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Wollten Sie auch schon öfter mit dem Rauchen aufhören, die Steuererklärung endlich abgeben, das Chaos im Arbeitszimmer beseitigen oder jetzt wirklich gesünder essen? Und haben Sie es dann doch nicht getan? Dann sind Sie nicht allein. Die Willensschwäche und das Laster sind kleine Fluchten in einer Welt, die uns immer mehr Leistung und Perfektion abverlangt. Harry Nutt wirft einen liebevollen Blick auf unsere kleinen und großen Schwächen und erschließt eine Vielzahl philosophischer und historischer Bezüge. Intelligent und witzig plädiert er für einen entspannteren Umgang mit den vermeintlichen Untugenden und zeigt, dass dies uns allen nützen kann.…mehr

Produktbeschreibung
Wollten Sie auch schon öfter mit dem Rauchen aufhören, die Steuererklärung endlich abgeben, das Chaos im Arbeitszimmer beseitigen oder jetzt wirklich gesünder essen? Und haben Sie es dann doch nicht getan? Dann sind Sie nicht allein. Die Willensschwäche und das Laster sind kleine Fluchten in einer Welt, die uns immer mehr Leistung und Perfektion abverlangt. Harry Nutt wirft einen liebevollen Blick auf unsere kleinen und großen Schwächen und erschließt eine Vielzahl philosophischer und historischer Bezüge. Intelligent und witzig plädiert er für einen entspannteren Umgang mit den vermeintlichen Untugenden und zeigt, dass dies uns allen nützen kann.
Autorenporträt
Harry Nutt, Jahrgang 1959, ist Kulturkorrespondent der Frankfurter Rundschau (FR) in Berlin. Von 1996 bis 1999 leitete er das Kulturressort der taz, von 1999 bis 2006 war er Feuilletonchef der FR.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2009

Machen Sie das Beste aus sich!

Lasterbücher sind Anthropologien von unten: Wolfgang Sofsky und Harry Nutt nähern sich auf verschiedenen Wegen den schwachen Seiten des Menschen.

Den Einstieg von Wolfgang Sofskys "Buch der Laster" bildet das allegorische Gemälde "Minerva vertreibt die Laster aus dem Garten der Tugend" von Andrea Mantegna (1502, jetzt im Louvre). Das Bild findet man auf der Rückseite des Schutzumschlags, und wer eine gute Lupe besitzt, hat auch etwas davon. Minerva, die Pallas der Römer, Göttin der Weisheit, verjagt einen Haufen von verkommenen Gestalten, die jeweils für ein bestimmtes Laster stehen, aus einem abendlichen Garten. Prudentia, die Klugheit, war von den Lastern lebendig eingemauert worden. Man sieht ihren Kerker nicht, nur ein Schriftband kündet von der Schandtat. Die anderen Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung schauen der Befreiung ihrer Schwester vom Himmel aus zu.

Was folgt, ist eine Art Lexikon der Laster. Untersucht werden aber nicht nur die aus dem allegorischen Gemälde. Sofsky betrachtet achtzehn Stück, von der Gleichgültigkeit (Nr. 1) bis zur Grausamkeit (Nr. 18). Die Serie folgt dem Prinzip des Crescendos gnadenlos wie Ravels Bolero. Die Gleichgültigkeit ist weniger ein Laster als ein Nährboden für andere Laster. Über die Vulgarität (Nr. 2) kann man sich streiten. Ich trage keine weißen Socken und bin auch nicht tätowiert, aber wie Voltaire würde ich das Recht meiner Mitmenschen darauf bis in den Tod verteidigen. Nun ja, vielleicht nicht bis in den Tod, aber doch, solange es mich nicht viel kostet. Die Laster weiter hinten im Buch werden dann aber immer eindeutiger.

Der Autor beschreibt die diversen Untugenden sehr differenziert. Sorgfältig unterscheidet er zum Beispiel den Grobian und den Lümmel vom Rüpel. Zorn (Nr. 16) ist etwas anderes als Wut oder Ärger. Die vorgeführten Laster sind aber nur platonische Ideale. Kein Mensch hat jemals diesen Beschreibungen genau entsprochen. Bei der Grausamkeit, dem übelsten Laster im Buch, musste ich oft an Saddam Hussein und seinen gelehrigen Sohn Udai denken, aber selbst die hätten keine fünfzig von hundert Punkten erzielt.

Wolfgang Sofskys Bücher beschreiben immer nur die düsteren Seiten des Massenwesens Homo sapiens. Seine hier vorgeführten Laster sind soziopathisch oder haben doch eine starke soziopathische Komponente. Die Maßlosigkeit (Nr. 10) ist da eher untypisch, weil sie hauptsächlich das Individuum selbst korrumpiert. Sicher, man könnte argumentieren, dass der Maßlose den armen Kindern in Afrika den Kaviar wegisst, aber das wäre doch weit hergeholt. Die Maßlosigkeit kommt deshalb auch vergleichsweise gut weg, vor allem wenn sie nur gelegentlich im Rahmen von Festen wie dem Karneval auftritt.

Insgesamt glaubt Sofsky nicht an einen moralischen Fortschritt der Menschheit. Die Laster machen sich im Garten der Tugend immer wieder breit. Das Literaturverzeichnis enthält genug Werke, um im Regal zwei Meter zu füllen. Der Autor hat viel verarbeitet. Trotzdem macht sein Buch einen recht altertümlichen Eindruck. Seit Aristoteles hat sich das "Gattungswesen" eben nur wenig verändert. Ich hatte bei der Lektüre immer das Gefühl, ich lese einen Wiegendruck, und gleich auf der nächsten Seite kommt dann ein Holzschnitt, der die Habgier (Nr. 8), den Hochmut (Nr. 14) oder die Hinterlist (Nr. 17) drastisch darstellt. Kein Wunder, wenn dieser Schreibstil manche Leser verwirrt.

Viel bodenständiger ist "Mein schwacher Wille geschehe" von Harry Nutt, einem Feuilletonisten der "Frankfurter Rundschau". Im Gegensatz zu dem freien Autor und Ex-Soziologieprofessor Sofsky, der hauptsächlich von den Wurzelsünden redet, für die man durchaus im Höllenfeuer enden kann, befasst sich Nutt mehr mit den lässlichen Sünden, mit so etwas wie Kiffen oder Shoppen eben. Sofskys Buch ist eine Reise durch zwei Jahrtausende, Nutt berichtet aus der Perspektive der letzten 15 Minuten. Sofsky erläutert sein Thema mit der antiken Mythologie, Nutt kommt uns mit Film, Fernsehen, Illustrierten und Popmusik, was aber kein so großer Unterschied ist.

Nutt nennt sein Buch ein "Ausredenbuch". Ich würde eher von einem Trostbuch sprechen. Schon der Evangelist Matthäus wusste, dass das Fleisch schwach ist. Das ist eine Tatsache und keine Ausrede. Wenn wir diese Tatsache mit etwas mehr Realismus und etwas mehr Gelassenheit zur Kenntnis nehmen, dann tun wir uns mit dem Leben leichter. Wir alle sind wie der Dr. Jekyll bei Robert Louis Stevenson. Es gibt einen Mr. Hyde in uns, der manchmal die Oberhand gewinnt. Dieser Mr. Hyde ist in der Regel aber viel harmloser als sein Kollege aus der berühmten Novelle.

Harry Nutt führt uns diverse Laster vor. Ein Teil seiner Geschichten ist wohl autobiographisch, das größere Quantum sicher nicht. Sonst würde er längst unter einer Brücke wohnen und keine Bücher mehr schreiben. Manches ist eher harmlos. Er berichtet ziemlich am Anfang von seinem Widerwillen, die Steuererklärung anzufertigen und pünktlich einzureichen. Gegen Ende des Buchs aber schildert er die Probleme einer starken, existenzbedrohenden Sucht am Beispiel eines Zockers. Beide Geschichten unterscheiden sich gar nicht so sehr in ihrer Intensität. Vielleicht gibt es da ja eine logarithmische Skala der Lasterhaftigkeit. Wir messen unsere Sünden wie den Fluglärm in Dezibel.

Im Buch begegnen uns die üblichen Verdächtigen: das Rauchen, das Fressen, das Faulenzen, der unvernünftige Konsum, das Schuldenmachen, die Unpünktlichkeit, die sofortige Befriedigung von Bedürfnissen. Typisch für alle diese Laster ist, wie irrational wir damit umgehen. Egal, ob Zigarettenkonsum, Bauchumfang oder Überziehungskredit, wir scheitern immer wieder an übergroßen Vorsätzen, statt zu versuchen, unsere Probleme, wenn es denn welche sind, mit Augenmaß zu lösen. In den abschließenden Kapiteln wird dann diese manisch-depressive Art, mit unseren Schwächen umzugehen, noch weiter analysiert. Die einen resignieren und lassen sich treiben. Sie schleppen ständig Trinkgefäße mit sich herum, um auch den leichtesten Durst gleich zu löschen. Die anderen versuchen hyperaktiv zu beweisen, dass gerade sie der Superstar sind, den Deutschland schon lange gesucht hat. Lasterbücher sind, liest man sie nur recht, Anthropologien von unten. Im Spiegel der Laster scheint die Möglichkeit der Tugend auf. Lasterbücher zeigen auf sehr menschliche Weise, wie sich das Beste aus uns machen lässt. So gibt es keine gehaltvolleren Einblicke in die Stärken der menschlichen Natur als die Beschäftigung mit ihren Schwächen.

ERNST HORST

Wolfgang Sofsky: "Das Buch der Laster". Verlag C. H. Beck, München 2009. 272 S., geb., 19,90 [Euro].

Harry Nutt: "Mein schwacher Wille geschehe". Warum das Laster eine Tugend ist - ein Ausredenbuch. Campus Verlag, Frankfurt a.M. 2009. 221 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2009

Wenn Übergewicht unpünktlich kommt
In aller Lässigkeit kommentiert Harry Nutt unsere Laster
Es soll Menschen geben, die den Begriff „Feuilleton” für ein Schimpfwort halten. Die Ressortbezeichnung sei ein Synonym für weitschweifendes, ziel- und uferloses Denken, für Spiegelfechterei zum Ruhme einzig des Fechtenden. Ihm, dem Feuilletonisten, wird unterstellt, er neige zu Pathos und zu Schnoddrigkeit, zur großen Geste und zur Welterklärungsallüre. Nichts gehe ihm über seine Metaphernherrlichkeit. Aus den nämlichen Gründen soll es auch Menschen geben, für die eine Zeitungslektüre mit dem Feuilleton beginnt und manchmal auch endet.
Beiden Fraktionen liefert Harry Nutt, ehemals Leiter des Feuilletons der „Frankfurter Rundschau”, reichlich Material. Er verbindet auf einer einzigen Doppelseite zu Beginn die „postheroischen Gesellschaften” mit der „Benchmarking-Philosophie”, um beim „Karneval der Kulturen” zu landen. Später dann, in einem unscharf verfugten Kapitel über die Lust am Shoppen, folgen dicht aufeinander der „mehrfach fluchtgesicherte Käfig des Konsums”, die „Weltmeere der Neurosen” und das „Drachenblut der Konsumkritik.” Der Sound deutet auf Ironie, auf Intellektualität und eine Prise Eitelkeit. Passt derlei zum Inhalt?
Ausweislich des seinerseits vertrackten Titels soll das Laster eine Tugend sein und dennoch der Ausrede bedürfen. Beide Vorgaben unterläuft der Autor – um es mit seiner Lieblingsvokabel auszudrücken – lässig, also changierend zwischen Tun und Lassen, das Tun vom Lassen her denkend. Die Zeit der rundherum erstrebenswerten Tugenden nämlich hält Nutt für überlebt, und statt der Ausrede will er das Ausreden gemeint wissen. Es soll hier „mit Blick auf die allzu menschlichen Schwächen einmal zu Ende gesprochen werden.” Das Laster, Synonym für Willensschwäche, erfährt keine Nobilitierung, wohl aber eine Ausweitung des semantischen Felds. Ambivalenzen sollen entstehen, wo Eindeutigkeit war.
Zu den teils peinigenden, teils produktiven Lastern rechnet Nutt: das stete Aufschieben, das Übergewicht, die Unpünktlichkeit, den Konsum, das Schuldenmachen, das Rauchen und das Trinken, die Selbstinszenierung. Natürlich haben Sascha Lobo und Kathrin Passig ihren Auftritt, die Protagonisten der Prokrastination, natürlich werden die öffentlich Ab- und Zunehmenden glossiert, von Joschka Fischer bis Susanne Fröhlich, und auch Amy Winehouse und Paul Pott vergisst Nutt in seinem Panoptikum nicht. Von ihnen soll man lernen, dass dem Laster manchmal „schöpferische Energien” innewohnen.
Freiheit gegen das eigene Ich
Konkret kann der schlingernde Lebenslauf, geboren aus mangelnder Entschlusskraft und wechselnden Interessen, eher in den Hafen der beruflichen Bestimmung führen als die keimfreie Vita. Die Gewohnheit, zu spät zu kommen, kann zum spielerischen Umgang mit der Zeit nötigen, der sich zur „Kunst der Pünktlichkeit” verfeinern lasse; die Verspätung ermögliche eine „stilvolle Ausarbeitung der Begegnung”. So putzig denken kann notabene nur, wer warten lässt, und nicht, wer warten muss. Wie die Lässigkeit immer eine Zuschreibung der anderen ist, liegt auch die Schönheit des dilatorischen Verhaltens im Auge der Betrachter.
Deutlich wird die Grenze der Ambivalenzen bei Amy Winehouse. Dass die suchtkranke Soul-Sängerin auch nur mit einer Faser ihres Herzens dankbar sein sollte für ihr trauriges Los, ist schwer vorstellbar. Nutt schreibt zutreffend, die „per Popsong übermittelte Absage eines Drogenentzuges” – das Lied „Rehab” – machte sie weltbekannt. Deshalb aber „erstaunliche Möglichkeiten zur Selbstmodellierung” im Stigma zu entdecken und auf den „heiligen Taumel” der Antike kurzzuschließen, heißt zugleich, das Elend mit Coolness zu übertünchen statt mit Lässigkeit zu bedenken und also selbst dem Laster zu verfallen. Auch Wolfgang Köppens legendäre Schreibblockade, muss Nutt konstatieren, war keine „Freiheit gegen sich selbst”, sondern ein klinischer Fall. Sie ging den Depressionen nicht voraus, sie ergab sich aus diesen.
Geringer sind die Untiefen beim Rauchen und Nichtrauchen, dem „Klassiker jener charakterlichen Ambivalenz, die wir Willensschwäche nennen”, beim Übergewicht, der „öffentlichsten Form des Umgangs mit Willensschwäche”, und den vielen anderen „Ambivalenzen von Laster und Willensschwäche”. Sie können als Zerstörung beginnen und als kreativer Akt sich entpuppen, wenngleich mit unkalkulierbaren Folgekosten. Nutt erwärmt sich besonders für das subversive Potential, das in mancher Schludrigkeit schlummert. Die notorische Unzuverlässigkeit etwa des Konsumenten, dessen Launen und Laster jedes Raster sprengen, verhindere, dass er zum Opfer der Konsumindustrie werde. Körperliche Nonchalance im Angesicht der Schönheitsindustrie trage dazu bei, dass die Seele weniger „ins Stocken kommt”.
Gut zweihundert Seiten umfasst das Buch. Sie lesen sich geschwind , sie nehmen kein Vor- und kein Zurückblättern, kein Nach- und kaum ein Überlesen krumm. Kluge Einsichten stehen neben klügelnden Sackgassen, flotte Bonmots neben Zitatenfriedhöfen. Vielleicht ist das Buch als Ganzes der Versuch, einem Laster zu entsagen, indem man sich ihm momentweise hingibt: dem Laster, die Welt in ein Feuilleton verwandeln zu wollen. ALEXANDER KISSLER
HARRY NUTT: Mein schwacher Wille geschehe. Warum das Laster eine Tugend ist – ein Ausredenbuch. Campus Verlag, Frankfurt/Main 2009. 226 S., 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Recht eingenommen ist Rezensent Ernst Horst für Harry Nutts Buch über die schwachen Seiten des Menschen. Allerdings würde er lieber – schließlich ist das Fleisch nun einmal schwach – von einem "Trostbuch" sprechen als von einem "Ausredenbuch" wie es im Untertitel genannt wird. Anders als Wolfgang Sofsky, der in seinem "Buch der Laster" die "Wurzelsünden" beschreibt, findet er bei Nutt eher die lässlichen Sünden wie Shoppen, Rauchen, Faulenzen, Schuldenmachen vorgeführt. Erhellend scheint ihm die Beschreibung unseres irrationalen Umgangs mit diesen Lastern. Dabei hebt er insbesondere die Analyse der manisch-depressiven Art, mit Schwächen umzugehen, hervor. Insgesamt hält er die Beschäftigung mit menschlichen Lastern auch insofern für sinnvoll als sie indirekt auch einen Blick auf die Stärken der menschlichen Natur ermöglicht.

© Perlentaucher Medien GmbH