Fast jeden Sommer zieht es die Schriftstellerin Ulrike Draesner auf die Insel Hiddensee: Zusammen mit Kind und Hund durchstreift sie in diesem persönlichen Reisebuch die Insellandschaft, wirft einen so genauen wie poetischen Blick auf Flora und Fauna, auf Licht, Wind und Wetter und erzählt Erhellendes aus der Inselhistorie. Vor allem aber begegnet die Schriftstellerin sich selbst: Was macht dieser besondere Ort mit ihr? Was wurde aus der Jahre währenden Liebesbeziehung, deren Höhe- und Tiefpunkte auf ganz eigene Art mit Hiddensee verknüpft sind? Was bedeutet es, Mutter zu sein? Was ist Glück? Und lässt es sich hier auf der Insel finden?
buecher-magazin.de"Die Feldlerchen schreien, lassen sich fallen, die dünne Haut der Welt bekommt einen Riss - hinter ihm steht ein großes elektrisches Strahlen." Dieser erste Satz. Diese Weite, Schönheit und Präzision sind kennzeichnend für das ganze Buch. Ulrike Draesner verbringt jeden Sommer ein paar Tage auf Hiddensee (der Fluchtinsel, die letztes Jahr als Heimat von Lutz Seilers "Kruso" legendär geworden ist) - zu ihrem eigenen Erstaunen, denn ihr Leben ist anders. "Umzüge über Umzüge, keine Arbeitsstelle, kein festes Einkommen. Das Einzige, was sich nicht verändert, ist, dass sich alles ständig verändert." Gemeinsam mit ihrem Kind und dem Hund erläuft und erzählt sie sich die Insel. Den Wind, die Brandung, die Pflanzen: "kaum kniehoher Ginster, dem Wind angepasste, niedrige Glockenblumen, silbergoldene Disteln wie Blätter in voller Rüstung." Auch das Kind fordert: "Erzähl mir eine Entführungsgeschichte, […] erzähl mir, wie der Hund nicht schwimmen lernte, erzähl mir was Doofes." Einen Plot, eine Richtung hat dieses Buch nicht, es atmet ein und aus, wie das Meer. "Mein Hiddensee" ist kein Reiseführer, kein Abriss über Insel- oder Erdgeschichte, keine Autobiografie. Eher ein langes Gedicht, eine Feier der Bewegungen und der Worte, keines von ihnen überflüssig oder an der falschen Stelle.
© BÜCHERmagazin, Elisabeth Dietz (ed)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2015Richtig liegen
Sie hat Rücken- und Beziehungsprobleme. In Stralsund hat sie drei unnachgiebige Hitzestunden mit Warten auf die Fähre verbringen müssen. Dann die lange Fahrt mit der Fähre. Dann der Fußweg zum Quartier. Der schwere Rucksack, die Sommerhitze, der unebene Weg, der nicht mehr geliebte Mann. Der Anstieg zum Dornbusch, die Schmerzen. Dann dreht sie sich um: "Unter ihr lag die gesamte Insel, sie konnte ihre Form erkennen, West- und Ostküste, Wiesen und Heidebraun, Meeresschaum, Teiche und Boddenblinken, bis zur Spitze im Süden. Zum ersten Mal mochte sie dieses Ländchen." Im ganzen Buch ist immerzu von "sie" und "ihr" die Rede. Man geht sicher nicht fehl, dahinter die Autorin Ulrike Draesner zu sehen, die so ihre erste Begegnung mit der Insel Hiddensee beschreibt. 1997 war das. Es folgten viele Aufenthalte. Diese erste Begegnung aber ist nicht nur Bericht. Es ist Poesie und zugleich ein Gleichnis dafür, wie Poesie entsteht. "Ulrike Draesner poetisiert die Welt." So hieß es in der Jurybegründung, als sie im vergangenen Jahr den Joachim-Ringelnatz-Preis für Lyrik bekam. Sie poetisiert auch die Insel, alle Begebenheiten und Beobachtungen dort. Sei es der Gepäcktransport mit dem Bollerwagen oder eine Kreuzotter, die sich auf der Straße sonnt. Ulrike Draesner ist mit ihrem Kind unterwegs, manchmal auch mit einem Mann. Sehr poetisch geht es bei solchen Reisen nicht zu, das lehrt die Erfahrung. Aber sie führt das Doppelleben des Dichters. Dabei ist es bei ihr keineswegs so, dass es einen bei der Lektüre nach Hiddensee zieht. Vielmehr sucht man einfach nur nach einem stillen Platz - um weiterzulesen.
F.P.
"Mein Hiddensee" von Ulrike Draesner. Mare, Hamburg 2015. 192 Seiten. Gebunden, 18 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sie hat Rücken- und Beziehungsprobleme. In Stralsund hat sie drei unnachgiebige Hitzestunden mit Warten auf die Fähre verbringen müssen. Dann die lange Fahrt mit der Fähre. Dann der Fußweg zum Quartier. Der schwere Rucksack, die Sommerhitze, der unebene Weg, der nicht mehr geliebte Mann. Der Anstieg zum Dornbusch, die Schmerzen. Dann dreht sie sich um: "Unter ihr lag die gesamte Insel, sie konnte ihre Form erkennen, West- und Ostküste, Wiesen und Heidebraun, Meeresschaum, Teiche und Boddenblinken, bis zur Spitze im Süden. Zum ersten Mal mochte sie dieses Ländchen." Im ganzen Buch ist immerzu von "sie" und "ihr" die Rede. Man geht sicher nicht fehl, dahinter die Autorin Ulrike Draesner zu sehen, die so ihre erste Begegnung mit der Insel Hiddensee beschreibt. 1997 war das. Es folgten viele Aufenthalte. Diese erste Begegnung aber ist nicht nur Bericht. Es ist Poesie und zugleich ein Gleichnis dafür, wie Poesie entsteht. "Ulrike Draesner poetisiert die Welt." So hieß es in der Jurybegründung, als sie im vergangenen Jahr den Joachim-Ringelnatz-Preis für Lyrik bekam. Sie poetisiert auch die Insel, alle Begebenheiten und Beobachtungen dort. Sei es der Gepäcktransport mit dem Bollerwagen oder eine Kreuzotter, die sich auf der Straße sonnt. Ulrike Draesner ist mit ihrem Kind unterwegs, manchmal auch mit einem Mann. Sehr poetisch geht es bei solchen Reisen nicht zu, das lehrt die Erfahrung. Aber sie führt das Doppelleben des Dichters. Dabei ist es bei ihr keineswegs so, dass es einen bei der Lektüre nach Hiddensee zieht. Vielmehr sucht man einfach nur nach einem stillen Platz - um weiterzulesen.
F.P.
"Mein Hiddensee" von Ulrike Draesner. Mare, Hamburg 2015. 192 Seiten. Gebunden, 18 Euro.
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