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Bekenntnisse einer jungen Chinesin Seit Mu Zimei ihr erotisches Tagebuch im Internet veröffentlichte, wird sie von der Zensur mit allen Mitteln verfolgt: Sie hat ihren Job verloren, ihr Weblog wurde geschlossen, ihr Buch verboten. Mu Zimei schreibt über Sex - ihren Sex -, über alle möglichen Spielarten der Liebe, mit vielen Männern an vielen Orten, und ist damit in China zu einem Idol ihrer Generation geworden

Produktbeschreibung
Bekenntnisse einer jungen Chinesin
Seit Mu Zimei ihr erotisches Tagebuch im Internet veröffentlichte, wird sie von der Zensur mit allen Mitteln verfolgt: Sie hat ihren Job verloren, ihr Weblog wurde geschlossen, ihr Buch verboten. Mu Zimei schreibt über Sex - ihren Sex -, über alle möglichen Spielarten der Liebe, mit vielen Männern an vielen Orten, und ist damit in China zu einem Idol ihrer Generation geworden
Autorenporträt
Mu Zimei, geboren 1978, heißt mit bürgerlichem Namen Li Li und lebt in Peking. Nach ihrem Studium der Philosophie arbeitete sie in Kanton als Redakteurin und Kolumnistin. Millionen von Leser verfolgten im Internet ihren Weblog, bis sie auf Druck der chinesischen Regierung den Zugang einschränken und ihn schließlich ganz schließen mußte. Ihr Buch wurde unmittelbar nach seinem Erscheinen in China verboten, und die "Affäre Mu Zimei" geriet zum öffentlichen Skandal. Zuletzt wurde sie gezwungen, ihre Stelle in einem Zeitungsverlag aufzugeben. Ihr neuester Coup sind Podcasting-Kolumnen, für die sie unter anderem die Geräusche ihrer Liebesakte aufnimmt und diese ins Internet stellt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.12.2006

Das Lesen der anderen
Mit Interneteinträgen über Sex wurde die Chinesin Mu Zimei in ihrer Heimat zum Skandal

Wudaokou, das Studentenviertel von Peking, an einem ganz normalen Nachmittag: In den Straßen wimmelt es von jungen Leuten, von sehr jungen Leuten. Die Jungs haben sich die Jogginghosen hochgekrempelt und die Haare hochgestellt, tragen Nietengürtel um den Hals oder Schlips zum bedruckten T-Shirt. Mädchen bevorzugen schwingende Kleider, Ringelsöckchen und spitze Pumps, darüber zerlöcherte Second-hand-Militärjacken, die den Blick freigeben auf komplizierte Tattoos. Sie ziehen von Schaufenster zu Schaufenster, immer auf der Suche nach dem neuesten Pulli oder der neuesten Platte. In Wudaokou trifft sich das junge Peking - lauter chinesische Einzelkinder, von denen es heißt, sie seien verzogene Egoisten, unfähig, Verantwortung zu übernehmen.

Ein Ort für Hedonisten - der richtige Ort also, um Chinas berühmteste Internetautorin zu treffen: Sie heißt Li Li, ist 28 Jahre alt, schreibt unter dem Pseudonym Mu Zimei und begann ihre schriftstellerische Karriere vergleichsweise brav; sie verfaßte die Sexkolumne für ein Hochglanzmagazin. Aber von Juni bis November 2003 schrieb sie eine Art Tagebuch im Internet, einen Blog, der "Postume Liebesbriefe" hieß und im wesentlichen davon handelte, wie es sich anfühlt, wenn man täglich oder nächtlich oder auch mehrmals am Tag immer neue Sexpartner ausprobiert. Die "Postumen Liebesbriefe" waren eine Sensation - und obwohl Li Li heute nicht mehr schreibt und von ihrer Heimatstadt Kanton nach Peking umgezogen ist, bekommt sie immer noch Anrufe von fremden Männern, und die Passanten drehen sich auf der Straße nach ihr um.

Wir treffen uns im "Sculpting In Time", einem schicken Laden inmitten von Wudaokou. Lampen aus Arabien, Stoffe aus Mexiko, Musik aus Goa, es wirkt alles, wie aus dem Rucksack eines Globetrotters gekramt. Als Li Li endlich im Café eintrifft, stellt sich fast ein wenig Ernüchterung ein. Wahrscheinlich hatte man etwas Wilderes erwartet - diese junge Frau würde draußen neben all den Studentinnen, die nur wenige Jahre jünger sind als sie, kaum auffallen. In China, dem eiligsten Land der Welt, vollzieht sich der Generationswechsel im Dreijahrestakt - im Vergleich zu diesen Mädchen da draußen wirkt Li Li beinahe wie eine Altfeministin.

Sehr nett entschuldigt sie sich für ihre kleine Verspätung. Sie hat Augenringe, wirkt müde, noch schmaler als die ohnehin schon schmalen chinesischen Frauen Ende Zwanzig. Ihre Frisur ist altmodisch. Sie scheint irgendwie nicht so recht zu passen zu der Provokation, die ihr Blog war: zu den einfachen Einträgen, in denen Sex so selbstverständlich beschrieben wurde, als ginge es darum, sich ein Butterbrot zu schmieren - Welten entfernt vom Raffinement erotischer Literatur von Casanova bis Nabokov. Auch mit dem neuen Exhibitionismus einer Catherine Millet oder Virginie Despentes hatte es eher nichts zu tun. Und die verzweifelte Ironie von Carrie Bradshaw und Samantha Jones, Li Lis Vorbildern aus der Serie "Sex and the City", die man in China von der ersten bis zur letzten Staffel als raubkopierte DVD an jeder Straßenecke kaufen kann, auch diese Ironie ist Li Li völlig fremd.

Sie schrieb über Sex mit Sadomasochisten, mit Strumpffetischisten, Familienvätern, Barbesitzern und Rocksängern, von Nächten mit Callboys war die Rede und von Gruppensex mit bildenden Künstlern. Penisse wurden als "Kolben" beschrieben und Ejakulationen als "reinweiße Feuerwerke". In den besten Zeiten soll die Besucherzahl des Blogs auf unvorstellbare dreißig Millionen täglich gesprungen sein. Damals hieß es in den chinesischen Medien, Mu Zimei sei eine rücksichtslose Egoistin, der es nur um größten Lustgewinn gehe. Mu Zimei wurde gehaßt und bewundert, aber nicht ignoriert. Das wäre auch kaum möglich gewesen in einem Land, in dem trotz aller Dynamik noch strenge Konventionen und Traditionen gelten, einem Land, in dem man sich noch lebhaft an die Prüderie unterm Kommunismus erinnert und an das konfuzianische Ideal, daß der einzelne sich den Interessen der Gemeinschaft unterzuordnen hat.

An diesem Nachmittag zeigt sich Li Li nicht als abgebrühten Medienstar, sondern als aufmerksames Gegenüber. Sie erzählt, wie es sich anfühlt, einmal einer der prominentesten Menschen im größten Land der Welt gewesen zu sein - und wie es sich jetzt damit lebt. Und bald stellt sich heraus, daß sie auch heute noch weniger gern über ihr privates Glück spricht als über ihr soziales Verantwortungsgefühl. "Die jungen Leute heute sehen nicht mehr das Große und Ganze", sagt sie. Sie dagegen betrachte sich als Erzieherin, ja, sogar als Freiheitskämpferin. Sie sagt, sie zeige es den Männern, die immer noch meinen, sie müßten die Macht im Bett behaupten. Sie sei auch ein Vorbild für Chinas Frauen, die am liebsten früh Karriere machen und spätestens mit Ende zwanzig in ihren aufgeräumten Ehen und ihren komfortablen Eigentumswohnungen untertauchen.

Li Li ist eine Rebellin, eine Querulantin, wenn auch eine auffallend abgespannt wirkende. Sie hat nicht nur aufs radikalste mit dem traditionellen chinesischen Konzept von Literatur gebrochen: Sie hat sich mit ihren Tagebüchern in ein gesellschaftliches Abseits geschrieben, in dem sich in China nur wenige wohl fühlen - Autorinnen wie Mian Mian aus Schanghai beispielsweise, in deren Büchern es um Sex und Drogen geht, oder Chun Sue aus Peking, deren Bücher überhaupt nur im westlichen Ausland erscheinen dürfen.

Auch Li Lis Blog wurde von Chinas Offiziellen verboten. Dies könnte man als eine Auszeichnung in einem Land bezeichnen, in dem das Internet noch für Meinungsvielfalt und Selbstorganisation steht und nicht für Informationschaos und lästiges Rauschen. Li Li zitiert gern die Verweigerungsgesten des Punks. Sie pflegt den aufmüpfigen Habitus junger Chinesen in den neunziger Jahren, als die Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens noch Teil der Gegenwart war. Damals bedeutete es noch etwas, wenn man als Mädchen viel rauchte, bei den Jungs im Klassenzimmer hinten saß und behauptete, man sei frei erzogen worden. Auch ohne teure Pumps und hochgestelltes Haar.

Li Li studierte vier Jahre lang in Kanton Philosophie und las Freud. Sie glaubt, daß man einen Menschen am gründlichsten kennenlernen kann, wenn man mit ihm schläft. Sie sieht sich als eine Heldin der Aufklärung. Und wo ihr Tagebuch am faszinierendsten ist, wo die Texte immer schneller und assoziativer werden, wo man beim Lesen aus der Bahn geworfen wird und der Verdacht aufkommt, am Ende könnte Ratlosigkeit die einzig angemessene Haltung gegenüber der Erzählerin sein - da findet man dann Sätze wie diesen: "Ich stelle mich der Gesellschaft zur Verfügung." Oder: "Ich bin ein gut eingetragener Pantoffel, der noch ein wenig Spielraum läßt. Er paßt annähernd jedem und gibt jedem beliebig guten Halt."

Wenn man sie so ansieht, die freundliche Li Li, dann ist es, als müßte sie die Last der sexuellen Revolution in China ganz alleine tragen. Immer wieder betont sie, wieviel Spaß es mache, Sex mit Fremden zu haben und so oft wie möglich den Partner zu wechseln. Sie erinnert sich nicht, daß im Tagebuch auch schon mal von "Schwerstarbeit" die Rede war. Man möchte ihr so gern recht geben, als sie sagt, Beziehungsarbeit mit immer demselben Mann sei doch viel beschwerlicher. Man will ihr glauben, als sie sagt, daß sie nichts bereut. Und trotzdem ist nicht zu übersehen: Sie ist erschöpft. Das Versprechen, im Internet zementierte Rollenklischees und die Grenzen zwischen Leben und Fiktion zum Schmelzen zu bringen, hat sich nicht erfüllt. Li Li ist schon immer Mu Zimei gewesen, und sie wird es immer bleiben. Sie verrät, daß sie nach mehr als siebzig Männern, die sie hatte, kaum noch an die wahre Liebe glauben kann. Und daß sie in den letzten Jahren nur aus Beziehungen mit Frauen überhaupt noch einen Hauch von Geborgenheit schöpfen konnte.

Später lädt sie dann noch in ihre karge, zugige, ein wenig schäbige Wohnung, in der es außer einer kugelrunden Katze nichts gibt, für das es sich lohnt, nach Hause zu kommen. Hier erzählt sie von ihrem neuen Projekt, ihrem neuen Leben. Nicht mehr sich selbst und ihr eigenes Dasein findet sie noch interessant, sondern "soziale Wirklichkeiten", wie sie sagt, das Leben der anderen. Auch ihr Interesse am Internet hat sie verloren. Blogs bedeuten in China nicht mehr die Tür zur großen, weiten Welt. Alleine ihre Menge bewahrt sie zwar davor, flächendeckend überwacht werden zu können, macht sie aber auch immer weniger besonders.

In letzter Zeit geht Li Li lieber mit ihrer Kamera auf die Straße und macht Interviews mit jungen Leuten. Es geht nicht um Sex, aber ihr großes Thema ist doch dasselbe geblieben. Was ist Freiheit? Eine Frage, die in China noch immer nicht beantwortet ist.

SUSANNE MESSMER

Mu Zimei: "Mein intimes Tagebuch", 283 Seiten, 8,95 Euro, erscheint im Januar bei Aufbau.

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