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Niemand darf erfahren, daß Tschakko im Keller sitzt. Eines Tages war er einfach da. Und jetzt ist er Ferdinands neuer Freund. Tschakko hat seinen Vater und dessen Geliebte erschossen. Glaubt Ferdinand. Zwar würde er Tschakko niemals verraten. Doch am Ende ist er der einzige, für den Tschakkos Geschichte zum Verhängnis wird.

Produktbeschreibung
Niemand darf erfahren, daß Tschakko im Keller sitzt. Eines Tages war er einfach da. Und jetzt ist er Ferdinands neuer Freund. Tschakko hat seinen Vater und dessen Geliebte erschossen. Glaubt Ferdinand. Zwar würde er Tschakko niemals verraten. Doch am Ende ist er der einzige, für den Tschakkos Geschichte zum Verhängnis wird.
Autorenporträt
Monika Helfer, geboren 1947 in Au/Bregenzerwald, lebt als Schriftstellerin mit ihrem Ehemann Michael Köhlmeier und ihrer Familie in Vorarlberg. Sie hat Romane, Erzählungen und Kinderbücher veröffentlicht. Für ihre Arbeiten wurde sie u.a. mit dem Österreichischen Würdigungspreis für Literatur (1997) ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.1999

Tödliche Spiele
Monika Helfer über den Zeitvertreib eines einsamen Kindes

Man kennt sie aus Fernsehen und Zeitung, möchte ihnen nie begegnen und hofft im Stillen, dass sie stets anderswo leben, im fernen Amerika beispielsweise oder wenigstens in verrufenen Großstädten. Von jugendlichen Gewaltverbrechern ist die Rede, von Kindern, die scheinbar ohne Vorwarnung Menschen töten und alle Vorstellungen von Geborgenheit und Sicherheit auf einen Schlag zerstören. Auf freundliches Verständnis dürfen sie kaum hoffen, die uns als Monster oder seelenlose Zombies erscheinen, und distanziertes Mitleid gilt allenfalls den Familien, in deren Mitte eine solche Kreatur heranwuchs.

Wer die Welt so sieht, muss sich bei dem jüngsten Roman der Österreicherin Monika Helfer auf einiges gefasst machen. Gleich der erste Satz nämlich spielt mit dem Entsetzen: "Ich kenne einen Mörder", erklärt der junge Ferdinand und erzählt dann seitenlang von seiner Begegnung mit dem rastazöpfigen Teenager Tschakko, der sich im Keller des Mietshauses versteckt, ein Gewehr bei sich trägt und, so steht es für Ferdinand fest, seinen eigenen Vater und dessen Freundin kaltblütig umgebracht hat. Nach diesem "Familienunglück" muss sich Tschakko verbergen, und so übernimmt es Ferdinand fasziniert-widerwillig, den Ausreißer heimlich mit Lebensmitteln zu versorgen. Ein Mörder ist immerhin besser als gar kein Freund, und schließlich sei er ja "ein Kind und ohne Verantwortung für das, was in der Welt geschieht".

Das sind seltsam frühreife Töne aus dem Mund eines kleinen Jungen, der Tag für Tag allein in der engen Wohnung verbringt, nicht zur Schule geht und sich nur an Feiertagen von seinem geliebten Schlafanzug und den bequemen Gummistiefeln trennt, in denen er sonst zu Hause und auf der Straße herumläuft. Doch schnell wird deutlich, dass dieser Ferdinand gar nicht anders kann, als solche gestelzten Phrasen zu verwenden: Außer seiner allein stehenden, fünfunddreißigjährigen Mutter und seiner Großmutter begegnet er kaum anderen Menschen, und neue Wörter lernt er allein aus dem Fernseher. Seinen Vater kennt er nicht, denn der "war nur für sein Entstehen notwendig", wie er den Erwachsenen nachredet, und außerdem sei man "im Prinzip" auch zu zweit eine Familie.

Um dieses Prinzip dreht sich in Helfers Roman fast alles, denn der pausenlose Monolog des Ich-Erzählers Ferdinand offenbart mehr und mehr die verzweifelte Einsamkeit eines Kindes, das für seine Sehnsucht nach Wärme und einem lebenden Gegenüber keine eigenen Worte findet. Seine Mutter ist viel zu sehr mit ihrem eigenen Leben und der Suche nach einem Partner beschäftigt. Deshalb flüchtet sich Ferdinand immer mehr in Allmachtsfantasien und träumt von einem Leben voller Gemütlichkeit; denn "gemütlich ist es nur, wenn alles normal ist". Gerade diese Normalität kommt ihm aber mehr und mehr abhanden, so sehr er sich dagegen zu sträuben versucht. Selbst Tschakkos Mordtat, die am Anfang so unumstößlich feststand, scheint schließlich nichts als eine wilde Fantasie Ferdinands zu sein.

So entsteht das verstörende Psychogramm eines Kindes, das um sich herum eine heile Kunstwelt aufbaut. Zu Recht vertraut Monika Helfer dabei ganz auf die Kraft ihrer naiv-altklugen Rollensprache und verzichtet auf jeden Kommentar, der diese eindringliche Prosa doch nur auf das Niveau einer sozialpädagogischen Studie absenken würde. Gleichzeitig lässt sich die Autorin auf ein subtiles Spiel ein, denn die Geschichte ihres unglücklichen Ferdinand zitiert die eines anderen literarischen Schlüsselkindes: Vieles erinnert hier an die Erzählung "Popp und Mingel" von Marie Luise Kaschnitz, die 1960 erschien und Eingang in viele Lesebücher fand.

Doch mittlerweile sind die Zeiten härter geworden. Während bei Kaschnitz die Einsamkeit des Wohlstandskindes allein zu einem recht harmlosen Wohnungsbrand führt, erzählt Helfer von einer sich konsequent entwickelnden Katastrophe. Zwar kann Ferdinand für kurze Zeit hoffen, doch noch zu einer richtigen Familie aus Vater, Mutter, Kind zu gehören, denn unerwartet kehrt der verflossene Freund seiner Mutter zurück. Als aber plötzlich dessen Ehefrau auftaucht, kennt Ferdinand nur ein Mittel, um seinen Traum vom Familienglück zu retten: Wie es ihm die Fernsehhelden oft genug vorgespielt haben, erschießt er die Fremde, die sein Kinderglück bedroht. Ist das Fernsehen an allem schuld? Ganz so einfach macht es sich Monika Helfer zwar nicht, doch dürfte ihre Geschichte von Ferdinands sozialer Verwahrlosung vorwiegend für jene gedacht sein, denen die Verführungen unserer Mediengesellschaft nicht neu sind.

SABINE DOERING.

Monika Helfer: "Mein Mörder". Roman. Piper Verlag, München 1999. 160 Seiten, geb., 29,80 DM.

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