Immer noch Alice
Alice Howland ist Anfang fünfzig und Professorin für Psychologie an der Universität Harvard in Boston. Ebenso ihr Mann John. Beide sind erfolgreiche Wissenschaftler, ihr Leben ist geprägt von ihrer Arbeit. Zeit für Privatleben und die drei erwachsenen Kinder bleibt kaum.
Plötzlich passieren der sonst immer gut organisierten Alice unerklärliche Peinlichkeiten. Mitten in ihrem…mehrImmer noch Alice
Alice Howland ist Anfang fünfzig und Professorin für Psychologie an der Universität Harvard in Boston. Ebenso ihr Mann John. Beide sind erfolgreiche Wissenschaftler, ihr Leben ist geprägt von ihrer Arbeit. Zeit für Privatleben und die drei erwachsenen Kinder bleibt kaum. Plötzlich passieren der sonst immer gut organisierten Alice unerklärliche Peinlichkeiten. Mitten in ihrem Vortrag fehlt ihr plötzlich das richtige Wort um den Satz zu beenden. Auf ihrer morgendlichen Joggingrunde, weiß sie auf einmal nicht mehr den Weg nach Hause. Was wie die Nebenwirkungen der beginnenden Menopause aussieht, entpuppt sich bei der ärztlichen Untersuchung als ein Frühstadium der Alzheimer Krankheit. Für Alice beginnt nach der Diagnose ihr “Leben ohne gestern”.
Lisa Genova geht es langsam an. Zunächst sehen alle Zwischenfälle nach zufälligen Kleinigkeiten aus. Dieses Gefühl lässt auch Alice Mann an der Richtigkeit der Diagnose zweifeln. Für den Leser ist die Verschlechterung der Situation natürlich besser nachvollziehbar. Das Buch ist in Monate unterteilt. Beginnend im September 2003 zeigt die Autorin Schritt für Schritt bzw. Monat für Monat was es heißt an dieser Krankheit zu leiden. Alice verliert ihr Gedächtnis, ihre Sprache, ihre Selbständigkeit. Stück für Stück und Tag für Tag etwas mehr.
An einer Stelle sitzt sie mit Mann und Tochter am Frühstückstisch. Einen Bagel vor sich auf dem Teller. Sie geht im Geist durch, was sie vor sich auf dem Tisch sieht. Und bleibt an einer Schüssel mit einer weißen Masse hängen. Sie weiß, das sie diese weiße Masse gerne auf ihrem Bagel isst, aber sie hat keinen Namen mehr dafür. Sie bittet also ihr die Schale mit der weißen Masse zu reichen. “Frischkäse” sagt die Tochter.
Vor kurzem wurde bei uns das Gesetz zur Präimplantations-Diagnostik verabschiedet. Auch darüber regt das Werk zum Nachdenken an. Die Alzheimer Krankheit wird genetisch übertragen. Alice älteste Tochter ist eine Genträgerin, die mit ihrem Mann gerade über eine Schwangerschaft nachdenkt. Bevor sie sich künstlich befruchten lässt, werden die Embryonen auf das mutierte Gen untersucht. So können die werdenden Eltern ausschließen, dass ihre Kinder die Krankheit einmal bekommen. In Deutschland ist diese präventive Diagnose und die Selektion betroffener Embryonen jetzt auch möglich. Vorher war sie es nicht.
Besonders eindrucksvoll aber ist, der Autorin in die Gedankenwelt von Alice zu folgen. Genova, die selber in Harvard in Neurowissenschaft promoviert hat, kann die Vorgänge in Alices Gehirn fachlich erläutern und zugleich menschlich schildern. Dadurch nimmt man Alice immer als vollständige Persönlichkeit wahr. So wie es der Titel im Original verheißt: “Still Alice”. Alice ist immer noch sie selbst. Sie kann ihre Veränderung ja nicht nachvollziehen. Sie weiß nicht mehr was gestern war.
“Mein Leben ohne Gestern” ist ein eindringliches und einfühlsames Plädoyer für mehr Verständnis gegenüber Menschen die an der Alzheimer Krankheit oder Demenz leiden. Und für die pflegenden Angehörigen.