Erika Mann war Thomas Manns Lieblingskind, und sie hat wesentliche Etappen seines Weges begleitet und beeinflußt. Die Geschichte dieser außergewöhnlichen Vater-Tochter-Beziehung wird im vorliegenden Band nachgezeichnet. Alle wichtigen Äußerungen Erika Manns über ihren Vater werden erstmals umfassend dokumentiert und kommentiert. Die zahlreichen Essays und Briefe - vieles davon bisher unveröffentlicht - vermitteln ein höchst subjektives, aufschlussreiches Bild von Thomas Mann - eine Nahaufnahme des Schriftstellers, wie sie nur aus der Sicht einer besonders engen Vertrauten möglich ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.08.1996Dank und Segenswunsch
Vaters liebe Tochter: Erika Manns Äußerungen zum "Zauberer"
Wer ein vergleichbar symbiotisches Verhältnis sucht, dem fallen vor allem Sigmund und Anna Freud ein. Auch sie wurde unersetzliche "Sekretärin, Biographin, Nachlaßhüterin, Tochter-Adjutantin" des Vaters, hat das Erbe indes nicht bloß bewahrt, sondern zur Grundlage ihres eigenen, eindrucksvollen Lebenswerks gemacht. Erika Mann hingegen ging in den ihr zugedachten Rollen schließlich völlig auf. Zusehends steckte das "Wotanskind" seine vielfältigen Aktivitäten zugunsten der Bedürfnisse des "Zauberers" zurück. Thomas Mann wußte, was er an ihr hatte, und vertraute ihr im Alter rückhaltlos. Mit Rat und Tat stand sie ihm zur Seite, eine äußerst kundige Lektorin und Sachwalterin seiner Interessen. Das Bild, das sie von ihm für die Mit- und Nachwelt zeichnete, sollte möglichst frei von Makel sein, einen gütigen, souveränen Klassiker der Literatur zeigen, den Repräsentanten wahren Deutschtums. Liebe und Vorsicht bestimmten ihre idealisierten Porträts. Störendes wurde, zum Beispiel bei der Herausgabe der väterlichen Briefe, diskret ausgespart. Daß wir mittlerweile nicht zuletzt dank der Tagebücher einen anderen Thomas Mann kennen, auch an seine Güte und Menschenfreundlichkeit nicht mehr so recht glauben, versteht sich von selbst. Gleichwohl kam er uns in seinen Schwächen, Neurosen und sogar in seinem Kältepanzer näher, als es der untadelige Olympier je gewesen war.
Kein Wunder, daß ein Band, der die wichtigsten Äußerungen Erika Manns über ihren Vater unzensiert vereint, deren Gestalt noch tiefer in den Schatten des Weltberühmten zu rücken scheint. Sie diente ihm und diente ihm gern. Einmal freilich hat sie den Kampf gegen ihn aufgenommen, mit ihm gerungen, bis er zu seinem Besten nachgab. Es waren die Jahre des frühen Exils, da sich der Nobelpreisträger öffentlich in beredtes Schweigen hüllte, nichts Abfälliges über die Machthaber im Dritten Reich veröffentlichte. Loyalität gegenüber seinem deutsch-jüdischen Verleger und minder edle Rücksichten trennten ihn von der Masse der Emigranten: Seine Position geriet ins Zwielicht wie diejenige Stefan Zweigs.
Der Verdacht, er wolle es sich mit niemandem verderben, lastete schwer auf ihm. An Gottfried Bermann-Fischer, der mit seinem Verlag in Deutschland geblieben war, schieden sich die Geister im Hause Mann. Schon 1933 hatte ihn Erika einen "Schleimfrosch" genannt, Anfang 1936 avancierte er auf ihrer Verachtungsskala zum "gesichtslosen Geschäftsjuden". Die Verteidigung Thomas Manns klang so übel nicht, doch mangelte es ihr an jenem schönen Zorn, der seine weitaus politischer denkende Älteste beflügelte. Denn sie befand sich moralisch sicherlich im Recht und setzte all ihre Energie daran, den "unmündigen Vater" zu überzeugen. Im Grunde aber war ihr Sieg der Triumph emotionaler Erpressung.
Der angedrohte Liebesentzug bekehrte den Übervorsichtigen zu unerschrockener Eindeutigkeit. Als er sich im Februar 1936 in der "Neuen Zürcher Zeitung" zur Schicksalsgemeinschaft der Emigration bekannte und eine endgültige Absage an Hitlers Reich formulierte, sandte sie ein Telegramm: "dank glueckwunsch segenswunsch" und unterzeichnete lapidar mit "kind e." Mehr als die Bekräftigung der Kindschaft mußte nicht gesagt werden. In diesen wenigen Seiten des Briefwechsels sind wir Zeugen eines hochdramatischen Konflikts geworden - Leidenschaft zerkratzte die Fassade der Harmonie, alte Wunden brachen auf. Und doch hat die Krise den Bund von Vater und Tochter erst wirklich besiegelt, nichts vermochte ihn fortan zu erschüttern.
Die Editoren der Sammlung, Irmela von der Lühe und Uwe Naumann, haben gründliche Arbeit geleistet. Einen kleinen Ausrutscher in den Fußnoten, das falsche Todesjahr von Joseph Roth, verschmerzt man leicht. Ein bißchen dürftig wirkt übrigens auch die Anmerkung zum Wortspiel "Vergesset-Reffisch": "Vermutlich eine Verballhornung". Gemeint sind hier ganz gewiß die Autoren Alexander Lernet-Holenia und Hans José Rehfisch. Daß die Dokumente einen schätzenswerten Beitrag zur Thomas-Mann-Forschung leisten, ist klar. Darüber hinaus sind sie jedoch als bewegendes Kapitel aus einem der großen Familienromane unseres Jahrhunderts zu lesen. ULRICH WEINZIERL
Erika Mann: "Mein Vater, der Zauberer". Herausgegeben von Irmela von der Lühe und Uwe Naumann. Rowohlt Verlag, Reinbek 1996. 560 S., geb., 45,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vaters liebe Tochter: Erika Manns Äußerungen zum "Zauberer"
Wer ein vergleichbar symbiotisches Verhältnis sucht, dem fallen vor allem Sigmund und Anna Freud ein. Auch sie wurde unersetzliche "Sekretärin, Biographin, Nachlaßhüterin, Tochter-Adjutantin" des Vaters, hat das Erbe indes nicht bloß bewahrt, sondern zur Grundlage ihres eigenen, eindrucksvollen Lebenswerks gemacht. Erika Mann hingegen ging in den ihr zugedachten Rollen schließlich völlig auf. Zusehends steckte das "Wotanskind" seine vielfältigen Aktivitäten zugunsten der Bedürfnisse des "Zauberers" zurück. Thomas Mann wußte, was er an ihr hatte, und vertraute ihr im Alter rückhaltlos. Mit Rat und Tat stand sie ihm zur Seite, eine äußerst kundige Lektorin und Sachwalterin seiner Interessen. Das Bild, das sie von ihm für die Mit- und Nachwelt zeichnete, sollte möglichst frei von Makel sein, einen gütigen, souveränen Klassiker der Literatur zeigen, den Repräsentanten wahren Deutschtums. Liebe und Vorsicht bestimmten ihre idealisierten Porträts. Störendes wurde, zum Beispiel bei der Herausgabe der väterlichen Briefe, diskret ausgespart. Daß wir mittlerweile nicht zuletzt dank der Tagebücher einen anderen Thomas Mann kennen, auch an seine Güte und Menschenfreundlichkeit nicht mehr so recht glauben, versteht sich von selbst. Gleichwohl kam er uns in seinen Schwächen, Neurosen und sogar in seinem Kältepanzer näher, als es der untadelige Olympier je gewesen war.
Kein Wunder, daß ein Band, der die wichtigsten Äußerungen Erika Manns über ihren Vater unzensiert vereint, deren Gestalt noch tiefer in den Schatten des Weltberühmten zu rücken scheint. Sie diente ihm und diente ihm gern. Einmal freilich hat sie den Kampf gegen ihn aufgenommen, mit ihm gerungen, bis er zu seinem Besten nachgab. Es waren die Jahre des frühen Exils, da sich der Nobelpreisträger öffentlich in beredtes Schweigen hüllte, nichts Abfälliges über die Machthaber im Dritten Reich veröffentlichte. Loyalität gegenüber seinem deutsch-jüdischen Verleger und minder edle Rücksichten trennten ihn von der Masse der Emigranten: Seine Position geriet ins Zwielicht wie diejenige Stefan Zweigs.
Der Verdacht, er wolle es sich mit niemandem verderben, lastete schwer auf ihm. An Gottfried Bermann-Fischer, der mit seinem Verlag in Deutschland geblieben war, schieden sich die Geister im Hause Mann. Schon 1933 hatte ihn Erika einen "Schleimfrosch" genannt, Anfang 1936 avancierte er auf ihrer Verachtungsskala zum "gesichtslosen Geschäftsjuden". Die Verteidigung Thomas Manns klang so übel nicht, doch mangelte es ihr an jenem schönen Zorn, der seine weitaus politischer denkende Älteste beflügelte. Denn sie befand sich moralisch sicherlich im Recht und setzte all ihre Energie daran, den "unmündigen Vater" zu überzeugen. Im Grunde aber war ihr Sieg der Triumph emotionaler Erpressung.
Der angedrohte Liebesentzug bekehrte den Übervorsichtigen zu unerschrockener Eindeutigkeit. Als er sich im Februar 1936 in der "Neuen Zürcher Zeitung" zur Schicksalsgemeinschaft der Emigration bekannte und eine endgültige Absage an Hitlers Reich formulierte, sandte sie ein Telegramm: "dank glueckwunsch segenswunsch" und unterzeichnete lapidar mit "kind e." Mehr als die Bekräftigung der Kindschaft mußte nicht gesagt werden. In diesen wenigen Seiten des Briefwechsels sind wir Zeugen eines hochdramatischen Konflikts geworden - Leidenschaft zerkratzte die Fassade der Harmonie, alte Wunden brachen auf. Und doch hat die Krise den Bund von Vater und Tochter erst wirklich besiegelt, nichts vermochte ihn fortan zu erschüttern.
Die Editoren der Sammlung, Irmela von der Lühe und Uwe Naumann, haben gründliche Arbeit geleistet. Einen kleinen Ausrutscher in den Fußnoten, das falsche Todesjahr von Joseph Roth, verschmerzt man leicht. Ein bißchen dürftig wirkt übrigens auch die Anmerkung zum Wortspiel "Vergesset-Reffisch": "Vermutlich eine Verballhornung". Gemeint sind hier ganz gewiß die Autoren Alexander Lernet-Holenia und Hans José Rehfisch. Daß die Dokumente einen schätzenswerten Beitrag zur Thomas-Mann-Forschung leisten, ist klar. Darüber hinaus sind sie jedoch als bewegendes Kapitel aus einem der großen Familienromane unseres Jahrhunderts zu lesen. ULRICH WEINZIERL
Erika Mann: "Mein Vater, der Zauberer". Herausgegeben von Irmela von der Lühe und Uwe Naumann. Rowohlt Verlag, Reinbek 1996. 560 S., geb., 45,- DM.
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