Produktdetails
  • Verlag: Residenz
  • Seitenzahl: 223
  • Deutsch
  • Abmessung: 19mm x 137mm x 207mm
  • Gewicht: 306g
  • ISBN-13: 9783701712724
  • ISBN-10: 3701712727
  • Artikelnr.: 10236160
Autorenporträt
Heiner Link wurde 1960 geboren. Er starb 2002 bei einem Motorradunfall in München. Link veröffentlichte zahlreiche Erzählungen und Texte.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.03.2002

Der Sound der Zeit
Heiner Link und sein Internet-Buch „Mein Jahrtausend”
Heiner Link braucht nur den richtigen „Sound im Ohr”. Dann legt der Münchner Autor los. In seinem neuesten Buch „Mein Jahrtausend” (Günther Grass beschränkte sich noch auf „Mein Jahrhundert”) kommentiert er lakonisch die Zeitenwende. Unter der komischen Oberfläche lauert freilich ein suggestives Stimmungsbild unserer Gesellschaft: absurd, heimelig, traditionsverhaftet und technikvernarrt.
Als Link seine Betrachtungen über Gott und die Welt täglich neu ins Netz stellte, zählte seine Homepage bis zu 8000 Zugriffe im Monat. Was ist von den Szenen und ihrem Situationswitz geblieben, jetzt, nachdem er sie zwischen zwei Buchdeckel gepresst hat? Die „spontan entstandenen Texte” habe er nur etwas in Form gebracht und die „peinlichen Stellen rausgenommen”, meint der 42-Jährige. Peinlichkeiten? Nun ja, die kleinen Schwächen, die jeder Text habe, der nachts um vier geschrieben wurde. Tatsächlich liest sich „Mein Jahrtausend” frisch und gut geerdet im Alltag. Der nach eigenem Verständnis münchnerischste unter den hiesigen Autoren schlägt gern über die Stränge: nörgelnd und brambasierend wie Achternbusch, als Revoluzzer im Gewand der kleinen Gemeinheiten und Klischees. Immer wieder taucht der rauchende, trinkender Künstler am Rande der Depression auf.
Eine Rolle auf dünnem Eis. Natürlich müsse er aufpassen, dass er nicht zu platt werde, sagt Link. Aber die Gefahr des Scheiterns gehöre nun mal zum Schreiben, zu seinem Schreiben. Für den technischen Übersetzer zählt nur das Ganze, der Wurf aus einem Guss. Statt „mit Erzählfragmenten die Kurve zu kriegen”, macht Link lieber Tabula rasa. Regelmäßig vernichtet er ganze Manuskripte, fegt die Daten von der Festplatte und beginnt neu. Als ihn ein Verlagsleiter einmal fragte, ob er noch mehr hätte als das Manuskript auf dem Tisch, Gedichte, Erzählungen, verneinte Link. Da war nichts mehr. Gerade hatte er seinen Erstling vom Lexikonformat auf handliche 300 Seiten gekürzt und Hunderte von Seiten weggeschmissen.
Von Anfang an wusste er, dass er „keine Dinge macht, die ein Millionenpublikum erreichen”. Trotzdem entstand seit 1997 ein halbes Dutzend Erzählungen, Gedichtbände und Romane. Der „Wahrheit auf die Sprünge helfen”, nennt Link sein Schreiben, Erlebtes verdichten und inszenieren. Und Welthaltigkeit vermitteln. Wenn für den bekennenden Pasinger und Freund der starken Worte wirklich „alles eine Frage der Säfte ist”, wird er dort dünner, wo er nicht auf sich selbst vertraut, Grass auf die Schippe nimmt, Goethe linkt und Freddy Quinn.
Link bezeichnet sich nicht als geborenen Schriftsteller, er hat sich den Weg Stück für Stück erarbeitet. Nach der zehnten Klasse flog er von der Schule. Damals zählten nur Mopeds, Mädchen und Fußball. Zum Abschied drückte ihm der Deutschlehrer ein Buch in die Hand – und verlangte fünf Mark dafür. An einem verregneten Nachmittag holte Link das Buch aus der Ecke. Und las es in einem Stück. Salingers „Fänger im Roggen” wurde zum Erweckungserlebnis. Wie ganze Generationen vor ihm erkannte Link sich im 16-jährigen Helden Holden Caulfield wieder. Tags darauf bestellte er alle Bücher des Amerikaners. Und wusste: Schreiben wird seine Sache.
Link holte das Abitur nach und studierte BWL. Das heißt, er machte einige Scheine und fuhr viel Taxi und Lastwagen. Jetzt, mit 42, zwei Kindern und einem eigenen Übersetzungsbüro, drängt es ihn, „was zu sagen”. Dann senkt er die Stimme und meint: „Denn wir leben in einer Zeit der Affirmation.” Link hält mutig dagegen, wieder und wieder. (Heute liest Link in der Blumenbar im Favorit, Damenstiftstraße 12, Einlass 20.30 Uhr, Beginn 21.30 Uhr.)
OLIVER HERWIG
Frage der Säfte: Heiner Link.
privat
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