Getroffen haben sich Tess und Jonah nur ein einziges Mal. Obwohl sie sieben Monate zusammen waren. In dieser Zeit haben sie alles miteinander geteilt per Chat, Facebook, Tweets, haben sich herzzerreißende E-Mails geschrieben, ihr Innerstes preisgegeben, sich gegenseitig ihre Liebe erklärt. Und trotzdem hat Tess es nicht kommen sehen: Jonahs Selbstmord. Doch Tess sendet weiter Nachrichten an Jonah, ihre erste Liebe. Es ist ihre Art, die Trauer zu verarbeiten. Und eines Tages erhält sie tatsächlich Antwort ... Ein außergewöhnlicher Roman über Tod und Abschied in Zeiten von Social Media und darüber, dass jedem Ende ein neuer Anfang - und vielleicht sogar eine neue Liebe - innewohnt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.01.2018Liebesgrüße aus dem digitalen Jenseits
Roadmovie mit W-Lan: "Mein Leben oder Ein Haufen unvollkommener Momente" von Peter Bognanni
Gibt es ein Leben nach dem Tod? Was die Metaphysik angeht, kann man entsprechende Verabredungen treffen. Was die Physik angeht: ein klares Ja. Jedenfalls für Leute, die all das tun, was man im 21. Jahrhundert eben so tut, chatten, surfen, in sozialen Medien unterwegs sein eben. Jeder mittelalte Erwachsene hat das wohl schon erlebt, dass ein Alert aufpoppt: "X hat heute Geburtstag, möchtest du ihm gratulieren?" Und X ist vor vier Jahren an Krebs gestorben. Jugendliche müssen diese Erfahrung noch nicht machen, jedenfalls nicht, wenn alles einigermaßen gutgeht. Aber bei Tess und Jonah, in den sie so verliebt war, ist es nicht gutgegangen.
Peter Bognanni, amerikanischer Autor mit Creative-Writing-Studium, spannt für seinen ersten Jugendroman und sein zweites Buch überhaupt zwei Themen zusammen, die aus "Mein Leben oder Ein Haufen unvollkommener Momente" eine originelle Mischung machen. Einerseits ist es ein Roman, in dem all die Stadien von Verlust und Einsamkeit, Wut, Trauer, Lebenssehnsucht in einer, wie der deutsche Titel schon sagt, scheinbar ungeordneten Häufung erzählt werden. Der Originaltitel trifft es fast besser "Things I'm seeing without you" ist das Spiel, das Tess und Jonah, die Online-Verliebten, immer gespielt haben. Nun sieht sie die Welt ohne ihn, und es ist kein Spiel mehr.
Zugleich fragt Bognanni, noch nicht sehr lange seiner Zielgruppe entwachsen, mit seiner Ich-Erzählerin Tess danach, wie echt eigentlich das alles ist, was wir digital tun. Lieben, Mitfühlen, Sterben. Was es mit uns macht, wenn wir, im Stadium akuter Verliebtheit, denselben liebestollen Post zigmal aufrufen und studieren. Und wenn wir dasselbe tun, nachdem die Person, die ihn geschrieben hat, schon längst gestorben ist.
Die Posts kann man sehen, sie sind, typographisch abgesetzt, Teil der Erzählung: Einen Monat lang hat Tess, die überaus selbstkritische, ohnehin schon problembeladene, aber auch lässige Hauptfigur, schon um ihren digitalen Liebsten Jonah getrauert. Sie hat ihn zwar auf einer Party kennengelernt, aber danach nur noch im Netz getroffen und nach unzähligen Botschaften erfahren, dass er, von Jugend an psychisch krank, sich umgebracht hat. Doch eines Tages meldet sich Jonah wieder. Und abgesehen von diesem kurzen Flash, in dem ihre Sehnsucht mit ihrem ausgesprochen gut ausgeprägten Sinn für Realität kämpft, weiß Tess, dass der Schreiber nicht Jonah sein kann. Ist er auch nicht. Es war auch zuvor schon ein anderer. Und dieser andere, Daniel, tüftelt dazu noch an einem App-Programm, das weiter tweetet und postet, wenn der Inhaber des Accounts verblichen ist.
Führen unsere digitalen Abbilder ein Eigenleben? Halten wir sie am Leben, oder tun sie das längst schon selbst und hindern uns so daran, uns irgendwann aus der Trauer zu lösen und wieder neue Kraft für das Leben zu schöpfen? Wer jetzt denkt, das sei vielleicht alles ein bisschen viel für einen Jugendroman, darf aufatmen: Es kommt noch härter. Nicht nur mit Grace, einer jungen Unternehmerin für alternative Bestattungen, die selbst ihr kleines Kind hat sterben sehen. Oder mit Tess' Vater, der sich als ihr Konkurrent etablieren will und erst mal Tiere mit Staatsbegräbnissen ausstattet. Ach ja, ein Roadmovie samt Reise nach Sizilien gibt es auch, für Seume-Fans: Es geht nach Syrakus - weil Jonah aus Syracuse im Staat New York stammt.
So furchtbar verrückt, wie es der Klappentext will, ist Tess allerdings gar nicht, sie ist so "verrückt", wie es ein Jugendroman, zumal amerikanischen Zuschnitts, eben gerne hat - da kommt im Erzählfluss die Autorenschule zum Vorschein. Zum Beispiel kennt sie Flaubert, tickt ab und an aus und hat es gelernt, mit zwei lausigen Eltern einigermaßen klarzukommen. Die Trauer um Jonah und die Erkenntnis, dass nicht er, sondern ein anderer ihre intimsten Gedanken gelesen hat, lösen bei Tess eine zweite Trauer aus und dazu eine lesenswerte Geschichte darüber, wie man den Tod, die Ausnahme im Leben, als lebendigen Teil davon begreifen kann, auch wenn man, wie es so schön heißt, "noch so jung" ist.
Das Beste aber ist wohl, dass ihre Erzählung nicht nur Tess selbst hilft: Ihre Gedanken zu Tod und Trauer wirken lange nach. Ein Leben zwischen zwei Buchdeckeln existiert also in jedem Fall.
EVA-MARIA MAGEL
Peter Bognanni: "Mein Leben oder Ein Haufen unvollkommener Momente".
Aus dem Englischen von Anja Hansen-Schmidt. Hanser Verlag, München 2017. 272 S., geb., 18,- [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Roadmovie mit W-Lan: "Mein Leben oder Ein Haufen unvollkommener Momente" von Peter Bognanni
Gibt es ein Leben nach dem Tod? Was die Metaphysik angeht, kann man entsprechende Verabredungen treffen. Was die Physik angeht: ein klares Ja. Jedenfalls für Leute, die all das tun, was man im 21. Jahrhundert eben so tut, chatten, surfen, in sozialen Medien unterwegs sein eben. Jeder mittelalte Erwachsene hat das wohl schon erlebt, dass ein Alert aufpoppt: "X hat heute Geburtstag, möchtest du ihm gratulieren?" Und X ist vor vier Jahren an Krebs gestorben. Jugendliche müssen diese Erfahrung noch nicht machen, jedenfalls nicht, wenn alles einigermaßen gutgeht. Aber bei Tess und Jonah, in den sie so verliebt war, ist es nicht gutgegangen.
Peter Bognanni, amerikanischer Autor mit Creative-Writing-Studium, spannt für seinen ersten Jugendroman und sein zweites Buch überhaupt zwei Themen zusammen, die aus "Mein Leben oder Ein Haufen unvollkommener Momente" eine originelle Mischung machen. Einerseits ist es ein Roman, in dem all die Stadien von Verlust und Einsamkeit, Wut, Trauer, Lebenssehnsucht in einer, wie der deutsche Titel schon sagt, scheinbar ungeordneten Häufung erzählt werden. Der Originaltitel trifft es fast besser "Things I'm seeing without you" ist das Spiel, das Tess und Jonah, die Online-Verliebten, immer gespielt haben. Nun sieht sie die Welt ohne ihn, und es ist kein Spiel mehr.
Zugleich fragt Bognanni, noch nicht sehr lange seiner Zielgruppe entwachsen, mit seiner Ich-Erzählerin Tess danach, wie echt eigentlich das alles ist, was wir digital tun. Lieben, Mitfühlen, Sterben. Was es mit uns macht, wenn wir, im Stadium akuter Verliebtheit, denselben liebestollen Post zigmal aufrufen und studieren. Und wenn wir dasselbe tun, nachdem die Person, die ihn geschrieben hat, schon längst gestorben ist.
Die Posts kann man sehen, sie sind, typographisch abgesetzt, Teil der Erzählung: Einen Monat lang hat Tess, die überaus selbstkritische, ohnehin schon problembeladene, aber auch lässige Hauptfigur, schon um ihren digitalen Liebsten Jonah getrauert. Sie hat ihn zwar auf einer Party kennengelernt, aber danach nur noch im Netz getroffen und nach unzähligen Botschaften erfahren, dass er, von Jugend an psychisch krank, sich umgebracht hat. Doch eines Tages meldet sich Jonah wieder. Und abgesehen von diesem kurzen Flash, in dem ihre Sehnsucht mit ihrem ausgesprochen gut ausgeprägten Sinn für Realität kämpft, weiß Tess, dass der Schreiber nicht Jonah sein kann. Ist er auch nicht. Es war auch zuvor schon ein anderer. Und dieser andere, Daniel, tüftelt dazu noch an einem App-Programm, das weiter tweetet und postet, wenn der Inhaber des Accounts verblichen ist.
Führen unsere digitalen Abbilder ein Eigenleben? Halten wir sie am Leben, oder tun sie das längst schon selbst und hindern uns so daran, uns irgendwann aus der Trauer zu lösen und wieder neue Kraft für das Leben zu schöpfen? Wer jetzt denkt, das sei vielleicht alles ein bisschen viel für einen Jugendroman, darf aufatmen: Es kommt noch härter. Nicht nur mit Grace, einer jungen Unternehmerin für alternative Bestattungen, die selbst ihr kleines Kind hat sterben sehen. Oder mit Tess' Vater, der sich als ihr Konkurrent etablieren will und erst mal Tiere mit Staatsbegräbnissen ausstattet. Ach ja, ein Roadmovie samt Reise nach Sizilien gibt es auch, für Seume-Fans: Es geht nach Syrakus - weil Jonah aus Syracuse im Staat New York stammt.
So furchtbar verrückt, wie es der Klappentext will, ist Tess allerdings gar nicht, sie ist so "verrückt", wie es ein Jugendroman, zumal amerikanischen Zuschnitts, eben gerne hat - da kommt im Erzählfluss die Autorenschule zum Vorschein. Zum Beispiel kennt sie Flaubert, tickt ab und an aus und hat es gelernt, mit zwei lausigen Eltern einigermaßen klarzukommen. Die Trauer um Jonah und die Erkenntnis, dass nicht er, sondern ein anderer ihre intimsten Gedanken gelesen hat, lösen bei Tess eine zweite Trauer aus und dazu eine lesenswerte Geschichte darüber, wie man den Tod, die Ausnahme im Leben, als lebendigen Teil davon begreifen kann, auch wenn man, wie es so schön heißt, "noch so jung" ist.
Das Beste aber ist wohl, dass ihre Erzählung nicht nur Tess selbst hilft: Ihre Gedanken zu Tod und Trauer wirken lange nach. Ein Leben zwischen zwei Buchdeckeln existiert also in jedem Fall.
EVA-MARIA MAGEL
Peter Bognanni: "Mein Leben oder Ein Haufen unvollkommener Momente".
Aus dem Englischen von Anja Hansen-Schmidt. Hanser Verlag, München 2017. 272 S., geb., 18,- [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ein emotionales Roadmovie, quer durch die USA, bis nach Sizilien, über Abschied, Neuanfang und vielleicht Glück." Roswitha Budeus-Budde, Süddeutsche Zeitung, 30.04.18
"Ein Buch über die vielen möglichen Formen des Abschieds... Tess und ihre intensive Beschäftigung mit dem Tod macht den Reiz dieses durch und durch lebensbejahenden Romans aus." Manuela Kalbermatten, Neue Zürcher Zeitung, 07.11.2018
"Obwohl die moderne Kommunikation in diesem Roman eine wichtige Rolle spielt, ist die Botschaft mitnichten, das Internet mache junge Menschen zu sozial inkompetenten Krüppeln. Vielmehr versuchen Tess und Daniel zu ergründen, was einen glauben lässt, jemanden zu kennen. Und sie fragen sich, ob man einen Menschen liebt oder nur die eigene Vorstellung von ihm. Es ist tröstlich, dass der Autor es die beiden gemeinsam ergründen lässt - und ehrlich, dass das Ende unvollkommen bleibt." Katrin Hörnlein, Die Zeit, 15.03.18
"Bognanni gelingt es, skurrile Settings zu bauen ...Viel wichtiger aber noch ist: Er lässt die Kombination von Digitalisierung und Tod leitmotivisch durch seinen Roman wandern ... Und so dekliniert Peter Bognanni durch, was es mit dem postmortalen digitalen Leben auf sich hat." Gerrit Bartels, Tagesspiegel, 01.03.18
"Eine lesenwerte Geschichte darüber, wie man den Tod, die Ausnahme im Leben, als lebendigen Teil davon begreifen kann, auch wenn man, wie es so schön heißt, 'noch so jung' ist." Eva-Maria Nagel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.01.18
"Ein Buch über die vielen möglichen Formen des Abschieds... Tess und ihre intensive Beschäftigung mit dem Tod macht den Reiz dieses durch und durch lebensbejahenden Romans aus." Manuela Kalbermatten, Neue Zürcher Zeitung, 07.11.2018
"Obwohl die moderne Kommunikation in diesem Roman eine wichtige Rolle spielt, ist die Botschaft mitnichten, das Internet mache junge Menschen zu sozial inkompetenten Krüppeln. Vielmehr versuchen Tess und Daniel zu ergründen, was einen glauben lässt, jemanden zu kennen. Und sie fragen sich, ob man einen Menschen liebt oder nur die eigene Vorstellung von ihm. Es ist tröstlich, dass der Autor es die beiden gemeinsam ergründen lässt - und ehrlich, dass das Ende unvollkommen bleibt." Katrin Hörnlein, Die Zeit, 15.03.18
"Bognanni gelingt es, skurrile Settings zu bauen ...Viel wichtiger aber noch ist: Er lässt die Kombination von Digitalisierung und Tod leitmotivisch durch seinen Roman wandern ... Und so dekliniert Peter Bognanni durch, was es mit dem postmortalen digitalen Leben auf sich hat." Gerrit Bartels, Tagesspiegel, 01.03.18
"Eine lesenwerte Geschichte darüber, wie man den Tod, die Ausnahme im Leben, als lebendigen Teil davon begreifen kann, auch wenn man, wie es so schön heißt, 'noch so jung' ist." Eva-Maria Nagel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.01.18