrieg
Moritz Pfeiffer vergleicht
Erinnerungen und Fakten
Erinnerungsberichte ehemaliger Kriegsteilnehmer sind en vogue. Das Buch des Historikers Moritz Pfeiffer sticht heraus: Pfeiffer gleicht die für die Familie niedergeschriebenen Berichte und Befragungen seines 2006 verstorbenen Großvaters mit dessen Wissen und Tun als Offizier an verschiedenen Kriegsschauplätzen ab. Dazu nutzt er sowohl die erhaltenen Feldpostbriefe als auch die im Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg verfügbaren Dokumente.
Dem Buch vorangestellt ist ein ungewöhnlich deutliches Geleitwort des Militärhistorikers Wolfram Wette. Dieser stört sich an den häufig anzutreffenden Unterstellungen, die in der nicht zu beantwortenden Frage liegen „Wie hättest du dich damals verhalten?“ Letztlich führten solche Fragen dazu, die Taten von Wehrmachtssoldaten zu entschuldigen.
Pfeiffers Großvater Hans-Hermann, Jahrgang 1921, wuchs in einem deutschnational geprägten Elternhaus auf. Der Vater führte ein Möbelgeschäft und profitierte von dem 1933 eingeführten „Ehestandsdarlehen“, das zu einen sprunghaften Anstieg verkaufter Küchen und Schlafzimmer führte. Seinen beiden Söhnen gegenüber schwärmte er von seinen Erlebnissen als Leutnant im Ersten Weltkrieg. Schon als Kind wollte Hans-Hermann Offizier werden. Im September 1939 trat er als Offiziersanwärter in die Wehrmacht ein, erlebte mit 19 Jahren seinen ersten Fronteinsatz in Frankreich, machte mit Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 den Vernichtungskrieg der Wehrmacht mit und verlor im September 1942 beim Vormarsch auf Stalingrad sein rechtes Auge, sodass er danach nicht mehr an der Front eingesetzt wurde.
In den Interviews mit seinem Enkel 2005 gab er an, beim „Russlandfeldzug“ weder von verbrecherischen Befehlen noch von Morden an der Zivilbevölkerung gewusst zu haben, auch habe seine Einheit keine Gefangenen gemacht. Tatsächlich verzeichnete das Kriegstagebuch der 79. Infanteriedivision, der er als Leutnant angehörte, im August 1941 die Gefangennahme von mehr als 5000 russischen Soldaten, tatsächlich wurde der „Kommissarbefehl“, der von den Offizieren forderte, gefangen genommene politische Kommissare der Roten Armee „abzusondern“ und zu „erledigen“, an seine Einheit weitergegeben.
Überhaupt, sagte er, wären Kriegsverbrechen nur von der SS begangen worden, mit der man nichts zu tun gehabt hätte. Dass Hans Hermanns jüngerer Bruder Siegfried dem SS-Bataillon „Debica“ angehörte, das 1942 die Deportation von 15 000 Juden in die Vernichtungslager betrieb, wollte man in der Familie nicht wissen. Siegfried sei schlecht drangewesen, habe Schlimmes erlebt und „unter seiner Aufgabe gelitten“. Siegfrieds Brief am 17. Februar 1942 aus dem Ort Debica an die Familie passt aber nicht in diese Opferstilisierung: „Ich bin hier im Lager mein eigener Chef, und in meine Arbeit kann mir keiner drein reden oder Vorschriften machen.“ Den Verlust der humanen Orientierung, wie er auch bei Millionen anderen eintrat, zu thematisieren und zu versuchen, die historische Lektion über das „zivilisatorische Minimum“ zu vermitteln: Darum geht es in diesem Buch.
WIGBERT BENZ
Der Lehrer und Historiker Wigbert Benz lebt in
Karlsruhe
Moritz Pfeiffer: Mein Großvater im Krieg 1939-1945. Erinnerungen und Fakten im Vergleich. Donat Verlag, Bremen 2012. 214 S., 14,95 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Zweiten Weltkrieg
Moritz Pfeiffer vergleicht
Erinnerungen und Fakten
Erinnerungsberichte ehemaliger Kriegsteilnehmer sind en vogue. Das Buch des Historikers Moritz Pfeiffer sticht heraus: Pfeiffer gleicht die für die Familie niedergeschriebenen Berichte und Befragungen seines 2006 verstorbenen Großvaters mit dessen Wissen und Tun als Offizier an verschiedenen Kriegsschauplätzen ab. Dazu nutzt er sowohl die erhaltenen Feldpostbriefe als auch die im Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg verfügbaren Dokumente.
Dem Buch vorangestellt ist ein ungewöhnlich deutliches Geleitwort des Militärhistorikers Wolfram Wette. Dieser stört sich an den häufig anzutreffenden Unterstellungen, die in der nicht zu beantwortenden Frage liegen „Wie hättest du dich damals verhalten?“ Letztlich führten solche Fragen dazu, die Taten von Wehrmachtssoldaten zu entschuldigen.
Pfeiffers Großvater Hans-Hermann, Jahrgang 1921, wuchs in einem deutschnational geprägten Elternhaus auf. Der Vater führte ein Möbelgeschäft und profitierte von dem 1933 eingeführten „Ehestandsdarlehen“, das zu einen sprunghaften Anstieg verkaufter Küchen und Schlafzimmer führte. Seinen beiden Söhnen gegenüber schwärmte er von seinen Erlebnissen als Leutnant im Ersten Weltkrieg. Schon als Kind wollte Hans-Hermann Offizier werden. Im September 1939 trat er als Offiziersanwärter in die Wehrmacht ein, erlebte mit 19 Jahren seinen ersten Fronteinsatz in Frankreich, machte mit Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 den Vernichtungskrieg der Wehrmacht mit und verlor im September 1942 beim Vormarsch auf Stalingrad sein rechtes Auge, sodass er danach nicht mehr an der Front eingesetzt wurde.
In den Interviews mit seinem Enkel 2005 gab er an, beim „Russlandfeldzug“ weder von verbrecherischen Befehlen noch von Morden an der Zivilbevölkerung gewusst zu haben, auch habe seine Einheit keine Gefangenen gemacht. Tatsächlich verzeichnete das Kriegstagebuch der 79. Infanteriedivision, der er als Leutnant angehörte, im August 1941 die Gefangennahme von mehr als 5000 russischen Soldaten, tatsächlich wurde der „Kommissarbefehl“, der von den Offizieren forderte, gefangen genommene politische Kommissare der Roten Armee „abzusondern“ und zu „erledigen“, an seine Einheit weitergegeben.
Überhaupt, sagte er, wären Kriegsverbrechen nur von der SS begangen worden, mit der man nichts zu tun gehabt hätte. Dass Hans Hermanns jüngerer Bruder Siegfried dem SS-Bataillon „Debica“ angehörte, das 1942 die Deportation von 15 000 Juden in die Vernichtungslager betrieb, wollte man in der Familie nicht wissen. Siegfried sei schlecht drangewesen, habe Schlimmes erlebt und „unter seiner Aufgabe gelitten“. Siegfrieds Brief am 17. Februar 1942 aus dem Ort Debica an die Familie passt aber nicht in diese Opferstilisierung: „Ich bin hier im Lager mein eigener Chef, und in meine Arbeit kann mir keiner drein reden oder Vorschriften machen.“ Den Verlust der humanen Orientierung, wie er auch bei Millionen anderen eintrat, zu thematisieren und zu versuchen, die historische Lektion über das „zivilisatorische Minimum“ zu vermitteln: Darum geht es in diesem Buch.
WIGBERT BENZ
Der Lehrer und Historiker Wigbert Benz lebt in
Karlsruhe
Moritz Pfeiffer: Mein Großvater im Krieg 1939-1945. Erinnerungen und Fakten im Vergleich. Donat Verlag, Bremen 2012. 214 S., 14,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Beeindruckt hat der Historiker Wigbert Benz dieses Buch seines jungen Kollegen Moritz Pfeiffer gelesen, der darin die Kriegsberichte seines eigenen Großvaters gegenüber der Familie mit den amtlichen Dokumenten vergleicht. Und natürlich stellt sich heraus, wie der Großvater seine Vergangenheit als Wehrmachtsoffizier beim Fronteinsatz in Frankreich und in der Sowjetunion beschönigt hat. Verbrechen habe höchstens die SS begangen, und mit der hatte man nichts zu tun, lautete sein Mantra, wie Benz darstellt, dabei hat der Enkel Pfeiffer herausgefunden, dass die Einheit des Großvater sehr wohl in Verbrechen verstrickt war und dieser selbst mit der SS zu tun hatte, denn ihr gehörte der Bruder an.
© Perlentaucher Medien GmbH
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