PISA war wichtig, aber Schule muss mehr sein als die Vermittlung abprüfbaren Wissens.
Loki Schmidt, 29 Jahre lang Lehrerin und zeitlebens engagierte Pädagogin, nimmt Stellung zur aktuellen Bildungsdebatte. Dabei erzählt sie auch von ihrer eigenen Zeit in der Schule und knüpft an ihre erfolgreiche Autobiografie an.
Eine normale "Paukanstalt" hat Loki Schmidt als Schülerin nie erlebt. Sie hatte das Glück, so genannte Reformschulen zu besuchen. "Schule war einfach fabelhaft", so ihre Erinnerung. AlsLehrerin hat sie versucht, diese positiven Erfahrungen auch ihren Schülern zu vermitteln.
Im Gespräch mit dem Erziehungswissenschaftler Reiner Lehberger, mit dem sie seit vielen Jahren in Schulprojekten zusammenarbeitet, entsteht das Bild einer lebendigen Schule. Dabei wird auch auf aktuelle Fragen eingegangen: die Ganztagsschule, die Werteerziehung oder welche Konsequenzen aus PISA zu ziehen sind. Dass Schule für die passionierte Lehrerin vor allem auch Spaß machen soll, zeigt so manch
Loki Schmidt, 29 Jahre lang Lehrerin und zeitlebens engagierte Pädagogin, nimmt Stellung zur aktuellen Bildungsdebatte. Dabei erzählt sie auch von ihrer eigenen Zeit in der Schule und knüpft an ihre erfolgreiche Autobiografie an.
Eine normale "Paukanstalt" hat Loki Schmidt als Schülerin nie erlebt. Sie hatte das Glück, so genannte Reformschulen zu besuchen. "Schule war einfach fabelhaft", so ihre Erinnerung. AlsLehrerin hat sie versucht, diese positiven Erfahrungen auch ihren Schülern zu vermitteln.
Im Gespräch mit dem Erziehungswissenschaftler Reiner Lehberger, mit dem sie seit vielen Jahren in Schulprojekten zusammenarbeitet, entsteht das Bild einer lebendigen Schule. Dabei wird auch auf aktuelle Fragen eingegangen: die Ganztagsschule, die Werteerziehung oder welche Konsequenzen aus PISA zu ziehen sind. Dass Schule für die passionierte Lehrerin vor allem auch Spaß machen soll, zeigt so manch
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.04.2005Pflanzen und Eintopfen
Loki Schmidt über ihr „Leben für die Schule”
Die Ohrfeige solle sie doch bitteschön herausnehmen, das wollte der Verlag so. Doch die Autorin war selbstbewusst genug, auf dieser Passage ihres Buches zu bestehen. Einen Klaps oder Knuff für Kinder fand die Lehrerin Loki Schmidt in manchen Fällen angebracht und sogar weniger verletzend als viele Worte.
Lokis Ohrfeige hat bereits für ein paar Schlagzeilen gesorgt. Nun, einer betagten Dame von 85 Jahren, zudem Frau des Ex-Bundeskanzlers Helmut Schmidt, verzeiht man den politisch unkorrekten Ausrutscher. Zumal Loki Schmidt alles andere als eine pädagogische Hardlinerin ist. In „Mein Leben für die Schule” beschreibt sie ihre Ziele und Ideale als Lehrerin - und genau diese Lehrerin wünscht man sich für seine eigenen und für alle Kinder.
Bisher war Loki Schmidt vor allem als Bundeskanzler-Gattin und Pflanzenschützerin bekannt. Über ihre Zeit als Grundschullehrerin redete sie selten, vielleicht wollte es auch niemand so genau wissen. Aber die Pisa-Studie hat den Scheinwerfer des Interesses auf Schulthemen gelenkt. Nun gibt es natürlich viele Frauen, die unterrichtet haben - muss man lesen, was Loki Schmidt von Bildung und Erziehung damals und heute so hält, nur weil sie prominent ist? Man muss vielleicht nicht. Aber jene, die sich für Schule interessieren, werden das Buch dennoch mit Gewinn lesen, zumal sich darin auch die Zeitzeugin einer aussterbenden Generation äußert.
Dass das Buch lesenswert ist, liegt überdies daran, dass Loki Schmidt schon als Kind Reformschulen besucht hat und später an solchen unterrichtet hat. Sie stammt aus einer Arbeiterfamilie, aber einer mit Bildungshunger - obwohl das Geld für Kinderbücher fehlte, haben ihre Eltern sie viel lesen lassen und mit fünf Jahren zum Geigenunterricht geschickt. Eingeschult wurde sie dann zu Ostern 1925 in der „Burgstraße”, einer reformpädagogische Grundschule. Reform, das hieß damals: gemeinsamer Unterricht von Jungen und Mädchen, keine Prügelstrafe, kein Sitzenbleiben und auch die Beteiligung der Eltern am Schulleben. Das Klima war also ein grundlegend anderes als das an vielen, noch von der Kaiserzeit geprägten Einrichtungen.
Nach der Mittleren Reife sollte Loki Schmidt die ebenfalls reformorientierte Lichtwark-Schule verlassen, die Schulbehörde wollte für sie das Schulgeld nicht mehr bezahlen, da sie wegen der knappen Mittel ohnehin nicht studieren könne, hieß es. Weil sie begabt war, intervenierte ihr Direktor, und Loki durfte bleiben. Dafür sollte sie aber, forderte er, in den Bund Deutscher Mädel eintreten und sich eine andere Frisur zulegen. Der Direktor war von den Nazis eingesetzt worden, um die rote Reformschule auf Kurs zu bringen. Doch, auch dies lehrt das Buch, letztlich hat er sich nach anfänglich rabiaten Aktionen ziemlich vernünftig benommen - ein Beleg für die Zwiespältigkeit dieser Zeit. Der Lichtwark-Schule hat es aber nichts genützt, sie wurde 1937 geschlossen.
Keine Schultüten
Dem Notabitur und Arbeitsdienst schlossen sich die Studienjahre an. Loki Schmidt wollte eigentlich Biologie studieren, das aber hätte Gebühren für Vorlesungen und Seminare bedeutet, Geld, das den Eltern fehlte. Sie wurde Lehrerin - und gewissermaßen wiederholt sich in ihrem Erwachsenenleben das, was sie als Kind mit ihren eigenen Lehrern erlebt hat. Sie wird eine engagierte, reformorientierte Pädagogin, eine, die sich nicht scheut, ins „asoziale” Horn-Viertel zu gehen, weil dort Hamburgs einzige koedukative Schule ist. Sie hält sich nicht streng an Lehrpläne und Fächer, sondern unterrichtet themenorientiert. Sie unternimmt Lehrspaziergänge zu Museen, geht in den Hafen, lässt die Kinder Pflanzen am Wegesrand ausgraben und sie im Klassenzimmer eintopfen.
Beobachten, klären, darstellen: Intuitiv setzt Loki Schmidt die Prinzipien guten Unterrichts um. Sie versucht, schwache Schüler von der Schmach des Sitzenbleibens zu verschonen, indem sie während des Schuljahres die Klasse wechseln. Sie findet, dass Kinder, ob evangelisch, katholisch oder nicht getauft, gemeinsamen Religionsunterricht haben sollten - und setzt das durch. Eltern, die Angst haben, ihre Kinder würden bei dem lockeren Stil die Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium nicht schaffen, beweist sie, dass man auch spielerisch lernen kann. Sie verbietet Schultüten, damit kein Kind benachteiligt ist, sie unternimmt alles Mögliche, damit ein schwieriger - heute würde man sagen: hyperaktiver - Junge sich in die Klassengemeinschaft einfügt.
Wenn ein Buch in der etwas lästigen, weil überhand nehmenden Interview-Form erscheint, wünscht man sich, dass triviale Antworten und belehrende Fragen redigiert werden. Das hat der Verlag leider versäumt. Für Schulpolitik hat Loki Schmidt sich nie interessiert, das merkt man an ihren Antworten auf die Fragen des Bochumer Erziehungswissenschaftlers Reiner Lehberger. Dass die sechsjährige Grundschule für Spätzünder sinnvoll sein könnte oder dass die Lehrerbildung praxisnäher werden muss, sind noch die politisch weitestgehenden Antworten, zu den sie sich hinreißen lässt. Insofern liegt der Nutzen von „Mein Leben für die Schule” eher im Rückblick als im Aktuellen.
JEANNE RUBNER
LOKI SCHMIDT: Mein Leben für die Schule. Hoffmann und Campe, Hamburg 2005. 288 Seiten, 22 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Loki Schmidt über ihr „Leben für die Schule”
Die Ohrfeige solle sie doch bitteschön herausnehmen, das wollte der Verlag so. Doch die Autorin war selbstbewusst genug, auf dieser Passage ihres Buches zu bestehen. Einen Klaps oder Knuff für Kinder fand die Lehrerin Loki Schmidt in manchen Fällen angebracht und sogar weniger verletzend als viele Worte.
Lokis Ohrfeige hat bereits für ein paar Schlagzeilen gesorgt. Nun, einer betagten Dame von 85 Jahren, zudem Frau des Ex-Bundeskanzlers Helmut Schmidt, verzeiht man den politisch unkorrekten Ausrutscher. Zumal Loki Schmidt alles andere als eine pädagogische Hardlinerin ist. In „Mein Leben für die Schule” beschreibt sie ihre Ziele und Ideale als Lehrerin - und genau diese Lehrerin wünscht man sich für seine eigenen und für alle Kinder.
Bisher war Loki Schmidt vor allem als Bundeskanzler-Gattin und Pflanzenschützerin bekannt. Über ihre Zeit als Grundschullehrerin redete sie selten, vielleicht wollte es auch niemand so genau wissen. Aber die Pisa-Studie hat den Scheinwerfer des Interesses auf Schulthemen gelenkt. Nun gibt es natürlich viele Frauen, die unterrichtet haben - muss man lesen, was Loki Schmidt von Bildung und Erziehung damals und heute so hält, nur weil sie prominent ist? Man muss vielleicht nicht. Aber jene, die sich für Schule interessieren, werden das Buch dennoch mit Gewinn lesen, zumal sich darin auch die Zeitzeugin einer aussterbenden Generation äußert.
Dass das Buch lesenswert ist, liegt überdies daran, dass Loki Schmidt schon als Kind Reformschulen besucht hat und später an solchen unterrichtet hat. Sie stammt aus einer Arbeiterfamilie, aber einer mit Bildungshunger - obwohl das Geld für Kinderbücher fehlte, haben ihre Eltern sie viel lesen lassen und mit fünf Jahren zum Geigenunterricht geschickt. Eingeschult wurde sie dann zu Ostern 1925 in der „Burgstraße”, einer reformpädagogische Grundschule. Reform, das hieß damals: gemeinsamer Unterricht von Jungen und Mädchen, keine Prügelstrafe, kein Sitzenbleiben und auch die Beteiligung der Eltern am Schulleben. Das Klima war also ein grundlegend anderes als das an vielen, noch von der Kaiserzeit geprägten Einrichtungen.
Nach der Mittleren Reife sollte Loki Schmidt die ebenfalls reformorientierte Lichtwark-Schule verlassen, die Schulbehörde wollte für sie das Schulgeld nicht mehr bezahlen, da sie wegen der knappen Mittel ohnehin nicht studieren könne, hieß es. Weil sie begabt war, intervenierte ihr Direktor, und Loki durfte bleiben. Dafür sollte sie aber, forderte er, in den Bund Deutscher Mädel eintreten und sich eine andere Frisur zulegen. Der Direktor war von den Nazis eingesetzt worden, um die rote Reformschule auf Kurs zu bringen. Doch, auch dies lehrt das Buch, letztlich hat er sich nach anfänglich rabiaten Aktionen ziemlich vernünftig benommen - ein Beleg für die Zwiespältigkeit dieser Zeit. Der Lichtwark-Schule hat es aber nichts genützt, sie wurde 1937 geschlossen.
Keine Schultüten
Dem Notabitur und Arbeitsdienst schlossen sich die Studienjahre an. Loki Schmidt wollte eigentlich Biologie studieren, das aber hätte Gebühren für Vorlesungen und Seminare bedeutet, Geld, das den Eltern fehlte. Sie wurde Lehrerin - und gewissermaßen wiederholt sich in ihrem Erwachsenenleben das, was sie als Kind mit ihren eigenen Lehrern erlebt hat. Sie wird eine engagierte, reformorientierte Pädagogin, eine, die sich nicht scheut, ins „asoziale” Horn-Viertel zu gehen, weil dort Hamburgs einzige koedukative Schule ist. Sie hält sich nicht streng an Lehrpläne und Fächer, sondern unterrichtet themenorientiert. Sie unternimmt Lehrspaziergänge zu Museen, geht in den Hafen, lässt die Kinder Pflanzen am Wegesrand ausgraben und sie im Klassenzimmer eintopfen.
Beobachten, klären, darstellen: Intuitiv setzt Loki Schmidt die Prinzipien guten Unterrichts um. Sie versucht, schwache Schüler von der Schmach des Sitzenbleibens zu verschonen, indem sie während des Schuljahres die Klasse wechseln. Sie findet, dass Kinder, ob evangelisch, katholisch oder nicht getauft, gemeinsamen Religionsunterricht haben sollten - und setzt das durch. Eltern, die Angst haben, ihre Kinder würden bei dem lockeren Stil die Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium nicht schaffen, beweist sie, dass man auch spielerisch lernen kann. Sie verbietet Schultüten, damit kein Kind benachteiligt ist, sie unternimmt alles Mögliche, damit ein schwieriger - heute würde man sagen: hyperaktiver - Junge sich in die Klassengemeinschaft einfügt.
Wenn ein Buch in der etwas lästigen, weil überhand nehmenden Interview-Form erscheint, wünscht man sich, dass triviale Antworten und belehrende Fragen redigiert werden. Das hat der Verlag leider versäumt. Für Schulpolitik hat Loki Schmidt sich nie interessiert, das merkt man an ihren Antworten auf die Fragen des Bochumer Erziehungswissenschaftlers Reiner Lehberger. Dass die sechsjährige Grundschule für Spätzünder sinnvoll sein könnte oder dass die Lehrerbildung praxisnäher werden muss, sind noch die politisch weitestgehenden Antworten, zu den sie sich hinreißen lässt. Insofern liegt der Nutzen von „Mein Leben für die Schule” eher im Rückblick als im Aktuellen.
JEANNE RUBNER
LOKI SCHMIDT: Mein Leben für die Schule. Hoffmann und Campe, Hamburg 2005. 288 Seiten, 22 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Wenn Rezensentin Susanne Mayer überhaupt etwas an Loki Schmidts Buch "kritisieren" wollte, dann, dass es den "aktuellen Hintergrund" zu stark ausblendet. Schmidt schildere im Gespräch mit dem Erziehungswissenschaftler Reiner Lehberger "Erstaunliches" aus ihrer eigenen Schul- und Lehrerinnenzeit oder, weiter zurückblickend, aus den zwanziger Jahren, wie beispielsweise die pädagogische Reformbewegung jener Zeit, in der Obrigkeitsdenken einem "lebensübergreifenden Lernen" weichen sollte. Einen Hinweis darauf, wie wenig von dieser "engagierten Pädagogik" heute noch übrig ist, vermisst die Kritikerin allerdings. Umso "interessanter" findet sie dagegen den journalistischen Umgang mit Schmidts pädagogischen Erinnerungen: So habe das Buch bereits herhalten müssen für ein "Revival" der Disziplindebatte; Schmidts "Ohrfeigen" seien von der Presse betont, ihr oberstes pädagogisches Prinzip jedoch, die Liebe zu ihren Schülern, weggelassen worden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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