Aber weshalb tat ich mir diese Schinderei überhaupt an? Auch wenn ich mir mit dem Caminho Português die kürzeste aller Jakobsweg-Varianten ausgewählt hatte und nur knapp 300 Kilometer von Porto nach Santiago de Compostela zum angebliche Grab des Apostels Jakobus in Galicien laufen würde, so blieben es doch 300 (!!!) Kilometer. Ich erhoffte mir in erster Linie, mein über die letzten Jahre / Jahrzehnte aufgebautes Stress-Level herunterfahren zu können, indem ich mich während der Zeit der Wanderung nur um mich selber kümmern würde. Auch die Tatsache, dass ich morgens nicht überlegen müsste, was ich an diesem neuen Tag machen könnte, kam mir sehr entgegen. Da ich das Ziel, Santiago de Compostela zu erreichen, vor Augen hatte, würde ich jeden Tag um die 20 Kilometer laufen müssen, und so würden sich die einzigen Entscheidungen am Tag darauf beschränken, wie ich meine Grundbedürfnisse befriedigt bekäme, also wo ich etwas zu essen und zu trinken (Kaffee!) finden würde, wo ich zur Toilette gehen könnte und an welchem Ort ich abends übernachten würde. Diese Reduzierung auf das Wesentliche nährte in mir die Hoffnung, meinem Wunsch nach einer wiedergewonnenen Gelassenheit ein Stück näher zu kommen ...Da stand ich nun und hatte knapp 300 Kilometer Fußmarsch vor mir. Und das wollte ich wirklich? Bevor irgendwelche komischen Gedanken aufkommen konnten, schlug ich zielstrebig den am Vortag ausgekundschafteten Weg zur Kathedrale ein. Diese öffnete erst um 9.00 Uhr, so dass mir Zeit für ein Frühstück blieb. Mit einem Croissant, einem Teilchen und einer großen Wasserflasche ausgestattet, setzte ich mich auf eine Mauer, die den Vorplatz der Kathedrale einfasste. Tauben und Möwen nahmen natürlich sofort von meinem Essen Kenntnis, und ich teilte großzügig. Vereinzelt fanden sich auf dem Vorplatz weitere Pilger ein, jedoch blieb jeder bzw. jede kleine Gruppe für sich, wohl in Gedanken an den nun bevorstehenden Weg versunken ...