Als junges Mädchen stürzte Rakel von einem Baum. Wäre ihr Leben anders verlaufen ohne die häßliche Narbe im Gesicht und ohne den verkrüppelten Fuß? Rakel heiratet einen Witwer und zieht mit ihm auf eine einsame Insel an den äußersten Schären. Doch das scheinbare Glück währt nur einen Sommer lang. Die schonungslose Lebensbeichte einer gezeichneten Frau - geschrieben in einer außergewöhnlich ausdrucksstarken, raffiniert einfachen Sprache.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.05.2000Anrüchiger Fisch
Christine Falkenlands lyrischer Roman "Mein Schatten"
In diesem Buch riecht es nach Fisch. Den Geruch ihres Mannes, eines auf der Schäreninsel angesehenen Fischhändlers, nimmt Rakel aber in Kauf. Sie ist froh, noch einen abgekriegt zu haben. Bei einem Sturz in der Kindheit hat sie sich eine Behinderung zugezogen, die ihr nennenswerte Begegnungen mit der Männerwelt verwehrt hat. Doch dann trifft sie Georg, den Witwer, der in pragmatischer Manier einen Ersatz seiner angebeteten ersten Frau und eine Erzieherin für seine heranwachsende Tochter sucht. Rakel hat nichts zu verlieren und zieht auf die Fischerinsel.
Doch leider ändert dies nichts an dem Status ihrer gestorbenen Vorgängerin, mit der sie sich, ebenso wie mit der nicht ausreichend devoten Haushälterin, in Konkurrenz sieht. Und mit den doch allzu simplen Inselfrauen und ihren Nähabenden kann man ebenfalls nicht warm werden. Die besten Freunde sind noch die Hunde, aber mit denen herumzukuscheln ist auf Dauer auch nichts. Zum Ersatz gewinnt Rakel die Sympathie der Stieftochter, bringt ihr so böse Dinge wie Canastaspielen bei und engagiert sich vor allem stellvertretend in der Romanze, die das blühende Mädchen mit einem jungen Mann anfängt, der ebenfalls berufsbedingt nach Fisch riecht. In einer Mischung aus Eifersucht und Faszination verfolgt Rakel das junge Glück, das bald - ach, der schwedische Mittsommernachtstanz! - zur Schwangerschaft und Familiengründung führt. So kann Rakel einen Einblick in die reproduktiven Aspekte der Weiblichkeit gewinnen, die an ihr selbst vorübergegangen sind.
Nun muss es aber irgendwie noch dramatisch werden. Folglich bricht eine nicht näher bestimmte Seuche aus (gemeint ist wohl die "spanische Krankheit" 1918/19) und rafft eine Reihe von Schärenbewohnern dahin, darunter auch das junge Paar. Nur den kleinen Paul nicht, den Rakel in ihre Obhut nimmt. Immerhin ein Zugang zur vermissten körperlichen Nähe - der Ehemann sitzt ja in seiner trauernden Verbitterung noch länger im Arbeitszimmer als zuvor. Das Kleinkind hingegen riecht ausgesprochen gut, und nachdem die Erzählerin auch den gebrochenen Ehemann sterben lässt, kann Rakel den langsam größer werdenden Stiefenkel ungestört zu sich ins Bett ziehen, bis der keine Lust mehr hat.
Christine Falkenland, Jahrgang 1967, lässt ihren ersten auf Deutsch erscheinenden Roman in einer unbestimmten Vorkriegsvergangenheit spielen, an die Rakel sich erinnert, als der unkonventionell aufgewachsene Paul schon erwachsen ist. Die Erinnerung an die besonders für Rakel süße Kindheit des Ziehsohnes durchzieht das Buch, auch schon dort, wo der Leser noch nicht weiß, um wen es sich bei Paul handelt. Dies ist allerdings schon die einzige formale Besonderheit bei einem ansonsten linearen Erzählstil. Streckenweise gelingt es der Autorin gut, die düstere Atmosphäre des engen Aktionskreises einzufangen, in dem die Protagonistin ihre Biografie des Verzichts zu bewältigen sucht. Die Begleitumstände bleiben allerdings konturlos wie das ständig rauschende Meer, das offenbar, wie der raue Wind, beim Leser diffuse emotionale Assoziationen auslösen soll.
Das sprachliche Mittel, das zur behutsamen Ausbreitung des seelischen Geschehens eingesetzt wird, ist eine - zuweilen stakkatoartige - Simplizität. Man merkt, dass Falkenland Lyrikerin ist und in Zeilen, nicht in Absätzen oder Seiten denkt. So entsteht durch wenige Striche ein Gesamtbild in einer Weise, die von einigem Talent zeugt, und nicht ohne emotionale Suggestivität. Die Methode bringt jedoch gleichzeitig einen unangenehmen Mangel an Eleganz mit sich, der in der Übersetzung doppelt spürbar wird. Die Form von sprachlicher Naivität, die im Schwedischen mehr oder minder als künstlerischer Anstrich aufgefasst wird, erscheint in der deutschen Übersetzung - der man dies kaum vorwerfen kann - nicht selten als erschreckende Banalität.
JOHAN SCHLOEMANN.
Christine Falkenland: "Mein Schatten". Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt von Hedwig M. Binder. Nagel & Kimche, Zürich 2000. 157 S., geb., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Christine Falkenlands lyrischer Roman "Mein Schatten"
In diesem Buch riecht es nach Fisch. Den Geruch ihres Mannes, eines auf der Schäreninsel angesehenen Fischhändlers, nimmt Rakel aber in Kauf. Sie ist froh, noch einen abgekriegt zu haben. Bei einem Sturz in der Kindheit hat sie sich eine Behinderung zugezogen, die ihr nennenswerte Begegnungen mit der Männerwelt verwehrt hat. Doch dann trifft sie Georg, den Witwer, der in pragmatischer Manier einen Ersatz seiner angebeteten ersten Frau und eine Erzieherin für seine heranwachsende Tochter sucht. Rakel hat nichts zu verlieren und zieht auf die Fischerinsel.
Doch leider ändert dies nichts an dem Status ihrer gestorbenen Vorgängerin, mit der sie sich, ebenso wie mit der nicht ausreichend devoten Haushälterin, in Konkurrenz sieht. Und mit den doch allzu simplen Inselfrauen und ihren Nähabenden kann man ebenfalls nicht warm werden. Die besten Freunde sind noch die Hunde, aber mit denen herumzukuscheln ist auf Dauer auch nichts. Zum Ersatz gewinnt Rakel die Sympathie der Stieftochter, bringt ihr so böse Dinge wie Canastaspielen bei und engagiert sich vor allem stellvertretend in der Romanze, die das blühende Mädchen mit einem jungen Mann anfängt, der ebenfalls berufsbedingt nach Fisch riecht. In einer Mischung aus Eifersucht und Faszination verfolgt Rakel das junge Glück, das bald - ach, der schwedische Mittsommernachtstanz! - zur Schwangerschaft und Familiengründung führt. So kann Rakel einen Einblick in die reproduktiven Aspekte der Weiblichkeit gewinnen, die an ihr selbst vorübergegangen sind.
Nun muss es aber irgendwie noch dramatisch werden. Folglich bricht eine nicht näher bestimmte Seuche aus (gemeint ist wohl die "spanische Krankheit" 1918/19) und rafft eine Reihe von Schärenbewohnern dahin, darunter auch das junge Paar. Nur den kleinen Paul nicht, den Rakel in ihre Obhut nimmt. Immerhin ein Zugang zur vermissten körperlichen Nähe - der Ehemann sitzt ja in seiner trauernden Verbitterung noch länger im Arbeitszimmer als zuvor. Das Kleinkind hingegen riecht ausgesprochen gut, und nachdem die Erzählerin auch den gebrochenen Ehemann sterben lässt, kann Rakel den langsam größer werdenden Stiefenkel ungestört zu sich ins Bett ziehen, bis der keine Lust mehr hat.
Christine Falkenland, Jahrgang 1967, lässt ihren ersten auf Deutsch erscheinenden Roman in einer unbestimmten Vorkriegsvergangenheit spielen, an die Rakel sich erinnert, als der unkonventionell aufgewachsene Paul schon erwachsen ist. Die Erinnerung an die besonders für Rakel süße Kindheit des Ziehsohnes durchzieht das Buch, auch schon dort, wo der Leser noch nicht weiß, um wen es sich bei Paul handelt. Dies ist allerdings schon die einzige formale Besonderheit bei einem ansonsten linearen Erzählstil. Streckenweise gelingt es der Autorin gut, die düstere Atmosphäre des engen Aktionskreises einzufangen, in dem die Protagonistin ihre Biografie des Verzichts zu bewältigen sucht. Die Begleitumstände bleiben allerdings konturlos wie das ständig rauschende Meer, das offenbar, wie der raue Wind, beim Leser diffuse emotionale Assoziationen auslösen soll.
Das sprachliche Mittel, das zur behutsamen Ausbreitung des seelischen Geschehens eingesetzt wird, ist eine - zuweilen stakkatoartige - Simplizität. Man merkt, dass Falkenland Lyrikerin ist und in Zeilen, nicht in Absätzen oder Seiten denkt. So entsteht durch wenige Striche ein Gesamtbild in einer Weise, die von einigem Talent zeugt, und nicht ohne emotionale Suggestivität. Die Methode bringt jedoch gleichzeitig einen unangenehmen Mangel an Eleganz mit sich, der in der Übersetzung doppelt spürbar wird. Die Form von sprachlicher Naivität, die im Schwedischen mehr oder minder als künstlerischer Anstrich aufgefasst wird, erscheint in der deutschen Übersetzung - der man dies kaum vorwerfen kann - nicht selten als erschreckende Banalität.
JOHAN SCHLOEMANN.
Christine Falkenland: "Mein Schatten". Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt von Hedwig M. Binder. Nagel & Kimche, Zürich 2000. 157 S., geb., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
So ganz lässt sich aus der Kurzkritik des Rezensenten mit dem Kürzel "c.hr." nicht herauslesen, ob ihm der Roman nun gefallen hat oder ob er darin nur den Versuch des Verlags sieht, ein neues, kommerziell interessantes "Schreibtalent" zu lancieren. Immerhin zeichnet er die Fabel, die auf einer westschwedischen Insel spielt, detailliert nach und scheint an der von einem Unfall gezeichneten Hauptfigur einiges Interesse zu finden. In seiner Handlungs- und Personenführung erinnert ihn der Roman ans 19. Jahrhundert, seine Sprache findet er einfach und effizient, den Plot allerdings etwas unwahrscheinlich. "Da ist ein Potenzial vorhanden, das zu entwickeln sich lohnt."
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Mit diesem packenden, bewegenden Roman zeigt Christine Falkenland, dass sie zweifellos eine der begabtesten jungen Prosa-Schriftstellerinnen ist." Aftonbladet