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Ein Ausnahmeschriftsteller als Porträtist seiner ZeitNorbert C. Kaser zählt heute zu den bedeutendsten Stimmen der deutschsprachigen Nachkriegsdichtung. Zu Lebzeiten galt der mit 31 Jahren verstorbene Schriftsteller in seiner Heimatstadt Bruneck als gescheiterte Existenz. Dieser Band zeigt das Enfant terrible Kaser erstmals als Chronist des kleinstädtischen Alltags, den er in schmalen Gassen und verrauchten Kneipen, auf Märkten, Schulhöfen und in Klosterkirchen aufsog.Wo Heimeligkeit und Beklemmung fast fließend ineinander übergehenKasers Gedichte, Glossen, Streitschriften und Briefe sind…mehr

Produktbeschreibung
Ein Ausnahmeschriftsteller als Porträtist seiner ZeitNorbert C. Kaser zählt heute zu den bedeutendsten Stimmen der deutschsprachigen Nachkriegsdichtung. Zu Lebzeiten galt der mit 31 Jahren verstorbene Schriftsteller in seiner Heimatstadt Bruneck als gescheiterte Existenz. Dieser Band zeigt das Enfant terrible Kaser erstmals als Chronist des kleinstädtischen Alltags, den er in schmalen Gassen und verrauchten Kneipen, auf Märkten, Schulhöfen und in Klosterkirchen aufsog.Wo Heimeligkeit und Beklemmung fast fließend ineinander übergehenKasers Gedichte, Glossen, Streitschriften und Briefe sind feinsinnige Momentaufnahmen eines oft traurigen und empörten Außenseiters. Mit zeitgenössischen Fotografien fügen sie sich in diesem Buch zum Mosaik eines verschlafenen Städtchens - zum Porträt einer Zeit, in der sich manches in Bewegung setzte und einer unter die Räder kam.Mit einigen unveröffentlichten Texten Kasers und vielen Fotografien, einem Vorwort des engen Wegbegleiters Klaus Gasperi und einem Nachwort des Herausgebers Joachim Gatterer.
Autorenporträt
Norbert C. Kaser, geboren 1947 in Brixen, aufgewachsen und 1978 gestorben in Bruneck, gilt als prägendster Schriftsteller der modernen Literatur Südtirols. Nach einem kurzzeitigen Klosternoviziat und abgebrochenem Studium der Kunstgeschichte in Wien arbeitete er mehrere Jahre als Aushilfslehrer an Südtiroler Bergschulen. In den letzten Lebensjahren war er infolge einer akuten Alkoholabhängigkeit dienstunfähig. Der Großteil seiner literarischen Texte wurde posthum veröffentlicht.Joachim Gatterer, geboren 1980 in Bruneck. Studium der Politikwissenschaft in Innsbruck und Bologna. Seit 2007 wissenschaftliche Projektarbeit und Unterrichtstätigkeit an Südtiroler Oberschulen. Mehrere zeithistorische und kulturgeschichtliche Publikationen, u. a. zum "rasenden Reporter" Egon Erwin Kisch (2012) und dem Filmemacher Ivo Micheli (2015). Derzeit Mitarbeiter am Forschungsinstitut Brenner-Archiv der Universität Innsbruck.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.05.2017

„Vox populi – Vox rindvieh“
Hass und Liebe in Bruneck: Eine Anthologie erinnert an den 1978 jung verstorbenen Südtiroler Dichter Norbert C. Kaser
Wer im Brennerexpress nach Italien hinabrollt und auf dem gottverlassenen Bahnhof von Fortezza/Franzensfeste in die Pustertalbahn in Richtung Innichen umsteigt, kommt – bevor sich die Dolomiten wie undurchdringliche Wände vor ihm auftürmen – durch das beschauliche Städtchen Bruneck, italienisch Brunico, ladinisch Bornech. „Die Landschaft erschlägt einen, die Berge sind die Zäune des Weltbildes“, hatte der Ketzer Norbert Christoph Kaser gewettert, der dort weitgehend mittellos sein Dasein fristete.
Zu Lebzeiten konnte der früh, mit nur 31 Jahren verstorbene Dichter kein Buch veröffentlichen. Gleichwohl hat er mit einem einzigen Donnerschlag der Literatur im dreisprachigen Südtirol auf die Sprünge verholfen. Seine „Brixner Rede“ von 1969 brach mit allem, was nationalistischen Trachtlern und Sprachkriegern heilig war. Den „Tiroler Adler“ nahm er dabei nicht aus. Er empfahl, ihn „wie einen Gigger zu rupfen und ihn schön langsam über dem Feuer zu drehen“. Brunecks Spießbürger bedachten ihn dafür mit Hass und Rauswürfen. Dagegen berief sich Kaser in betont minimalistischer Orthografie auf „meine freiheitsliebe, meine oft spleenigen vorstellungen & eine seltsame form von unbeugsamkeit“. Um keine saftige Sprachvolte verlegen, reimte er: „Vox populi – Vox rindvieh.“
Kasers Gedichte unterminierten die Demarkationslinie zwischen den Sprachen Südtirols, dem Deutschen und Italienischen: „alto adige / alto fragile / reiseland / durchgangsland / niemandsland / (...) ha-ha-hai / heimatland.“ Mal weinselig vergnügt, mal traurig betrübt, mal erotisch und bukolisch, mal elegisch, aber niemals heroisch reiben sich die Laute aneinander, mit präzisem, rebellischen Biss: „… mein spott / schmerzt mich selbst mehr als die / andern“. Seine Gedichte tippte dieser Solitär mit bis zu acht Durchschlägen in seine Olivetti und verteilte sie als selbstgefertigte, eigenhändig gebundene und illustrierte Konvolute unter Freunden.
Daneben veröffentlichte er in Zeitschriften und verfasste ironisch verspielte Feuilletonglossen und Kulturberichte für eine Tageszeitung. Zeitweilig lebte Kaser als Klosterbruder bei den örtlichen Kapuzinern, schloss sich aber bald der winzigen Brunecker Sektion des Partito Comunista Italiano (PCI) an. Das hielt ihn nicht davon ab, wildgewordene Bürgersöhnchen und Salonbolschewiken vom Orden Mao Zedongs mit Spott zu überziehen.
Legendär waren Kasers öffentliche Auftritte: Sein Freund und Mitstreiter, der Brunecker Theatermann Klaus Gasperi erinnert sich, wie Kaser einmal in Mönchskutte, begleitet von einer Freundin im Minirock, per Anhalter nach Innsbruck gelangte, um seine gottes- wie landeslästerlichen Verse vorzutragen. Allein das größere literarische Publikum erreichte sein Werk erst postum in Gestalt zahlreicher Anthologien und einer dreibändigen, nach Lyrik, Prosa und Briefen gegliederten Gesamtausgabe.
Zehn Jahre nach der von Raoul Schrott herausgegebenen Anthologie „N. C. Kaser elementar“ muss dieser deutschsprachige Autor der zweiten Nachkriegszeit der Vergessenheit des Betriebs schon wieder entrissen werden. Am 17. April 2017 wäre er siebzig Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass hat der Haymon-Verlag eine abermals liebevoll gestaltete Anthologie seiner Lyrik und Prosa auf den Weg gebracht. Joachim Gatterer, Brunecker Nachgeborener und Mitarbeiter im Innsbrucker Brenner-Archiv, hat sie herausgegeben. Aus Texten und Schwarz-Weiß-Fotografien entsteht ein Doppelporträt Kasers und seines hassgeliebten Bruneck – als wäre es das Dublin von James Joyce.
Zu den Stationen, die der Leser in Wort und Bild abschreiten kann, gehört Kasers Daheim, aus dem er „das x-temal hinausgeflogen“ ist, gehören die 55 Kneipen der Stadt – „eingegangen / ins ewige Gasthaus“ –, gehört die Kleinstadtpolitik: „unserem nachtwaechter aber gilt es nachzuweinen“. Dann gibt es die Kirchen und Klöster – „kapuziner / Ihr naht Euch wie affen / den sitten der pfaffen“–, die Schule, die Kindheit: „am weg spielte das kind wartend mit der schleuder“. Es geht hinaus in Wälder und Dörfer, zu italienischen Heldendenkmälern („alpenjaeger / liegen im schutt “). Und dann die Gesichter der Menschen auf Märkten und Festen: „weinen will ich weinen um den groeßten markt tirols“. So entsteht ein Zeitbild, samt Galerien und Ateliers, das den Autor selbst mit einschließt. Er wird immer ein junger Mann bleiben. Abschied und Tod hat er in seine Verse hineingenommen: „so liegen denn / alle scherben / meiner brunecker / vergangenheit / aufm grab“.
VOLKER BREIDECKER
Norbert C. Kaser: „mein haßgeliebtes bruneck“. Ein Stadtporträt in Texten und Bildern. Herausgegeben von Joachim Gatterer. Haymon-Verlag, Innsbruck 2017. 216 S., 18,60 Euro. E-Book 14, 99 Euro.
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