Der Debütroman des Bachmann-Preisträgers Ferdinand Schmalz - nominiert für den Deutschen Buchpreis 2021 und den Österreichischen Buchpreis 2021
Der Wiener Tiefkühlkostvertreter Franz Schlicht soll einem makabren Wunsch nachkommen. Sein Kunde Doktor Schauer ist fest entschlossen, sich zum Sterben in eine Tiefkühltruhe zu legen. Er beauftragt Franz Schlicht, den gefrorenen Körper auf eine Lichtung zu verfrachten. Zum vereinbarten Zeitpunkt ist die Tiefkühltruhe jedoch leer, und Schlicht begibt sich auf eine höchst ungewöhnliche Suche nach der gefrorenen Leiche. Dabei begegnet er der Tatortreinigerin Schimmelteufel, einem Ingenieur, der sich selbst eingemauert hat, und einem Ministerialrat, der Nazi-Weihnachtsschmuck sammelt. Ferdinand Schmalz nimmt uns in »Mein Lieblingstier heißt Winter« mit auf eine abgründige Tour quer durch die österreichische Gesellschaft, skurril, intelligent und mit großem Sprachwitz.
Der Wiener Tiefkühlkostvertreter Franz Schlicht soll einem makabren Wunsch nachkommen. Sein Kunde Doktor Schauer ist fest entschlossen, sich zum Sterben in eine Tiefkühltruhe zu legen. Er beauftragt Franz Schlicht, den gefrorenen Körper auf eine Lichtung zu verfrachten. Zum vereinbarten Zeitpunkt ist die Tiefkühltruhe jedoch leer, und Schlicht begibt sich auf eine höchst ungewöhnliche Suche nach der gefrorenen Leiche. Dabei begegnet er der Tatortreinigerin Schimmelteufel, einem Ingenieur, der sich selbst eingemauert hat, und einem Ministerialrat, der Nazi-Weihnachtsschmuck sammelt. Ferdinand Schmalz nimmt uns in »Mein Lieblingstier heißt Winter« mit auf eine abgründige Tour quer durch die österreichische Gesellschaft, skurril, intelligent und mit großem Sprachwitz.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Jan Wiele entdeckt Momente eigenartiger Schönheit in diesem Roman von Ferdinand Schmalz. Davon abgesehen berückt ihn der Text mit einer Sprachsensibilität, die Wiele in der Gegenwartsliteratur sonst schmerzlich vermisst. Dass Schmalz syntaktisch nie den geraden Weg geht und realistisches Erzählen eher zu seinen Pflichten gehört, während die Kür "Fiktion unter der Hand" hervorbringt beziehungsweise experimentelle Prosa, findet Wiele eigentlich ganz wunderbar. Es geht übrigens um einen Wiener Tiefkühllieferanten während der Hundstage in diesem Buch, um seine merkwürdige Kundschaft und sogar um ein krimitaugliches Verschwinden, erklärt Wiele, aber im Grunde geht es einmal um die Form.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.2021Da fuhr er ab, der Charakterzug
Schockfrostung in der Hitze der Hundstage: Das Romandebüt des Dramatikers Ferdinand Schmalz
Es ist erfreulich, wenn Gegenwartsliteratur überhaupt noch einen Formwillen offenbart - also zeigt, dass sie mehr will als dürftige Dialoge, bräsigen Biographismus oder, noch schlimmer, die flache Fiktionalisierung von Debattenthemen. Und es mag spätestens seit der durchstilisierten Prosa Thomas Bernhards ein Klischee sein, dass österreichische Gegenwartsliteratur noch am ehesten solchen Formwillen offenbart, aber vielleicht stimmt es einfach.
Ein gutes Beispiel dafür wäre jedenfalls der 1985 in Graz geborene Ferdinand Schmalz, der unter diesem Künstlernamen Theaterstücke schreibt und 2018 mit einem Prosatext den Bachmannpreis gewann. Dass aus diesem recht absurden Text über einen Tiefkühllieferanten ein Roman werden könnte, hätte man damals allerdings kaum für möglich gehalten. Ging es nicht gerade um das novellistisch Unabgeschlossene, das keinen Ausschnitt aus einer größeren Fabel oder gar aus einer gesellschaftlichen Wirklichkeit darstellte? Ob das überhaupt "realistisch" erzählt sei, diskutierte jedenfalls damals schon die Jury in Klagenfurt, und zu Recht: Einen Eismann namens Franz Schlicht, der die geheimen Wünsche seiner Kunden kennt, und einen schwerkranken Mann namens Doktor Schauer, der exzessiv Rehragout hortet - ja, wo gibt's denn des?
Nun zeigt sich: Das gibt es innerhalb einer weiter ausgesponnenen, aber nicht weniger absurden Fabel, die man, ohne den Begriff allzu sehr zu strapazieren, durchaus auch Roman nennen kann. Er beginnt in einem Setting, das ebenfalls schon fast klassisch österreichisch anmutet: nämlich zur Zeit der brütend heißen Hundstage im August, die in Ulrich Seidls gleichnamigem Spielfilm von 2001 die Abgründe nicht nur der Wiener Vorstadt gräßlich zum Ausdruck gebracht hat.
Von einer "Hitzequalle", die sich über Wien gelegt habe, ist nun bei Schmalz die Rede. Gelähmt davon werden neben den Tiefkühlexperten auch die Mitarbeiter einer Reinigungsfirma, die in einem Freizeitpark Dinosaurierfiguren von Schimmelflecken befreien oder, wie es im Roman heißt, "den Mikroorganismen auf den Makroechsen nun zu Leibe rücken wollen". Der Erzählton ist oft von einer künstlichen Umständlichkeit, die am Mündlichen, nicht an der Schriftsprache orientiert ist und also häufig verdrehte oder unvollständige Sätze hervorbringt. So heißt es etwa über die Chefin dieser beiden Reinigungsfachkräfte: "Und Schmerz und Denken hochfrequenzt da jetzt in ihr. Der ganze Körper durchquert von Wellen, die sich an ihren Innenwänden brechen. Und drückt sie nun das runde Ende der Stimmgabel hinein sich (. . .)."
Mit Darstellungstechniken, die an solche der (Wiener) Moderne erinnern, kommt Schmalz dem Denken und Fühlen aller Figuren sehr nah und kehrt es bisweilen expressionistisch nach außen. In banalen Situationen wird plötzlich Existenzielles offenbart, etwa wenn Eismann Schlicht sich darüber klar wird, sein Lebenslauf habe sich in einem Sekundenbruchteil entschieden: "Da fuhr er ab, dieser Charakterzug, mit ihm." Schmalz hat offensichtlich eine fabulierende Lust daran, seine Fiktion unter der Hand zu entwickeln und amüsiert zuzuschauen, wohin sie ihn treibt. Das ist das Gegenteil solcher Romane, die ihr Baukasten-Setting oft schon im Klappentext offenbaren. Hier dagegen handelt es sich um experimentelle Prosa, in der die Figuren ihre eigene Erfundenheit offenbar spüren können: "Er wolle sich in keine Rolle reintheatern und in keine größere Erzählung betten lassen. Erzählungen, ob große, ob kleine, seien ihm suspekt", heißt es ferner über Herrn Schlicht.
Trotz solcher Selbstreflexivität erschöpft sich das Buch aber nicht im bloß Spielerischen. Der Schmerz ist ein Leitthema, das die Figuren und Episoden verbindet. Ohne Weiteres könnte man einige von ihnen als traumatisiert beschreiben, allen voran den Doktor Schauer, der nach seinem geplanten Suizid zu einer makabren Kunstinstallation werden möchte und auf eigenen Wunsch schockgefrostet wird - ebenso aber den Pathologen Tulp, in dessen "Pathologenseele" wie in einem Lichtspielsaal die Bilder aller schon gesehenen Leichen wieder aufscheinen und der sich fühlt wie ein Filmcutter, der sie wieder neu zusammensetzen muss.
Weil Doktor Schauer aber nicht stirbt, sondern mysteriös verschwindet, nimmt die Erzählung sogar streckenweise Züge eines Krimis an, auch wenn es einer mit einigen losen Enden ist. Darin weitere Rollen spielen ein Ministerialrat mit "obszöner Sammelleidenschaft" für Weihnachtskugeln mit Swastikas darauf und ein "Feuerwerker", der mit diesen Kugeln am Ende Golf spielt. Aber immer wenn man gerade denkt, es werde jetzt doch eine Spur zu abgedreht, überrascht Schmalz mit wirklichkeitsgesättigten Passagen wie jener über die Wiener Pathologie, die Eigenschaften von Donauwasserleichen und den Friedhof der Namenlosen. Wie es ihm gelingt, ausgerechnet in dieser Umgebung eine nahezu romantische Begegnung zu schildern, die in einen Kuss mündet, ist von eigenartiger Schönheit. JAN WIELE
Ferdinand Schmalz:
"Mein Lieblingstier heißt Winter". Roman.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2021. 192 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schockfrostung in der Hitze der Hundstage: Das Romandebüt des Dramatikers Ferdinand Schmalz
Es ist erfreulich, wenn Gegenwartsliteratur überhaupt noch einen Formwillen offenbart - also zeigt, dass sie mehr will als dürftige Dialoge, bräsigen Biographismus oder, noch schlimmer, die flache Fiktionalisierung von Debattenthemen. Und es mag spätestens seit der durchstilisierten Prosa Thomas Bernhards ein Klischee sein, dass österreichische Gegenwartsliteratur noch am ehesten solchen Formwillen offenbart, aber vielleicht stimmt es einfach.
Ein gutes Beispiel dafür wäre jedenfalls der 1985 in Graz geborene Ferdinand Schmalz, der unter diesem Künstlernamen Theaterstücke schreibt und 2018 mit einem Prosatext den Bachmannpreis gewann. Dass aus diesem recht absurden Text über einen Tiefkühllieferanten ein Roman werden könnte, hätte man damals allerdings kaum für möglich gehalten. Ging es nicht gerade um das novellistisch Unabgeschlossene, das keinen Ausschnitt aus einer größeren Fabel oder gar aus einer gesellschaftlichen Wirklichkeit darstellte? Ob das überhaupt "realistisch" erzählt sei, diskutierte jedenfalls damals schon die Jury in Klagenfurt, und zu Recht: Einen Eismann namens Franz Schlicht, der die geheimen Wünsche seiner Kunden kennt, und einen schwerkranken Mann namens Doktor Schauer, der exzessiv Rehragout hortet - ja, wo gibt's denn des?
Nun zeigt sich: Das gibt es innerhalb einer weiter ausgesponnenen, aber nicht weniger absurden Fabel, die man, ohne den Begriff allzu sehr zu strapazieren, durchaus auch Roman nennen kann. Er beginnt in einem Setting, das ebenfalls schon fast klassisch österreichisch anmutet: nämlich zur Zeit der brütend heißen Hundstage im August, die in Ulrich Seidls gleichnamigem Spielfilm von 2001 die Abgründe nicht nur der Wiener Vorstadt gräßlich zum Ausdruck gebracht hat.
Von einer "Hitzequalle", die sich über Wien gelegt habe, ist nun bei Schmalz die Rede. Gelähmt davon werden neben den Tiefkühlexperten auch die Mitarbeiter einer Reinigungsfirma, die in einem Freizeitpark Dinosaurierfiguren von Schimmelflecken befreien oder, wie es im Roman heißt, "den Mikroorganismen auf den Makroechsen nun zu Leibe rücken wollen". Der Erzählton ist oft von einer künstlichen Umständlichkeit, die am Mündlichen, nicht an der Schriftsprache orientiert ist und also häufig verdrehte oder unvollständige Sätze hervorbringt. So heißt es etwa über die Chefin dieser beiden Reinigungsfachkräfte: "Und Schmerz und Denken hochfrequenzt da jetzt in ihr. Der ganze Körper durchquert von Wellen, die sich an ihren Innenwänden brechen. Und drückt sie nun das runde Ende der Stimmgabel hinein sich (. . .)."
Mit Darstellungstechniken, die an solche der (Wiener) Moderne erinnern, kommt Schmalz dem Denken und Fühlen aller Figuren sehr nah und kehrt es bisweilen expressionistisch nach außen. In banalen Situationen wird plötzlich Existenzielles offenbart, etwa wenn Eismann Schlicht sich darüber klar wird, sein Lebenslauf habe sich in einem Sekundenbruchteil entschieden: "Da fuhr er ab, dieser Charakterzug, mit ihm." Schmalz hat offensichtlich eine fabulierende Lust daran, seine Fiktion unter der Hand zu entwickeln und amüsiert zuzuschauen, wohin sie ihn treibt. Das ist das Gegenteil solcher Romane, die ihr Baukasten-Setting oft schon im Klappentext offenbaren. Hier dagegen handelt es sich um experimentelle Prosa, in der die Figuren ihre eigene Erfundenheit offenbar spüren können: "Er wolle sich in keine Rolle reintheatern und in keine größere Erzählung betten lassen. Erzählungen, ob große, ob kleine, seien ihm suspekt", heißt es ferner über Herrn Schlicht.
Trotz solcher Selbstreflexivität erschöpft sich das Buch aber nicht im bloß Spielerischen. Der Schmerz ist ein Leitthema, das die Figuren und Episoden verbindet. Ohne Weiteres könnte man einige von ihnen als traumatisiert beschreiben, allen voran den Doktor Schauer, der nach seinem geplanten Suizid zu einer makabren Kunstinstallation werden möchte und auf eigenen Wunsch schockgefrostet wird - ebenso aber den Pathologen Tulp, in dessen "Pathologenseele" wie in einem Lichtspielsaal die Bilder aller schon gesehenen Leichen wieder aufscheinen und der sich fühlt wie ein Filmcutter, der sie wieder neu zusammensetzen muss.
Weil Doktor Schauer aber nicht stirbt, sondern mysteriös verschwindet, nimmt die Erzählung sogar streckenweise Züge eines Krimis an, auch wenn es einer mit einigen losen Enden ist. Darin weitere Rollen spielen ein Ministerialrat mit "obszöner Sammelleidenschaft" für Weihnachtskugeln mit Swastikas darauf und ein "Feuerwerker", der mit diesen Kugeln am Ende Golf spielt. Aber immer wenn man gerade denkt, es werde jetzt doch eine Spur zu abgedreht, überrascht Schmalz mit wirklichkeitsgesättigten Passagen wie jener über die Wiener Pathologie, die Eigenschaften von Donauwasserleichen und den Friedhof der Namenlosen. Wie es ihm gelingt, ausgerechnet in dieser Umgebung eine nahezu romantische Begegnung zu schildern, die in einen Kuss mündet, ist von eigenartiger Schönheit. JAN WIELE
Ferdinand Schmalz:
"Mein Lieblingstier heißt Winter". Roman.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2021. 192 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit Darstellungstechniken, die an solche der (Wiener) Moderne erinnern, kommt Schmalz dem Denken und Fühlen aller Figuren sehr nah Jan Wiele Frankfurter Allgemeine Zeitung 20211028
Mit heller Freude liest Rezensent Paul Jandl diesen ersten Roman des österreichischen Dramatikers Ferdinand Schmalz. Es geht darin sehr wienerisch zu und um einen entschlossenen Selbstmörder. Eine wichtige Rolle spielen aber auch der gerissene Ministerialrat Kerninger, seine Putzfrau und der Tiefkühlkostfahrer Schlicht. Jandl erkennt natürlich die Anklänge an Bachmann, Horvath und Doderer, aber so "hochgestochen" will er gar nicht werden, wie er frohgemut bekennt. Deswegen goutiert er den Roman einfach als gewitzten Nonsens, der dem "Fieber der Kaltblütigkeit" freien Lauf lässt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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