Zunächst ist es nur ein unbestimmtes Gefühl, dann verdichten sich erste Indizien und weitere Nachforschungen zu einer erschütternden Gewissheit: Luz ist nicht die Tochter ihrer vermeintlichen Eltern. Sie ist die Tochter einer politisch Verfolgten, einer "Verschwundenen". Luz weiß nicht, wer sie ist, bis sie eines Tages in Madrid ihrem wirklichen Vater gegenübersitzt. Ihm, der die schlimme Vergangenheit begraben wollte, entlockt sie nach und nach ihre wahre Geschichte. Gleich nach der Geburt wurde sie ihrer Mutter weggenommen, die von den Militärs verhaftet und schließlich umgebracht wurde. Hinter Luz' scheinbar normaler Kindheit in der Familie eines hohen Offiziers verbirgt sich ein Drama, das all die Menschen, die sie kennt und die sie liebt, als Täter und Opfer auf immer verknüpft. Das aufwühlende Geschehen, mit seinen Momenten von Gewalt und Verzweiflung, aber auch von Liebe und Entschlossenheit, ist durchsetzt mit den schwankenden Gefühlen der jungen Frau gegenüber de m nie gekannten Vater. Er, der der Verfolgung entkam und ins Exil ging, muss sich nun vorwerfen lassen, dass er sein Kind verloren gegeben hat. Nicht nur die Täter legten eine Decke des Schweigens über das nahezu Unfassbare, auch die Familien der Opfer verharrten jahrelang in Angst, Scham und Sprachlosigkeit. So wurden nur wenige dieser Kinder gefunden, die während der Militärdiktatur geraubt wurden. Auch nach Luz suchte niemand. Sie selbst muss Licht in dieses Dunkel bringen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.01.2001Sich selbst auf die Spur kommen
Anklageschrift: Elsa Osorios Roman "Mein Name ist Luz"
Als am 24. März 1976 in Argentinien Jorge Rafael Videla und das Militär die Macht übernahmen und das Land brutal von politischen Oppositionellen säuberten, "verschwanden" mehr als 20 000 Menschen, darunter Hunderte von Babys, die in den Militärhospitälern ihren Müttern weggenommen und unter den Angehörigen der Machthaber wie Beutegut verteilt wurden. Da die wahren Eltern zumeist hingerichtet wurden oder ins Ausland flohen, da Geburtsurkunden gefälscht und Krankenhausakten vernichtet wurden, wissen noch heute viele dieser inzwischen erwachsenen Kinder nichts über ihre wahre Herkunft und Identität.
Schon 1977 verurteilte die Genfer Menschenrechtskommission die Machenschaften des damaligen argentinischen Regimes, und schon früh haben sich die Eltern beziehungsweise Großeltern der Verschwundenen als die "Abuelas de Plaza de Mayo" zusammengeschlossen, um nach ihren Kindern und Enkeln zu suchen. Da aber im Zuge einer Generalamnestie unter der Regierung Menem die verantwortlichen Militärs juristisch nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden konnten, blieben die Suchaktionen der "Großmütter" weitgehend folgenlos. Erst das Auslieferungsverfahren gegen den chilenischen Exdiktator Pinochet und die Wiederaufnahme gerichtlicher Untersuchungen gegen ehemalige Machtinhaber des Militärregimes in Argentinien haben die Auseinandersetzung mit diesem Teil der jüngeren Geschichte des Landes wiederaufleben lassen.
In dem Roman "Mein Name ist Luz" der in Madrid lebenden argentinischen Schriftstellerin Elsa Osorio macht sich die zwanzigjährige Luz auf die Suche nach Carlos Squirro, ihrem leiblichen Vater, und findet ihn in Spanien. Da Carlos nicht einmal von der Existenz einer Tochter weiß, erzählt die Tochter dem Vater in einer langen Nacht ihre Geschichte. Eine äußerst verzwickte Geschichte, wie der Leser bald merken wird, denn Steinchen für Steinchen fügt Elsa Osorio ein Lebensbild zusammen, das durch die Militärregierung brutal zerschlagen wurde.
Als Luz im Militärhospital 1976 als Tochter einer verhafteten Oppositionellen geboren wird, ist längst klar, daß man sie der Mutter wegnehmen wird. Der Sergeant Pitiotti, bekannt und gefürchtet unter dem Namen "El Bestia", hat sie seiner Freundin Miriam, einem zur Edelhure avancierten Fotomodell, als Geschenk versprochen. Der Zufall will es, daß am Tage der Entbindung auch Miriana, die Tochter des einflußreichen Oberstleutnants Alfonso Dufau, im selben Hospital ein Kind zur Welt bringt. Aufgrund eines ärztlichen Kunstfehlers wird das Kind tot geboren. Um "Ersatz" zu schaffen, "beschlagnahmt" Dufau, den man auch den "Verwalter des Todes" nennt, kurzerhand das Baby der Oppositionellen und schiebt es seiner Tochter unter. Lediglich deren Mann Eduardo weiß von dem Tausch und der Fälschung der Papiere. Da Miriana nach der Totgeburt für einige Wochen ins Koma fällt, werden das Baby und seine Mutter für diese Zeit unter Bewachung in der Wohnung von "El Bestias" Freundin untergebracht.
Miriam, die Prostituierte, und Liliana, Luz' Mutter, lernen sich während dieser Gefangenschaft kennen und beschließen, gemeinsam mit dem Kind zu fliehen und unterzutauchen. Aber die Flucht mißlingt, Liliana wird erschossen und Miriam weiß die Geschichte geschickt so darzustellen, daß kein Verdacht auf sie fällt. Da sie nun die ganze Brutalität von "El Bestia" beinahe am eigenen Leib erfahren hat, verläßt sie den Sergeanten, und es gelingt ihr jahrelang, sich vor seiner Verfolgung versteckt zu halten. Miriam ist die einzige Person, die Luz den Namen ihres Vaters überliefern kann, als das längst erwachsene Mädchen beginnt, aus dem Kreis der Lügen und Intrigen auszubrechen.
Oberflächlich betrachtet hat Elsa Osorios Roman alle Eigenschaften eines guten Kriminalromans: Da gibt es die beiden Verbrecher Dufau und Pitiotti, die unschuldigen Opfer Liliana und Luz, das zwielichtige Milieu der Prostitution und das scheinheilige der oberen Schichten. Es gibt rätselhafte Indizien und verwischte Spuren, die Beseitigung von Zeugen und jede Menge andere Hindernisse zur Tataufklärung, und es gibt den unbeugsamen Willen der "Detektivin" Luz, die in eigener Sache ermittelt und schließlich, wie um ihrem Namen Genüge zu tun, "Licht" ins Dunkel bringt.
Zwei Eigenschaften ist es zu verdanken, daß sich Elsa Osorios Roman nicht auf einen historisch verbrämten Krimi reduzieren läßt. Zum einen hebt die verblüffende Kenntnis der Details das Geschehen aus dem Fiktiven heraus. Nicht zuletzt deswegen hat man die Autorin des öfteren gefragt, ob ihr Buch autobiographisch sei, was sie stets verneint hat. Zum anderen aber schlüpft Luz, die Erzählerin, während ihrer Darstellung in die Rollen der so ganz unterschiedlichen Figuren hinein und berichtet aus deren Ich-Perspektive. Indem Luz sich zum Beispiel in die Prostituierte Miriam hineinlebt, teilt sie deren Schicksal, und zugleich rettet sich die Autorin vor dem Klischee. Miriam, Miriana, Liliana, Luz - nicht von ungefähr sind sich die Frauennamen fast zum Verwechseln ähnlich. Das Ensemble ihrer Stimmen klagt nicht an, sondern versucht aus individueller, gefühlsbestimmter Sicht, die Gewalttätigkeiten und das Erlittene zu begreifen. Die Frage der Schuld bleibt, Vorwürfe sind nicht gemildert, mörderische Taten nicht verjährt - die Frage ist nur, wie man diese Vergangenheit bewältigen soll.
Ähnlich wie Gabriel García Márquez mit seinem dokumentarischen Roman "Nachricht von einer Entführung" schafft es die 48jährige Elsa Osorio mit "Mein Name ist Luz", den Leser davon zu überzeugen, daß die Mittel der Erzählkunst sich dort am wirksamsten zeigen, wo sie unseren Blick und unser durch die Phantasie geschärftes Interesse auf die Realität zurückführen.
MARTIN GRZIMEK
Elsa Osorio: "Mein Name ist Luz". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Christiane Barckhausen-Canale. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2000. 425 S., geb., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Anklageschrift: Elsa Osorios Roman "Mein Name ist Luz"
Als am 24. März 1976 in Argentinien Jorge Rafael Videla und das Militär die Macht übernahmen und das Land brutal von politischen Oppositionellen säuberten, "verschwanden" mehr als 20 000 Menschen, darunter Hunderte von Babys, die in den Militärhospitälern ihren Müttern weggenommen und unter den Angehörigen der Machthaber wie Beutegut verteilt wurden. Da die wahren Eltern zumeist hingerichtet wurden oder ins Ausland flohen, da Geburtsurkunden gefälscht und Krankenhausakten vernichtet wurden, wissen noch heute viele dieser inzwischen erwachsenen Kinder nichts über ihre wahre Herkunft und Identität.
Schon 1977 verurteilte die Genfer Menschenrechtskommission die Machenschaften des damaligen argentinischen Regimes, und schon früh haben sich die Eltern beziehungsweise Großeltern der Verschwundenen als die "Abuelas de Plaza de Mayo" zusammengeschlossen, um nach ihren Kindern und Enkeln zu suchen. Da aber im Zuge einer Generalamnestie unter der Regierung Menem die verantwortlichen Militärs juristisch nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden konnten, blieben die Suchaktionen der "Großmütter" weitgehend folgenlos. Erst das Auslieferungsverfahren gegen den chilenischen Exdiktator Pinochet und die Wiederaufnahme gerichtlicher Untersuchungen gegen ehemalige Machtinhaber des Militärregimes in Argentinien haben die Auseinandersetzung mit diesem Teil der jüngeren Geschichte des Landes wiederaufleben lassen.
In dem Roman "Mein Name ist Luz" der in Madrid lebenden argentinischen Schriftstellerin Elsa Osorio macht sich die zwanzigjährige Luz auf die Suche nach Carlos Squirro, ihrem leiblichen Vater, und findet ihn in Spanien. Da Carlos nicht einmal von der Existenz einer Tochter weiß, erzählt die Tochter dem Vater in einer langen Nacht ihre Geschichte. Eine äußerst verzwickte Geschichte, wie der Leser bald merken wird, denn Steinchen für Steinchen fügt Elsa Osorio ein Lebensbild zusammen, das durch die Militärregierung brutal zerschlagen wurde.
Als Luz im Militärhospital 1976 als Tochter einer verhafteten Oppositionellen geboren wird, ist längst klar, daß man sie der Mutter wegnehmen wird. Der Sergeant Pitiotti, bekannt und gefürchtet unter dem Namen "El Bestia", hat sie seiner Freundin Miriam, einem zur Edelhure avancierten Fotomodell, als Geschenk versprochen. Der Zufall will es, daß am Tage der Entbindung auch Miriana, die Tochter des einflußreichen Oberstleutnants Alfonso Dufau, im selben Hospital ein Kind zur Welt bringt. Aufgrund eines ärztlichen Kunstfehlers wird das Kind tot geboren. Um "Ersatz" zu schaffen, "beschlagnahmt" Dufau, den man auch den "Verwalter des Todes" nennt, kurzerhand das Baby der Oppositionellen und schiebt es seiner Tochter unter. Lediglich deren Mann Eduardo weiß von dem Tausch und der Fälschung der Papiere. Da Miriana nach der Totgeburt für einige Wochen ins Koma fällt, werden das Baby und seine Mutter für diese Zeit unter Bewachung in der Wohnung von "El Bestias" Freundin untergebracht.
Miriam, die Prostituierte, und Liliana, Luz' Mutter, lernen sich während dieser Gefangenschaft kennen und beschließen, gemeinsam mit dem Kind zu fliehen und unterzutauchen. Aber die Flucht mißlingt, Liliana wird erschossen und Miriam weiß die Geschichte geschickt so darzustellen, daß kein Verdacht auf sie fällt. Da sie nun die ganze Brutalität von "El Bestia" beinahe am eigenen Leib erfahren hat, verläßt sie den Sergeanten, und es gelingt ihr jahrelang, sich vor seiner Verfolgung versteckt zu halten. Miriam ist die einzige Person, die Luz den Namen ihres Vaters überliefern kann, als das längst erwachsene Mädchen beginnt, aus dem Kreis der Lügen und Intrigen auszubrechen.
Oberflächlich betrachtet hat Elsa Osorios Roman alle Eigenschaften eines guten Kriminalromans: Da gibt es die beiden Verbrecher Dufau und Pitiotti, die unschuldigen Opfer Liliana und Luz, das zwielichtige Milieu der Prostitution und das scheinheilige der oberen Schichten. Es gibt rätselhafte Indizien und verwischte Spuren, die Beseitigung von Zeugen und jede Menge andere Hindernisse zur Tataufklärung, und es gibt den unbeugsamen Willen der "Detektivin" Luz, die in eigener Sache ermittelt und schließlich, wie um ihrem Namen Genüge zu tun, "Licht" ins Dunkel bringt.
Zwei Eigenschaften ist es zu verdanken, daß sich Elsa Osorios Roman nicht auf einen historisch verbrämten Krimi reduzieren läßt. Zum einen hebt die verblüffende Kenntnis der Details das Geschehen aus dem Fiktiven heraus. Nicht zuletzt deswegen hat man die Autorin des öfteren gefragt, ob ihr Buch autobiographisch sei, was sie stets verneint hat. Zum anderen aber schlüpft Luz, die Erzählerin, während ihrer Darstellung in die Rollen der so ganz unterschiedlichen Figuren hinein und berichtet aus deren Ich-Perspektive. Indem Luz sich zum Beispiel in die Prostituierte Miriam hineinlebt, teilt sie deren Schicksal, und zugleich rettet sich die Autorin vor dem Klischee. Miriam, Miriana, Liliana, Luz - nicht von ungefähr sind sich die Frauennamen fast zum Verwechseln ähnlich. Das Ensemble ihrer Stimmen klagt nicht an, sondern versucht aus individueller, gefühlsbestimmter Sicht, die Gewalttätigkeiten und das Erlittene zu begreifen. Die Frage der Schuld bleibt, Vorwürfe sind nicht gemildert, mörderische Taten nicht verjährt - die Frage ist nur, wie man diese Vergangenheit bewältigen soll.
Ähnlich wie Gabriel García Márquez mit seinem dokumentarischen Roman "Nachricht von einer Entführung" schafft es die 48jährige Elsa Osorio mit "Mein Name ist Luz", den Leser davon zu überzeugen, daß die Mittel der Erzählkunst sich dort am wirksamsten zeigen, wo sie unseren Blick und unser durch die Phantasie geschärftes Interesse auf die Realität zurückführen.
MARTIN GRZIMEK
Elsa Osorio: "Mein Name ist Luz". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Christiane Barckhausen-Canale. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2000. 425 S., geb., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ein wahres Buch also, und doch ist alles erfunden, so wundersam, so fesselnd, dass man es kaum aus der Hand legen mag. Die historische Wahrheit kommt daher als vorwärts stürmender Krimi, als Schicksalsroman, Familiendrama und Liebesgeschichte, und sie ist in weiten Teilen erzählt von einer jungen Frau, die schnörkellosen, modernen Klartext redet." (Der Spiegel)