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Sein Vater ist schon einige Jahre tot, als Hanif Kureishi ein Manuskript entdeckt, das ein ganz anderes Licht auf das Leben des Vaters wirft. Je tiefer er in dessen Leben taucht, desto klarer wird dem Sohn, wie ähnlich er ihm ist, wie sehr er ihn liebt und immer bewundert hat. Und fast tragisch setzt der Sohn um, was dem Vater zeitlebens verwehrt bleibt: keines der vielen Bücher, die er Nacht für Nacht auf der klappernden Schreibmaschine schrieb, wurde je veröffentlicht. Dieses bewegende Memoir ist nicht nur eine Hommage an den Vater, es erzählt auch die Geschichte einer Generation zwischen…mehr

Produktbeschreibung
Sein Vater ist schon einige Jahre tot, als Hanif Kureishi ein Manuskript entdeckt, das ein ganz anderes Licht auf das Leben des Vaters wirft. Je tiefer er in dessen Leben taucht, desto klarer wird dem Sohn, wie ähnlich er ihm ist, wie sehr er ihn liebt und immer bewundert hat. Und fast tragisch setzt der Sohn um, was dem Vater zeitlebens verwehrt bleibt: keines der vielen Bücher, die er Nacht für Nacht auf der klappernden Schreibmaschine schrieb, wurde je veröffentlicht. Dieses bewegende Memoir ist nicht nur eine Hommage an den Vater, es erzählt auch die Geschichte einer Generation zwischen den Welten und Sprachen. Und zwischen allem funkeln Hanif Kureishis scharfsinnige und witzige Gedankenblitze.
Autorenporträt
Kureishi, Hanif
Hanif Kureishi wurde als Sohn einer Engländerin und eines Pakistani in London geboren. International bekannt wurde er 1985 mit seinem Drehbuch für Stephen Frears' Film 'Mein wunderbarer Waschsalon'. 1998 schrieb er das Drehbuch zu Patrice Chéreaus Film 'Intimacy', der bei der Berlinale 2001 den Goldenen Bären gewann. Für sein Romandebüt 'Der Buddha aus der Vorstadt' erhielt er 1990 den Whitbread Prize. Im S.¿¿Fischer Verlag sind von ihm die Romane 'Das sag ich dir' und 'Mein Ohr an deinem Herzen' erschienen.Henning Ahrens, geboren 1964, lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Frankfurt am Main. Er veröffentlichte die Lyrikbände 'Stoppelbrand', 'Lieblied was kommt' und 'Kein Schlaf in Sicht' sowie die Romane 'Lauf Jäger lauf', 'Langsamer Walzer' und 'Tiertage'. Für S.¿¿Fischer übersetzte er Romane von Richard Powers, Kevin Powers, Khaled Hosseini.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2011

Trümmerfeld statt Märchenland

Hanif Kureishis Erinnerungen an den pakistanischen Vater erzählen auch davon, wie sich Großbritannien durch Einwanderergeschichten stets wieder neu erfunden hat.

Haben Bücher einen Herzschlag? Dürfen wir bei der Lektüre von Gedrucktem uns dem Traum - oder ist es bloß ein Wahn? - hingeben, dass wir darin den Atem desjenigen spüren, der es einstmals niederschrieb? Und können wir auf diese Weise einem Menschen, den wir längst verloren haben, nachträglich aufs Neue näherkommen, so nah, dass wir ihn tatsächlich wieder hören?

Solche Fragen werfen Hanif Kureishis Erinnerungen an den Vater nicht nur mit ihrem Titel auf; "Mein Ohr an Deinem Herzen" unternimmt insgesamt den Versuch zu erkunden, welche Macht die literarische Hinterlassenschaft eines Toten über die Lebendigen noch hat und wie ein Hinterbliebener unter ihrem Eindruck sein eigenes Leben ganz neu ordnen muss. Kureishis Selbstversuch liegt darin, dem Verstorbenen nicht etwa dadurch neues Leben zu verleihen, dass er Erinnerungen an ihn aufschreibt, sondern umgekehrt: dass die unbekannten Lebensschilderungen, die der Vater hinterlassen hat, aber nie veröffentlichen konnte, unerwartet eine andere Sicht auf die eigene Existenz freigeben.

Mehr als zehn Jahre ist es her, dass der Vater starb. Kurz vor seinem Tod konnte er 1990 noch erleben, wie sein Sohn mit dem Romandebüt "Der Buddha aus der Vorstadt" triumphiert, der autobiographisch grundierten Bildungsgeschichte eines "waschechten" Engländers, wie er erklärt, der allerdings aus einer "verrückten Mischung von Völkern und Kontinenten" hervorgegangen ist und deshalb gern für eine "komische Sorte Engländer" gehalten wird, der sich sein Zuhause in der Welt erst schaffen muss. Mit Biss und Witz und ohne alle Larmoyanz erzählt er nun von seinen Abenteuern in der wilden Londoner Aufbruchsgesellschaft der Seventies, eine offene Suche nach Erfüllung, bei der ihm von Anfang an nur eines klar ist: auf keinen Fall zu werden wie sein Vater, der pakistanische Einwanderer, der sich in der unteren Mittelklasse Englands eingerichtet hat und nun die Indienmode der Zeit dazu nutzt, um vor frustrierten Hausfrauen den östlichen Weisheitslehrer abzugeben.

Der Roman wurde zum Welterfolg und zur Modellerzählung vieler weiterer Geschichten von Migration und Selbstsuche. Jetzt, lange Zeit danach und etliche erfolgreiche Bücher später, erfährt der Autor, dass sein eigener Vater selbst sein Leben lang an einem solchen Roman schrieb. Das Manuskript, "An Indian Adolescence", das mit einem Mal unter alten Fotoalben auf dem Speicher auftaucht, stellt ihn vor die unerwartete Herausforderung, sein eigenes Werk nicht nur als Fortsetzung, sondern zugleich als Verwirklichung dessen zu begreifen, was dem Vater nie gelang: in einem Leben voller Umbrüche den eigenen Ort schreibend zu erschaffen.

Die Lektüre nötigt ihn daher, über sich und seine Rolle ganz neu nachzudenken: "Während ich dieses Buch schreibe, frage ich mich, worin mein Selbst besteht. Ich habe das Gefühl, von anderen bewohnt zu werden, aus ihnen zusammengesetzt zu sein. In meinem Inneren reden Schriftsteller, Eltern, ältere Männer, Freunde, Freundinnen. Was würde übrig bleiben, wenn ich sie austreiben würde?" So protokolliert er hier, was es bedeutet, den Vater nicht mehr nur als Stoff oder Modell für die eigenen literarischen Erfindungen zu nutzen, sondern sich in dessen Text plötzlich selbst wiederzufinden.

Es ist Kureishis stärkstes Buch seit langem. Eben weil er hier jeder Erwartung enthoben ist, stringente Handlungslinien zu entwickeln, was ihm noch nie besonders lag, kann er seinem unnachahmlichen Talent zu Ab- und Ausschweifungen auf das schönste Raum geben. Der Text bildet eine Collage aus wunderbaren Bruch- und Fundstücken. Er erzählt von den Lebenserinnerungen des Vaters, der als junger Mann mit seinem Bruder ins Nachkriegsengland aufbrach, um sein Glück zu suchen, statt des märchenhaften Mutterlands aber, von dem seine Kolonialerziehung kündete, nur ein graues Trümmerfeld vorfand und doch bald sein Fräuleinwunder dort erlebte.

Er erzählt von der Spurensuche eines Sohnes nach dem Onkel und der Großfamilie in Pakistan, die der Vater, als er sich erst in der Vorstadt mit Frau und Kindern seine kleine Welt geschaffen hatte, niemals wiedersehen wollte; er erzählt vom Verhältnis zu den eigenen Söhnen und vom Bildungshunger eines Immigrantenkinds, das sich seinen Weg durch viele Widerstände bahnen muss, von heftigen Exzessen in der frühen Punkszene, von Kulturcliquen und Künstlern, die den attraktiven Außenseiter gern als Vorzeige-Inder herumreichten, und vom ersten Sex nach einer wilden Party. In dieser Nacht, wie es sich traf, erlitt der Vater seinen ersten Herzinfarkt.

Vater-Sohn-Geschichten sind das älteste Thema der Literatur; gerade auch in letzter Zeit haben wichtige Autoren solche Erinnerungen aufgezeichnet und veröffentlicht. Kureishis Memoiren haben weder die Brillanz von Martin Amis' "Hauptsachen" noch die Wucht von John Burnsides "Lügen über meinen Vater". Doch geben sie uns etwas ziemlich Seltenes: das Gefühl des Herzschlags in Geschriebenem. Denn vor allem erzählt dieses Buch von der ungeheuren Macht der Bücher, wie sie uns bewegen und begeistern, oft verführen und verstören und zuweilen auch verändern. Und nebenbei erzählt es deutschen Lesern in Henning Ahrens' kluger Übersetzung, wie Großbritannien sich durch seine lange Einwanderergeschichte niemals abgeschafft, sondern immer wieder neu erfunden hat.

TOBIAS DÖRING

Hanif Kureishi: "Mein Ohr an Deinem Herzen". Erinnerungen an meinen Vater.

Aus dem Englischen von Henning Ahrens. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 254 S., geb., 18,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Hanif Kureishis Vaterbuch hat für Anja Hirsch den Vorteil des nicht-fiktiven, sehr persönlichen Sprechens, das der Kultautor laut Hirsch am besten beherrscht. Es geht um eine Selbsterkundung anhand des schriftstellerischen Scheiterns des eigenen Vaters. Das Ganze hat ein tragisches Moment, das Hirsch gut nachvollziehen kann, weil sie erkennt, das wir immer schon Hineingeborene sind, hineingeboren in eine Familiengeschichte. Diese hier ist aufgespannt zwischen Vater und Sohn, aber auch zwischen Ost und West, Orient und Okzident, wie Hirsch feststellt. In der Auseinandersetzung mit dem Vater und seinen Texten schwingt für sie allerdings nicht nur eine psychische Dimension mit, auch eine politische, die des subkulturellen Londons (Kureishi ist hier geboren) der Immigranten. Für Hirsch eine nahe, authentische wie zärtliche Geschichte, die von Träumen und Sehnsüchten und gescheiterten Existenzen erzählt.

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