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Gottfried Benn hielt sie für die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte, Karl Kraus bekannte, für eines ihrer Gedichte den ganzen Heine herzugeben. Else Lasker-Schüler (1869 - 1945) zählt zu den bedeutendsten deutschen Dichterinnen. Ihre expressionistische Lyrik steht am Beginn der literarischen Moderne, der sie im Kreis der Berliner Bohème des anbrechenden 20. Jahrhunderts eng verbunden ist. Bravourös gelingt es Kerstin Decker, die eigenwillige deutsch-jüdische Poetin und mit ihr jene künstlerische Blütezeit zum Leben zu erwecken.
Im Berlin der Jahrhundertwende schrieb Else
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Produktbeschreibung
Gottfried Benn hielt sie für die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte, Karl Kraus bekannte, für eines ihrer Gedichte den ganzen Heine herzugeben. Else Lasker-Schüler (1869 - 1945) zählt zu den bedeutendsten deutschen Dichterinnen. Ihre expressionistische Lyrik steht am Beginn der literarischen Moderne, der sie im Kreis der Berliner Bohème des anbrechenden 20. Jahrhunderts eng verbunden ist. Bravourös gelingt es Kerstin Decker, die eigenwillige deutsch-jüdische Poetin und mit ihr jene künstlerische Blütezeit zum Leben zu erwecken.

Im Berlin der Jahrhundertwende schrieb Else Lasker-Schüler ihre ersten Gedichte, war in zweiter Ehe mit dem Schriftsteller und Avantgarde-Förderer Herwarth Walden verheiratet, zeitweise mit Benn liiert, mit Georg Trakl befreundet. Franz Marc malte ihr seinen berühmten "Turm der blauen Pferde". Sie war die Radikalste unter diesen Radikalen, stand im Zentrum des künstlerischen Aufbruchs, der in Literatur, Kunst und Musik völlig neue Wege beschritt. Ihr Werk ist stark autobiographisch geprägt und vereinigt phantastische und religiöse Elemente mit einer ausgeprägten Naturliebe. 1932 mit dem angesehenen Kleist-Preis ausgezeichnet, musste sie nur ein Jahr später vor den Nationalsozialisten in die Schweiz fliehen, von wo aus sie 1939 nach Palästina emigrierte. Dort starb sie 1945, ihr Grab liegt auf dem Ölberg in Jerusalem.

Kerstin Decker hat sich mit vielbeachteten Biographien über Wegbereiter der Moderne einen Namen gemacht. Mit Else Lasker-Schüler, lange verkannt und vergessen und erst in jüngerer Zeit wiederentdeckt, hat sie sich seit vielen Jahren intensiv befasst. Ihre "federnd leichte" (Der Spiegel), szenische Erzählweise ist wie geschaffen, um dieser faszinierenden Frau ein gebührendes Denkmal zu setzen.
Autorenporträt
Decker, Kerstin
Kerstin Decker, geboren 1962 in Leipzig, ist promovierte Philosophin, Reporterin des Tagesspiegel und Kolumnistin der taz. Sie lebt in Berlin. Im Propyläen Verlag erschienen von ihr Biographien über Heinrich Heine, Paula Modersohn-Becker, Else Lasker-Schüler, Lou Andreas-Salomé und die Doppelbiographie über Nietzsche und Wagner.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.08.2010

Weil die Welt so heimatlos war
Biographie als Leidensgeschichte: Kerstin Decker lässt die Dichterin Else Lasker-Schüler in ihrer Zeit und in ihren Phantasien wieder lebendig werden
„Viele Menschen“, schreibt Kerstin Decker, „neigen zu der denkfaulen Unterscheidung von Realität und Fiktion“. Man kann, wie über viele Sätze in ihrem Buch, auch über diesen streiten. Denn es wäre wohl nicht weniger denkfaul, diese Unterscheidung zu unterlassen. Bei Else Lasker-Schüler aber ist es wohl richtig, wenn Decker behauptet, sie habe nur „verschiedene Realitätsgrade“ gekannt. Für einen Menschen, der in seiner eigenen Phantasiewelt lebt, ist Realität tatsächlich ein untergeordneter Begriff. Als Spezialistin für andauerndes Verliebtsein, die auf diesen Gefühlszustand angewiesen war, um zu Gedichten zu gelangen, musste Lasker-Schüler zwangsläufig die Realität zugunsten der Fiktionen überschreiten. Aber was heißt dann schon Realität.
Wie anstrengend es ist, so zu leben, nicht nur für die Dichterin selbst, sondern auch für die Menschen um sie herum, das lässt sich mit Kerstin Deckers einfühlsamer Lasker-Schüler-Biographie sehr gut nachvollziehen. „Mein Herz – Niemandem“ ist ein Roman über eine Frau, die von ihren Freunden als „neurasthenische Sappho“ bezeichnet wurde, während Gershom Scholem sie 1934 in Jerusalem nur noch als „Ruine“ betrachtete, „in der der Wahnsinn weniger haust als gespenstert“. Kerstin Decker macht beides deutlich – Verzauberungspotential und Wahnsinn –, und erfindet eine Figur, die vielleicht so oder so ähnlich wirklich gewesen ist.
„Alles Schreiben ist autobiographisch.“ Das ist eine weitere, streitbare Prämisse der Autorin, die im Falle Lasker-Schüler vielleicht tatsächlich stimmt. Daraus folgt, dass das ganze Werk Autobiographie ist und die Arbeit der Biographin darin besteht, es ins gelebte Leben hinein zu übersetzen: „Biographie ist radikale Vergegenwärtigung.“ Also steigt Decker sozusagen „live“ ein, mitten im Geschehen im September 1911. Else Lasker-Schüler sitzt im Berliner Café des Westens und schreibt Briefe an ihren Mann Herwarth Walden, der nach Norwegen gereist ist. Es sind Liebesbriefe, die in Waldens expressionistischer Zeitschrift „Sturm“ gedruckt werden. Doch Walden verliebte sich in Norwegen in eine andere Frau, und aus der öffentlichen Liebes- wurde eine öffentlich vollzogene Trennungsgeschichte. Lasker-Schüler bot ihren Zeitgenossen das, was heute TV-Soaps bieten: Leidenschaft in Fortsetzung, Dichtung und Leben verschmolzen.
Lasker-Schüler, so wie sie bei Kerstin Decker entsteht, war Bohème. Als jüdische Bürgerstochter aus Wuppertal scheiterte sie zunächst in einer bürgerlichen Ehe mit dem Arzt Berthold Lasker, um sich danach erst radikal dem Dichten und Lieben zu widmen und bürgerliche Dinge wie Geldverdienen, Wohnung und Sicherheit zu vernachlässigen. Ihre Bücher verkauften sich schlecht und warfen kaum etwas ab.
Lasker-Schüler zögerte nie, bei Kollegen und Institutionen herumzubetteln, um ihre Existenz zu sichern. Als Künstlerin hatte sie ein Recht darauf, fand sie. Geld war etwas, das man ihr zukommen lassen musste. Und wenn da nicht Karl Kraus gewesen wäre, der sie protegierte und ihre Gedichte in der Fackel abdruckte, wer weiß, wie es ausgegangen wäre.
Männer, immer wieder Männer: Die Verliebtheitsvirtuosin kam nicht darum herum, mit und neben ihnen glücklich-unglücklich zu werden. Da war zunächst und vor allem der große Anarchist, Sozialist, Naturalist Peter Hille, ein Mann mit gewaltigem Bart, obdachlos und halb verhungert, den die Berliner Künstlerszene durchfütterte, bis er 1904 an Tuberkulose starb. „Ich bin, also ist Schönheit“, war sein Lebensmotto. Für Lasker-Schüler war er Heiliger, Mönch, Prophet.
Hätte sie in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts gelebt, wäre sie vermutlich zu Bhagwan nach Indien gereist. Sie war eine frühe Vorläuferin der Hippies, trug bunte Kleider oder – ungewöhnlich für eine Frau ihrer Zeit – Hosen, war behängt mit billigem Schmuck und grellen Ohrringen. Gottfried Benn, der sie für die größte Lyrikerin des Jahrhunderts hielt, war es immer ein bisschen unangenehm, mit dieser Traumtänzerin über die Straße zu gehen, weil sich alle nach ihr umdrehten. Benn, der dichtende Pathologe, der 1912 seine eiskalte Totenlyrik aus der „Morgue“ publizierte, war die nächste große Liebe in ihrem Leben. Die Texte, die sie füreinander schrieben – Liebes-, Kampf- und Trennungsgedichte – sind große Eruptionen. Kerstin Decker zitiert sie ausführlich. Das macht aus ihrer Biographie auch ein literarisches Lesebuch. Hille und Benn sind ganze Kapitel mit prägnanten Kurzporträts gewidmet.
Der dritte und wichtigste Geliebte war schließlich der Sohn Paul, an dem sich die ganze Tragik der Dekadenz zeigt: hochbegabt als Zeichner, aber antriebsarm und ziellos, litt er an Tuberkulose, wie so viele dieser „Zauberberg“-Generation: „Ich hätte ihn tragen können, einsingen können in den Todesschlaf“, schrieb die Mutter, in deren Armen er starb.
Dass auch diese exaltierte, gefühlsintensive Frau 1914 der Kriegsbegeisterung verfiel, ist vielleicht weniger erstaunlich, als es auf den ersten Blick erscheint. Dem Maler Franz Marc, ihrem „blauen Reiter“, den sie mehr als nur verehrte, wäre sie am liebsten an die Front gefolgt. Mehr und mehr entwickelte sich ihre Existenz in den 20er Jahren zum Überlebenskampf. Erfolge stellten sich nur zögerlich ein; den meisten ihrer Zeitgenossen war sie ganz einfach zu anstrengend. Die Akademie der Künste wollte sie nicht aufnehmen, der Kleistpreis kam 1932 zu spät. Die Jahre im Exil müssen nur noch quälend gewesen sein. Die biedere Schweiz wollte sie auf Dauer nicht dulden, und auch im gefährlichen Palästina konnte sie nicht heimisch werden. Kein Wunder, bei einer Berlin-Dichterin und Großstadt-Indianerin, die, wie sie einmal schrieb, in ihren Gedichten Heimat finden wollte, „weil die Welt so heimatlos ist.“
Kerstin Deckers Lasker-Schüler-Biographie ist vor allem eine Leidensgeschichte, weil sich eben doch ein Spalt auftut zwischen der „Realität“ und der „Fiktion“, weil auch das phantasierte Leben einer Liebenden in der Geschichte stattfindet. Decker schreibt voller Empathie, ohne Widersprüche zuzukleistern. Störend ist allenfalls ein atemloser, von rhetorischen Fragen angetriebener Gegenwarts- Stil, der zu apodiktischen Behauptungen neigt. Decker macht sich das Lasker- Schülersche „Denkfühlen“ vielleicht etwas zu sehr zu eigen, wenn sie hochtönend schreibt: „Eine Dichterin glaubt anders an Gott als die Lebensbürger.“ Oder: „Jeder Dichter, jede Dichterin weiß, dass das Herz ein selbständiges Wesen ist.“ Solche Sätze sind klischiert, trivial oder auch einfach nur Unsinn. Auch Superlative („Noch nie hat die Presse so reagiert“; „das erotischste Gedicht der Weltliteratur“) stören den Gesamteindruck. Aber vielleicht sind solche Übersteigerungen der Preis für eine aus großer Anteilnahme heraus geschriebene Lebensgeschichte, die den Vorzug hat, eine Figur in ihrer Zeit wirklich lebendig werden zu lassen.
JÖRG MAGENAU
KERSTIN DECKER: Mein Herz – Niemandem. Das Leben der Else Lasker- Schüler. Propyläen, Berlin 2009, 476 Seiten, 22,90 Euro.
Sie trug bunte Kleider oder Hosen,
war behängt mit billigem Schmuck
und grellen Ohrringen
Else Lasker-Schüler, nachkolorierte Aufnahme von 1932. Foto: akg-images
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