Ostalgie: die Sehnsucht nach einer DDR, wie sie hätte gewesen sein können, wenn sie nicht die DDR gewesen wäre. Aber was war die DDR? Was das Jahr 1989? Diesen Fragen geht Christian Eger in seinem Buch nach. In neunzehn Stationen reist er durch die Landschaften des Vergessens. Erinnerungen, Erfahrungen, Ereignisse rücken neu in den Blick: die Staatsgesellschaft DDR, der vierte November 1989, das Ost-Entertainment, das Nachwendedeutschland. Im holländischen Doorn wird der Fluchtpalast Kaiser Wilhelms II. besichtigt, dessen Staat wie die DDR nach einem neunten November verschwand. War der Kaiser an allem schuld? Mittendrin kommen drei Schriftsteller zu Wort, deren Werk sich mit der DDR verbindet: Jurij Brezan zum Thema Unrechtsstaat, Hermann Kant zum 17. Juni 1953 und Stefan Heym erklärt, warum es ihm nicht gelingen will, einem Kind die DDR zu erklären. Christian Eger (Jahrgang 1966) ist Kulturredakteur der Mitteldeutschen Zeitung in Halle.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.11.2004Minima Ostalgica
Die Häuser hingen durch: Christian Eger stemmt sich mit einem großartigen Essay gegen die DDR-Erinnerungsmaschine
Vielen Ostdeutschen, die noch alle Fünfe und Ihre Erinnerung beinander haben, muss der Sommer 2003 vorgekommen sein wie ein Alptraum. Plötzlich saßen da die alten und neuen Maulhelden und Mitläufer in öffentlich-rechtlichen Sitzgruppen und plauderten die Diktatur der DDR zum nostalgischen deutschen Eck runter. Parallel dazu lieferten die großen (west-)deutschen Verlage Erbauungsliteratur für die Generation Trabi. Und „Goodbye Lenin” schaffte es, mit seiner Spreewaldgurken-Nostalgie den Osten endgültig auf Snackgröße einzudosen und geruchsfrei zu konservieren.
„Der neue deutsche Osten ist eine Erfindung des Marktes nach einer Geschäftsidee des Westens: Ulkig, harmlos, porentief rein.” Christian Eger, Jahrgang 66, den gebürtigen Dessauer und Redakteur im Kultur-Ressort der Mitteldeutschen Zeitung, packte im vergangenen Jahr die kalte Wut. Wut über die Aufbereitung der DDR zum bundesweiten Pausenclown, über die ostdeutsche Borniertheit, die sich in einer Gefühlswagenburg verschanzt hat, über die übergestülpten Erinnerungsvorgaben des Westens. Eger schrieb seine eigene Version auf, einen großen, literarisch verdichteteten Essay: „Mein kurzer Sommer der Ostalgie”.
Wie kann man von eigener Biographie reden, ohne dabei in den Tonfall der Nutella- und Schlagersüßtafel-Biographien oder ins Pathos alter Kämpfer zu fallen? Eger liefert Minima Ostalgica, ein Miniaturen- und Ideenbuch, dessen Skizzen so genau sind im Strich, so aphoristisch prägnant, dass man einzelne Sätze wie Kiesel in die Tasche stecken möchte, um lang daran herumzufühlen: „Ostalgie bezeichnet die Sehnsucht nach einer DDR, wie sie hätte gewesen sein können, wenn sie nicht die DDR gewesen wäre.”
Was aber war die DDR? Konnte es ein wahres Leben im falschen geben, gleichsam die genüsslich gegessene Spreewaldgurke im Stasistaat? Erinnerung, sprich! Und Denken, misch dich ein: „Halle im Herbst 1989: Ich schaute mir bei jedem Demo-Schritt selbst über die Schulter. Ich nahm die Märsche ernst und wiederum auch nicht . . . Ich sehe, wie mir in der Kirche das Wachs auf die Jeanshose tropft, und ich sehe, wie da dieses eine Schriftband in meinem Hinterkopf abläuft: Was soll mir das alles bedeuten?”
So wie er hier von Satzteil zu Satzteil den Standort wechselt, mitmarschiert und zugleich notiert, in der Kirche sitzt und sich und die anderen von oben sieht, springt Eger die ganzen 120 Seiten über im Rösselsprung hin und her zwischen persönlicher Erinnerung und Reflexion, zwischen Ostalgie-Show und „selbstbeschränkt Westdeutschem als letzter Verpuppung des Zonentums”. Durch diese Perspektivwechsel zerbröckelt schnell die im offiziellen Erinnern so felsenfest getretene Wahrheit über die die DDR, die Montagsdemos, den Mauerfall . . .
„Nichts lief wie am Schnürchen, aber genauso schnell. Immer war es dunkel in der späten DDR. Die Häuser hingen durch, sie starben von außen nach innen.” Dichte, knappe Szenen, man meint oft zu spüren, wie Eger aus zehn Seiten eine einzige extrahiert hat. Ob er nun über den anhaltenden Zustand der Infantilität in der DDR-Gesellschaft schreibt, oder über die mit Überraschung konstatierte „Sehnsucht nach den anspruchsvolleren Daseinskniffligkeiten weiland im Heilland DDR” - man gewinnt beim Lesen großen Spaß daran, wie Eger im Ineinander von eigener, im Schreiben geretteter Erinnerung an und der Reflexion über „die DDR” die alten, beige-grauen Verhältnisse zum Tanzen bringt.
Christian Eger
Mein kurzer Sommer der Ostalgie. Ein Abspann
Verlag Janos Stekovics, Dössel 2004, 120 Seiten, 12,80 Euro.
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Die Häuser hingen durch: Christian Eger stemmt sich mit einem großartigen Essay gegen die DDR-Erinnerungsmaschine
Vielen Ostdeutschen, die noch alle Fünfe und Ihre Erinnerung beinander haben, muss der Sommer 2003 vorgekommen sein wie ein Alptraum. Plötzlich saßen da die alten und neuen Maulhelden und Mitläufer in öffentlich-rechtlichen Sitzgruppen und plauderten die Diktatur der DDR zum nostalgischen deutschen Eck runter. Parallel dazu lieferten die großen (west-)deutschen Verlage Erbauungsliteratur für die Generation Trabi. Und „Goodbye Lenin” schaffte es, mit seiner Spreewaldgurken-Nostalgie den Osten endgültig auf Snackgröße einzudosen und geruchsfrei zu konservieren.
„Der neue deutsche Osten ist eine Erfindung des Marktes nach einer Geschäftsidee des Westens: Ulkig, harmlos, porentief rein.” Christian Eger, Jahrgang 66, den gebürtigen Dessauer und Redakteur im Kultur-Ressort der Mitteldeutschen Zeitung, packte im vergangenen Jahr die kalte Wut. Wut über die Aufbereitung der DDR zum bundesweiten Pausenclown, über die ostdeutsche Borniertheit, die sich in einer Gefühlswagenburg verschanzt hat, über die übergestülpten Erinnerungsvorgaben des Westens. Eger schrieb seine eigene Version auf, einen großen, literarisch verdichteteten Essay: „Mein kurzer Sommer der Ostalgie”.
Wie kann man von eigener Biographie reden, ohne dabei in den Tonfall der Nutella- und Schlagersüßtafel-Biographien oder ins Pathos alter Kämpfer zu fallen? Eger liefert Minima Ostalgica, ein Miniaturen- und Ideenbuch, dessen Skizzen so genau sind im Strich, so aphoristisch prägnant, dass man einzelne Sätze wie Kiesel in die Tasche stecken möchte, um lang daran herumzufühlen: „Ostalgie bezeichnet die Sehnsucht nach einer DDR, wie sie hätte gewesen sein können, wenn sie nicht die DDR gewesen wäre.”
Was aber war die DDR? Konnte es ein wahres Leben im falschen geben, gleichsam die genüsslich gegessene Spreewaldgurke im Stasistaat? Erinnerung, sprich! Und Denken, misch dich ein: „Halle im Herbst 1989: Ich schaute mir bei jedem Demo-Schritt selbst über die Schulter. Ich nahm die Märsche ernst und wiederum auch nicht . . . Ich sehe, wie mir in der Kirche das Wachs auf die Jeanshose tropft, und ich sehe, wie da dieses eine Schriftband in meinem Hinterkopf abläuft: Was soll mir das alles bedeuten?”
So wie er hier von Satzteil zu Satzteil den Standort wechselt, mitmarschiert und zugleich notiert, in der Kirche sitzt und sich und die anderen von oben sieht, springt Eger die ganzen 120 Seiten über im Rösselsprung hin und her zwischen persönlicher Erinnerung und Reflexion, zwischen Ostalgie-Show und „selbstbeschränkt Westdeutschem als letzter Verpuppung des Zonentums”. Durch diese Perspektivwechsel zerbröckelt schnell die im offiziellen Erinnern so felsenfest getretene Wahrheit über die die DDR, die Montagsdemos, den Mauerfall . . .
„Nichts lief wie am Schnürchen, aber genauso schnell. Immer war es dunkel in der späten DDR. Die Häuser hingen durch, sie starben von außen nach innen.” Dichte, knappe Szenen, man meint oft zu spüren, wie Eger aus zehn Seiten eine einzige extrahiert hat. Ob er nun über den anhaltenden Zustand der Infantilität in der DDR-Gesellschaft schreibt, oder über die mit Überraschung konstatierte „Sehnsucht nach den anspruchsvolleren Daseinskniffligkeiten weiland im Heilland DDR” - man gewinnt beim Lesen großen Spaß daran, wie Eger im Ineinander von eigener, im Schreiben geretteter Erinnerung an und der Reflexion über „die DDR” die alten, beige-grauen Verhältnisse zum Tanzen bringt.
Christian Eger
Mein kurzer Sommer der Ostalgie. Ein Abspann
Verlag Janos Stekovics, Dössel 2004, 120 Seiten, 12,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Hocherfreut zeigt sich Alex Rühle von Christian Egers "großartigem Essay" gegen die "DDR-Erinnerungsmaschine". Wie der Autor hat er die Nase voll von all den Ostalgie-Shows, Ostzonenkindbiografien und Filmen, die die DDR zum nostalgischen Eck verklären. "Ostalgie bezeichnet die Sehnsucht nach einer DDR, wie sie hätte sein können, wenn sie nicht die DDR gewesen wäre", zitiert Rühle den Autor. Diesem gelinge es, im hin und her zwischen Reflexion und persönlicher Erinnerung die offiziellen Wahrheiten über die DDR, die Montagsdemos und den Mauerfall zu zerbröckeln. Rühle hebt insbesondere die literarische Qualität des Essay hervor, der sich durch seine dichten knappen Szenen auszeichne. Fazit des Rezensenten: ein "Miniaturen- und Ideenbuch, dessen Skizzen so genau sind im Strich, so aphoristisch prägnant, dass man einzelne Sätze wie Kiesel in die Tasche stecken möchte, um lange daran herumzufühlen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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